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Der große Stillstand

| 26. März 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 161, Fazitthema

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Die Coronakrise hat nicht nur Österreich fest im Griff. Mit dem Ziel, die Zahl der Infizierten für die Gesundheitssysteme bewältigbar zu halten, erlebt inzwischen die ganze Welt einen noch nie dagewesenen »Shutdown«. Während fast alles stillsteht, wird klar, dass die Auswirkungen der Pandemie womöglich noch deutlich heftiger ausfallen werden als jene der Weltwirtschaftskrise nach 2008. Die Globalisierung hat zu Abhängigkeiten geführt, die sich nun als katastrophal erweisen. Text von Johannes Tandl.

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Das Corona-Triumvirat – Bundeskanzler Sebastian Kurz, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer – hat Österreich in einen Dornröschenschlaf versetzt. Der Tourismus musste mitten in der gut laufenden Wintersaison gestoppt werden. Universitäten, Schulen und Kindergärten sind ebenso geschlossen wie die meisten Geschäfte. Ausgenommen ist nur der stationäre Handel mit den lebensnotwendigen Dingen des täglichen Bedarfs. Weitere Verschärfungen stehen im Raum.

Das Ziel der Maßnahmen ist klar. Die bereits Infizierten und jene, die sich in der Inkubationsphase befinden, sollen so wenig weitere Menschen wie möglich mit der Covid-19-Krankheit anstecken. Durch die Beschränkung der sozialen Kontakte auf das familiäre Umfeld soll die Zahl der Neuinfektionen so weit gesenkt werden, dass die Spitäler in der Lage bleiben, die schwer Erkrankten intensivmedizinisch zu betreuen. Derzeit stehen in Österreich insgesamt etwa 3500 Intensivbetten zur Verfügung, von denen durch die Verschiebung geplanter Operationen so viele wie möglich für die Infizierten freigemacht werden. Denn fünf Prozent der an Corona Erkrankten müssen unbedingt intensivmedizinisch betreut werden. Geht man davon aus, dass die Hälfte der Intensivbetten auch weiterhin für Schwerkranke und Unfallopfer benötigt werden, erreicht unser Gesundheitssystem daher spätestens bei 40.000 Infizierten seine Grenzen. Und was ohne weitere Kapazitäten dann geschehen würde, sieht man an den furchtbaren Bildern aus den norditalienischen Krankenhäusern, in denen die Patienten inzwischen nach Lebensalter sortiert werden und Ältere keine Chance haben, an lebensrettende Beatmungsgeräte angeschlossen zu werden.

Wird die Kurve flacher? Hält das Gesundheitssystem stand?
Es bleibt zu hoffen, dass die Maßnahmen der Regierung wirken und die Ausbreitung des Virus eingedämmt werden kann. Wenn sie eingehalten werden, stehen die Chancen gut, dass die Kurve flacher wird. Ohne die Einschränkungen würde es am Erscheinungstag dieses Artikels, am 24. März, in Österreich etwa 8.000 Infizierte geben. Wenn die Zahl deutlich darunter liegt, kann man davon ausgehen, dass es gelingt, die Infektion einzudämmen. Wie lange der »Shutdown« andauern muss, bleibt jedoch selbst bei einem Erfolg der bisherigen Maßnahmen offen, denn dass mit einem »Abflachen der Kurve« die Infektionsphase in die Länge gezogen wird, liegt auf der Hand. Virologen gehen daher davon aus, dass die Einschränkungen nicht Tage oder Wochen, sondern Monate andauern müssen, um die Ziele zu erreichen.

Beim »Shutdown« gelang es dem Kanzler, die Bevölkerung mitzunehmen
Am 10. März hat das Corona-Triumvirat seine erste Pressekonferenz abgehalten. Die Inkubationszeit, in der zwar noch keine Symptome feststellbar sind, die Krankheit aber bereits weitergegeben werden kann, liegt zwischen 2 und 14 Tagen, mit einer Häufung der ersten Symptome um den sechsten Tag. Schon als die ersten Infektionsfälle Anfang März bekannt wurden, muss den Krisenstäben daher – auch angesichts der Situation in Norditalien – klar gewesen sein, dass es eine große Zahl von Infizierten gibt, bei denen die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist. Dazu kommt die Dunkelziffer derjenigen, bei denen die Covid-19-Krankeit einen so leichten Verlauf nimmt, dass sie nicht einmal auf die Idee kommen, krank zu sein, geschweige denn sich testen zu lassen.

