Politicks Mai 2018
Johannes Tandl | 26. April 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 142, Politicks
Bekommt die ÖVP kalte Füße vor der Sozialversicherungsreform?
Da fordert die ÖVP jahrzehntelang Reformen im Bereich der Sozialversicherungen und kaum wagt sich die von ihr dominierte Bundesregierung an diesen ewigen Stillstandsbereich heran, scheinen die schwarzen Sozialpartner kalte Füße zu bekommen.
Ausgangspunkt der Diskussion war bekanntlich die Aussage von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, dass sie davon ausgehe, dass die AUVA zerschlagen werden müsse, weil sie keine Möglichkeiten sehe, dass dort das Sparziel von 500 Millionen Euro, das die Regierung vorgegeben hat, erreicht werde. Das wäre schließlich ein Drittel des Gesamtbudgets von 1,5 Milliarden Euro.
Ist der Kampf um die AUVA bloß ein Kampf um Privilegien?
Und sofort waren die Ärzte und die Mitarbeiter auf der Straße und die zahlreichen Funktionäre setzten die Lobbyismus-Maschinerie in Gang. Dabei gibt es im Bereich der AUVA Überkapazitäten, die woanders im Gesundheitsbereich dringend benötigt werden. Nicht einmal bei der von den Mitarbeitern befürchteten vollständigen Auflösung der AUVA und der Schließung aller sieben österreichischen Unfallkrankenhäuser sowie der vier Rehabilitationszentren müsste irgendein Arzt oder sonstiger medizinischer Mitarbeiter um seinen Job bangen. Doch nirgendwo sonst im österreichischen Gesundheitsbereich ist das Arbeiten so angenehm wie bei den AUVA-Einrichtungen.
Das mussten schon die steirischen Reformpartner Franz Voves und Hermann Schützenhöfer feststellen, als ihre damalige Gesundheitslandesrätin Christina Edlinger-Ploder mit der bestechenden Idee daherkam, die Krankenhäuser in Graz Eggenberg die von der KAGES, den Barmherzigen Brüdern und der AUVA betrieben werden, zu einem großen neuen Leitspital im Grazer Süden zusammenzufassen. Der Widerstand wurde angeführt von den AUVA-Mitarbeitern. Aber auch die KAGES-Angestellten stützten den Protest, denn nichts Schlimmeres hätte ihnen aus Sicht ihrer Personalvertreter passieren können, als zu den Bedingungen, die in den Ordensspitälern herrschen, arbeiten zu müssen. Und tatsächlich gingen die Reformpartner in die Knie. In der von der neuen steirischen rotschwarzen Regierungskoalition unter Gesundheitslandesrat Christopher Drexler vorgestellten Gesundheitsreform war übrigens keine Rede mehr von einer Einbindung der AUVA in die Reformpläne.
Die Sozialversicherungen als Funktionärseldorado
Wer die steirische Spitalsdiskussion der letzten Jahre verfolgt hat, dem muss klar sein, dass die Widerstände gegen die Reform des Sozialversicherungsbereichs riesig sein werden. Nicht nur die im Vergleich zu den übrigen Spitälern besser gestellten AUVA-Ärzte wollen kämpfen. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen hat nämlich für ein gigantisches Funktionärseldorado gesorgt, mit einer Unzahl von gut bezahlten hauptamtlichen und Aufwandsentschädigungen kassierenden ehrenamtlichen Mitarbeitern, die bereit sind, für ihre vermeintlich wohlerworbenen Rechte auf die Straße zu gehen. Zu den Gegnern der Sozialversicherungsreform gehören aber nicht nur die Sozialpartner und die Gesundheitslobby, sondern auch manche Bundesländer. Offensichtlich fehlt es den schwarzen Systemerhaltern am erforderlichen Mut, jene Neuordnung des Gesundheitsbereichs in die Tat umzusetzen, die sie selbst jahrzehntelang gefordert hatten, um den rotschwarzen Stillstand zu überwinden.
Die Wiener WK und die schwarze Tiroler AK wenden sich ab
Inzwischen ist auch der mächtige Wiener WK-Präsident Walter Ruck in das Lager der Skeptiker übergetreten. Für Ruck sind steuerfinanzierte Sozialmodelle deshalb abzulehnen, weil sie eine kaum beeinflussbare Abhängigkeit des Gesundheitsbereichs vom Staat fördern. Er sieht die Gefahr, dass ein steuerfinanziertes Sozialversicherungswesen zu einer allgemeinen Verschlechterung der Gesundheitsversorgung der österreichischen Bevölkerung beitragen würde. Um seine AUVA-Funktionäre zu schützen, fällt Ruck also den WK-Mitgliedern in den Rücken, die schon lange nicht mehr einsehen, dass sie trotz der ständig sinkenden Zahl an Arbeitsunfällen über die Dienstgeberbeiträge jährlich 1,5 Milliarden zur Finanzierung der AUVA aufbringen müssen. Diese hat wiederum, um ihre großen Kapazitäten zu rechtfertigen, längst die Verunfallten im Freizeitbereich als Zielgruppe erkannt.
