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| 29. Mai 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 93, Fazitgespräch

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Das Schloss Seggau ist ein guter Ort für ausführliche Gespräche. Alle zwei Jahre findet hier mit den Diskussionen zu »Geist und Gegenwart« ein Beitrag zum Nachdenken über das Heute und Morgen statt. Die konservative Denkelite, die genügend Bezug zur Steiermark hat, gibt sich die Ehre. Nicht ganz unbeteiligt an dieser Veranstaltung ist Bischof Egon Kapellari, der innerhalb der Kirche als Reformer gilt. Wie weit und wie schnell die Transformation und Entwicklung einer 2.000 Jahre alten Institution gelingen kann, versuchten wir vor diesem Hintergrund und anhand der aktuellsten Themen zu erörtern.

Das Gespräch führten Christian Klepej und Michael Thurm

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Herr Bischof, Sie sind seit über 50 Jahren im Dienst der Kirche, seit über 30 Jahren als Bischof. Bei Ihrer Weihe wählten Sie den Spruch: »Alles ist Euer, Ihr aber gehört Christus« – hat dieser Wahlspruch mit der Zeit für Sie eine Wandlung durchgemacht?
Wandel gehört zu jedem Leben und zu jeder Epoche. Die Kirche – und alle Kirchen – sind davon betroffen, die ganze Gesellschaft ist durch einen sich anscheinend noch beschleunigenden Wandel herausgefordert. Dabei gibt es natürlich so etwas wie Fixsterne. Mein Wahlspruch ist mir damals, ohne viel nachzudenken, eingefallen und ist bis heute ein solcher Fixstern. Was heißt »alles«? Es ist ein Wort der Öffnung. Der Satz stammt von Paulus, der sich an die Christen in Korinth wendet: Wir nehmen euch nichts weg. Alles, was ihr kulturell, philosophisch und an Lebensentwürfen habt, wollen wir euch nicht nehmen. Aber ihr gehört Christus – und das korrigiert einiges. Ich hab diesen Spruch in Kärnten gewählt …

Dort fand 1982 Ihre Bischofsweihe statt.
… ein Land, das sehr reich beschenkt ist. Schon die Landschaft ist eine gefährlich schöne Vorgabe – man könnte dabei bequem werden. Als neuer Bischof wollte ich mit diesem Motto antreten: Alles, was ihr habt, soll bleiben, aber ich will es mit den Augen Christi, dem a priori des Evangeliums, anschauen.

Meine erste Assoziation – die Assoziation eines weltlichen, jungen Erwachsenen – war die, dass dieser Spruch erstaunlich neoliberal ist. Nehmt euch, was ihr wollt, die Verantwortung habt ihr nur gegenüber Christus.
Dieser zweite Teil ist aber unglaublich wichtig. Macht Christus konservativ? Oder neoliberal? Ich glaube, er ist größer als diese Teilaussagen über menschliche Wirklichkeiten. Der Satz ist eine große Einladung, nicht mit Misstrauen in Begegnungen zu gehen. Sich allen mit einem intelligenten und optimistischen Wohlwollen zuzuwenden.

Für Atheisten und Agnostiker hat die Instanz Christus aber eigentlich keine Bedeutung.
Ich habe diesen Wahlspruch nicht an die ganze plurale Gesellschaft adressiert, sondern an die Katholiken. Damit wird niemand vereinnahmt. Auch viele nicht-religiöse Menschen haben ein Leitwort. Das versucht vieles von dem zusammenzufassen, was man ist und was man sein will. Gleichzeitig ist es nie so eindeutig, dass wir sagen können: Jetzt wissen wir alles.

Sie haben sich mit diesem Satz vor allem an die Mitglieder der katholischen Kirche gewandt. Diese Kirche ist aber Teil einer Gesellschaft, die – soweit wir das beurteilen können – in rasantem Wandel begriffen ist. Die Kirche erweckt den Eindruck, dass sie sich viel langsamer bewegt. Während Religion und Glaube weiter eine wichtige Rolle spielen, verliert die Institution in diesem Wandel an Bedeutung. Stimmen Sie dieser Beobachtung zu?
Auch das darf man nicht generalisieren. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche und im Ganzen sehr vital. Auch innerhalb Europas gibt es große Unterschiede. Bei uns drückt sich dieser Wandel besonders dadurch aus, dass die Breite der Kirche reduziert wird. Menschen gehen weg und es kommt eine zahlenmäßig schwächere neue Generation nach. Diese Tendenz ist offensichtlich.