Die Regierung wusste also, was auf uns zukommen wird. Der »Shutdown« wurde in Phasen unterteilt und in kleinen Schritten umgesetzt. Bundeskanzler Kurz hat sich bisher als hervorragender Krisenkommunikator erwiesen. Daher ist es der Regierung gut gelungen, die Bevölkerung bei den größten Freiheitsbeschränkungen seit Bestehen der zweiten Republik mitzunehmen. Bei der ersten Corona-Pressekonferenz wurden gerade einmal Outdoor-Veranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmern und Indoor-Veranstaltungen mit mehr 100 Teilnehmern untersagt.

Als wenige Tage später Chatprotokolle aus einem der Krisenstäbe nach außen drangen, in denen von den mittlerweile als Ausgangsbeschränkungen erlassenen »Ausgangssperren« die Rede war, setzte der Run auf die Lebensmittelläden ein. Umsichtige Bürger hatten sich in Erwartung des Kommenden schon Anfang März bereits ausreichend mit Vorräten eingedeckt. Als das Boulevard-Onlineportal Oe24 meldete, dass Ausgangssperren bevorstünden, stürmten am Wochenende um den 14. März auf einmal auch jene die Geschäfte, die in den Warnungen vor einer Corona-Epidemie zuvor nur eine hysterische Überreaktion der Ängstlichen erkennen wollten. Durch die Hamsterkäufe in den restlos überfüllten Lebensmittelläden ist es mit großer Wahrscheinlichkeit zu mehr sozialen Kontakten gekommen, als durch die Veranstaltungsabsagen eingespart werden konnten. Dieses Beispiel zeigt, wie schmal der Grat zwischen kluger Krisen-PR und Panikmache sein kann; vor allem wenn die Kommunikation durch Indiskretionen und verantwortungslose Berichterstattung konterkariert wird.

Eine Rezession ist unausweichlich
Österreichs Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren hervorragend entwickelt. Impulsgeber waren die Globalisierung und die Exporterfolge der heimischen Industrie, von denen inzwischen jeder zweite österreichische Arbeitsplatz abhängt. Der Industrie ist es noch am ehesten zuzutrauen, dass sie einen Teil der Ausfälle dieser schrecklichen ersten Jahreshälfte aufholen kann. Dazu müssen jedoch die internationalen Wertschöpfungsketten so schnell wie möglich instandgesetzt werden. Bei Magna ist neben dem Einbruch des chinesischen Marktes auch die fehlende Belieferung dafür verantwortlich, dass das Grazer Werk mit über 6.000 Mitarbeitern – vorläufig geschlossen wurde.

Die ökonomischen Auswirkungen des »Shutdowns« sind branchenübergreifend so massiv, dass sogar das Epidemie-Gesetz außer Kraft gesetzt werden musste. Jene Abgeordneten, die dieses Schönwettergesetz in den 1950er Jahren beschlossen haben, hatten mit allem gerechnet, aber wohl nicht mit einer echten Epidemie. Darin war nämlich vorgesehen, dass der Staat für sämtliche ökonomischen Schäden eines »Shutdowns« aufkommen muss. Müsste die öffentliche Hand die Folgen seiner Krisenbekämpfung – wie im Epidemie-Gesetz vorgesehen – abgelten, hätte das unmittelbar in einen Staatsbankrott geführt.

Stattdessen hat der Nationalrat ein Kurzarbeitsmodell für Klein- und Mittelbetriebe sowie Steuer- und Beitragsstundungen beschlossen. Außerdem soll es nicht rückzahlbare Zuschüsse für EPUs und Kleinunternehmen geben. Mit diesen als Wirtschaftsrettungspaket wurden die Unternehmen jedoch zu Bittstellern gemacht und die Gesamthilfen für Gesundheitssystem und Wirtschaft mit vorläufig vier Milliarden Euro gedeckelt.

