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»Die Architektur hat mich gefunden. Und nicht ich sie.«

| 11. Mai 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 172, Kunst und Kultur

Foto: Thomas Raggam

Die Leiterin des Grazer Hauses der Architektur Beate Engelhorn über das Spannungsfeld zwischen Kunst und Architektur und über die aktuelle Ausstellung im HDA.

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Beate Engelhorn geht in das zweite Jahr ihrer Tätigkeit als Chefin des Hauses der Architektur in Graz. Wir sprechen über Persönliches, Programmatisches und Zukünftiges und vor allem über die nachhaltige politische Kraft, die Architektur entwickeln kann. Und nach Engelhorns Meinung auch soll. Augenzwinkernd starten wir mit der ersten Frage …

Was ist der Unterschied zwischen Architektur und Kunst? Ist eh alles das gleiche, oder?
Nein, natürlich nicht. Nicht umsonst wird die Architektur in der Geschichte als die »Mutter aller Künste« bezeichnet. Im Unterschied zur Kunst muss die Architektur auf viele verschiedene Dinge reagieren. So spielt neben der Gestaltung auch die Funktionserfüllung eine wichtige Rolle – ebenso wie die gelungene Einbindung in den gegebenen Kontext. Im Idealfall gehen Form und Funktion eine gut gestaltetet Symbiose ein und bieten der Umgebung – etwa in einer Stadt – einen bereichernden neuen Stadtbaustein für die Anwohner. Die Kunst muss in diesem Sinne nicht »nützlich« sein, ist aber wichtig als Medium zur Reflexion von Raum und Gesellschaft. Sie kann uns dadurch einen Spiegel vorhalten und uns helfen, unsere gebaute Umwelt bewusster wahrzunehmen und weiter zu verbessern.

Nach Schopenhauer ist Architektur gefrorene Musik. Stimmt das deiner Meinung nach?
Räume können durchaus eine Symphonie der Sinne erzeugen. Historische Raumproportionen in der Geschichte, in griechischen Tempelanlagen bis hin zum Barock, wurden in ihren Proportionen von den Architekten mit den gleichen Maßverhältnissen »komponiert« wie die Akkorde in der Musiklehre. Ich glaube, dass sich Schopenhauers Aussage darauf bezog und viele empfinden diese Räume bis heute als besonders schön. Zeitgenössische Architektur wird nach anderen Gestaltungsmaßstäben entworfen. Und nicht alles in der Architektur ist immer harmonisch, muss es vielleicht auch nicht immer sein … [lacht]

Noch etwas dramatischer, sind Ornamente Verbrechen? Um Adolf Loos zu zitieren – und dann bin ich am Ende mit meinen Weisheiten …
Ich mag Ornamente; aber nicht immer und überall. Der Ausdruck einer Architektur – sei es nach innen oder nach außen – sollte stimmig sein. Wenn das Ornament zu diesem Ausdruck beitragen oder ihn sogar verstärken kann, ist es willkommen. Als reine »Dekoration« wirken Ornamente oft deplatziert und werden meist benutzt, um bestehende Missstände zu überdecken. Das funktioniert selten und trägt keinesfalls zu einer qualitätsvollen Architektur bei.

Zu Deinem Werdegang: Es gibt ja verschieden Ausbildungsstätten, was war da prägend?
Braunschweig und seine Zeichensaalkultur mit einer semesterübergreifenden Zusammensetzung haben mich sehr geprägt. Da wurde nächtelang gearbeitet und diskutiert. Aber besonders beeindruckt hat mich der Unterricht an der ETH in Zürich. Hier gab es einen bemerkenswerten, fachlich fundierten und konstruktiven Diskurs zwischen den Dozenten und den Studierenden. Es ging dabei immer um das Projekt und wie man es noch besser machen könnte – weniger darum, wer mit seiner Meinung im Recht wäre … Zudem war es selbstverständlich, mit vorhandenem Geschichtswissen zu arbeiten und daraus Neues zu entwickeln – also nicht darum, das »Rad immer komplett neu erfinden« zu wollen.

