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Coronales. Allzucoronales

| 24. Dezember 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 169, Kunst und Kultur

Fotos: siehe Artikel

Als aufgeschlossene Konsumenten öffentlich rechtlicher Informationen wissen wir: »Wir sind alle gefordert, passen aufeinander auf und stehen an einer Wegkreuzung.« Der Kulturbetrieb ist davon nicht ausgenommen.

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Eine kleine Umfrage zum Status quo in Wien und Graz über mögliche Strategien bringt ein wenig Licht ins vorweihnachtliche Dunkel einer weitgehend veranstaltungslosen Zeit. Denn im Hintergrund wird natürlich fleißig weitergewerkt. Wir fragen die Szene nach ihrem momentanen Arbeitsalltag und den aktuellen Entscheidungsfindungsprozessen. Welche Projekte werden angesetzt und wie sieht die Vorbereitung für 2021 aus? Werden aktuell überhaupt (große) »Entscheidungen« getroffen?

Dies alles natürlich auch hinsichtlich eines möglichen dritten oder vierten Lockdowns. Und welche Veranstaltungen, welche Kooperationen lassen sich für die nächste Zeit generell planen? Hat es Sinn, Szenerien und Planspiele überhaupt durchzudenken? Und außerdem bzw. obendrein: Fühlt man sich von der Politik ernst genommen? Fragen über Fragen, dazu im folgenden ein paar Antworten einiger großer Player.

Werner Schrempf, La Strada (Graz)
Seit Beginn des neuerlichen Lockdowns arbeitet unser Team wieder im Home Office und wir kommunizieren hauptsächlich über Telefon und Bildschirm. Ein sehr großer Teil unserer gegenwärtigen Aufgaben liegt im Bereich der Konzeption unserer Kulturprojekte, im wachsamen Beobachten der täglichen Entwicklungen und im Agieren und Reagieren auf die steten Veränderungen. In Abstimmung mit unseren Partnern und den Künstlern setzen wir all unsere Kraft darin, in Bewegung zu bleiben und dem Stillstand keine Chance zu bieten. Unser Festival für Neuen Zirkus »Cirque Noël« haben wir zwar von der Weihnachtszeit in die Semesterferien verschoben – gleichzeitig arbeiten aber zwei heimische Künstler an einer neuen Produktion hierfür und so bleibt alles im Fluss. Auch an den Planungen für La Strada im kommenden Sommer arbeiten wir sehr konzentriert und voll Zuversicht und sind froh, auf die Erfahrungen aus dem diesjährigen, sehr speziellen Festivaljahr zurückgreifen zu können. Bisher haben uns unsere langjährigen Partner den Rücken gestärkt und die allermeisten Vereinbarungen haben gehalten. Dem gegenüber steht aber die Tatsache, dass in so einem Jahr Aufwendungen auf uns zukommen, mit denen bei Budgeterstellung noch keiner rechnen konnte. So sind zum Beispiel die Sicherheitsmaßnahmen im Vorfeld und auch vor Ort sehr kostenintensiv. Kurzfristig haben natürlich die Unterstützungsmaßnahmen der Regierung geholfen, länger- und mittelfristig sind die finanziellen Belastungen der Zukunft für unsere Branche schwer abschätzbar und wir alle stehen vor Herausforderungen, deren Auswirkungen wir nur erahnen können.

Auch der Schirm, der zur Abfederung in finanzieller Hinsicht aufgespannt wurde, und die Flexibilität in formalen Fragen sind durchaus positiv zu betrachten. Die Kritik am Ranking von Kunst und Kultur, wenn es um das Öffnen und Schließen geht, scheint dennoch angebracht. Dem Lob von Seiten der Politik an die wohldurchdachten Sicherheitskonzepte der Kulturinstitutionen könnten mehr Taten folgen. Wichtig und notwendig ist es nun jedenfalls, Tacheles zu reden, wenn es um zeitliche Dimensionen geht – das Planen und Proben ins Blaue wird die Kulturszene zusehends erschöpfen.