Kurz kündigt unglaubliche 38 Milliarden für die Wirtschaft an
Dem Bundeskanzler ist klar, dass die vier Milliarden bei weitem nicht ausreichen werden, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten. Die oft überschuldeten kleinen Unternehmen können sich kaum einen Ausfall von einem Monat leisten. Kredite nützen ihnen ebenso wenig, weil ihnen die Wirtschaftskraft für die Rückzahlungen fehlt. Daher werden auch die Bundesländer ihre jeweiligen Wirtschaftsförderungen zur Bekämpfung der Coronarezession einsetzen. Daher hat der Kanzler nun Wirtschaftshilfen von insgesamt 38 Milliarden Euro angekündigt, um die Wirtschaft wieder flott zu kriegen. Denn vor dem Umstand, dass vielen Unternehmen die Geschäftsgrundlage weggebrochen sei, dürfe man die Augen nicht verschließen, so Kurz. Man wolle mit dem Paket massenhafte Arbeitslosigkeit verhindern und »alles Menschenmögliche« dagegen tun. Bei Corona handle sich es sich um die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, ist auch Vizekanzler Werner Kogler überzeugt. Deshalb brauche es dramatische Maßnahmen, um gegenzusteuern. Die wichtigste Botschaft sei: »What ever ist takes – für Arbeitsplätze und Unternehmen«, so Kogler.

Der Beitrag der Banken zur Abmilderung der Coronakrise
Noch viel schlimmer als für die Industrie schaut es für die Dienstleister aus. Ein Schnitzel, das im März nicht verkauft wurde, wird im August nicht zusätzlich gegessen werden. Aus eigener Kraft können Tourismusbetriebe, die Kreativwirtschat oder die Eventveranstalter ihre Verluste daher nicht kompensieren.

Im Gespräch mit Fazit erläutert der für den Kommerzbereich zuständige Vorstand der Steiermärkischen Sparkasse, Oliver Kröpfl, wie die ökonomischen Folgen der Coronakrise aus Sicht der größten heimischen Bank bewältigt werden sollen. So wurde der Kommerzbereich der Steiermärkischen darauf ausgerichtet, den Kunden mit aller Kraft beim Aufrechterhalten der Liquidität zur Seite zu stehen. Dabei sollen die Unternehmen sowohl mit raschen Entscheidungen als auch bei der Förderungsabwicklung unterstützt werden.

Entscheidend ist für Kröpfl natürlich die Dauer des »Shutdown«. In seiner Einschätzung schließt er sich jenen Virologen an, die nicht nur von einigen Tagen, sondern von mehreren Wochen, wenn nicht gar Monaten ausgehen. Daher sei klar, dass einige Unternehmen nach Lösung ihrer Liquiditätsprobleme auch in Bonitätsprobleme schlittern werden. Kröpfl schlägt daher konjunkturbelebende Maßnahmen vor. Er könne sich etwa Investitionsunterstützungen für jene Branchen vorstellen, die besonders hart von der Corona-Eindämmung getroffen wurden. Und wenn der Schulterschluss der Sozialpartner und der Parlamentsparteien aufrecht bleibe, und die Regierung tatsächlich nach dem Motto »What ever it takes!« handelt, werde das aus seiner Sicht auch gelingen.

Die Globalisierung hat die Resilienz der Volkwirtschaften geschwächt
Zu den Folgen der Pandemie lässt sich mit Sicherheit sagen, dass sich die derzeitige Version der Globalisierung überlebt hat. Durch Corona ist klar geworden, dass die heimische Wirtschaft widerstandsfähiger werden muss. Das Modewort für diese Widerstandsfähigkeit heißt Resilienz. Sie bezeichnet das Vermögen, aus eigener Kraft mit Krisen fertigzuwerden. In der Ökonomie ist damit die Widerstandsfähigkeit einer Volkswirtschaft gegen internationale Verwerfungen gemeint. Ursprünglich kommt der Begriff Resilienz aus der Medizin und steht für den Aufbau von persönlich und sozial vermittelten Ressourcen, um Lebenskrisen zu bewältigen.

