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Tandl macht Schluss (Fazit 156)

| 11. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 156, Schlusspunkt

Politiker und die Medien, die wir verdienen. Lange ist es her, dass das ganze Land stillstand, wenn im Fernsehen die TV- Konfrontation vor der Nationalratswahl lief. Wie bei der Herrenabfahrt von Kitzbühel versammelte sich die ganze Familie vor dem Fernsehgerät und hoffte gebannt darauf, dass der richtige Kandidat seine Punkte macht. Das Fernsehen bestand mangels Alternativen nur aus den beiden ORF-Kanälen. Dadurch ergaben sich automatisch sensationelle Reichweiten. Damit war die TV-Konfrontation tatsächlich oft wahlentscheidend.

Inzwischen ist der Fernsehwahlkampf im harten Wettbewerb der TV-Sender völlig inflationär geworden. Die 15 Minuten, die den Spitzenkandidaten in diversen Duellen für die Diskussion zur Verfügung stehen, reichen nicht einmal, um auch nur ein einziges Thema seriös abzuarbeiten. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner versuchte zuletzt beim ORF-Duell gegen ÖVP-Chef Sebastian Kurz in ihrem Eingangsstatement gar nicht erst, auf die Frage des Moderators einzugehen, sondern startete gleich mit unverhältnismäßig heftigen Verbalattacken von Null auf 100. Damit hatte sie aber zumindest das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Das vom ORF gewählte Format war daher zumindest unterhaltend. Die Moderatoren ließen die Kandidaten entlang eines engen Fragenkataloges aufeinander los, um sofort abzubrechen, wenn ein Thema in die Tiefe zu gehen drohte. Eine spannende inhaltliche Auseinandersetzung, bei der die Argumente des Gegenübers aufgenommen, analysiert und widerlegt werden konnten, wurde verhindert. Ein Ausloten möglicher Kompromisse zwischen den oft stark divergierenden Standpunkten kam erst recht nicht in Frage.

Nach den Duellen wurde jedes Wort und jede Geste von einem Analytikerteam auseinandergenommen. Als der kluge ORF-Kommentator Hans Bürger nach einem der Duelle anmerkte, er müsse sich das Ganze noch einmal ohne Ton ansehen, um feststellen zu können, wer gewonnen hat, brachte er damit den TV-Wahlkampf 2019 auf den Punkt. Das Einzige, was zählt, ist die Unterhaltung. Und unabhängig, wen die Zuseher als Sieger der Duelle erkannt haben wollen, erfolgt spätestens in der Zib-2 ein Reframing durch den ORF-Hauspolitologen Peter Filzmaier. Danach weiß man dann ganz genau, wer beim Duell besser abgeschnitten hat.

Diese Art von TV-Duellen fördert einen neuen Politikertypus. Nur wer es schafft, sich mit seinem Äußeren, seinen eingelernten Gesten und seinen rhetorischen Spitzen über seine Gegner hinwegzusetzen, wird als kluger und erfolgreicher Kopf wahrgenommen. Wahrscheinlich weiß man in Deutschland ganz genau, warum man sich nicht auf einen solches Fernsehspektakel einlässt. Zum einen will man der AfD keine Bühne bieten. Zum anderen ist es kaum vorstellbar, dass es etwa die mächtigste Politikerin der Welt, Angela Merkel, jemals an die Spitze geschafft hätte, wenn sie in solchen Duellen gegen einen Gerhard Schröder oder einen Guido Westerwelle bestehen hätte müssen. Daher ist diese Art des TV-Wahlkampfs eine österreichische Besonderheit, die besonders den kleinen Parteien eine unverhältnismäßig große Fernsehpräsenz ermöglicht. Die Neos-Kandidatin Beate Meinl-Reisinger – einer ihrer Berufswünsche war tatsächlich Schauspielerin – war außerdem perfekt gebrieft und hatte für jedes Thema gut eingelernte Sager parat. Dadurch wirkte sie schlagfertig und geistig wach. Auch Norbert Hofer von der FPÖ – er soll ja ein NLP-Profi sein – hat auf diese Strategie zurückgegriffen.

Aber nicht nur der TV-Wahlkampf erscheint wie eine billige Casting-Show. Auch wichtige Printmedien wie Falter oder Standard scheinen sich in einem Propagandakrieg gegen türkisblau zu befinden. So können kaum beweisbare Anschuldigungen gegen die ÖVP unwidersprochen auf seinen eigenen Seiten verbreitet werden. Der ORF, aber auch andere Qualitätsmedien betätigen sich als willfährige Helfer und verbreiten diese dubiosen – womöglich sogar aus illegalen »Quellen« stammenden – Gerüchte unter dem Deckmantel der Wahlberichterstattung gerne weiter. Ein Land hat halt nicht nur die Politiker, sondern auch die Medien, die es verdient.

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Tandl macht Schluss! Fazit 156 (Oktober 2019)

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