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Der Handel nach dem Shutdown

| 29. Mai 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 163, Fazitthema

Foto: Adobe Stock

Der stationäre Handel steckte schon vor dem Corona-Shutdown in einer veritablen Krise. Denn während die Onlinegeschäfte seit Jahren zweistellig wuchsen, stagnierten die Umsätze in den Einkaufszentren und Einkaufstraßen. Gewaltige Überkapazität bei den Geschäftsflächen verringerte nicht nur die Gewinnmargen, sondern auch die Konkurrenzfähigkeit des analogen Handels mit dem globalen digitalen Mitbewerb. Durch den Shutdown erkennen nun immer mehr regionale Händler in der Digitalisierung eine neue Chance. Text von Johannes Tandl.

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Ein wichtiger Indikator dafür, ob es dem Handel gut geht, sind die Mietpreise für Geschäftsflächen. Die sind zwar ein streng gehütetes Geheimnis. Doch sowohl Vermieter als auch Mieter in den Einkaufszentren und den Einkaufsstraßen geben zu, dass die Preise seit Jahren sinken. Anders als bei Büro- oder Wohnungsmieten ist für innerstädtische Geschäftslokale die Kundenfrequenz preisbestimmend. Dazu werden die Flächen in vier vom deutschen Marktforschungsunternehmen »Prisma-GFK« definierte Kategorien 1A, 1B, 2A und 2B eigeteilt.

Geschäfte in der teuren 1A-Toplage müssen eine durchschnittliche stündliche Passantenfrequenz von 10.000 bis 15.500 Passanten pro Stunde erreichen. Außerdem muss auch die nahe Umgebung einer 1A-Lage fast überwiegend aus Geschäften bestehen, deren Angebot weit über den täglichen Bedarf hinaus in den Luxusbereich führt. 1A-verträglich sind Kleidung, Schuhe, Mode und Accessoires, Bücher, Geschenkartikel, aber auch Haushaltswaren. Als 1B-Lagen werden die angrenzenden Nebenstraßen bezeichnet. Als 2A- und 2B-Lagen werden gemischte Wohn- und Gewerbegebiete bezeichnet, deren Geschäfte den täglichen Bedarf von der Kleiderreinigung bis zum Supermarkt abdecken.

In Österreich erfüllen nur die Wiener Kärntnerstraße und der Wiener Graben die Kriterien für eine echte 1A-Passantenfrequenz, die Mariahilferstraße liegt mit etwa 8.500 Besuchern pro Stunde bereits deutlich darunter. Zum Vergleich: In der Grazer Herrengasse tummelten sich bei der letzten bekannt gewordenen Zählung zu den Geschäftszeiten stündlich gerade einmal 2.400 Passanten. Wenn ein leer stehendes Herrengassen-Geschäft daher als 1A-Lage angeboten wird, muss diese Einstufung abseits der offiziellen Definition in einem regionalen Kontext gesehen werden; als »beste Grazer Geschäftslage« sozusagen. Ähnliches gilt für Grazer 1B-Lagen, nicht jedoch für 2A- und 2B-Lagen.

Die Mieten in den heimischen Toplagen sinken
In der Grazer Herrengasse ist von Topmieten bis zu 200 Euro je Quadratmeter die Rede. Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl – seiner Familie gehört das Haushaltswarengeschäft Klammerth – bezeichnete jedoch kürzlich Mietpreise von 100 Euro als Obergrenze, zu der Geschäfte kaum mehr ertragreich zu führen seien.

Als Doyen unter den Grazer Innenstadtkaufleuten gilt der Schmuck- und Uhrenhändler Hans Schullin. Im Gespräch mit Fazit sieht auch er die Mietpreise – bedingt durch die hohen Leerstände in den Toplagen – im Sinken. Verantwortlich für die vielen leeren Flächen ist für Schullin der Wildwuchs an Shopping-Centern, »die Graz rundherum im Würgegriff umfassen und wie ein Filter die Kaufkraft schon vor den Toren der Stadt absaugen.« Die Steiermark weist seit Jahren die höchste Dichte an Einkaufszentren pro Einwohner von ganz Österreich auf. Tatsächlich hat die Landesregierung erst kürzlich mit einer Einzelstandortverordnung einen weiteren Versuch unternommen, das raumordnungswidrig errichtete Shoppingcenter Seiersberg als größtes Einkaufszentrum des Landes nachträglich zu legalisieren. Die Stadt Graz hat jahrelang vergeblich gegen die Einkaufszentren angekämpft. Inzwischen hat sie den Einsatz gegen die gewaltigen Kaufkraftabflüsse nach Seiersberg aber weitgehend aufgegeben.

Hans Schullin bedauert, dass es in der Grazer Innenstadt immer weniger echte Flagshipstores gebe, die als innerstädtische Frequenzbringer einspringen könnten. Stattdessen siedelten sich in den Toplagen immer öfter ganz normale Filialen von großen Handelsketten an, die mit ihrem austauschbaren Angebot keinen Anreiz zum Besuch einer Einkaufsstraße aussenden würden. Aus seiner Sicht seien daher authentische Handwerks- und Gewerbebetriebe, die für die Region stehen, unverzichtbar für die Innenstadt. Das habe man etwa in München längst erkannt. Dort vergibt die Stadt ihre eigenen Mietflächen nur mehr an ortsansässige Gewerbebetreibende – noch dazu zu gestützten Mietpreisen.