Dass es etwa in ganz Europa weder eine Antibiotika-Produktion noch eine von Einweghandschuhen oder Atemschutzmasken gibt, ist ein Indikator für diese mangelnde Resilienz. Auch die meisten Pharmawirkstoffe werden nur mehr in China und Indien hergestellt. Die Folgen eines wochen- oder gar monatelangen Produktionsausfalls sind daher noch gar nicht absehbar. Bei den Beschaffungsprozessen im Gesundheitswesen war die Lieferfähigkeit bisher kein Kriterium. Das hat schon bisher dazu geführt, dass wichtige Medikamente ganz einfach nicht in den Apotheken vorrätig waren. Die Krankenkassen haben jahrelang beim billigsten Anbieter eingekauft. Entscheidend war nicht die hundertprozentige Lieferzuverlässigkeit, sondern nur, ob die geforderten Qualitätsansprüche erfüllt wurden.

Das Beispiel von Magna oder auch anderen Autoherstellern, die inzwischen ihre Werke schließen mussten, zeigt, dass die seit Jahrzehnten einwandfrei funktionierenden internationalen Logistikketten durch Corona maßgeblich geschädigt wurden. Aus Kostengründen hat die Industrie ihre Lagerbewirtschaftung durch Just-in-Time-Belieferungen ersetzt. Die Pufferlager mussten nur mehr Ausfälle von wenigen Tagesproduktionen überbrücken können. In welchem Ausmaß die internationalen Wertschöpfungsketten durch Corona gestört oder gar zerstört wurden, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Auch in diesem Bereich muss die Wirtschaft resilienter werden. Denn bei aller berechtigter Kritik an den Auswüchsen der Globalisierung muss klar sein, dass wir ihr die Hälfte unserer Arbeitsplätze und den Großteil des in den letzten Jahrzehnten erarbeiteten Wohlstandszuwachses zu verdanken haben.

Der massiv vom »Shutdown« betroffenen stationäre Handel befand sich schon vor Corona in einer äußerst schwierigen Situation. Selbst in boomenden Städten wie etwa Wien oder Graz brechen immer mehr Innenstadtkaufleute weg, weil sie einerseits von Onlineportalen wie Amazon und andererseits von den aus Raumordnungssicht fragwürdigen Einkaufszentren wie jenem in Seiersberg in die Zange genommen werden. Das wegen Corona erlassene stationäre Verkaufsverbot von nicht lebensnotwenigen Gütern führt zweifellos zu weiteren Handelsverschiebungen vom stationären in den Onlinebereich. Und dort sitzen die Nutznießer nur sehr selten in Österreich.   

Für Hans-Werner Sinn bringt Corona die EZB-Blase zum Platzen
Der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn sieht in einem Kommentar für das Handelsblatt übrigens die europäischen Zentralbanken – allen voran die EZB – für jene Blase verantwortlich, die durch Corona gerade platzt. Durch die Nullzinspolitik wurden bekanntlich zahlreiche Betriebe am Leben erhalten, die es bei realistischen Zinssätzen wohl nicht geschafft hätten. Bei diesen bonitätsschwachen so genannten »Zombie-Unternehmen« könnte Corona dazu führen, dass sie wegen ihrer Vorerkrankungen signifikant häufiger in die Insolvenz geraten als wirtschaftlich gesunde Firmen.
 
Der unvermeidlichen Rezession nur mit nachfragestimulierenden Maßnahmen zu begegnen, erachtet Sinn als nicht sinnvoll. Schließlich leide die Weltwirtschaft nicht unter einem Nachfrage-, sondern unter einem Angebotsmangel. Maßnahmen zur der gesamtwirtschaftlichen Nachfragebelebung würden daher vor allem die Inflation erhöhen. Die Folge wäre eine Stagflation wie in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Notwendig sind aus seiner Sicht Maßnahmen, welche die Unternehmen vor einer Insolvenz bewahren. Sinn tritt daher für Kurzarbeit, Steuererleichterungen und staatliche Bürgschaften ein, die es den Unternehmen ermöglichen, Überbrückungskredite von den Banken zu erhalten. Damit befindet er sich zumindest teilweise auf einer Linie mit der österreichischen Bundesregierung.

Corona ist eine einzigartige Herausforderung für Gesellschaft und Wirtschaft. Unabhängig davon, wie lange die Krise andauert, werden weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft auf absehbare Zeit wieder in einen »Business-as-usual-Modus« wechseln können. Wie die anstehenden langfristigen Veränderungen aussehen werden und welche weiteren Verwerfungen sie mit sich bringen werden, lässt sich aber wohl erst in einigen Jahren abschätzen.

Fazitthema Fazit 161 (April 2020), Foto: Enlarge

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