Frauen. Immer noch benachteiligt?
Redaktion | 28. November 2011 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 77, Fazitthema
Ja, Frauen sind noch immer benachteiligt, ebenso wie Männer. Denn Gehalt und Karrierechancen sind ohne Frage wichtige Parameter für die Frage der Geschlechtergerechtigkeit, sie sind aber nicht die einzigen. Und so misstrauisch man gegenüber Statistiken auch sein mag, das offensichtliche Missverhältnis von Frauen- zu Männerlöhnen bleibt ein Manko unserer sonst so fortschrittlichen Gesellschaft. Dabei hat sich in den letzten Jahren einiges getan, was die Gleichberechtigung bei der Berufswahl betrifft, bei der Zahlungsgerechtigkeit aber stagniert Österreich.
Text von Michael Thurm und Ann-Marie Stark
„Ich habe selbst miterlebt, dass wir die Quote brauchen, weil wir die Gleichberechtigung sonst nicht schaffen“, sagte Barbara Muhr, Vorstandsvorsitzende der Holding Graz zu Beginn des Jahres im Fazitgespräch. Und das, obwohl sie lange eine Gegnerin der Frauenquote war und immer wieder betont: „Die Leistung muss stimmen.“ Aber wenn selbst von grundsätzlichen Gegnern solcher Zwangsmaßnahmen es inzwischen für sinnvoll und notwendig gehalten wird, eine Frauenquote einzuführen, muss etwas im Argen liegen – auch wenn wir heuer 100 Jahre Frauentag feiern. Ob die Quote tatsächlich das Allheilmittel zur Gleichberechtigung ist, wird sich eventuell bald in Deutschland zeigen, dort steht die Politik kurz davor, sie verbindlich einzuführen und Nicht-Einhaltung mit hohen Strafen zu verknüpfen. Einer Selbstverpflichtung ist als einziger DAX-Konzern bisher die Telekom nachgekommen, die einen Frauenanteil von 30 Prozent in den Führungspositionen umsetzen will.
Wenn man aber von dieser oberflächlichen und simplifizierten Diskussion um die Frauenquote Abstand nimmt und sich dem Auslöser zuwendet, also der These, dass Frauen noch immer benachteiligt sind, wird deutlich, dass Männer kaum noch systematisch bevorzugt werden. Aber wir haben in unseren Gesellschaften Gewohnheiten entwickelt, die ihre ungerechten Spuren hinterlassen haben und die sich systembedingt weiter vertiefen, wenn aus dem politischen Willen, diese Ungerechtigkeiten zu beheben, keine Taten und Gesetze folgen.
Radikale Feministen, die in der Tradition von Simone de Beauvoir stehen und die kulturalistische These „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“ vertreten, gehen davon aus, dass es keine typischen Frauen- bzw. Männerberufe gibt. Die „Normalität“ in einigen Berufszweigen spricht allerdings eine andere Sprache, auch wenn dieser Ist-Zustand die Gründe und Ursachen außer Acht lässt, die dazu geführt haben. Unsere Alltagserfahrung, dass es sowohl typische Frauen- als auch Männerberufe gibt, wurde im letzten Frauenbericht, der außer Verdacht steht, antifeministisch zu sein, einmal mehr bestätigt. Bei den Führungskräften beträgt der Frauenanteil demnach 28 Prozent, wobei mit der Größe des Unternehmens der Frauenanteil abnimmt. Bezogen auf einzelne Branchen ist der Frauenanteil bei den Dienstleistungs- und Bürokräften mit mehr als 70 Prozent am höchsten. Hauptsächlich handelt es sich um Stellen im Gesundheits- und Sozialwesen, sowie dem Unterrichtswesen, Handel und Versicherungswesen.
Besonders niedrig ist der Anteil bei der Sachgütererzeugung (24 Prozent), bei Verkehr und Energieversorgung, sowie im Bauwesen. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander ist ein wesentlicher Faktor, wenn es darum geht, eventuelle Benachteiligungen zu überprüfen, die Bezahlung innerhalb eines Berufes ein anderer. Und bei beiden Gegenüberstellungen werden enorme quantitative Ungleichheiten deutlich. Ein Unterschied allein ist aber noch keine Benachteiligung. Diese liegt erst vor, wenn Frauen daran gehindert werden, ihre (Berufs-)Wünsche umzusetzen, Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb eines Berufes wahrzunehmen, oder für gleiche Leistung schlechter bezahlt werden als Männer. Ungleichheiten als solche entstehen schon allein dadurch, dass es aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in den einzelnen Branchen einige Berufe gibt, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie eher zulassen als andere. Und das ist insofern ungerecht, als dass es Frauen mit flexiblen Arbeitszeiten leichter haben, Beruf und Familie zu vereinen, als andere. Für Frauen, die eine Familie haben wollen, gilt also nur eine eingeschränkte Freiheit bei der Berufswahl.