Für den Grazer Immobilienmakler und -verwalter Heinz Musker gibt es hingegen gar kein Leerstandsproblem, sondern bloß vorrübergehende Verwerfungen zwischen dem Flächenangebot und der Flächennachfrage. Daher werde sich das Problem mittelfristig in Form von sinkenden Mietpreisen selbst aus der Welt schaffen. Musker sieht durchaus eine Bereitschaft der Eigentümer, den Mietern entgegenzukommen. So sei es etwa für die meisten Vermieter selbstverständlich gewesen, die Mieten während des Corona-Shutdowns deutlich zu senken.

Online wächst – stationär stagniert
Die KMU-Forschung Austria untersucht regelmäßig das Käuferverhalten der Über-15-Jährigen. Daraus wird klar, dass das bis zum Shutdown erwirtschaftete konjunkturelle Umsatzplus des Handels fast zur Gänze vom Onlinehandel erwirtschaftet wurde. 2019 wurde bereits jedes siebente Weihnachtspaket online gekauft, meistens bei überregionalen Onlinehändlern wie etwa Amazon. Vom konjunkturbedingten Plus blieb daher weder für den stationären Innenstadthandel noch für die  Einkaufszentren viel übrig.

Mittlerweile kaufen 40 Prozent der Steirer zumindest fallweise auch online ein. Daher führt auch für die stationären Einzelhändler kein Weg mehr an der Digitalisierung vorbei. Und auch Hans Schullin ist davon überzeugt, dass eine gute Internetpräsenz und »Omni-Channel-Konzepte« immer erfolgsentscheidender für den stationären Handel werden. Dass man durchaus auch von der Steiermark aus im internationalen Onlinebusiness erfolgreich sein kann, beweist übrigens das Feldbacher Unternehmen »Nice-shops«, das im Vorjahr mit seinen Webshops 56 Millionen Euro erwirtschaften konnte. Corona hat das Geschäft zusätzlich befeuert. Allein im März konnte der Absatz von 80.000 auf 130.000 Lieferungen gesteigert werden. Weltweit haben aber vor allem internationale Onlinegiganten wie Amazon, Alibaba oder Zalando vom Ausbruch der Pandemie profitiert.

Gefragt sind Konzepte für einen regionalen Onlinehandel
Aber vielleicht verhilft ja die Coronakrise der Digitalisierung des regionalen Handels endlich auf die Sprünge. Sowohl »Kastner & Öhler« wie auch der kleine oststeirische Spielzeughändler »Gungl« konnten einen wichtigen Teil ihrer Shutdown-Verluste durch gestiegene Onlineumsätze kompensieren. Voraussetzung dafür ist aber ein perfekt funktionierender Webshop. Die Mindeststandards für das Onlineeinkaufserlebnis wurden von Amazon schon vor Jahren definiert. Wer neu im Onlinemarkt Fuß fassen will, muss daher einen »einzigartigen Wettbewerbsvorteil« bieten, den Amazon nicht bieten kann. Sei es beim Design, wie etwa beim Onlinestore von Klammerth, oder durch einen gesteigerten Shoppingpatriotismus. Ein scheint tatsächlich einen Megatrend in Richtung Regionalisierung zu geben, von dem auch heimische Onlinehändler profitieren könnten.

Vor der Coronakrise war es nur mehr eine Frage der Zeit, wie lange die Post ihr Österreich-Handelsportal »Shöpping.at« noch mitziehen wird. Von Branchenkennern wurde es bereits als Megaflop bezeichnet. Nun steht mit Shöpping auf einmal eine regionale Alternative zu Amazon zur Verfügung, bei der die Wertschöpfung in Österreich bleibt. Die Post hat die strategische Chance der Krise erkannt und bietet Shöpping.at inzwischen als Möglichkeit an, ohne schlechtes Gewissen online einzukaufen.

Der Boom des Onlinehandels eröffnet auch für Markenhersteller neue Chancen, die Kontrolle über ihre Absatzwege zurückzugewinnen. Denn sowohl der klassische Einzelhandel als auch der internationale Onlinehandel setzten den Markenartiklern zuletzt gewaltig zu. Die Kaufhausketten weichen nämlich immer öfter auf ihre Eigenmarken aus. Die Industrie setzt daher immer öfter darauf, ihre Produkte unter Umgehung des Handels direkt an die Endkunden zu liefern. In den USA betätigt sich etwa Amazon schon heute als Absatzkanal für Hersteller, die ihre Endkunden direkt beliefern wollen.

Durch die Corona-Pandemie werden die Chancen im Einzelhandel völlig neu verteilt. Und schon jetzt zeichnet sich ab, dass Umsatzzuwächse vor allem über das Onlinegeschäft zu erzielen sein werden. Der Megatrend zu mehr Regionalisierung eröffnet gleichzeitig bessere Chancen für authentische regionale Anbieter. Im Foodbereich kann es sich keine einzige Handelskette mehr leisten, auf die Betonung ihres regionalen Angebots zu verzichten. Im Nonfoodbereich könnten sich auch für den stationäre Fachhändler, die auf regionale Angebote setzen, neue Chancen auftun.

Fazitthema Fazit 162/163 (Juni 2020), Foto: Adobe Stock

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