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Fleischessen polarisiert

| 22. Februar 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 130, Fazitthema

Foto: Jez Timms

Dennoch lassen sich die Konsumenten beim Fleischgenuss bisher weder von ökologischen noch von gesundheitlichen oder ethischen Aspekten beeinflussen. Obwohl die Kritik am Fleischkonsum mitten in der Gesellschaft angekommen ist, bleibt der Prokopfverbrauch der Österreicher mit 65 Kilogramm im Jahr annähernd konstant. Text von Johannes Tandl

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Die Antworten, mit denen Landwirte, Gewerbe, Handel und Industrie auf die neuen Herausforderungen reagieren, heißen Regionalität, Tierwohl und Bioqualität. Doch während sich für die Verarbeiter und Händler durch diese Entwicklung vor allem neue Vermarktungsmöglichkeiten ergeben, bleibt der ökonomische Druck bei den Bauern hängen. So gibt es in der Steiermark inzwischen mit »Absolut steirisch«, »Steirerglück« und dem »Vulkanlandschwein« mehrere etablierte Regionalmarken, bei denen sich der Verbraucher darauf verlassen kann, dass das Fleisch aus der Region kommt und auch in Bezug auf die Fütterung und das Tierwohl besondere Standards eingehalten werden. Aus Sicht der Vizepräsidentin der steirischen Landwirtschaftskammer, Maria Pein – sie ist Schweinemästerin in Deutsch-
goritz –, ist der Preis für diese Spitzenqualität jedoch viel zu niedrig. »Der Schweinepreis lag zuletzt bei 1,38 Euro je Kilo und wird in Wahrheit von den viel günstigeren Produktionsmöglichkeiten in Deutschland vorgegeben. Wenn der Bauer die besonderen Qualitätsstandards der Regionalmarken erfüllt, erhält er gerade einmal drei Cent mehr pro Kilogramm. Das ist eindeutig zu wenig.« Pein macht sich Sorgen um den Fortbestand der bäuerlichen Fleischproduktion. Denn immer mehr potenzielle Hoferben geben an, den Betrieb stilllegen oder zumindest die Fleischproduktion einstellen zu wollen. »Jede Fleisch-Sonderaktion im Supermarkt, bei der über Billigstangebote die Kundschaft angelockt wird, tut uns Landwirten weh, weil sie uns unter anderem den Mut zu notwendigen Investitionen nimmt«, beschreibt Pein die Stimmung. Dabei sieht sie in einem gesteigerten Tierwohl und einem – zumindest herbeigeschriebenen – Essenstrend zu weniger, aber dafür hochwertigerem Fleisch durchaus Chancen für die Bauern: »Je besser es den Tieren geht, desto höher ist die Qualität. Nur ist es halt notwendig, dass der Bauer diese Qualität auch abgegolten kriegt.«

Auf die Frage, ob nicht die Biofleischproduktion höhere Chancen bieten würde, reagiert sie zurückhaltend. Biologisch produzierte Freilandschweine hätten ihre berechtigte Nische. Die in Österreich benötigten Mengen ließen sich aber schon aus ökologischen Gründen nicht biologisch herstellen, weil die Ausscheidungen der Freilandschweine direkt in das Grundwasser gingen. Außerdem seien der Bevölkerung große Freilandschweinbestände, aufgrund der mit ihnen einhergehenden Insektenbelastung, kaum zuzumuten. Auch der Innungsmeister der steirischen Fleischer, Josef Mosshammer, macht mit der Sehnsucht vieler Konsumenten, den gesamten Fleischbedarf mit biologisch hergestelltem Fleisch abzudecken, Schluss. Denn dafür seien weder genügend Flächen und wegen der viel längeren Mastdauer auch nicht ausreichend heimische Futtermittel vorhanden.

Regionale Qualität unter kontrollierten Bedingungen
Mosshammer setzt daher auf kontrollierte regionale Qualität. So verarbeitet er etwa beim Schweinefleisch nicht länger jene anonyme Schlachthofware, die es irgendwie zu einem heimischen Gütesiegel geschafft hat, sondern, gemeinsam mit vier weiteren steirischen Fleischern, das sogenannte »südoststeirische Woazschwein«. Bei diesem Regionallabel verpflichten sich die Landwirte zu besonders hohen Standards – sowohl in Bezug auf das Tierwohl als auch bei der Fütterung mit gentechnikfreien heimischen Futtermitteln. Außerdem wird bei der Schlachtung besonders auf Stressvermeidung geachtet, nicht zuletzt weil das, so Mosshammer, direkte Auswirkungen auf die Qualität hat. Die Bauern erhalten für das »südoststeirische Woazschwein« übrigens einen Fixbetrag, der zuletzt 12 Cent pro Kilogramm über dem Marktpreis lag.