Das betrifft sowohl die Zahl der Gläubigen als auch die der Priester.
Aber der Wandel ist nicht nur ein Verlust, sondern auch Transformation. Es gibt neue Kerne, die sich noch nicht immer deutlich erkennen lassen. Mitten im Wandel dieser Gesellschaft und der Kirche gibt es ja nicht nur Umbrüche und Abbrüche, sondern auch Aufbrüche. Manche glauben, die Kirche bewegt sich überhaupt nicht, aber das tut sie. Sie galoppiert nicht, aber sie entwickelt sich. Man sollte nicht übersehen, dass es viele intelligente Konservative gibt, die sagen, dass die Kirche nicht einfach den Galopp der Gesellschaft mitmachen darf, weil sie sonst zu ihrem eigenen Schaden und auch zum Schaden der Gesellschaft an Relevanz verliert. Das ist ein offener Prozess. Ein Widerstand gegen Trends kann auch prophetisch sein. Das weiß man aber erst später.

Müsste die Kirche – in Relation – trotz Ihres Einwandes nicht auch schneller werden?
Wer soll die Frage beantworten? Das ist ein kollektives Geschehen, in das jeder Einzelne seine eigene Bewegung mitbringt.

Sie haben die kleinen Aufbrüche angesprochen. Ist der neu gewählte Papst ein solcher?
Ich glaube, er bringt einen großen Aufbruch, aber das wird sich erst im Nachhinein zeigen können. Schon am Abend der Wahl habe ich gesagt, dass ich von diesem Papst einen »Schub fröhlich gelebter Bergpredigt« erwarte. Diesen Schub hat es offensichtlich von Anfang an gegeben und er ist weiter im Gang.

Wie viel Projektion steckt in den Erwartungen an den neuen Papst? Ist dort nicht auch dieser Wunsch nach einem Wandel der Kirche spürbar?
Da kein Mensch vollkommen ist, wird der Papst diesen Wunsch nicht für jeden erfüllen können. In seinem gesamten Wesen – Name, Herkunft, Bildungsweg, Theologie und Spiritualität – halte ich Papst Franziskus nicht für einen Gegensatz, sondern für eine positive Ergänzung zu dem, was der Papst emeritus gewesen ist. Auch Franziskus wird ent-täuschen. Aber das ist ja nicht nur negativ, wenn wir den doppelten Boden dieses Ausdrucks bedenken.

Sie haben den Rücktritt Papst Benedikts XVI. angesprochen. Hat er das Amt entmystifiziert?
Das ist eine legitime Frage. Wir hatten uns an eine Ausprägung des Papst-Amtes gewöhnt, die sehr sakral überhöht war, um nur ja nicht banal zu sein. Diese Ausprägung hat aber wie jede andere nur einen gewissen Spielraum und Papst Benedikt hat mit seinem Rücktritt diese Linie der Überhöhung durchbrochen. Für manche war das erfreulich, für andere weniger. Das entpflichtet aber einen Papst und einen Bischof nicht davon, sein Amt so zu leben, dass alle – auch Agnostiker und Atheisten – an ihm die Dimension des Sakralen erkennen können.

Sie haben die Ansprüche der Kirche angesprochen. Diesen gegenüber stehen nicht nur viele Menschen, die sich einfach abwenden, sondern auch eine neue und aktive Auseinandersetzung mit der Kirche. Das jüngste Beispiel war das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien. Gefordert wurden unter anderem der Rückzug aus den Rundfunkräten, die Aufgabe gewisser steuerlicher Privilegien etc. Auch wenn das Volksbegehren nicht den durchschlagenden Erfolg hatte – sind nicht einige dieser Forderungen berechtigt, wenn die katholische Kirche ihre Akzeptanz im 21. Jahrhundert behalten will?
Bei diesem Volksbegehren wurde die Frage behandelt, ob die Kirchen eine zu große Nähe zum Staat haben. Wir haben uns damit öffentlich auseinandergesetzt. Einige Behauptungen der Initiatoren waren sachlich schlicht falsch und die Initiative hat bekanntlich sehr wenig Zustimmung gefunden. Wem nützt es, wenn Religion privatisiert wird? Das war die Kernfrage hinter den Details, von denen Sie einige angesprochen haben. Religiosität ist ja einerseits zutiefst persönlich und individuell, andererseits gestaltet sie immer auch die ganze Gesellschaft, den öffentlichen Raum.

