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Akadische Spurensuche in Kanada

| 23. Oktober 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 117, Fazitreise

Foto: Katharina Zimmermann

Wenn man inmitten des »großem Getöse« steht und einem etwa 20.000 Akadier lautstark beweisen, dass ihre Kultur eine sehr lebendige ist, bekommt man eine Ahnung, was jahrhundertelanger Zusammenhalt bedeutet. Ein farbenfrohes Fest inmitten einer facettenreichen französisch-kanadischen Lebensweise.

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Schon am Nachmittag ist der Abschnitt des westlichen St. Peter Boulevard im Stadtzentrum von Caraquet in den Farben der Akadier getaucht: Man nehme die französische Flagge und schmücke sie mit einem gelben Stern. Heiß flirrt es auf dem Asphalt. Doch das ist nur ein Vorbote von dem, was kommen wird. Aufregung und Vorfreude liegen in der Luft. Denn wenn die Kirchturmuhr um 17:55 zu läuten beginnt, gibt es für eine geschlagene Stunde kein Halten mehr. Dann wird Krach gemacht. Das »Grande Tintamarre« kann mit »großem Getöse« übersetzt werden und bezeichnet genau dies: 20.000 Menschen versammeln sich im Stadtzentrum und sind so laut, wie sie nur können. Ein Fest fürs Trommelfell, aber auch für die Augen, denn die selbst gebastelten Kostüme, die vom Mini-Hummer, über Pappmascheefiguren in den akadischen Farben reichen, unterhalten weitaus länger als eine Stunde. Und steht man zum ersten Mal inmitten dieses blau-weiß-rot-gelben Treibens ist man verzaubert von dieser Kultur, die zusammenhält, obwohl sie seit dem Jahr 1755 in Louisiana, Quebec, dem atlantischen Kanada und Frankreich zerstreut ist.

Die vielen Gesichter der Akadier
Ein Wort – viele Varianten. Eigentlich stammt der Begriff ja von einer Region in Griechenland, nach der Giovanni da Verrazzano die Gegend im Osten des nordamerikanischen Kontinents benannt hat. Dort, im heutigen »Nouveau Brunswick«, der einzigen offiziellen zweisprachigen Provinz Kanadas, siedelten sich viele Franzosen an, die ihr Glück jenseits des großen Teichs suchten. 1609 war St. Croix sogar die erste europäische Siedlung in Nordamerika. Doch es wurde ungemütlich: Der Spanische Erbfolgekrieg bewirkte, dass dieser Ort bald von zwei Seiten von britischen Kolonien umgeben wurde, denn auch Nova Scotia gehörte zum Empire. 1713 war es dann so weit und die Akadier – zu diesem Zeitpunkt etwa 10.000 – wurden unterworfen. Viele zogen weiter nach Quebec oder Louisiana, wo sie ebenso wie im Atlantischen Kanada eine französische Kultur vorfanden. Ein paar blieben. Sie sind es, die uns heute voller Stolz in der Brust ihre farbenfrohe und lebhafte Geschichte erzählen. Einer der größten Triumphe war es wohl, als unter Premier Louis Robichaud 1969 Französisch und Englisch zu gleichwertigen Amtssprachen wurden. Davor wurde Französisch nur zu Hause gesprochen und nicht an Schulen unterrichtet, was man sehr stark an der eigentlich veralteten Aussprache und Benützung von Worten erkennen kann. Auch mit Schulfranzösisch kann man hier einige Überraschungen erleben.