Während sich landesweit die Zahl der Fleischereibetriebe weiter reduziert, ist in der Fleischerei Mosshammer in der Grazer Zinzendorfgasse schon um neun Uhr in der Früh jede Menge los. Zahlreiche Jausenkäufer wollen ein Stück des angeblich besten Leberkäses der steirischen Landeshauptstadt ergattern. Die heiße Theke biegt sich unter den zahlreichen Schmankerln vom Brüstelbraten bis zum Kümmelkarree und die Fachverkäuferinnen stehen den qualitätsorientierten Kunden mit Rat und Tat bezüglich Reifung, Schnitt und Zubereitung ihres Stückes Fleisch zur Verfügung. Trotzdem gibt sich der Innungsmeister in Bezug auf die Zukunft der selbständigen Fleischereien keinen Illusionen hin. Auch die Zukunft unserer kleinstrukturierten Landwirtschaft ist für ihn nicht gesichert, denn, »nur der Konsument kann über den Fortbestand unserer bäuerlichen Produzentenstruktur entscheiden.« Die Käufer sind beim Schnitzel, dem Kotelett oder dem Lungenbraten zwar eher dazu bereit, etwas mehr Geld für regionale Spitzenqualität auszugeben, nicht jedoch bei den anderen Fleischteilen, die in der Wurst, dem Schinken oder dem Faschierten landen. »Langfristig kann«, so Mosshammer, »nur überleben, wer sein Fleisch ›from nose to tail‹ (›von der Nase bis zum Schwanz ‹) zu einem fairen Preis vermarkten kann.« Diese Bedingung stellt vor allem jene Produzenten, die wegen des Tierwohls und der Fleischqualität extensiver produzieren und daher auf höhere Deckungsbeiträge angewiesen sind, vor riesige Herausforderungen.

Wer Biofleisch will, muss bereit sein, die Kosten zu tragen
Der deutsche Geflügelvermarktungskonzern Wiesenhof versuchte vor einiger Zeit einen neuen Weg, mit einer neuen, zuvor nicht gekannten Transparenz und Offenheit. Wiesenhof ging auf die Kritiker und Verbraucher zu und stellte fest, dass es in Deutschland eine große Sehnsucht der Verbraucher nach artgerecht produziertem Geflügel gibt. Aus dieser Initiative ging das Projekt »Wiesenhof-Weidehähnchen« hervor, bei dem biologisch produziertes Geflügel aus Freilandhaltung vermarktet wurde. Das Projekt scheiterte jedoch gnadenlos, weil die deutschen Konsumenten keine Bereitschaft zeigten, bis zu 20 Euro für ein Bio-Huhn zu bezahlen. Der geläuterte Wiesenhof-Chef Peter Wesjohann stellte dazu fest: »Ich schreibe niemandem vor, welches Fleisch er kaufen soll. Ich stelle die Angebote her, sodass jeder frei entscheiden kann. In Deutschland geben die Leute elf Prozent des Einkommens für Essen aus, in Frankreich 20 Prozent. Deswegen bleibt hier das teurere Hähnchen in der Nische stecken.«
Auch das Projekt »Wiesenhof-Privathof«, bei dem sich die Mastbetriebe dazu verpflichten, den Hühnern ein Drittel mehr Platz zu geben, hat große Probleme. An den Hühnerstall muss ein Wintergarten angeschlossen sein. Strohballen, Picksteine und Aufsitzstangen sollen den Tieren in den 42 Masttagen ein artgerechtes Umfeld garantieren. Doch die Produktion wird dadurch fast doppelt so teuer. Beim ganzen Huhn steigt der Konsumentenpreis um 40 Prozent, bei zerlegter Ware wie Hühnerschenkeln und Filets sogar um 70 Prozent. Und wie schon beim Biohuhn zeigen die Verbraucher auch beim artgerechten Privat-hof-Huhn wenig Bereitschaft, den Mehraufwand abzugelten.

