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Tandl macht Schluss (Fazit 120)

| 17. Februar 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 120, Schlusspunkt

Nur miteinander reden hält die Gesellschaft zusammen. Ich schätze Facebook und Twitter. So erfahre ich zeitnah, was meine Bekannten gestern und heute getan haben, was ich leider und was Gott sei Dank versäumt habe oder, wie meine nordamerikanische Verwandtschaft ihr Wochenende verbracht hat. Als »Medienmensch« versuche ich mir meinen »Facebookfreundeskreis« so offen wie möglich zu halten. Denn kaum irgendwo kann man so vorzüglich diskutieren, manchmal auch streiten oder einfach nur »seinen Senf dazugeben«. Ich setze mich mit Leuten, die politisch links stehen, ebenso auseinander wie mit Rechten, wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass mich manche Linke im Eifer einer polarisierenden Auseinandersetzung gerne als Rechten und die Rechten wiederum als Linken sehen. Aber als jemand, der für sich in Anspruch nimmt, in der Mitte zu stehen, soll mir das recht sein. Schließlich leistet jeder, der freiwillig miteinander diskutiert, zumindest einen kleinen Beitrag, um dem Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Umso verwunderter bin ich daher, dass manche »Facebookfreunde« – ich muss zugeben, dass ich auch welche habe, die ich nicht einmal persönlich kenne – immer öfter andere Meinungen bewerten und disqualifizieren, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Als ein Grazer Publizistikprofessor, den ich wegen seiner fachlichen Kompetenz schätze, vor wenigen Wochen auf Facebook angekündigt hat, dass er alle in seiner Umgebung, welche »die rechten Parolen von der manipulierten Öffentlichkeit und den bedrohlichen Immigranten« wiederkäuen würden, »entfreunden« werde, habe ich das seiner persönlichen Betroffenheit und Empathie zugeschrieben und keinesfalls einer ignoranten Grundhaltung.
Dass er mich – als jemanden, der den Willkommenszirkus des letzten Jahres durchaus ablehnt – dennoch nicht gleich »entfreundet« hat, realisierte ich bei folgendem Posting von ihm: »Was mir die Filterblase auf Facebook morgens zuspielt, ist jedenfalls besser, als was ich von irgendeinem redaktionellen Medium bekommen könnte. Nur mal so gesagt.« Mein erster Gedanke war, dass eine solche Haltung keinem Lehrer – und schon gar keinem, der das Medienhandwerk unterrichtet – ansteht. Wo kommen wir hin, wenn alle damit beginnen, sich ihr virtuelles Biedermeierumfeld zu schaffen, und sich nur mehr mit Informationen auseinandersetzen, die der eigenen Komfortzone entsprechen?

Mein zweiter Gedanke war schon etwas toleranter, denn Freiheit bedingt unzweifelhaft auch das Recht auf die eigene »Wohlfühlblase«. Jeder hat seine Lieblingsmedien, seine Hobbys, seinen »Real-Life«-Freundeskreis. Jeder von uns kann den Fernseher ein- und ausschalten, wann er will. Ich nehme mich da nicht aus und kann gewisse Meinungen, von denen ich überzeugt bin, dass sie völlig unsinnig sind, einfach nicht mehr hören. Also haben wir auch das Recht dazu, unseren eigenen Beitrag zur weiteren Fragmentierung der Gesellschaft zu leisten. Denn nichts anderes tut jemand, der das Recht in Anspruch nimmt, andere Meinungen als die eigene gar nicht erst anzuhören oder in einen kritischen Diskurs mit ihnen zu treten. Dennoch sind Journalisten und Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, selbst auf Facebook oder Twitter niemals ganz privat. Denn nichts bringt die vielen Frustrierten, die sich in den sozialen Netzwerken tummeln, rascher dazu, einen »Shitstorm« auszulösen als eine vermeintlich verfängliche Äußerung eines Felix Baumgartner oder eines Armin Wolf. Deswegen haben sie jedes Recht, den Diskurs mit diesen Trollen zu verweigern.

Auf der anderen Seite sind alle echten Demokraten der Wahrhaftigkeit verpflichtet. Dazu gehört es auch, andere Meinungen gleichrangig zuzulassen. Schließlich bedingen nicht nur Freiheit und Demokratie einander, sondern auch Demokratie und Diskursbereitschaft. Folglich ist nur logisch, dass auch Freiheit und Diskursbereitschaft einander bedingen. Als ich mit besagtem Publizistiklehrer über Facebook in Kontakt treten wollte, um mit ihm über besagte Postings zu diskutieren, war das leider nicht möglich, denn vor wenigen Tagen hat er mich »entfreundet«.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Tandl macht Schluss! Fazit 120 (März 2016)

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