Was ist wichtiger, Funktion oder Schönheit?
Im Idealfall kommt beides zusammen!

Wie nun soll sich das HDA unter deiner Ägide entwickeln?
Nichts muss, alles kann. Ich möchte Ideen anstoßen, inspirieren, Möglichkeiten aufzeigen und vor allem vermitteln, denn Architektur und gebaute Umwelt gehen uns alle an! Jeder Besucher soll im HDA etwas finden und entdecken können, dass ihn interessiert und informiert. Gebauter Raum ist vielfältig und lebendig, daher werde ich versuchen, in den nächsten Jahren viele unterschiedliche Facetten von Architektur und Stadtplanung sichtbar zu machen. Jeder hat irgendwie mit Architektur zu tun, jeder wohnt, jeder könnte Bauherr sein, jeder bewegt sich durch von Menschenhand geplante Stadt- und Landschaftsräume. Je mehr die Menschen sich dafür interessieren, sich informieren und engagieren desto besser. Um aktiv an partizipativen Prozessen teilnehmen zu können, ist es besonders wichtig und notwendig, aktuelle Themen aus Stadt- und Projektplanung aus unterschiedlichen Perspektiven und mit dem berühmten »Blick über den Tellerrand« hinaus – auch in andere Länder und Regionen – für alle zugänglich zu machen, damit man sich gegenseitig besser versteht. Nur so kann eine konstruktive, erfolgreiche Kommunikation entstehen, die gemeinschaftlich getragene positive Entwicklungen im gebauten Raum fördert und in denen wir uns alle wohl fühlen – denn das muss das Ziel sein!

Ist Partizipation nicht nur ein Schlagwort? Haben nicht ohnehin jene das Sagen, die das Geld haben?
Das könnte man meinen. Aber wer aufgibt, hat schon verloren! [lacht] Auch dafür ist die Schweiz ein gutes Vorbild. In breiten öffentlichen Abstimmungsverfahren wird hier über geplante Bauten und städtebauliche Projekte mit den Anwohnern diskutiert und anschließend abgestimmt, ob das Bauwerk so realisiert werden darf. Diese Diskussionskultur ist über viele Jahre gewachsen und quasi »geübt« worden. Es braucht dazu einen fundierte Informationskultur und auch ein paar Vorkenntnisse, denn Architektur ist sehr komplex, und etwa die Visualisierungen oder Bilder von Projekten können durchaus täuschen. Daher ist es gut, wenn man ein kritisches Auge übt. Zudem ist es vorteilhaft für einen konstruktiven Dialog, wenn man die gegenseitigen Perspektiven wahrnehmen und dann sachlich fundiert miteinander in einen Meinungsaustausch gehen kann. Diese Verfahren sind in der Schweiz als Planungsinstrument politisch fest verankert. Es wäre durchaus denkbar und wünschenswert, so etwas auch an anderen Orten – also auch hier in der Steiermark – zu etablieren. Ich bin davon überzeugt, dass dadurch die Position der Politik gegenüber den Investoren sogar gestärkt werden kann.