Direktvermarkter haben weniger Probleme
In der Steiermark ist die Zahl der Bauern, die ihr Fleisch direkt vermarkten, in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Diese Bauern punkten beim Konsumenten ausschließlich über ihr persönlich gegebenes Qualitätsversprechen. Anders als Großkonzerne wie Wiesenhof tun sich diese Direktvermarkter allem Anschein nach leichter damit, ihre höheren Gestehungskosten für das verbesserte Tierwohl oder der aufgrund des stark beschränkten Medikamenteneinsatzes längeren Mastzeiten einzuspielen. Und auch was biologisch produziertes Geflügel anlangt, scheint die Marktnische derzeit noch größer zu sein als das Angebot.

Inzwischen setzt nämlich auch der Handel auf artgerecht produzierte regionale Qualität und auf Biofleisch. Die »großen Drei« – Spar, Billa und Hofer – haben mit »Natur pur«, »Ja Natürlich« und »Zurück zum Ursprung« inzwischen so starke Biomarken entwickelt, dass sie mit diesen Labels ihre gesamten Handelsketten positionieren können. Anteilsmäßig macht das Biofleisch zwar nach wie vor nur einen kleinen Teil des Gesamtangebots in den Supermarktregalen aus, die drei dominierenden Fleischarten, Schwein, Rind und Huhn, werden jedoch bereits voll abgedeckt und auch immer mehr Verarbeitungsprodukte wie Bioschinken oder Biowurst finden den Weg in die Kühlvitrinen.

Fleischersatz ist auch keine Lösung
In ihrem Kampf gegen die Massentierhaltung haben die Tierschützer die Bevölkerung zwar nachhaltig aufgerüttelt, beim Einkauf greifen die Konsumenten in überwältigender Überzahl aber nach wie vor zu den billigsten Angeboten. Und obwohl Tierethiker immer öfter damit argumentieren, dass nur wer auf den Genuss von Fleisch verzichtet, eine neue Stufe der moralischen Evolution erreichen kann, zeigt sich die Bevölkerung gegen diese Initiativen weitgehend resistent. Denn der Aufschwung des Veganismus wird eher herbeigeschrieben, als dass er wirklich stattfindet. Die Vorstellung, dass die Menschen ihre Ernährung völlig umstellen und tierisches Eiweiß durch industriell produzierte vegane Surrogate ersetzen, scheint sich jedenfalls nicht durchzusetzen. Der Handel bietet zwar Fleischersatzprodukte an. Dabei handelt es sich jedoch meist um einen mit synthetischen Geschmacksverstärkern aufgemotzten Sojakäse. Und darauf lässt sich wohl keine Utopie von einem besseren Leben aufbauen.

Steht die neue Tierethik vor dem Durchbruch?
Aus der Sicht der Tierethiker ist das Töten von Tieren zum Verzehr insgesamt ein unmoralischer Vorgang. Obwohl Christen grundsätzlich essen dürfen, was sie wollen, sollen sie die von Gott geschaffene Natur schonend behandeln. Ob jemand als Christ auch Fleisch, Wurst oder Eier von Tieren aus Mastställen isst, muss daher jeder vor seinem Gewissen selbst verantworten. Auch wenn die These mancher radikalen Veganer, dass Jesus und seine Jünger Vegetarier gewesen seien, nicht haltbar ist, ist auch in der Kirche einiges in Bewegung gekommen. Papst Franziskus sagte etwa vor den Vereinten Nationen, jedes Geschöpf habe »einen Eigenwert, einen Wert des Daseins, des Lebens, der Schönheit und der gegenseitigen Abhängigkeit mit den anderen Geschöpfen«. In seiner Enzyklika »Laudato Si« geht der Papst noch weiter: »Menschen dürfen nicht willkürlich über Tiere verfügen. Alle Geschöpfe Gottes sind miteinander verbunden. Grausamkeit gegenüber Tieren und gegenüber Menschen hängen eng zusammen. Auch Tiere werden Anteil an der Auferstehung Christi haben.«

Und der Grazer Theologe Kurt Remele fordert in seinem Buch »Die Würde des Tieres ist unantastbar« eine neue christliche Tierethik. Remele sieht gute theologische Gründe für einen »vegetarisch-veganen Imperativ«. Dass auch in Kirchenkreisen immer noch sehr viel Fleisch verzehrt werde, begründet er mit einer machtvollen Tradition. Und so spricht er von einer »Diskrepanz zwischen frommen Sonntagspredigten, die sehr allgemein zur Verantwortung für die Schöpfung aufrufen, und dem opulenten Sonntagsbraten, der nach dem Hochamt im Pfarrhof verspeist wird«.