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: In Wien haben Eltern wieder einmal gegen das Kreuz im Klassenzimmer protestiert.
Auch in Italien war das vorher der Fall – eine Mutter wollte, dass sie und ihr Kind nicht von religiösen Symbolen vereinnahmt werden. Wenn man das weiterdächte, müsste man alle religiösen Zeichen, die heute oder morgen irgendjemandem widerstreben, aus dem öffentlichen Raum verdrängen. Das ist absurd. Man kann sich zwar an konkreten Grenzfällen wie dem Läuten von Glocken der Kirchtürme abarbeiten, aber eine Kleingruppe darf nicht eine Gesamtgesellschaft zwingen, mehrheitlich präsente Religion aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Als Kirche haben wir sachlich auf diese Initiative des Kirchenvolksbegehrens reagiert. Wir müssen aber öffentlich ständig darauf hinweisen, was Kirche, was Religionen konkret für die ganze Gesellschaft an Helfendem leisten. Die Trennung von Kirche und Staat – Laizität – heißt nicht Beziehungslosigkeit. Aber die Modelle der Beziehung sind verschieden und werden es auch in Zukunft sein. Es gibt immer wieder Interessen, einiges zu ändern. Aber dazu ist es nötig, auch einmal drei Schritte zurückzugehen.

Nach den drei Schritten zurück müssen wir auch drei Schritte vorwärtsgehen. Wir kommen also wieder auf die Ausgangsfrage. Sie sagten: »Wem nützt es, wenn Religion privatisiert wird?« Es lässt sich auch fragen: Wem würde es denn schaden?
Auch diese Frage ist sinnvoll. Jeder Versuch einer Antwort steht allerdings unter dem Vorwand, dass unsere Gesellschaft unfassbar plural ist. Wir können nur versuchen, Tendenzen zu generalisieren. Die Haltung der Mutter aus Wien oder Italien ist auch Ausdruck einer Tendenz, aber noch immer einer sehr kleinen.

Breiter als bei den genannten Beispielen wird die Ablehnung katholischer Positionen bei den Themen der Sexualmoral. Die Haltung zur Verhütung, zur Homosexualität und zum Zölibat wird sogar aus den eigenen Reihen kritisiert. Nun weiß ich, dass es »die Kirche« nicht gibt und dass es sehr wohl eine Differenzierung gibt, die eine 2.000 Jahre alte Institution auch aushalten kann – aber sehen Sie nicht das Bedürfnis vieler Gläubiger nach Haltungen, die sowohl kirchlich als auch weltlich mehrheitsfähig sind?
Diese Themen sind bei uns auf dem Tisch und bleiben auch dort. Es ist aber kein Ausweichen, wenn ich sage, dass man immer wieder versuchen muss, nach dem unbestreitbaren gemeinsamen Hinter- und Untergrund des Christentums zu suchen. Was ist der unbezweifelbare Kern des Katholischen und wie verhalten sich die konkreten Fragen der Ethik dazu? Im Blick auf die Bibel konzentriert sich die Antwort in einem einzigen Satz aus dem Neuen Testament. Er lautet: »Gott ist Liebe.« Dieser Satz übergreift alle Widersprüche im Leben der Christen, ohne sie immer harmonisch auflösen zu können. Die von Ihnen benannte Spannung, die sich zum Beispiel für einen sich homosexuell fühlenden Katholiken und seine daraus gezogenen lebenspraktischen Konsequenzen einerseits und der Ablehnung praktizierter Homosexualität durch die katholische Kirche andererseits ergibt, diese Spannung ist nicht einfach lösbar. Generelle Normen sind wie Fixsterne, die auch leuchten, wenn es Bodennebel gibt.

Heißt das, der Pfarrer von St. Veit am Vogau hat das Richtige mit den falschen Worten angesprochen?
Kein Gesetz und keine Moral kommen ohne Judikatur und ohne Bezug auf konkrete Biografien aus. Dieser Pfarrer hat bezogen auf die Themen Islam und Homosexualität viel geschrieben, mit einem missionarischen Bewusstsein, weil er glaubt, dass er die Gesellschaft so vor Verfallserscheinungen retten muss und kann. Schreckliche Vereinfachungen helfen aber niemandem …

Und sie verhindern jeden Dialog.
Der genannte Priester hat unübersehbare Verdienste, aber jetzt ist er starr geworden und hat sich auch eines verletzenden Stils bedient. Deshalb hat in der Karwoche unser Generalvikar die Liturgie in der Pfarre geleitet. Wir haben also reagiert, mussten uns aber prompt auch dem Vorwurf aussetzen, dass wir einen der wenigen Priester, die mannhaft seien und sich nicht dem Zeitgeist beugten, auch noch verfolgen. Wie man mit solchen Themen oder Problemen umgehen soll, lasse ich mir aber weder von rechts noch von links vorschreiben. Plausible Vorschläge nehme ich allemal ernst.