Hat ein Politiker, wenn er von Architektur spricht, nicht ohnehin schon verloren, weil die Investoren mit mächtigeren Werkzeugen und Hebeln arbeiten?
Städte und Kommunen haben es nicht immer leicht, die oft finanziell fokussierten Interessen von einzelnen Investoren in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber es gibt auch Argumente, die selbst diese Investoren überzeugen können. Zum Beispiel die im Immobiliensektor oft zitierte »Lage«, von der wir alle wissen, dass diese besonders für den Wert eines Grundstücks oder einer Immobilie entscheidend ist. Doch die Lage fällt ja nicht vom Himmel, sondern wird mit dem Projekt geprägt und gebaut. Also warum soll ein Investor nicht selbst dafür Sorge tragen, dass in dem Neubauprojekt durch entsprechende Planung des Kontextes eine sehr gute Lage entsteht? Das heißt die verkehrliche Anbindung, Außenraum, Begrünung, Infrastruktur und soziale Mischung mitzudenken und zu planen. So entsteht für alle Seiten eine Win-win-Situation, die auch langfristig Bestand hat. Aktuell beobachten wir leider – und zwar weltweit –, dass Immobilien vor allem als Kapitalanlage genutzt werden. Diese Sichtweise trägt in der Regel nicht unbedingt zur Schaffung von qualitätsvollen Bauprojekten bei. Daher braucht es gemeinsame politische Handlungsstrategien, um dieser Fehlentwicklung zu begegnen. Denkbar wäre, dass sich Städte und Kommunen zusammenschließen oder sich europäische Länder alliieren, um gemeinsame, bindende Strategien und Richtlinien zu entwickeln, die helfen, lebenswerte Räume für Mensch und Umwelt zu garantieren.

Wie siehst du die Aktionen der Politik für das Kulturjahr 2020?
Diese Veranstaltung ist für mich ein Signal aus der Politik, dass es hier ein Interesse an den Stimmen aus der Bevölkerung gibt. Die für die Kulturstadt 2020 entwickelten Inhalte können so als Ideengeber für die Stadtentwicklung in Graz funktionieren. Im Rahmen des Kulturjahres 2020 hatten wir ja gerade eine Ausstellung von »transparadiso« im HDA, die sich mit vier Bezirken am Grazer Stadtrand beschäftigt hat und gemeinsam mit den Anwohnern mögliche Entwicklungspotentiale am Ort erforscht. Ich finde es bemerkenswert, dass es das in Graz gibt und auch die Bewohner der Quartiere in den Prozess miteinbezogen werden. Zunächst einmal entstehen dadurch eine Sichtbarkeit von anstehenden Themen in der Stadtentwicklung sowie eine Erwartungshaltung der Bevölkerung. Das ist gut! Besonders wünschenswert wäre es natürlich, wenn die eine oder andere Projektidee dann auch in einer Realisierung münden würde.

Was sind die nächsten Ausstellungsprojektes im HDA?
Das Thema unserer nächsten Ausstellung ist die Kreislaufwirtschaft. Ein sehr aktuelles Thema, denn Studien weisen nach, dass allein die Bauindustrie für 40 Prozent unserer Abfallproduktion, für 40 Prozent des Verbrauchs von Primärenergieressourcen und 40 Prozent der Kohlendioxidemissionen weltweit verantwortlich ist. Insbesondere das schnelle Wachstum der Städte trägt zu diesem Phänomen bei. Man kann sich vorstellen, welch enorme Herausforderung das für den Ressourcenverbrauch im Bauwesen für neue Gebäude und die benötigte Infrastruktur bedeutet. Die Ausstellung will darauf aufmerksam machen, dass es bereits bewährte Konzepte für das Bauen in Kreisläufen gibt, und zeigt Beispiele sowie Akteure aus dem In- und Ausland. Wir wollen dadurch ermutigen, diese Bauweise zu stärken und viel mehr in der Praxis anzuwenden. Im Sommer folgt eine Ausstellung im Kontext des Sportjahres in Graz. Wir beschäftigen uns hier mit »Bauten für Bewegung« – also Sportarchitekturen in Form von nachhaltigen Bauweisen, mobilen Konstruktionen und Sportanlagen, die stadterweiternde, öffentliche Räume anbieten. Meine herzliche Einladung auch dazu. Es wird jedenfalls spannend!

Material Loops Alpha
Bestand als Materialressource
Noch bis zum 4. Juli 2021
Haus der Architektur
8020 Graz, Mariahilferstraße 2
hda-graz.at

Alles Kultur, Fazit 172 (Mai 2021), Foto: Thomas Raggam

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