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Das Geschäft mit dem Fußball

| 28. Mai 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 103, Fazitthema

Foto: Nicola

Die beliebteste Sportart der Welt ist längst Wirtschaftsfaktor geworden. Während in England Pionierarbeit geleistet wurde und Deutschland auf der Überholspur ist, steht sich der heimische Kick selbst im Weg.

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Ivica Osim spricht zur versammelten Presse. Mit Tränen in den Augen erklärt der Trainer der jugoslawischen Fußball-Nationalmannschaft seinen Rücktritt. Seine Heimatstadt Sarajevo wird von serbischen Truppen belagert – der Balkan erstickt im Krieg. Nur wenige Tage später entscheidet der europäische Fußballverband (UEFA), dass Jugoslawien, das sich als Gruppenerster für die Europameisterschaft 1992 in Schweden qualifiziert hatte, vom Turnier ausgeschlossen wird. Peter Schmeichel und seine dänischen Fußballer-Kollegen befinden sich schon im Urlaub, als sie plötzlich davon erfahren, in zehn Tagen ihr erstes Endrundenspiel zu bestreiten. Anscheinend wird Vorbereitung überbewertet, denn was folgt, ist Fußballgeschichte – der Notnagel und große Außenseiter Dänemark kürt sich nur wenige Wochen später sensationell zum Europameister.

Der Fußball ist die beliebteste Sportart der Welt. Ganz sicher deshalb, weil ein aus dem Urlaub zu Olympischen Sommerspielen anreisender Stabhochspringer nie Gold holen würde. Aber auch, weil der schnellste 100-Meter-Läufer in Normalform bei einer Weltmeisterschaft gewinnen wird, während der beste Fußballer in der Form seines Lebens noch immer von zehn weiteren Mitspielern abhängig ist. Die Schnittmenge von Zufall und Leistung ist die Erklärung, warum Spiele wie das WM-Finale in Südafrika 2010 auf 245 Kanälen in 204 Ländern übertragen werden. Und die 751 Millionen TV-Zuschauer dieses Spiels sind der Grund dafür, dass der Fußball nicht nur die beliebteste, sondern wahrscheinlich auch die wirtschaftlich bedeutendste Sportart der Welt ist.

Privates Preistreiben
Keine zwei Monate nach dem überraschenden Titelgewinn Dänemarks zeigte der Fußball, wie man im Sprint zum Wirtschaftsfaktor wird. Wie schon bei der Geburtsstunde der Sportart 1863, als in einer Londoner Taverne das erste offizielle Regelwerk etabliert wurde, marschierte England vorne weg: Im Jahr 1992 wurde die Premier League, eine Liga, die von Anfang an hauptsächlich kommerzielle Interessen verfolgte, eingeführt. Kommerzielle Interessen, die sich bei all den Nebenschauplätzen vor allem über das Fernsehen definieren. Egal ob für Sponsoringbanden im Stadion, Werbungen auf den Trikots oder Traineranzügen, immer gilt: Die größte Reichweite bietet das Fernsehen. Bei der WM 1958 in Brasilien waren TV-Übertragungen aus Angst vor Zuschauereinbrüchen noch verboten, doch schon bald erkannten Länder wie England das Potenzial der Fernsehvermarktung. Die Engländer taten sich besonders leicht, ist doch das Privatfernsehen als Markttreiber die Garantie für exponentiell steigende Summen in der TV-Vermarktung, und das wurde auf der Insel bereits in den 1950ern etabliert. Aus dieser Historie heraus ließ die Premier League 1992 die Anstoßzeiten nicht mehr vom Fan im Stadion, sondern vom Bezahlsender BSkyB vorgeben – und verdiente damit 375 Millionen Euro in fünf Jahren. Seit der Vorsaison gilt ein neuer Deal. Laufzeit: drei Jahre. Wert: etwas mehr als 3,75 Milliarden Euro. Die Wertsteigerung gegenüber dem alten TV-Vertrag von 2010 beträgt über 70 Prozent, allein ein einzelnes Spiel ist im Jahr 2014 zehn Mal so viel wert wie noch 1992. Und das Schönste daran? Die Zahlen gelten nur für den englischen Markt, für die Übertragungsrechte im Ausland erhält die englische Liga noch einmal 562 Millionen Euro. Dass Österreichs gesamter Profi-Fußball sich derzeit über 17 Millionen Euro im Jahr freuen darf und damit nur etwas über dem Wert von zwei einzelnen Premier-League-Spielen liegt, erklärt das Standing des heimischen Kicks in Fußball-Europa einmal mehr.