Steirischer Herbst (Graz)
Wir sind mit dem Jahresabschluss, der Nachbereitung und der Pflege der »Paranoia TV«-App und -Webseite beschäftigt, die noch bis 31.12.2020 online ist. Gleichzeitig gibt es natürlich intensive Überlegungen zum Jahr 2021. Wir beobachten die Lage und definieren verschiedene Szenarien, wie auch bereits in 2020. Bei Projekten liegt der Fokus darauf, ebenfalls eine Dimension zu haben, die über den lokalen, physischen Kontext hinaus geht, um auch Interessierte, die nicht vor Ort sein können, zu erreichen. Der steirische herbst ist mit mehrjährigen Förderungen von Stadt und Land bis zu einem bestimmten Punkt planungssicher. Die jährlich angesuchte Bundesförderung ist für 2021 bereits gesichert. Natürlich ist die Lage im Sektor der Sponsoren verständlicherweise unsicher, viele Unternehmen kämpfen ums Überleben. Es wird viel Zeit und Energie in die internationale Projektförderung investiert. Sowohl zum Land Steiermark und der Stadt Graz als Eigentümer als auch zum Bund als Förderer besteht eine hervorragende Gesprächsbasis. Es gibt immer die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen, die Leitungen sind in beide Richtungen offen und unbürokratisch geregelt. Es sollte überdacht werden und zwar global, die Kunst mit dem Unterhaltungssektor gleichzusetzen, nicht nur inhaltlich ist das schief, es ist auch organisatorisch ein großer Unterschied. Eine Differenzierung könnte zu einer deutlichen Entspannung in der Kulturlandschaft führen. Die Kunst nicht als systemrelevant zu definieren, ist ein trauriges und gefährliches Phänomen weltweit.

Filmfestival Diagonale (Graz)
Eine der Besonderheiten des heurigen Jahres ist, dass das Film- und Festivaljahr 2020 nahtlos ins Jahr 2021 übergeht beziehungsweise damit regelrecht verschwimmt. Anstelle des abgesagten Festivals organisierte die Diagonale zwischen den bisherigen beiden Lockdownphasen mehrere Onlinefilmreihen, Gastspiele bei steirischen Sommerkinoveranstaltungen, eine umfangreiche Diagonale-Tour durch die Bundesländer sowie ein Gastprogramm bei Österreichs größtem Filmfestival, der Viennale in Wien. Budgets können nicht im klassischen Zeitrahmen abgeschlossen werden und der Arbeitsrhythmus zwischen den zwei Festivaleditionen gerät gehörig  durcheinander. Das betrifft im Übrigen auch unser Gegenüber – seien es Künstler, Techniker oder aber Fördergeber, Politiker oder die Hotellerie und die Tourismusbranche. Die Diagonale ’21 wird als Präsenzfestival geplant. Sie soll zwischen 16. und 21. März in Graz stattfinden. Derzeit erarbeiten wir – auch in Absprache mit anderen österreichischen Frühjahrsfestivals – ein strenges Covid-19-Sicherheitskonzept, das Gästen und Besuchern einen möglichst angenehmen Festivalbesuch ermöglicht. Zusammengefasst planen wir die Diagonale ’21 derzeit als modulares Festival, wobei je nach Covid-19-Lage einzelne Programmpunkte hinzu- oder wegkommen, beziehungsweise schnell und möglichst flexibel adaptiert werden können. Wir sind sehr froh und dankbar, dass die Diagonale mit vielen Finanzierungspartnern teils schon seit Jahren zusammenarbeiten darf. Der Austausch hat sich so gesehen in diesem Krisenjahr noch intensiviert. Generell lässt sich Folgendes festhalten: Wie in vielen Bereichen ist auch im Kulturbereich das heurige Covid-19-Jahr eines, aus dem wir mit einem blauen Auge hinausgehen, 2021 und auch 2022 werden für das Festival sowie die Film- und Kinobranche insgesamt die wirklichen Herausforderungen – und letztlich Weichenstellungen. Wir haben eine sehr gute Gesprächsbasis zur Politik, die von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung getragen ist. Nach der Absage im März und bei der Entwicklung des heurigen Ganzjahresprogramms konnten wir auf die Unterstützung sowohl durch den Bund als auch die Stadt Graz und das Land Steiermark setzen. Die Covid-19-Krise hat den Kulturbetrieb gewissermaßen bis zur Unkenntlichkeit entstellt und strukturelle Probleme sichtbar gemacht, die bereits zuvor bestanden. Zugegeben polemisch und etwas überspitzt formuliert könnte man zu dem Schluss kommen, dass der zuletzt wieder vielfach gebrauchte Begriff der Kulturnation kaum mehr als eine Phrase ist.

Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina (Wien)
Die Entscheidung, die Museen wieder zu öffnen, ist meiner Meinung nach richtig und ich bin glücklich darüber, da es doch viele Menschen gibt, denen die Kultur tatsächlich in diesen Tagen und Zeiten sehr fehlt. Ich fühle mich bestätigt, was die Einschätzung der Sicherheit in Museen betrifft: Auf der einen Seite gibt es viele Museen, die auf tausenden Quadratmetern doch mit einer überschaubaren Anzahl an Besuchern zu Rande kommen müssen und daher den nötigen hygienischen Abstand garantieren können. Auf der anderen Seite sind große moderne Museen wie die Albertina und die Albertina Modern, mit einer Klimaanlage ausgestattet, die Luftaustausch-Kapazitäten hat, wie sie üblicherweise in geschlossenen Veranstaltungsräumen für Theater oder Kabaretts in der Form nicht zur Verfügung stehen. Ich begrüße daher die Museumsöffnung und hoffe zutiefst, dass wir nicht ein weiteres Mal unsere Pforten für die Besucherinnen und Besucher schließen müssen.

Wolfgang Lamprecht, Bank Austria Kunstforum und Lehrbeauftragter an  der Universität Wien
Die Herausforderung von Kunstvermittlung besteht im Allgemeinen darin, als Angebot zunehmend im Mitbewerb mit anderen Freizeitangeboten reüssieren zu müssen. Digitale Kunstvermittlung hat zudem die Aufgabe zu meistern, im Wettbewerb mit professionellen Digitalangeboten der Medien- und Entertainmentindustrie zu stehen. Die Lösung kann hier nur in der Vermittlung von inhaltlicher Qualität, verbunden mit der Möglichkeit zur aktiven Teilhabe des Publikums gefunden werden. Gleichzeitig muss digitaler Content – und auf den einschlägigen Erfahrungen der Medienbranche dürfen wir jetzt aufbauen – etwas kosten dürfen. Mit cultour.digital hat das Bank Austria Kunstforum Wien einen engagierten und hochprofessionellen Partner gefunden, der uns dabei hilft, digitale Vermittlung auf einem Niveau weiter zu entwickeln, das offenbar einzigartig ist. Gemeinsam wollen wir das Postulat des Kunst- und Medientheoretikers Peter Weibels aufgreifen: Besser sein als Netflix! Das heißt didaktisch auch, dokumentarisch in Serien, Staffeln und Folgen denken. Natürlich müssen auch wir einen Umsatzentgang verkraften. Die von der Regierung aufgelegten Programme sind da sicherlich hilfreich und wir nehmen sie ebenso dankbar an wie die ungebrochene Unterstützungsbereitschaft unserer Sponsoren UniCredit Bank Austria, Signa, Amundi und Ergo. Wir wissen aber auch, dass wir damit privilegiert sind und unsere Situation nicht auf andere Kulturunternehmen, -projekte, -initiativen (wie etwa die Clubkultur) oder gar viele Künstlerinnen und Künstler umlegbar ist. Abgesehen von nachhaltigen, kulturökonomischen Implikationen die Zukunft betreffend wird damit auch eine Entsolidarisierung der gesamten Kulturbranche in Kauf genommen. Das kommt daher, dass Kultur von der Kulturpolitik – im Gegensatz zu Waffengeschäften – nicht als systemrelevant erachtet wird. Das erachte ich für den größten Fehler. Kultur ist einfach kein Freizeitbetrieb wie eine Paintballanlage. Ich behaupte vielmehr: Für eine Gesellschaft auch wichtiger als Skilifte.

Stella Rollig, Generaldirektorin Belvedere (Wien)
Das Belvedere hat viele Krisen überstanden, es wird auch diese überleben. Es ist ein Orientierungspunkt in einer unübersichtlichen Gegenwart. Es gibt Halt als historische Konstante, als Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Kunst ist Grundlage einer freien Gesellschaft und für alle in gleichem Maße da – das Belvedere arbeitet stetig an der Öffnung in alle Richtungen.

Alles Kultur, Fazit 169 (Jänner 2021), Fotos: Nikola Milatovic, Marija Kanizaj, Clara Wildberger, Heribert Corn, Julia Stix, Jürgen Hammerschmid, Marlene Rahmann

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