Auch der schwarze Tiroler Arbeiterkammerpräsident Erwin Zangerl sieht mit der Zusammenlegung der Sozialversicherungen seine Einflusssphäre schwinden.
Denn offenbar will die Regierung die Selbstverwaltung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber abbauen oder zumindest schwächen. Da die FPÖ weder in der AK noch in der Wirtschafts- und Bauernkammer so stark ist, dass sie bei den Krankenkassen entscheidend vertreten ist, wurde von den Reformgegnern mit dem blauen Machtrausch auch bald ein Motiv für die Reform identifiziert. Derzeit kann die Regierung die Krankenkassen nur beaufsichtigen. Doch Bundeskanzler Sebastian Kurz, den mit den schwarzen Tiroler AK-Funktionären gleich wenig zu verbinden scheint wie mit der Wiener Wirtschaftskammer, und Vizekanzler Heinz-Christian Strache haben Bedeutendes vor. Sie wollen die Sozialversicherungen in eine Struktur pressen, bei der die Regierung über das Personal entscheidet. Bis jetzt funktionierte der »soziale Frieden« in Österreich nach folgendem Prinzip: Die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer einigen sich auf etwas und der Steuerzahler muss dafür geradestehen.
Kern vergleicht die türkisblauen Pläne mit Ständestaatsideen
Bis jetzt scheiterte bekanntlich jede Gesundheitsreform daran, dass diejenigen, die entscheiden, sich nur in Ausnahmefällen mit denen decken, die bezahlen. Mit der Sozialversicherungsreform soll sich das nun endlich ändern.
Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich die ÖVP-Landeshauptleute an den Koalitionspakt, der von ihnen abgesegnet wurde, halten oder ob sie dabei zusehen, wie sich die schwarzen AK- und WK-Funktionäre im Kampf um ihren Einfluss auf den Gesundheitsbereich mit SPÖ-Chef Christian Kern solidarisieren. Kern hatte zuletzt sogar behauptet, der Letzte, der versucht habe, die Sozialversicherungen an die Regierung zu binden, sei Dollfuß im Ständestaat gewesen. Damit versuchte er die Regierung in die Nähe des Ständestaatregimes zu rücken, dem jegliche demokratische Legitimation fehlte. Eigentlich sollte man annehmen, dass sich jemand, der so einen Blödsinn von sich gibt wie Kern, mit solchen Aussagen aus dem demokratischen Diskurs nimmt. Doch die Versuche der Sozialdemokraten, einen Keil in die türkisblaue Regierungskooperation zu treiben, scheinen dennoch Fortschritte zu machen.
Hartinger-Klein als »unguided missile«
Zur AUVA-Diskussion ist es freilich nur gekommen, weil Sozialministerin Beate Hartinger-Klein wieder einmal ihre Rolle als »unguided missile« in Kommunikationsangelegenheiten nachgekommen ist. Noch patscherter als die Ankündigung, die AUVA aufzulösen, war allerdings ihr Einlenken. Dabei hat sie nämlich eine Bestandsgarantie für sämtliche AUVA-Standorte gegeben. Dabei ist aus internen AUVA-Quellen längst bekannt, dass die staatliche Unfallversicherung vor allem im Reha-Bereich mit Überkapazitäten kämpft. So sollten einige der vier großen Reha-Zentren eigentlich bald durch kleinere Einrichtungen, die direkt an die UKHs angeschlossen sind, ersetzt werden. Das ist, wenn Hartingers Bestandsgarantie gilt, natürlich nicht mehr möglich.
»Message Control« – Mythos oder Wahrheit?
Mit der Kontrolle der Kommunikation der Regierungsmitglieder ist der frühere Kanzlersprecher Gerald Fleischmann befasst. Er leitet die Stabstelle für Kommunikationsplanung, die kürzlich im Bundeskanzleramt etabliert wurde. Ob die »Message Control« tatsächlich so weit geht, dass sich Fleischmann, wie behauptet wird, sogar die Interviews der Regierungsmitglieder zur Freigabe vorlegen lässt, ist nicht bekannt und wird wohl so schnell auch nicht offenkundig werden. Denn auf E-Mails reagiert der Exkanzlersprecher nämlich kaum. Damit öffnet er Tür und Tor für Spekulationen: Das Ausmaß der »Message Control« scheint jedenfalls über ein gemeinsames Wording bei kontroversiellen Themen und die gemeinsame Präsentation von Regierungsinitiativen durch beide Regierungspartner weit hinaus zu reichen.
Seltsame Ausmaße soll die »Message Control« zuletzt bei einer negativen Stellungnahme von Finanzminister Hartwig Löger zur geplanten Verankerung des Wirtschaftsstandortes unter den Staatszielen angenommen haben. Das Finanzministerium warnte in seiner ersten Stellungnahme, nämlich dass Klagen gegen die Republik Österreich zu befürchten seien, wenn die Staatszielbestimmung von den Behörden nicht eingehalten werde. Wenige Tage später war der Einwand aus dem Finanzministerium verschwunden und aus den negativen Stellungnahmen von der Parlamentshomepage gelöscht. Ähnliches ist auch schon zuvor bei kritischen Einwänden von Ministerien gegen die Regierungspläne passiert.
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