Dass sich die heutigen Akadier über die vielen politischen und kulturellen Steine, die ihnen in den Weg gelegt wurden, retten konnten, macht sie ziemlich stolz. Das kann man alleine schon an den zahlreichen Gebäuden sehen, die entweder akadische Flaggen ausgehängt haben oder gleich in den Nationalfarben angestrichen sind. Auch Boote, Bojen oder Autos kommen durchaus akadisch daher. Wer sich etwas mit der akadischen Kultur und Besonderheit auseinandersetzen möchte, hat die Möglichkeit, die Geschichte im Freilichtmuseum »Village Historique Acadien« von den ersten Siedlern bis zum den Anfängen des 20. Jahrhunderts Schritt für Schritt mitzuerleben. Aus verschiedensten Teilen von Neubraunschweig wurden alte, typische Häuser abgetragen und gemeinsam in diesem gut gepflegten Areal bei Bertrand wieder aufgebaut. In jedem der Häuser wohnen der Epoche nach gekleidete Akadier, die einem gerne erklären, wie die Lebensumstände zu »ihrer« Zeit so waren. Auch historische Arten der Berufe wie Drucker, Fischer, Tischler und dergleichen kann man auf dem Streifzug durch die Geschichte eines wichtigen Teils von Neubraunschweig begegnen. Ebenso lädt das Festival »Le Pays de la Sagouine« in Bouctouche ein, direkt in die akadische Kultur einzutauchen. Hier folgt alles der Phantasie von Autorin Antonine Maillet: Über einen hölzernen Steg kommt man auf eine Insel voller bunter Häuser, auf der die Uhren in den Neunzehndreissigerjahren stehengeblieben sind. Zusätzlich zu den Geschichten der vielen Einwohner, die alle auf Charakteren aus Maillets Büchern basieren und auch in diesem Stil agieren, gibt es regelmäßig Konzerte auf der großen Bühne und einen Touristenshop, der sogar die Herzen starker kanadischer Männer erfreut: Es gibt dort viele Süßigkeiten, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr wiedergesehen haben, wie den kleinen Schokoladenberg »Cherry Blossom«.

Bäriges Tête-à-Tête
Neubraunschweig besteht zu 80 Prozent aus Wald und dieser hat selbstverständlich seine Bewohner, zu denen auch Schwarzbären zählen. Bei der »Little Big Bear Safari« hat man die Vorzüge einer sicheren baumhausartigen Konstruktion, von der aus man Bären beobachten und fotografieren kann. Schon wenn die Bären den Bus der Veranstalter hören, machen sie sich auf den Weg, und sobald alle Besucher sicher an Bord der Holzkonstruktion sind, tauchen sie auf. Die einen kommen über Baumstämme über den Fluss balanciert, die anderen tauchen auf einmal aus dem Dickicht des kanadischen Waldes auf. Ganze Bärenfamilien zeigen sich und sehen wirklich allerliebst aus.

Ein Leuchtturm namens Miscou
Um den Kopf frei zu bekommen oder in die Natur einzutauchen, eignen sich zwei Orte ganz besonders: Einerseits die Insel von Miscou, die vor allem im Oktober mit ihren rot gefärbten Sträuchern eine Welt für sich ist. Andererseits den flachen Kouchibouguac-Nationalpark, der den Badewütigen das wärmste Salzwasser nördlich von Virginia samt in Gelb gehüllten Rettungsschwimmern bietet. Auf Miscou sollte man unbedingt drei Punkte erledigen: Die einsamen, kilometerlangen Strände auf sich wirken lassen, den weißen Leuchtturm besteigen und bei »Steve’s Terrasse« auf eine Meeresfrüchteplatte, die ihresgleichen sucht, vorbeischauen.

Hummerfest
Mitte August geht die Hummersaison los und dauert danach zwei Monate an. In dieser Zeit bekommt man praktisch überall frischen, wunderbar lokal gefangenen Hummer. In Kombination mit Mac’n’Cheese, Linguini oder einfach so hat man wirklich wunderbare Gustostücke auf den Tellern liegen. Damit das auch in Zukunft so sein wird, hat die kanadische Regierung ein Programm gestartet, das kleine Hummer züchtet und sie dann im Ozean aussetzt, denn die Hummer, die wir essen, sind um die sieben Jahre alt. Dazu gibt es wunderbar kreative Salate oder frischen Lachs aus dem Miramichi-Fluss.

Doch es wäre nicht das Land der Akadier, wenn sich nicht auch viele klassische Gerichte, die sie aus dem Frankreich des 17. Jahrhunderts mitgebracht hatten, auf die Speisekarten mischen würden: Unbedingt probieren sollte man »Pâté Râpé« (eine Kartoffelspeise), »Pea Soup« (Erbsensuppe) oder »Fagots au lard« (Bohnschotten mit Speck).

Weitere Informationen
Eine gute Übersicht aller Reisemöglichkeiten nach und in Neubraunschweig bieten Ihnen folgende Seiten: tourismnewbrunswick.ca (englisch u. französisch) sowie kanada-info.at (deutsch)

Fazitreise, Fazit 117 (November 2015); Foto: Katharina Zimmermann

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