Feministen schreien bei einer solchen Argumentation auf, und kritisieren diese implizite Gleichsetzung von Frauen und Kinderbetreuung. Aber noch immer ist es die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher, die in diesem traditionellen Muster lebt. Auch wenn durch Errungenschaften wie den Vatermonat langsam so etwas wie eine „ökonomisch gleichberechtigte Elternschaft“ entsteht. Und so wird der berufliche Einschnitt, den Kinder zwangsläufig bedeuten, immer weniger allein auf die Karriere der Mütter wirksam. Noch immer sind aber ein Drittel der Frauen nach einer Schwangerschaft nicht berufstätig, obwohl sie es vorher waren. (Die Daten gelten für einen Zeitraum von 32 Monaten nach der Schwangerschaft, Statistiken über einen längeren Zeitraum liegen nicht vor.)
Ein Grund dafür ist, dass Männer/Väter meist mehr verdienen als ihre Partnerinnen, und das zeigt, wie die eine Ungleichheit eine andere hervorruft. Wenn Frauen immer weniger verdienen als der Mann, ist es ganz im ökonomischen Sinn der Familie, dass der Job mit dem höheren Einkommen erhalten wird.
Dass dabei tatsächlich beide benachteiligt werden, fällt den wenigsten auf. Denn ein solches Paar wird aus ökonomischen Gründen zu einer Rollenverteilung gezwungen, die es vielleicht anders gestalten würde, wenn es denn finanziell möglich wäre. Erst eine annähernde Gleichheit in der Bezahlung ermöglicht es Eltern, frei zu entscheiden, wer welchen Anteil an der Kinderbetreuung übernimmt. Denn so wichtig es ist, dass Frauen nicht um ihre Einkommensmöglichkeiten gebracht werden, so wichtig ist es auch, dass Väter die Möglichkeit haben, genügend Zeit mit den Kindern zu verbringen. Die Reduktion der Vaterrolle auf die des bloßen Ernährers ist ebenso fatal wie jene der Frau auf die Rolle der Hausmutter. Dass dies aber gegenwärtig der Fall ist, zeigen die Erhebungen der Statistik Austria, laut denen die Erwerbstätigkeit bei Männern mit Kindern am höchsten ist (über 95 Prozent bei den 25- bis 49-Jährigen). Bei den Frauen ist im Unterschied dazu die Erwerbstätigkeit ohne Kind am höchsten. Anders gesagt: Ein Kind bedeutet für den Vater, dass er tendenziell häufiger erwerbstätig ist, für Mütter, dass sie es häufig nicht sind. Im Trennungs- oder Scheidungsfall sorgt dann das österreichische Recht, das nur Unterhalts- aber keine Betreuungspflichten kennt, auch noch dafür, dass dieser Zustand zementiert wird.
Ein längst gängiger Ausweg ist die seit 1994 kontinuierlich ansteigende Beschäftigung von Frauen in Teilzeitarbeit. Inzwischen gehört Österreich beim Anteil der Teilzeitbeschäftigung von Frauen zur Spitzengruppe im EU-Vergleich und hat dadurch gleichzeitig eine relativ niedrige Frauenarbeitslosigkeit. Die Teilzeitarbeit stellt also zumindest die Erwerbstätigkeit sicher und damit eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit, sagt aber noch nichts über die Höhe des Einkommens aus. Tendenziell werden Teilzeitkräfte nämlich auch dann niedriger entlohnt, wenn man den Stundenlohn vergleicht.