Nexus ist nicht nur ein Handy des Internet-Suchmaschinen-Marktführers. Es ist auch jener Begriff, den der Sportmanagement-Experte Matthew Nicholson für die Beziehung zwischen Sport und den Medien bemüht. »Nexus bezeichnet den Kern oder das Zentrum – und das illustriert die Beziehung der beiden Materien am besten: Die beiden Industrien haben nicht zufällig zueinander gefunden. Ihre Evolution im Laufe des 20. Jahrhunderts hat dazu geführt, dass sie untrennbar miteinander verbunden sind«, erklärt der Australier. Sportarten wie der Fußball mögen ursprünglich Freizeitbeschäftigung gewesen sein, die bald eine unterhalterische und folglich gesellschaftliche Relevanz bekamen, heute ist der Fußball aber nicht zuletzt auch ein unterschätzter Wirtschaftszweig. Es dauerte bis zum Jahr 2010, bis der Österreichische Fußballbund (ÖFB) erstmals eine fundierte Studie über den heimischen Kick veröffentlichte. Das Ergebnis: Sogar in Österreich werden jährlich 317,5 Millionen Euro an Wertschöpfung über den Kick mit dem runden Leder erwirtschaftet, inklusive multiplikativer Effekte vergrößert sich der Betrag auf über 500 Millionen. Bei einem Wertschöpfungsnetzwerk von über 41.000 Arbeitsplätzen hängt etwa jeder 100. Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Fußball ab. Ebenfalls im Jahr 2010 sorgten die Unternehmensberater von McKinsey für eine ähnliche Studienpremiere. Ihr Fazit: Die Wertschöpfung in Deutschland liegt bei 5,1 Milliarden und über 110.000 Menschen haben Arbeit dank König Fußball.

Deutschland auf der Überholspur
Professionelle Fußballvereine sind längst Unternehmen geworden. Neben den Spielern und Betreuer-Apparaten mit allerhand Trainern, Jugendcoachs, Physiotherapeuten und Teammanagern beschäftigen Klubs heutzutage natürlich auch Fanshop-Verkäufer, Presse- und Medienverantwortliche, Greenkeeper oder sogar eigene Nachhaltigkeitsabteilungen – ein Fußballverein von der Größenordnung wie Bayern München kommt so auf mehr als 500 Mitarbeiter. Die Tendenz ist steigend. Wenn die Bayern von einem Budget von 750 Millionen Euro wie im Vorjahr sprechen, gehen 140 Millionen Euro alleine in den Kader. Durchschnittlich verdient jeder Bayern-Kicker 5,6 Millionen Euro im Jahr – Sturm Graz hat in Österreich das vierthöchste Budget und kommt für den Gesamtverein etwa auf 12 Millionen. Wobei die Bayern und Deutschland im Allgemeinen ein besonders gutes Beispiel sind. Denn auch wenn die TV-Einnahmen in England und auch Spanien zum Teil viel höher sein mögen – Deutschland beherbergt den gesündesten und profitabelsten Profi-Fußball der Welt. Nur in der amerikanischen Football-Liga NFL waren mit 68.000 Zuschauern pro Spiel in der Saison 2013/14 mehr Zuschauer dabei als in der deutschen Bundesliga, wo die Partien durchschnittlich von 43.000 Fans verfolgt wurden. Bayern München mag Manchester United oder Real Madrid zwar in der Tabelle der reichsten Vereine noch immer hinterher sein, aber während die Engländer und die Spanier mit Schulden in der Höhe von mehreren Millionen Euro zu kämpfen haben, schreiben die Bayern nur schwarze Zahlen und sind schuldenfrei. Vielerorts wird dem deutschen Fußball daher eine rosige Zukunft auf Klubebene prophezeit, andere glauben allerdings eher an die weitere Kommerzialisierung des Fußballs auf einer ganz anderen Ebene – auf jener der in den Markt drängenden Milliardäre.

