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Krebs kennt keinen Lockdown

| 24. Dezember 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 169, Fazitbegegnung

Foto: Heimo Binder

Mit Männern ist das so eine Sache. Beim Reden. Über Krebs. Insbesondere der häufigsten Art, dem Prostatakrebs. Bei Frauen ist das anders. Die können das besser und ersparen sich zumindest viel einsame Grübelei. – So eine von vielen Erfahrungen, die Christian Scherer im Laufe von 28 Jahren als Geschäftsführer der Krebshilfe Steiermark gemacht hat.

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Der unabhängige und von keinerlei Fördergeldern subventionierte Verein mit honorigem ehrenamtlichem Vorstand ist ein wichtiger Anker für jene, die aus dem Versorgungssystem herausfallen oder die nach einer Krebsdiagnose das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr zu sehen vermögen. Hier werden außerhalb des Krankenhauses sowohl Krebspatienten wie auch nahe Angehörige beraten, begleitet und betreut, was der Erfahrung geschuldet ist, dass die Patienten und ihre Familien oft mehr brauchen, als die reine medizinische Therapie.

Christian Scherer: »Krebspatienten haben meist wenig Erinnerung an das erste Aufklärungsgespräch, sie wird überlagert von den sehr starken Emotionen, hier leistet die Krebshilfe Aufklärungs- und Übersetzungsarbeit.«

In weiterer Folge wird die unentgeltliche Servicearbeit des Vereins hochkomplex, wenn bei den Betroffenen etwa wirtschaftliche Folgen drohen, soziale Netze reißen, Ehen auseinandergehen, sich die Frage stellt, was mit den Kindern geschehen soll und der Betroffenheitsradius unendlich groß zu werden droht. So ist etwa die Komorbidität, die Miterkrankung der Angehörigen als »heimlich Betroffene« stark unterschätzt. »Der Angehörige bricht unter seinem immer schwerer werdenden Rucksack häufiger ausgebrannt zusammen als der Patient«, musste Scherer erfahren. Um ganze Familien wieder aufzufangen, werden sogenannte psycho-onkologische Interventionen notwendig.

Auch hier ist die Krebshilfe mit einem Team von 14 Personen zur Stelle, allesamt hochqualifizierte Fachleute wie Klinische und Gesundheitpsychologen, Psychotherapeuten, diplomierte Krankenpfleger und Pflegewissenschaftler sowie Sozialarbeiter und Diätologen. Die gesamte Mannschaft, inklusive Verwaltung und Fundraising, Fuhrpark, Miete und Strom kommt mit einem Jahresbudget von 750.000 Euro aus, das zu hundert Prozent spendenfinanziert ist. Ohne Netz. Im »besonderen« Jahr 2020 geht es sich aber nicht aus.
Fast alle Fundraising- und Charityveranstaltungen mussten abgesagt werden, Corona hat für einen Einbruch von einem Drittel der Spenden gesorgt, 250.000 Euro fehlen. – Gehen uns diese Sorgenfalten nicht alle etwas an? Und nicht nur jene 45.000 Steirer und Steirerinnen, die zur Zeit an Krebs erkrankt sind? »Wobei die Tendenz stark steigend ist«, erläutert Christian Scherer, »und das ist eine sehr gute Nachricht«. Warum? »Weil Krebspatienten früher zumeist sehr rasch verstorben sind, während sie heute aufgrund der höheren Behandlungsqualität auch ungleich höhere Rehabilitationsmöglichkeiten haben.«

Dass der Geschäftführer der steirischen Krebshilfe ausgerechnet diesen Job macht, hat mehrere Hintergründe. Da wäre einmal ein halbes Medizinstudium, dann die Mitarbeit bei einer Zeitung und einer Werbeagentur und die Suche der damaligen »Steirischen Krebsgesellschaft« nach einem Geschäftsführer, der etwas von Medizin, von Medien und Öffentlichkeitsarbeit sowie Management versteht. Und der aus einer fast reinen Forschungsgesellschaft eine Serviceorganisation entwickelt.

Was zu beweisen war, Operation gelungen. Und natürlich: Patient lebt und leistet seit vielen Jahren äußerst wertvolle Arbeit – wenn er auch zur Zeit selbst ein paar »Infusionen« nötig hätte. Übrigens, die Krebshilfe hat das österreichische Spendengütesiegel: Nur maximal zehn Prozent der Spenden darf in die Struktur der Organisation fließen, der Rest muss als Leistung hinausgehen. Das gefällt mir. Ihnen auch?

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Christian Scherer wurde am 2. Mai 1962 in Bad Ischl geboren und lebt seit 1980 in Graz. Er ist mit einer Familienjuristin verheiratet und hat zwei studierende Kinder. Der Tipp des praktizierenden Mountainbikers: dreimal die Woche den Puls für mindestens eine halbe Stunde altersadäquat zu beschleunigen. Die Krebshilfe Steiermark ist eine von neun Landesorganisationen der 1910 gegründeten Österreichischen Krebshilfe, die als älteste der Welt gilt. krebshilfe.at

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Fazitbegegnung, Fazit 169 (Jänner 2021) – Foto: Heimo Binder

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