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Tandl macht Schluss (Fazit 124)

| 4. Juli 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 124, Politicks

Nach dem Brexit kann sich die EU nur mehr selbst retten Nachdem sich die Briten dazu entschlossen haben, die EU zu verlassen, haben sich die Scharfmacher rund um EU-Parlamentspräsident Martin Schulz rasch festgelegt, nun ein Exempel zu statuieren. Für Großbritannien und Nordirland, übrigens der achtgrößte österreichische Handelspartner, heißt das, dass die weitere Teilnahme am EU-Binnenmarkt teuer werden wird; ohne Mitspracherecht bei aufrecht bleibender Personenfreizügigkeit und wahrscheinlich eher steigenden als sinkenden Kosten.
Aus Brüsseler Sicht sollen die Briten ihren Schritt bitter bereuen – als Schuss vor den Bug der EU-Gegner in anderen Ländern. Doch die Mehrheit der Briten hat ganz bewusst für ein Ende mit Schrecken votiert. Dieser Schuss kann daher nur nach hinten losgehen. Zum Brexit konnte es nur kommen, weil sich die Briten durch die EU entmündigt und entrechtet fühlen. Viele Themen, wie etwa die Asylpraxis oder die Personenfreizügigkeit, dürfen aus Brüsseler Sicht nicht einmal diskutiert werden. Stattdessen werden sie tabuisiert und mit einem Schutzmantel der »Political Correctness« umgeben.

Ich habe keine Ahnung, ob die EU nach dem Brexit noch eine Chance auf Reformen hat. Denn während die Wirtschaft den Binnenmarkt und damit auch die Grundfreiheiten vertiefen will, plant die Linke den Umbau der Europäischen Union in eine Sozialunion, bei dem das Leistungsprinzip wohl auf der Strecke bleiben würde. Die rechtspopulistischen EU-Kritiker wiederum wollen viele Rechtsbereiche, die an Brüssel abgegeben wurden, renationalisieren. Wie diese unterschiedlichen Anliegen von einer Politikerkaste, die die Fähigkeit zum Kompromiss verloren hat, unter einen Hut gebracht werden sollen, weiß ich nicht.

Viele Österreicher sind 1994 für den österreichischen EU-Beitritt gerannt und haben versucht, ihre Verwandten und Bekannten von der Chance auf Wohlstand und dauerhaften Frieden in einem vereinten Europa zu überzeugen. Und tatsächlich hat die EU die in sie gesetzten Erwartungen, zumindest bis zum Ausbruch der Finanzkrise, erfüllt. Europa ist die mit Abstand größte Wirtschaftsmacht der Welt, in Europa gibt es keine Kriege und in Osteuropa hat dank der EU ein gigantischer Aufholprozess eingesetzt, mit dem die verlorenen 40 Jahre hinter dem Eisernen Vorhang überwunden werden können.

Auf der Strecke geblieben ist die Freiheit. Die Bürger haben das Gefühl, dass zu viel nationale Souveränität nach Brüssel verlagert wurde. Viele Regelungen könnten ohne weiteres auf staatlicher Ebene getroffen werden. Was haben die Marktteilnehmer am Binnenmarkt etwa von einem Plastikkochlöffelgebot? Dazu kommt die offen zu Tage getretene Hilflosigkeit der EU etwa in der Euro- oder der Flüchtlingskrise. Dass Brüssel uns Österreichern verbieten will, dass wir die Brennergrenze vor illegalen Migranten schützen, während die Europäische Union nichts dagegen tut, dass das mächtige Italien seine Seegrenze nicht schützt und die angelandeten Migranten nach Norden durchwinkt, ist doch die beste Wahlkampfmunition für die EU-Gegner und die EU-kritische FPÖ.

Wenn alle Schengenländer ihre Außengrenzen so geschützt hätten wie Spanien, hätten Millionen Migranten ihren Sturm auf Europa gar nicht erst antreten können. Natürlich versteht es sich in diesem Zusammenhang von selbst, dass es für die Vertriebenen und politisch oder religiös Verfolgten einen wirksamen – selbstverständlich bewaffneten Schutz – vor Ort geben muss. Aber auch dazu ist die EU nicht in der Lage.

Wenn die EU sich reformieren soll, muss sie daher ihre Glaubwürdigkeit wieder erlangen. Hätten sich etwa Länder wie Deutschland oder Frankreich nicht, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen, über die Euro-Stabilitätskriterien hinwegsetzen können, wäre es mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht erst zur Finanz- und Schuldenkrise oder dem griechischen Desaster gekommen. Die EU muss ihre letzte Chance nützen. Dazu muss sie sofort handeln. Sonst werden sich auch andere Länder für ein Ende mit Schrecken entscheiden.

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Tandl macht Schluss! Fazit 124 (Juli 2016)

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