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Schüsse ins Schauspielhaus Graz

| 17. Februar 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 80, Kunst und Kultur

Anders Breivik hat nichts auf der Bühne des Grazer Schauspielhauses zu suchen. Nicht einmal, wenn es nur ein, zwei Sätze sind. Nicht einmal, wenn diese zu einer frühen Fassung von Henrik Ibsens „Nora“ passen, die zuletzt am Schauspielhaus Premiere hatte.

Ein erster Vorgeschmack auf Fazit Nr. 80. Ab nächster Woche im ausgewählten Handel und per Abo.

Es ist genug der Ehre, wenn sich die Medienlandschaft dazu missbrauchen lässt, Bilder und Texte des Attentäters von Norwegen auf ihren Titelseiten zu stilisieren, der 77 Menschen ums Leben gebracht hat. Das Grazer Schauspielhaus muss nicht auch noch dessen krudes Pamphlet „2083“ in eine scheinbar harmlose Inszenierung einbauen. Das ist weder eine Auseinandersetzung mit Breivik noch mit jenen sozialdarwinistischen Thesen, die sowohl von Henrik Ibsen als auch von Breivik vertreten werden. Das ist auch kein „Spiel mit der Provokation“. Das ist einfach dumm. Denn die Verwendung dieser wenigen Sätze, die man während des Stückes nicht einmal erkennt, ruinieren alles, was an „Nora oder ein Puppenhaus“ hätte gut sein können.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn moderne Texte eingebaut werden, es ist auch nichts gegen die Neudeutung Henrik Ibsens zu sagen, durch die das Stück eher zu einer Kritik der Lebensökonomisierung als des Patriarchats wird. Nein, das alles gelingt gut und treffend und vor allem dank eines bestechenden Gerhard Liebmann (bekannt aus »Lourdes« und »Atmen«), der die Rolle des Nils Krogstadt zur heimlichen Hauptfigur des Stückes macht. Er ist der traurige Held, der versucht seine kleinen Geheimnisse gegen die Mechanismen der großen Macht einzusetzen. Die Ausschnitte, die er aus Heiner Müllers „Der Auftrag“ spricht, könnten großes politisches Theater sein. Aber aus irgendeinem Grund hat Regisseur Wojtek Klemm beschlossen, doch noch dem alten Ibsen seinen Platz zu lassen und „Nora“ in den Mittelpunkt seines Dramas, denn genau das ist es im Wesentlichen, zu stellen. Evi Kerstephan überzeugt in dieser Rolle als taffe Frau, die zur Selbstbestimmung findet; nur die Rolle überzeugt nicht mehr. Und so gibt es an diesem Abend nur einen Gewinner und der heißt Anders Behring Breivik. Er hat es geschafft, sich nahezu unbemerkt auf die Bühne des Schauspielhauses zu schießen – denn hätte er nur sein Pamphlet veröffentlicht, wäre es uns wohl nie bekannt geworden – und er zwingt damit diese Rezension zum Widerspruch.

Dabei wäre die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema des Stückes, nämlich der zunehmenden Selbstauslieferung unseres Lebens an wirtschaftliche Mechanismen, lohnenswert gewesen. Ebenso wie eine ausführlichere Würdigung der Protagonisten. Schade.

Kultur, Fazit 80 (März 2012)

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