Können Sie kurz begründen, warum er noch bis August im Amt bleibt?
Weil es so vereinbart war. Der Nachfolger ist schon bestimmt, aber der genannte Priester hat mich gebeten, noch ein Jubiläum im Ort feiern zu können.

Wie sollte der Umgang mit Homosexuellen durch die Kirche erfolgen?
Grundsätzlich darf es keine Diskriminierung geben, auch wenn gelebte Praxis nicht akzeptiert werden kann. In der konkreten Zuwendung zu solchen Menschen muss aber der Satz »Gott ist Liebe« als a priori stehen. Was heißt Liebe? Wir kommen nicht aus – ganz egal wer wir sind als Individuum und Gesellschaft – ohne die Spannung zwischen Norm und Realität. Die katholische Kirche, und die Christenheit generell, ist aber jedenfalls im Ganzen so etwas wie eine Großmacht der Barmherzigkeit.

Das ist die eine Seite der katholischen Kirche …
Die man aber nicht trennen kann.

… sie engagiert sich sozial, betreibt Krankenhäuser und Pflegeheime. Dieses positive Wirken wird, glaube ich, gesehen. Auf der anderen Seite ist das Unverständnis für einige ihrer Positionen so groß, dass sich mehr Menschen von der Kirche abwenden, als sich ihr zuzuwenden.
Es gibt so etwas wie eine Theologie, eine Spiritualität, die hilft, solche Gegensätze, solche Spannungen kreativ zu verklammern und produktiv auszuhalten. Das ist weder eine Ausrede noch eine Vertröstung, sondern eine Herausforderung zu fragen: Was geht trotzdem? Wenn bei einer Messe die kleine Zahl der anwesenden Laienchristen und der Priester in ihrer Mitte sich nur sorgenvoll fragen würden, warum denn so viele andere Mitglieder der Gemeinde nicht da sind, dann würden sie entweder selbstgerecht und hart oder mutlos und depressiv werden. Sie können aber ihren Blick auch umkehren und sagen: Wir verstehen uns als von Gott beauftragt, stellvertretend auch für die anderen da zu sein und für sie zu beten. Diese Blickumkehr kann auch einer kleinen Gemeinde ein neues und ausstrahlendes Selbstbewusstsein geben.

Die Kirche muss ihre Widersprüche aushalten – wie alle anderen Institutionen. Ich sehe aber das Problem, dass die Widersprüche zum einen öffentlich sind. Zum anderen gehen sie so weit – und das ist wahrscheinlich im Moment das schwierigste Thema –, dass die Sexualmoral in krassem Widerspruch zu den sexuellen Missbräuchen steht, die in den letzten Jahren öffentlich geworden sind. Das geht ja über den »normalen« Widerspruch, den Sie als conditio humana bezeichnet haben, hinaus.
Wir haben uns den Umgang mit diesem vorher weithin nicht bekannten oder auch verdrängten Problem nicht leicht gemacht. Missbrauch ist eine Wunde und eine Schande, die wir nie verdrängen dürfen – weder in der Kirche noch in der ganzen Gesellschaft. Man kann aber die kirchliche Sexualmoral nicht einfach für Sexualmissbrauch verantwortlich machen. Dieser Missbrauch geschah auch in staatlichen und säkularen Einrichtungen, man denke an die Odenwaldschule. Und er geschah und geschieht auch in vielen Familien. Unser Hinweis darauf darf aber nicht als Ablenkung von eigenen Fehlern verstanden werden. Und vor allem maximale Prävention gegen neue Verfehlungen ist ein Dauerauftrag. Dem werden wir freilich nie ganz genügen können.

