Zum Selbst wandern
Katharina Zimmermann | 27. Oktober 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 127, Fazitreise
Auf Wüstenwanderung durch Marokko.
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Weit aus dem Kontext der westlichen Welt wandert es sich in der Wüste Marokkos von A nach B entlang der algerischen Grenze. Dabei ist man nicht nur der Natur ausgeliefert, sondern auch den eigenen Gedanken.
Erst wenn man mit der Leere konfrontiert wird, merkt man, wie voll das eigene Leben ist. Eine Wüstenwanderung ist nicht nur ein Kennenlernen einer komplett neuen Welt samt Berberkultur, sondern auch eine Auseinandersetzung mit dem Sinn des eigenen Daseins. Philosophisch wird man dabei während der täglichen sechs Stunden auf Wanderschaft oder des Nächtens, wenn einem die funkelnden Sterne Rätsel aufgeben. Doch, um in die Wüste zu kommen, heißt es zuerst einmal rein in den Flieger und raus aus der Komfortzone. Vom bunten Marrakesch geht es dann in Richtung Südosten, wo man 13 Stunden in einem kleinen Bus voller Menschen ausharrt. Zumindest haben alle noch frisch gewaschene Sachen. Wie würde sich dieses Szenario nur abspielen, wenn man sich nach fünf Tagen Wüstenwandern ohne Dusche wieder am Rückweg in die Zivilisation befinden würde? Gedanken, die man sich nur macht, weil man direkt aus der westlichen Welt in den kleinen Transporter gestiegen ist. Sie werden weggewischt von den Eindrücken, die sich einem präsentieren, während man aus dem Fenster blickt: Draußen zieht ein faszinierendes Land vorbei.
Der hohe Atlas ist ein richtiger Anhaltspunkt, auch hier täuscht der erste Blick. Die monotone Bräune wird bei längerem Hinsehen facettenreich. Eine Mischkulanz aus Violetttönen, Rotakzenten und grünlichen Formationen tut sich auf, blickt man nur lang genug darauf, während Said den Bus über die Serpentinen hinaufklettern lässt. Klopause, Kartenschauen und Kaffeetrinken bei einem Zwischenstopp lassen mitten im Jänner erahnen, dass der Frühling bald anklopfen wird, denn die Mandelbäume blühen bereits und klecksen mit ihrem wuscheligen Antlitz weiße Tupfer in die sonst bräunliche Welt. Lässt man den Atlas hinter sich, eröffnet sich das Draa-Tal, weit und unerschließbar, immer näher rollt man der Wüste entgegen, dem Schicksal, das man sich selbst ausgesucht hat, als man sich für diese Reise entschied. Im Magen zeigt sich leichte Nervosität, aber auch Spannung. Was wird wohl auf einen zukommen? Wird man den Abenteuern, die die Sahara für einen bereit hält, gewachsen sein? Ist man fit genug?
Raus aus der Zivilisation
Im kleinen Dörfchen M’Hamid befindet sich die letzte Bastion der Zivilisation: elektrisches Licht, wuseliges Treiben, Marktschreier, ein Muezzin. Von hier aus brechen wir auf, die Dromedare warten schon und die Wüstennacht ist bereits über das Land hereingebrochen. Bevor noch der Mond als roter Kreis hinter dem Dörfchen am Wüstenrand auftaucht, funkeln die Sterne am Firmament, einer nach dem anderen, bis sie ein Mosaik unglaublicher Strahlkraft ergeben. Die Wüste lullt uns ein mit ihrem herben, wundersamen Charme, den wir Schritt für Schritt kennenlernen dürfen. Ein letztes Mal blicken wir vorm Schlafengehen aufs Handy, bevor es dann im Morgengrauen zur nächsten Station geht, hinaus in die Leere, wo die Witterung die Regeln macht und wir nur Gast sind. Denn im größten Sandkasten der Welt ist man als Mensch unterlegen und kann froh sein, mitspielen zu können. Im Jänner hat es Spitzentemperaturen bis zu 35 Grad, nachts lassen sie sich auf fast null Grad fallen, da ist man dann für jede Wärmeflasche beziehungsweise Kleidungsschicht dankbar, die einen von der unbarmherzigen Wüstennacht trennt. Tagwache ist noch vor dem Morgengrauen, zumeist wecken einen die Geräusche der Dromedare ohnehin auf, und auch aus der Küche hört man schon Geklimpere – Chefkoch Ibrahim bereitet das Frühstück vor. Dieses wird immer gemeinsam eingenommen und gehört bald zu den Ritualen, nach denen man in der Sahara lebt. Tee ist ein fixer Bestandteil und benetzt die Lippen mindestens vier Mal am Tag, dazu gehören Konversation und Geselligkeit, die sich nur zu schnell in Weitblick und Gedankenverlorenheit drehen können. Sechs Stunden marschiert man täglich durch die Wüste, dabei wechseln sich weicher Sand mit knackendem Lehm oder trockenem Flussbett ab. Hin und wieder taucht eine Pflanze auf – zumeist ist sie giftig.