Problematisch wird die unterschiedliche Berufswahl von Männern und Frauen, wenn es innerhalb eines quantitativ weiblich dominierten Berufes wie zum Beispiel des Lehramts noch immer eine männliche Dominanz unter den Führungskräften (Rektoren) gibt. Das sagt zwar noch nichts über die Arbeit der Betroffen aus – ohne Frage gibt es genug Rektoren, die frei vom Verdacht des Chauvinismus sind –, aber dass es unter den Rektoren einen unbegründeten hohen Anteil von Männern gibt, führt auch dazu, dass diese ein höheres Einkommen erhalten.
Solche Feststellungen lassen sich aber nicht nur unter der etwas besonderen Berufsgruppe der Pädagogen finden, sondern, wie das Porträt über Ulrike Stibor-Stark zeigt, auch im Handel. Stibor-Stark ist als weibliche Geschäftsführerin noch immer eine Ausnahme. Ebenso wie es Barbara Muhr als Vorstand der Holding Graz ist und Christa Neuper, die heuer zur ersten Rektorin der Karl-Franzens-Universität Graz wurde. Nach über 400 Jahren männlicher Dominanz.
Dass die Optik bei Besetzungen wie jener von Neuper und Muhr immer ein bisschen schief ist, liegt daran, dass es eben noch nicht selbstverständlich ist, dass eine Frau in Führungspositionen arbeitet und dass jede Neubesetzung, insbesondere im öffentlichen Dienst, von feministischen Forderungen begleitet wird, die vergessen lassen, dass Weiblichkeit selbstverständlich kein Hindernis, aber eben auch keine hinreichende Bedingung für die Zuerkennung einer Führungsposition ist.
Diese latente Reduktion der Bewerbungswettbewerbe auf die Frage der Geschlechtergerechtigkeit tut weder den Betroffenen gut noch den Anliegen des Feminismus, noch den Unternehmen.
Wenn es tatsächlich so etwas wie typische Frauen- und Männerberufe gibt, dann müsste dieser biologischen oder sozialen „Normalität“ auch eine entsprechende Bezahlung gegenüberstehen.
Wenn Männer aber in allen Berufssparten besser verdienen als Frauen, dann widerspricht das dem Grundsatz, dass gleiche Leistung gleich belohnt wird – es ist ungerecht.
Nun kann man wie bei allen statistischen Daten die Schwachstellen der Erhebung beklagen, noch dazu, wo die meisten Schwachstellen aufgrund der anonymen und nicht transparenten Erhebungen nicht erkannt werden können. Aber selbst wenn die Ergebnisse von der Verzerrung durch Teilzeitarbeit bereinigt werden, verdienen Frauen laut dem zuständigen Ministerium und Rechnungshof immer noch 21 Prozent weniger pro Stunde als Männer.
Das größte Problem bei der Debatte um gleichen Lohn ist die fehlende Transparenz bei der Bezahlung. Erst seit 2011 müssen Betriebe mit mehr als 1.000 Mitarbeiten einen Einkommensbericht erstellen, der die Entlohnung nach dem Geschlecht und der Funktion im Unternehmen aufschlüsselt. Öffentlich sind diese Berichte nicht, sie müssen von der jeweiligen Geschäftsführung unter dem Grundsatz der Verschwiegenheit im Betriebsrat vorgelegt werden.
So wichtig der Grundsatz der Anonymität ist, so schwierig wird durch diese Regel die wirksame Überprüfung der Einkommensberichte auf Wahrhaftigkeit, von eventuell nötigen Korrekturen am Gehalt ganz abgesehen.
Ein weiteres Problem: Wenn das Frauen/Männer-Verhältnis unter den Beschäftigten in einem Unternehmen zu extrem ist, würden sich Rückschlüsse von der Gesamtstatistik auf die einzelne Person ziehen lassen. Das ist weder erwünscht noch erlaubt, wird aber vor allem bei Betrieben mit weniger als 1.000 Mitarbeitern zum Problem, die ab den nächsten Jahren verpflichtet sind, diese Einkommensberichte zu erstellen.
Es sind also vor allem die Betriebsräte, die durch die Einkommensberichte eine Möglichkeit bekommen haben, die systematische Benachteiligung von Frauen zu erkennen. Lohnrunden nur für Frauen sind da ein hin und wieder genannter Vorschlag, der nur auf den ersten Blick ungerecht gegenüber den Männern ist. Umgekehrt ist nämlich jede „geschlechterneutrale“ Lohnerhöhung eine Benachteiligung von denjenigen, die weniger verdienen. Denn durch eine prozentual gleiche Lohnerhöhung um 4 Prozent geht der absolute Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen automatisch weiter auseinander. Nicht aus böser Absicht, sondern weil sich die Ungleichheiten der Vergangenheit weiter vertiefen. Und das mit jeder neuen Lohnerhöhung.