Das Milliardenspielzeug
Während die wirtschaftliche Gesundheit von Klubs wie Bayern München auf die – (wahrscheinlich) zumindest auf Klubebene ganz steuerschuldfreie – jahrzehntelange hervorragende Arbeit eines schütteren Wurstfabrikanten mit großen Manager-Qualitäten fußt und bei Borussia Dortmund etwa mit Hans-Joachim Watzke ein Mann aus der Privatwirtschaft einen finanziell toten Klub wieder aufleben ließ, machen es sich andere Klubs einfacher. Denn so wie die Medien die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufstieg der beliebtesten Sportart der Welt waren, sind Milliardäre die Garantie dafür, dass sich die Machtverhältnisse im Klubfußball von einem aufs andere Jahr schlagartig ändern können. Der Teufel liegt dabei in der Intention. Der FC Chelsea wurde etwa 2003 vom russischen Oligarchen Roman Abramowitsch als neues Spielzeug auserkoren. Ein schickes, gutbürgerliches Viertel im Osten des Londoner Zentrums, eine akzeptable Geschichte mit ein paar wenigen Erfolgen und leicht erfreuliche Zuschauerzahlen – hier lassen sich gut Millionen für Spieler ausgeben, über die man sich bei einem Glas Champagner im VIP-Klub ärgern kann. Wobei Millionen noch zu kurz gegriffen ist – über eine Milliarde soll den Russen sein Hobby in den letzten elf Jahren gekostet haben. Interesse einer anderen Art verfolgte der Unternehmer Rupert Murdoch. Früh erkannte er, wie viel Geld man mit dem Fußball machen könnte – immerhin ist er einer der einflussreichsten und finanzstärksten Medienunternehmer der Welt. Der Sport-Medien-Nexus ist ihm sicher bekannt und so versuchte er im Jahr 1998 für 770 Millionen Euro Manchester United zu kaufen. Und scheiterte. Das britische Handelsministerium sah einen Interessenkonflikt, da Murdochs Privatfernsehsender BSkyB ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten blühte, wenn die Übertragungsrechte der Premier League neu ausgeschrieben werden. Murdochs Pech war das Glück eines weiteren Unternehmers, der im damals reichsten und erfolgreichsten Klub der Welt eine lukrative Anlageform sah: Malcolm Glazer. Als der amerikanische Milliardär im Jahr 2003 anfing, seine zunächst 2,9 Prozent Aktien sukzessive zu vermehren, verbuchte Manchester United einen Jahresgewinn von 58 Millionen Euro. Bis im Frühsommer 2005 hatte er sein Ziel erreicht und war Mehrheits-Eigentümer des Vereins, bot für die übrigen Aktien und war schließlich 1,2 Milliarden Euro Investitionssumme später neuer, alleiniger Besitzer. Weil er den Großteil des Geldes geborgt hatte und die Schulden volley auf den Klub überschrieb, wurde von heute auf morgen aus dem gesündesten Fußballklub der Welt einer der kränksten. Mit drastisch erhöhten Ticketpreisen, weltweiter Vermarktung der Fanartikel sowie diverser Lizenzrechte gab es fortan nur ein langfristiges Ziel: mehr Profit. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollte er den Umsatz um 52 Prozent steigern und der jährliche Betriebsgewinn auf 170 Millionen aufgebessert werden. Ganz so hoch war dieser in der Saison 2013/14 nicht, aber die kolportierten 140 Millionen Euro zeigen: Der Plan geht auf. Dass Manchester United diese Zahl ausgerechnet heuer erreichte, wo der Klub sportlich so schlecht platziert war wie seit 25 Jahren nicht mehr, wird Glazer egal sein. Was die erfolgshungrigen Fans des englischen Rekordmeisters von solchen Feststellungen halten, kann man erahnen.

