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Politicks August 2020

| 4. August 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 165, Politicks

Die »Frugalen Vier« sind gut für Europa
 »Natürlich wird man in den Zeitungen weniger kritisiert, wenn man sagt: danke Deutschland, danke Frankreich, wohin dürfen wir überweisen?« Mit diesen Worten kommentierte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Tag nach dem EU-Gipfel im ZIB-2-Interview die Vorwürfe des gewohnt polarisierenden Moderators, Österreich hätte sich mit dem EU-Gipfel international isoliert. Tatsächlich wurde das Verhalten der »Frugal Four« (Sparsame Vier) nicht nur in so gut wie allen deutschen Mainstream-Medien hart kritisiert, sondern auch in Frankreich, Italien und vielen anderen EU-Ländern. Der erste wirklich wichtige EU-Gipfel seit dem Brexit-Votum brachte mehrere Überraschungen. Die erste gab es bereits vor einigen Wochen, als sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den Forderungen von Emanuel Macron anschloss, den EU-Staaten 500 Milliarden Euro zur Bewältigung der Corona-Folgen zur Verfügung zu stellen.

Und zwar mit Geld, das von den EU-Staaten gemeinsam aufgenommen wird und der Kommission zur Verteilung überlassen werden sollte. Obwohl im Macron-Vorschlag keine solidarische, sondern bloß eine aliquote Haftung der Mitgliedsstaaten vorgesehen war, stellte die Zustimmung Deutschlands einen Tabubruch dar. Erstmals hat Deutschland gegen die fest in den EU-Verträgen verankerte Nichtbeistandsklausel bei der jeweiligen Staatsverschuldung verstoßen. Mit Großbritannien in der EU wäre das völlig undenkbar gewesen. Die zweite Überraschung war, dass sich die Gruppe der »Frugalen Vier«, anders als etwa die Visegrad-Gruppe, weder weichkochen noch auseinanderdividieren ließ. Das und nicht das womöglich tatsächlich provozierende Verhalten von Sebastian Kurz war der Grund dafür, dass Emanuel Macron während des aufreibenden Gipfels zeitweilig die Nerven verlor.

Der französische Präsident musste nämlich erleben, wie die Chance, erstmals ohne Querschüsse der ungeliebten Briten, mit Deutschland gemeinsame Sache zu machen, verstrich. Die aus seiner Sicht »Geizigen Vier« spielten einfach nicht mit. Zum Unmut vieler deutscher Kommentatoren wurde die deutsch-französische Einigung deutlich abgeändert. Daher wurde viel darüber geschrieben, wie schädlich das Verhalten von Holland, Österreich, Dänemark, Schweden und zuletzt auch noch Finnland beim EU-Gipfel gewesen sei. Doch in einigen Hauptstädten beginnt man sich bereits über die harte Haltung von Sebastian Kurz und Mark Rutte zu freuen. Denn statt sich ständig den nationalen Zielen von Deutschland und Frankreich unterordnen zu müssen, entsteht gerade eine neue Perspektive. Ein Europa, in dem nicht nur 150 Millionen Deutsche und Franzosen den Ton angeben.

Selbst wenn die Beschlussfassung seit diesem Gipfel nie mehr so einfach sein wird, wie sie einmal war, ist Europa um ein Stück demokratischer geworden. Und selbst wenn der in Brüssel zustande gekommene Kompromiss mit Zuschüssen von 390 Milliarden immer noch klar gegen die Nichtbeistandsklausel als Kernstück des innereuropäischen Wettbewerbs verstößt, waren die Tage, an denen der Gipfel stattfand, nicht die schlechtesten für Europa.

Sozialhilfe Neu: Viel hat der Verfassungsgerichtshof nicht übriggelassen
»Jemand, der jeden Tag aufsteht, Tag für Tag für sein Einkommen arbeitet, Steuern zahlt und damit das System erhält, muss mehr bekommen als jemand, der nicht arbeiten geht!« Mit dieser knackigen Formulierung begründete Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) das Bundesgesetz zur Reform der Mindestsicherung. Doch übrig geblieben ist statt einer Reform nur eine kosmetische Anpassung. Von der wesentlichsten Änderung, die Bindung der Sozialhilfe an die Integrationsbereitschaft, ist gar nichts geblieben. Sie war handwerklich nämlich so schlecht gemacht, dass den Verfassungsrichtern gar keine andere Wahl blieb, als die Bestimmungen aufzuheben.

Natürlich sah sich die SPÖ mit dem VfGH-Erkenntnis darin bestätigt, dass das türkisblaue Grundsatzgesetz zur Mindestsicherung von einer chauvinistischen »Unser-Geld-für-unsere-Leut’-Politik« motiviert war. Denn daran, dass der Abstand zwischen der Mindestsicherung und einem Vollerwerbseinkommen im Niedriglohnsektor viel zu gering ist, hätte das türkisblaue Grundsatzgesetz ja gar nichts geändert. Eine kluge Reform der Mindestsicherung, die sowohl den in eine Notlage Geratenen ein Auskommen in Würde ermöglicht, als auch den Anreiz zum Missbrauch senkt, ist daher immer noch überfällig. Inzwischen haben sich zumindest die Landesgesetzgeber mit dem, was vom Grundsatzgesetz des Bundes übrig blieb, arrangiert und darauf ihre eigenen Sozialhilfegesetze entweder bereits beschlossen oder, wie die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ), in die Begutachtung geschickt.