Darüber hinaus lassen sich die Verdienste auf unterschiedlichste und zum Teil manipulative Weise einsetzen: Wenn eine Frau 1.000 Euro verdient und ein Mann 1.500, lassen sich daraus zwei relative Aussagen ableiten: Frauen verdienen 1/3 weniger als Männer. Oder: Männer verdienen 50 Prozent mehr als Frauen. Darüber hinaus lassen sich die Vergleiche ebenso für das Bruttomonatseinkommen wie für das Jahreseinkommen erstellen, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Dazu kommt jeweils die eventuelle Berücksichtigung von Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten. Die Bandbreite der Ergebnisse liegt zwischen 22 Prozent und 60 Prozent Gehaltsunterschied. Je nach Rechnung und Perspektive.
Anlässlich des 04. Oktober, des heurigen „Equal Pay Day“, des Tags, an dem Männer rechnerisch aufhören könnten zu arbeiten, um genauso viel zu verdienen wie Frauen (Jahreseinkommen laut Lohnsteuerstatistik), zog Andreas Unterberger in den Salzburger Nachrichten den Schluss, dass es sich kein Unternehmer leisten könne, einen Mann bei gleicher Qualifikation besser zu bezahlen als eine Frau. Ein beliebtes Argument, das aber nur zur Hälfte stimmt. Denn für die meisten Unternehmen ist die Qualifikation noch immer wichtiger als das Gehalt. Und wenn es einem als Unternehmer möglich ist, ohne großes Aufsehen ein niedrigeres Gehalt für einen (weiblichen) Angestellten durchzusetzen, dann tut er dies, auch wenn es ihm bei dem Mann nicht gelingt. Die Ursachen dafür versuchen Psychologen und Genderforscher seit Jahren deutlich zu machen: Frauen verhandeln anders, Frauen setzen andere Prioritäten als das Gehalt … Das mag alles stimmen, löst aber nicht die Frage, ob die Arbeitsleistung oder die Verhandlungsleistung um das Gehalt belohnt wird. Beides sollte in einer libertären Gesellschaft legitim sein, ob es in unserer sozialen Marktwirtschaft auch sinnvoll ist, steht noch immer zur Debatte – ebenso wie die gesetzliche Frauenquote.
Ungerechtigkeit kann aber nicht nur an diesen Zahlen gemessen werden. Der Verdienst und die Karrieremöglichkeiten sind ein wesentlicher Bestandteil der Geschlechtergerechtigkeit, die Bedingungen, unter denen Karriere und Erfolg möglich sind, sind ein anderer. Und da schließt sich der Kreis, denn bei der Frage danach, was gute Arbeitsbedingungen sind, unterscheiden sich die Bedürfnisse von Männern und Frauen erneut deutlich; und das nicht erst, wenn sie Mütter und Väter sind. Während Schicht- und Wochenendarbeit ähnlich verteilt ist, leisten Männer deutlich mehr Überstunden – auch weil sie dafür häufiger als Frauen bezahlt werden. Zieht man die Bildung und Ausbildung als weiteren Parameter für das Maß an Gerechtigkeit heran, dann müssten Frauen längst mehr verdienen als Männer, denn sie haben die besseren Schul-, Studien- und Ausbildungsleistungen. Gerechtigkeit ist also nicht nur zwischen Arm und Reich (siehe FAZIT Nr. 76) eine Frage des Blickwinkels, sondern auch bei Männern und Frauen. Allerdings haben wir es in den meisten Fällen nicht mit einer Konfrontation der Beteiligten zu tun, denn die wenigsten wissen, was der andere verdient. Das Problem besteht in den ausbleibenden Korrekturen jener Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Teilzeit und Vatermonate sind erste Schritte in eine Richtung, die es beiden Geschlechtern erlaubt, souveräne Entscheidungen zu treffen, die nicht allein von der Notwendigkeit bestimmt sind, das Einkommen zu erhalten. Vor allem, wenn aus Frauen und Männern einmal Mütter und Väter werden sollen.
Titelgeschichte Fazit 77 (November 2011
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