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Politicks Juni 2020

| 29. Mai 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 163, Politicks

Wienwahl – SPÖ punktet mit Gutscheinwahlkampf
Zuerst ließ der Wiener Bürgermeister Taxigutscheine verteilen, jetzt erhalten alle 950.000 Wiener Haushalte Gastrogutscheine. Bürgermeister Michael Ludwig begründet die populistische Aktion damit, dass die Gastronomie besonders von der Coronakrise betroffen sei. Und zwar nicht nur unmittelbar durch die Umsatzausfälle während des Shutdowns, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auch langfristig durch das Ausbleiben der Touristen.

»Die Gutscheinaktion zeigt, wir kämpfen um jeden Betrieb und um jeden Arbeitsplatz«, erklärte Ludwig bei der Präsentation, die er gemeinsam mit dem Wiener Wirtschaftskammerchef und ÖVP-Wirtschaftsbundobmann Walter Ruck vornahm. Durch die Einbindung von Ruck unterband Ludwig auch Querschüsse der Wiener ÖVP.

Alle Wiener Einpersonenhaushalte erhalten einen 25-Euro-Gutschein, die Mehrpersonenhaushalte einen 50-Euro-Gutschein. Die Gutscheine können bei allen 6.500 Wiener Gastronomiebetrieben bis Ende September eingelöst werden. Damit werden bis zur Gemeinderatswahl am 11. Oktober die meisten Wähler auf Kosten der Stadt essen gegangen sein. Und die Wirte dürfen sich über einen Umsatz von 30 Millionen Euro freuen. Das sind immerhin fast zwei Prozent des Jahresumsatzes von 1,4 Milliarden Euro, den die Wiener Gastronomie erwirtschaftet. Eine echte Kritik an der Gutscheinaktion kam eigentlich nur von den Neos, deren Wirtschaftssprecher darin nur populistische SPÖ-Wahlzuckerl erkennt.

Gastrogutscheine als Blaupause für eine punktgenaue Konjunkturbelebung?
Natürlich gelten Gutscheinverteilungen – noch dazu im Vorwahlkampf – zu Recht als populistischer Stimmenkauf. Doch aus ökonomischer Sicht ist eine differenziertere Betrachtung angebracht. Bürgermeister Ludwig hat mit seinen Gastrogutscheinen nämlich eine treffsichere Maßnahme zur Belebung der Wiener Gastroszene gesetzt.

Damit liefert die Stadt Wien eine Blaupause für die dringend notwendigen punktgenauen Konjunkturbelebungsmaßnahmen. Denn die Haushalte können ihren Gutschein natürlich nur für den Konsum in jener Branche nutzen, in der er gültig ist. Flächendeckende Gastrogutscheine beleben daher gezielt die Gastronomie, Kinogutscheine wirken auf die Kinos, Gratis-Öffitickets auf die Verkehrsbetriebe und Hotelgutscheine für einen Urlaub in Österreich auf den Tourismus. Und natürlich bleibt den Haushalten dadurch auch mehr Geld für alle anderen Konsumausgaben übrig. So profitieren letztlich auch alle anderen Branchen von den Gastrogutscheinen der Stadt Wien.

Weltweit denken Ökonomen über »Helikoptergeld« nach
Rund um den Globus haben zahlreiche Ökonomen den Shutdown zum Anlass genommen, um das Konzept des »Helikoptergelds« aus den Schubladen zu ziehen. Dabei geht es darum, allen Bürgern einen gewissen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen und darauf zu hoffen, dass die damit die Wirtschaft beleben. Der Begriff »Helikoptergeld« geht auf ein Gedankenexperiment des amerikanischen Monetaristen Milton Friedman – eigentlich der neoliberale Gottseibeiuns aller linken Ökonomen – aus dem Jahr 1969 zurück. Doch Friedman wollte mit seinem Experiment eigentlich nur beweisen, dass diese Art der Geldmengenausweitung keine konjunkturbelebenden Effekte hat, sondern ohne Nachfragewirkung bloß die Inflation befeuert.