Sie haben im Juli 2012 einen Brief von der Plattform der Missbrauchsopfer bekommen, in dem sieben Amtsträger beschuldigt werden. Was ist damit passiert?
Wir sind mit diesen Vorwürfen entsprechend der für ganz Österreich entwickelten Verfahrensordnung umgegangen. Schon als ich im Jahr 2001 Bischof in Graz geworden bin, bin ich Anschuldigungen gegenüber Priestern auch gegen Widerstand aus ihren Gemeinden nachgegangen und habe Maßnahmen gesetzt, die eine maximale Prävention gegen Gefährdungen junger Menschen zum Ziel hatten. Das ging so weit, dass ich einen Priester abberufen und in ein Kloster geschickt habe, obwohl es kein juristisches Urteil gab. Seither haben wir dieses Prozedere im Gesamtverbund mit den anderen Diözesen noch weiterentwickelt. Der Blick auf Opfer der Vergangenheit und die Verhinderung von Missbrauch in der Zukunft müssen dabei das Hauptziel bleiben. Es müssen aber auch Priester und andere kirchliche Verantwortliche vor falschen Anschuldigungen und generellen Verdächtigungen in Schutz genommen werden.

Jetzt würde ich gern zwei Schritte zurück machen: Sehen Sie eigentlich die größeren Schwierigkeiten für die Kirche in diesen konfrontativen Auseinandersetzungen oder im Rückzug in die Privatheit? Kirche wird bedeutungslos. Viele suchen ihr Seelenheil in bestimmten Lifestyle-Formen oder Ersatzreligionen.
Beide Trends fordern uns sehr heraus. Aber die katholische Kirche ist im Ganzen viel lebendiger, als dies oft öffentlich wahrgenommen oder zugegeben wird. Wir dürfen Fehler nicht verstecken, aber wir dürfen auch das Gelingende nicht verstecken, und das ist sehr viel und davon leben auch viele Menschen, die nicht oder noch nicht der Kirche angehören. Man denke an das weithin anerkannte Wirken der Caritas und anderer kirchlicher sozialer Einrichtungen. Aber es gibt keinen Grund, sich selbst einzureden, dass man gewisse Klischees nur zu ertragen hat. Wir sind nicht gezwungen, sie als Schicksal hinzunehmen, und können unablässig versuchen, enge Grenzen zu überwinden. Das lässt sich weder mit blindem Glauben noch mit absoluter Rationalität schaffen, aber mit Meta-Rationalität. Glaube und Vernunft sind ja ineinander nicht aufzuheben.

Auch das ist einer dieser Widersprüche.
Ich würde sogar sagen Gegensätze. Es braucht eine Synthese von Vernunft und Glaube …

Sie haben einmal davon gesprochen, dass er eine Entscheidung ist.
Ja, und auch der Unglaube beruht auf einer Entscheidung. In der konkreten Biografie ist die Anzahl der rationalen Entscheidungen wahrscheinlich eher marginal. Das ist nicht allein eine Frage der Religion, sondern eine Frage des Mensch-Seins.

Eine Entscheidung, bei der Vernunft und Glaube wohl gleichermaßen eine Rolle spielten, war Ihr Rücktrittsgesuch, dass von Papst Benedikt nunc pro tunc – jetzt für später – angenommen wurde. Es wurde akzeptiert, aber Ihre Amtszeit um zwei Jahre verlängert. Diese wären im Jänner um gewesen.
Das war eine Entscheidung des Papstes mit einer Frist, die elastisch verlängert werden kann. Ein altersbedingt vorgeschriebenes Rücktrittsgesuch eines Bischofs wird in der Regel angenommen, ich gehörte da zu den Ausnahmen und habe mir das überhaupt nicht gewünscht. Aber Bequemlichkeit war mir als Priester wie als Bischof immer fremd und ich war disponibel, wenn ich dringend gebraucht wurde. Offenbar war und bin ich ein gewisser Garant für mehr kirchliche Stabilität in Österreich. Ich hoffe aber, dass ich nun im 78. Lebensjahr bald emeritiert werde.

Es ist auch eine Form der Auszeichnung.
Das ist ambivalent. Ein Bischof bleibt immer Bischof. Eine süße Last, aber man hat mit meiner Strapazierfähigkeit gerechnet.

Herr Bischof, vielen Dank für das Gespräch.

*

Egon Kapellari wurde 1936 in Leoben geboren, wo er 1953 auch maturierte. Bis 1957 studierte er Rechtswissenschaften an der Grazer Universität, wo er nach der Priesterweihe 1961 auch als Hochschulseelsorger tätig war. 1982 erhielt er die Bischofsweihe und übernahm die Leitung der Diözese Gurk/Klagenfurt. 2001 wurde er Diözesanbischof von Graz-Seckau. Innerhalb der österreichischen Bischofskonferenz ist er für Kultur, Liturgie und Medienfragen zuständig, seit 1986 ist er zudem im päpstlichen Kulturrat.

Fazitgespräch, Fazit 93 (Juni 2013) – Foto: J. J. Kucek

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