Steirisches Sozialhilfegesetz: Sowohl Verschärfungen als auch Verbesserungen
Derzeit gibt es, so Kampus, in der Steiermark etwa 16.000 Menschen in der Mindestsicherung bzw. »Sozialhilfe Neu«. Aufgrund der Corona-Wirtschaftskrise ist in den nächsten Monaten mit einem deutlichen Anstieg zu rechnen. Die Soziallandesrätin hat den mit der ÖVP ausgehandelten Gesetzesentwurf vor wenigen Tagen präsentiert. Obwohl auch das steirische Gesetz Verschlechterungen wie etwa bei der Wohnunterstützung vorsieht, ist es wesentlich weniger scharf als die bereits beschlossenen Gesetze von Ober- und Niederösterreich, bei denen die Kannbestimmungen des Bundes eher zu Ungunsten der Sozialhilfebezieher ausgelegt wurden, während die steirische VP-SP-Koalition den bundesgesetzlichen Spielraumes wesentlich toleranter auslegt.

In Zukunft wird es die Wohnbeihilfe nur mehr zusätzlich zur Mindestsicherung geben, wenn mehr als 40 Prozent des Mindestsicherungseinkommens für das Wohnen ausgegeben wird. Betroffen sind die Mitglieder von Wohn- und Bedarfsgemeinschaften, wie sie gerade bei relativ kurz bei uns lebenden Migranten und Asylberechtigten besonders häufig vorzufinden sind. Für Alleinerziehende sieht das neue steirische Gesetz hingegen Verbesserungen in Form von Zuschlägen vor. Außerdem gibt es ein Bonus für Behinderte, die nicht vom Behindertenhilfegesetz erfasst sind und Anspruch auf Sozialhilfe haben.

Corona – Die Industrie fährt auf Sicht
Wie hart die steirische Industrie – der mit Abstand wichtigste Wirtschaftsbereich des Landes – im zweiten Quartal von der der Corona-Pandemie getroffen wurde, zeigt die regelmäßig stattfindende Konjunkturbefragung der Industriellenvereinigung. 52 der Unternehmen meldeten im Juni eine schlechte Geschäftslage und 46 Prozent schwache Auftragsbestände. Trotzdem geht es bereits wieder bergauf. IV-Steiermark-Geschäftsführer Gernot Pagger leitet aus den Daten ab, dass der Höhepunkt der Krise bereits hinter uns liegt. Er sieht jedoch große Unwägbarkeiten durch die ungewisse weltwirtschaftliche Lage und die kaum vorhersehbare weitere Entwicklung der Pandemie.

Vor diesem Hintergrund bleibt der Arbeitsmarkt extrem angespannt. Daher wird auch die Kurzarbeit verlängert werden müssen. Für Pagger ist dennoch klar, dass nur jene Unternehmen die Kurzarbeit verlängern werden, die an eine absehbare Verbesserung der Lage glauben. Damit das möglichst viele sind, müssen jedoch die Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Industrie fordert daher nicht nur die rasche Bekanntgabe der Kurzarbeitsregeln der nächsten Verlängerung, sondern auch, die Kurzarbeit für Qualifizierungsmaßnahmen zu nützen.

SPÖ fordert Arbeitszeitverkürzung
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner will den Übergang von der Kurz- zur Normalarbeit mit einer generellen Arbeitszeitverkürzung verbinden. Denn derzeit gebe es Menschen, die nicht arbeiten dürfen, während andere zu viel arbeiten müssten. Daher will die SPÖ die Arbeitszeit bei weitgehend vollem Lohnausgleich auf vier Tage pro Woche verkürzen. Am Anfang solle das AMS für den Großteil des Lohnausgleichs in die Bresche springen, danach müssten die Unternehmen die Kosten tragen.

Dabei ist die Viertagewoche vor allem im Baubereich ohnehin längst Realität. Dort funktioniert das allerdings ohne Arbeitszeitverkürzung. Die wöchentliche Normalarbeitszeit wird einfach auf vier statt auf fünf Tage aufgeteilt. Der Freitag wird eingearbeitet und kann für verlängerte Wochenenden oder für den Finanzminister eher abträgliche private Beschäftigungsformen genutzt werden. Die Wirtschaft erteilt einer Arbeitszeitverkürzung natürlich eine klare Absage. Belastungen und Verteuerungen wie die Viertagewoche oder eine sechste Urlaubswoche könnten sich die Unternehmen derzeit nicht leisten. Es könne daher gar keinen schlechteren Zeitpunkt geben, um die Arbeit teurer zu machen. Außerdem führe die Pandemie weltweit dazu, dass sich gerade jetzt viele globale Wertschöpfungsketten verschieben. Attraktive Investitionsstandorte könnten sich gerade jetzt Vorteile für die kommenden Jahre und Jahrzehnte verschaffen.

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Politicks, Fazit 165 (August 2020)

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