Licht und Schatten
Schnell lernt man das wärmende Licht der Wüste zu schätzen. Denn die klammen Finger, die in der Finsternis Zahnpasta aus der Tube quetschen oder die warme Pyjamahose gegen das Wanderoutfit tauschen, machen absolut keinen Spaß. Mit jeder Sonnenstunde wird die Wüste gemütlicher, bis die Stimmung irgendwann zwischen vormittäglicher Nusspause und Mittagessen kippt und der innere Wunsch nach Schatten immer größer wird. Nach der Stärkung wird relaxt – oft auch geschlafen oder gemeinsam meditiert. Schnell lernt man die kleinen Dinge im Leben zu schätzen, einen Gedanken an den anderen zu reihen und nicht zu versuchen, alles gleichzeitig zu schaffen. Und während es draußen immer ruhiger wird, fangen im inneren die Gedanken an zu rotieren. Die Arbeit, der Alltag – alles wirkt so weit weg. Im Angesicht des Grenzgebirges zu Algerien kommt man sich so klein und aus dem Kontext gerissen vor. Alles, was zu Hause noch wichtig erschienen ist, tritt nun in den Hintergrund. Man konzentriert sich auf das große Ganze, auf das Atmen, auf die vielen Schritte, die man über den Tag setzen muss, und auf die Rituale, die sich so natürlich anfühlen, als wären sie immer schon Teil des Lebens gewesen.
In der Zwischenwelt
Zwei davon finden in der Zwischenwelt statt. Wenn die Helligkeit mit der Dunkelheit Platz tauscht, schlürft man Tee. Das ist das Popcorn im Kino der Sahara, denn die Lichtspiele sind es, die einem nachhaltig in Erinnerung bleiben. Von weiß funkelnd auf dunkelblauem Grund über Pastellfarben bis zur Klarheit des Tages und einige Stunden später wieder das gleiche Spiel. Am besten reserviert man sich einen der begehrten Plätze auf der Spitze der Düne. Dieses Schauspiel, wenn sich die Sonne mit dem Horizont verbindet, will kein Wüstenwanderer verpassen, denn es berührt ganz tief drin. Nur nach und nach lernt man sie kennen, die Sahara, die sich eigentlich ganz unnahbar gibt. Man muss ihr genau zuhören und auf die leisen Zwischentöne achten, so entdeckt man ihre kleinen Wunder: Wüstenbewohner, Lichter, Schatten, Gerüche. Schon nach wenigen Tagen sind die Sinne geschärft, der Geschmackssinn entwickelt, fern von Junkfood & Co. gibt es neuen Platz für Berber-Kostbarkeiten. Doch man muss die Wüste respektieren, sie ist wie ein scheues Tier, man kann ihr Wesen nicht einfach so einfangen. Langsam muss man sich nähern, sich dabei voll und ganz auf die Situation einlassen, sie beobachten und ihre Zeichen deuten. Denn sie ist mehr als die Perfektion einer sternengesprenkelten Nacht oder eines Sonnenuntergangs, sie ist die heiße, klare Luft zur Mittagszeit oder die strenge Kälte der frühen Morgenstunden. All das vereint sie zu einem einzigen Abenteuer, das fern der Zivilisation in einer Welt stattfindet, die sich so alt wie die Zeit selbst anfühlt. Wahrscheinlich kann man inmitten von Afrika, zwischen dem Gurgeln der Dromedare und dem süßlichen Luisa Tee, eines der letzten authentischen Abenteuer erleben, die unsere Welt noch zu bieten hat. Und dabei Schritt für Schritt eins werden mit der Dünenlandschaft.
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Weitere Informationen
Ideale Zeit für Wüstenwanderungen ist zwischen Mitte Oktober und Anfang April. Wenn man über die Grazer Reiseagentur »Weltweitwandern« seine Wüstenwanderungen bucht, hat man
auch deutschsprachige Guides, eine Packanleitung, gutes Essen sowie winterfeste Schlafsäcke mit im Paket. Flyniki bzw. Air Berlin fliegen zwei Mal wöchtenlich von Wien nach Marrakesch.
weltweitwandern.at
airberlin.com
Fazitreise, Fazit 127 (November 2016) – Foto: Katharina Zimmermann
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