Seit der Finanzmarktkrise wird dennoch weltweit über Helikoptergeld als Alternative zum seit 2010 betriebenen »Quantitative Easing« der Notenbanken nachgedacht. Damit ist die ultralockere Geldpolitik der letzten Jahre gemeint. Diese hat zwar bewirkt, dass sich die Verkehrsbanken gratis bei der EZB mit frischem Geld, das zur Weitergabe als Kredit an die Bankkunden gedacht war, versorgen konnten. Wegen der als Folge der Bankenkrise EU-weit verschärften Kreditregularien und Eigenmittelvorschriften konnten die Banken die entsprechenden EZB-Angebote aber nur im erforderlichen Ausmaß nützen. Daher ist die konjunkturbelebende Wirkung des Quantitative Easing auf die Konsum- und Investitionsnachfrage weit unter den Erwartungen geblieben. Davon profitiert haben vor allem die Immobilienwirtschaft und der Aktienmarkt. Weil das Zinsniveau weit unter die Inflationsrate gesenkt wurde, sind viele Sparer, die ein Abschmelzen ihrer Guthaben verhindern wollten, in Immobilien- und Aktienwerte ausgewichen. Und natürlich gehören auch alle Schuldnerstaaten und jene Unternehmen, die die letzten Jahre nur wegen der extrem niedrigen Zinsen überstehen konnten, zu den Gewinnern der EZB-Politik.

Im Gegensatz zum Quantitative Easing vergibt die EZB beim Helikoptergeld keine Kredite an Banken, sondern sie verteilt das Geld direkt an die Konsumenten. Daher gehen die Befürworter davon aus, dass es den Konsum tatsächlich belebt.  So halten etwa die Ökonomen der »Deutschen Bank« das Helikoptergeld für ein wirksames Mittel bei Rezession und Deflation. Trotz der rechtlichen Schranken sehen sie einfach überwindbare Hintertüren für dessen Verteilung. Die EZB könnte etwa extrem langfristige Nullzinsanleihen an die Eurostaaten oder an die Europäische Investitionsbank vergeben, um so öffentliche Investitionen oder andere Konjunkturbelebungsmaßnahmen – wie etwa die Wiener Gastrogutscheine – zu finanzieren. Sogar direkte Geldtransfers an die Bürger und Unternehmen seien laut Deutscher Bank denkbar.

Ohne Italien und Spanien stirbt der Binnenmarkt
Auch ein »Helikoptergeld«-Vorschlag aus Spanien sorgt für Aufsehen. Dort schlagen Ökonomen tatsächlich eine »ewige Corona-Anleihe« in Höhe von 1.500 Milliarden Euro vor, die von allen Eurostaaten gemeinsam gezeichnet werden soll, um danach von der EZB im Rahmen ihres Anleihekaufprogramms zur Gänze zurückgekauft zu werden. Die Euro-Staaten müssten die »ewige Anleihe« also niemals bedienen. Vorbilder gibt es schon. Und zwar sowohl von der US-Notenbank als auch von der »Bank of England«.

Im Euroraum käme die »ewige Anleihe« einer Geldmengenausweitung (M2) von 12.500 Milliarden Euro auf 14.000 Milliarden Euro gleich. Die zusätzliche Inflation würde daher etwa zwölf Prozent betragen. Die Finanzierung des Corona-Shutdowns würde so auf sämtliche Konsumenten und Unternehmen des Euroraums abgewälzt werden, aber natürlich die globale Wettbewerbsfähigkeit der der EU-Wirtschaft beeinträchtigen.

Der aktuelle Krisenfinanzierungsvorschlag von Angela Merkel und Emanuel Macron sieht übrigens Eurobonds im Ausmaß von 500 Milliarden Euro vor. Im Vergleich zur spanischen Idee ist er zwar wesentlich konservativer, aber einfacher durchsetzbar. Trotzdem wird er – noch – von Österreich, den Niederlanden und einigen anderen EU-Staaten – abgelehnt. Dabei müsste jedem logisch denkenden Politiker klar sein, dass Italien, Spanien oder Frankreich und Griechenland diesmal wegen ihrer extrem hohen Schulden aus der Vergangenheit nicht die geringste Chance haben, ihrer Wirtschaft aus eigener Kraft neues Leben einzuhauchen. Ohne den Süden stirbt auch der für unseren Wohlstand unverzichtbare EU-Binnenmarkt. Über das EZB-Anleihenkaufprogramm ist die Geldmenge im Euroraum schon seit der Finanzkrise jährlich deutlich stärker gewachsen als die Eurozonenwirtschaft. Bisher hat aber nur der europäische Süden über das Anleihenkaufprogramm von dieser Form der EZB-Politik direkt profitieren können, während den Menschen im Norden vor allem die zusätzliche Inflation, die sie mitzahlen mussten, geblieben ist. Vielleicht sollte man jenen biederen Politikern, die die EU-Wirtschaft nach dem Prinzip der »schwäbischen Hausfrau« steuern wollen, endlich klar machen, dass es vielleicht besser wäre, eine Party nicht nur mitzubezahlen, sondern auch mitzufeiern.

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Politicks, Fazit 162/163 (Juni 2020)

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