Massentierhaltung als ökologisches Problem
Es gibt aber nicht nur ethische, sondern auch ökologische Argumente, die gegen die Massentierhaltung sprechen. Die Fleischproduktion verlange riesige Mengen an Futtermitteln, für deren Anbau, so Global 2000, weltweit Regenwald gerodet werden müsse. Über den Methanausstoß verschärft die Tierproduktion den Klimawandel. Außerdem benötigt die Landwirtschaft pro Kilo Mastfleisch bis zu 20.000 Liter Wasser. Auch mit dem Argument der Regionalität haben die Umweltschützer ihre Probleme. Wenn die Tiere ausschließlich mit heimisch erzeugten Futtermitteln in der Region gemästet werden, falle zwar das Problem der Wasserverschwendung weg. Hinzu kommt jedoch der hohe Bedarf an Kunstdünger und Pestiziden, der die Böden und Gewässer schwer belastet. Auch im »steirischen Schweinegürtel«, er umfasst die Ost-, die Süd- und die Weststeiermark, gibt es dort, wo die Schweinemäster die Gülle ausbringen, Probleme wegen überhöhter Nitratwerte im Grundwasser. Außerdem werde ein hoher Anteil an klimaschädlichen Stickoxiden frei.

Sterben Fleischesser früher?
Für besonderes Aufsehen sorgte eine Anfang Jänner präsentierte Studie über die gesundheitlichen Folgen des Fleischkonsums. Die Studie der Medizinischen Universität Stockholm kommt zum Schluss: »Wer viel Fleisch ist, stirbt früher.«
Der Studie zufolge kann der negative Effekt des hohen Fleischkonsums auch nicht durch den Genuss von Obst oder Gemüse ausgeglichen werden. 16 Jahre lang wurden 74.645 Personen unterschiedlicher Altersstufen hinsichtlich der Auswirkungen des Fleischkonsums auf ihre Lebenserwartung beobachtet. Mit dem Ergebnis, dass tödliche Herzinfarkte und Schlaganfälle bei Personen mit hohem Fleischkonsum deutlich häufiger auftraten. Die Sterberate in der Gruppe mit einem Fleischkonsum von über 117 Gramm pro Tag lag um 21 Prozent höher als bei der Gruppe mit einem Fleischkonsum von unter 46 Gramm pro Tag.
Eine Reduktion des Fleischkonsums ist daher aus gesundheitlicher Sicht auf jeden Fall angebracht. Die Devise dieser Ernährungsumstellung könnte daher »Zurück zum Sonntagsbraten« lauten. Wir sollten Fleisch nur mehr ein- bis zweimal pro Woche essen. Doch dazu müsste das Schnitzel wieder den Rang einer kulinarischen Besonderheit einnehmen, das es nicht um 4,99 Euro pro Kilo im Supermarkt gibt. Fakt ist, dass die Landwirte, die Fleischereibetriebe und der Handel auch den Auswirkungen dieser schwedischen Studie dennoch relativ gelassen entgegen- sehen können. Denn in den letzten Jahren ist der Prokopfverzehr in Österreich zwar jährlich um etwa 100 Gramm gesunken. Dieser Rückgang wird jedoch durch den Bevölkerungsanstieg mehr als ausgeglichen und mit über 65 Kilo wird in Europa nur in Dänemark und Spanien mit je 76 Kilogramm mehr Fleisch gegessen als in Österreich. Obwohl die Österreicher zu den größten Fleischkonsumenten zählen, sieht die Agrarfunktionärin Maria Pein Handlungsbedarf: »Unser Schweinefleisch darf nicht länger austauschbar schmecken. Es muss uns gelingen, einen einzigartigen Geschmack herauszuzüchten. Beim Rindfleisch ist das schon gelungen – mit dem Ergebnis, dass die internationale Nachfrage das Angebot bei Weitem übertrifft.«

Fazitthema Fazit 130 (März 2016) – Foto: Jez Timms

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