Die Macht der Funktionäre
Mit ganz anderen Problemen hat der Fußball in Österreich zu kämpfen. In der Frühzeit des Fußballs war man hierzulande noch unter den Pionieren. Hugo Meisl, ganz nebenbei auch Erfinder der europäischen Klub-Fußball-Bewerbe, führte bereits 1925 eine Profi-Liga in Österreich an – nirgendwo sonst gab es in Kontinentaleuropa damals bezahlten Fußball. Die Amateure Wien benannten sich daraufhin in Austria Wien um und gelten heute neben dem mit Sonderstatus zu betrachtenden Mateschitz-Klub Red Bull Salzburg als professionellster Bundesliga-Verein Österreichs. Als letztes positives Relikt der Ära eines Gönners namens Frank Stronach mauserte sich Markus Kraetschmer dort in den vergangen Jahren zum einzigen Manager europäischen Formats. Während bei Rapid noch immer die Funktionäre zu viel Macht besitzen und bei vielen kleineren Vereinen meist die Unterstützung der öffentlichen Hand oder die Wirtschaftskraft in der Umgebung fehlt, um sich breiter aufzustellen, ist die Austria viel weiter. In Sachen Vereinsstruktur, Vermarktung, Stadion und Mitarbeiteranzahl in der Geschäftsstelle spielt sie in jener Liga, in der auch der einzige steirische Bundesligist gerne hin möchte. Erst im Jahr 2012 trat bei Sturm Graz der Vorstandsvorsitzende der Capital Bank und der Bank Burgenland, Christian Jauk, an, um den Verein auf eine breitere, professionellere Basis zu stellen. Weg von der Entscheidungsgewalt von ehrenamtlichen Vorständen, hin zu einem Unternehmen mit Geschäftsführern mit Aufsichtsrat. Wie schwer dieser Weg sein kann, musste man in den vergangenen Monaten mehr als einmal feststellen – wie eine Vielzahl an ehemaligen Mitarbeitern auf Vorstands-, Aufsichtsrats- und tagesgeschäftlicher Führungsebene beweisen. Die Krise von Sturm in den vergangenen beiden Jahren wirkt dabei vor allem deshalb fast ironisch, weil sie den Verein just nach der erfolgreichsten Zeit der jüngeren Klubgeschichte mit dem Cup-Titel 2011 und dem Meistertitel 2012 erreichte.

Aber wenigstens hatte man es probiert – was man bei der österreichischen Profi-Liga in Frage stellen darf. Vor etwa einem Jahr hätte der österreichische Klubfußball reformiert werden können. Der Weg für ein neues Format schien geebnet – auch weil sich eine Vielzahl der Klubs, die Neuerungen selbst mitbeschließen, Änderungen gewünscht hatte. Die Idee war es, statt einer ersten und einer zweiten Leistungsstufe mit je zehn professionellen Fußballklubs nur eine, 16 Vereine umfassende erste Profi-Liga zu etablieren. Dadurch hätte man nicht mehr wie bisher vier Mal im Jahr gegen denselben Verein gespielt, sondern nur zwei Mal – was selbst ein Gastspiel von wenig attraktiven Gegnern aus der Provinz wie des SV Grödig oder des Wolfsberger AC attraktiver machen hätte können. Ganz zu schweigen vom dicht gedrängten Terminplan, der aufgrund von sechs Spielen weniger im Jahr ausgedünnt worden wäre und die großen infrastrukturellen Probleme mit fehlenden Rasenheizungen und damit verbundenen Spielabsagen im Winter lösen hätte können. Doch die Reform blieb aus. Selbst der Präsident der Bundesliga, Hans Rinner, sprach von einem »Kompromiss«, der »kein großer Fortschritt« sei. Ein paar Monate später meldete sich der Bundesliga-Vorstand Georg Pangl mit einem Interview zum Thema zu Wort. Er forderte von den österreichischen Klubs »den professionellen Zugang zum Fußball, der notwendig ist«. Die einvernehmliche Trennung zwischen Pangl und der Bundesliga folgte nur wenige Tage nach der Veröffentlichung seiner Gedanken. Stimmen wurden laut, dass hier einer etwas ändern wollte, aber nicht gehört werden sollte. Als die englische Premier League 1992 gegründet wurde, hatte die österreichische Liga übrigens auch eine Reform vor sich. Aus der zwölf Teams umfassenden 1. Division wurde die Bundesliga mit nur zehn Mannschaften. Auch über Fernsehgelder durften sich die heimischen Klubs bereits freuen – 19 Millionen Schilling zahlte der ORF jährlich an alle Klubs aus. Einen Markt, der den Preis nach oben treiben hätte können, gab es noch nicht. Während in England und Deutschland schon längst eine Schlammschlacht um die TV-Gelder eröffnet war, traute man sich hierzulande nämlich nicht einmal aus der Kabine. Als letzter Staat Europas ließ Österreich erst Anfang der Nullerjahre flächendeckend Privatfernsehen zu. Und als dieses mit ServusTV dann vor zwei Jahren erstmals ein umfangreiches Angebot für den neuen TV-Vertrag abgab, entschied man sich, alles beim Alten zu belassen und dem ORF sowie dem Bezahlsender Sky die Treue zu halten. Warum, weiß nur die Bundesliga selbst. Denn das finanziell lukrativste Angebot für die Vereine kam nicht aus Wien, sondern aus Salzburg.

Titelgeschichte Fazit 103 (Juni 2014); Foto: Nicola

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