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Wider die Verstaubtheit

| 31. Mai 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 173, Kunst und Kultur

Foto: Alina Rettenwander

Das bauliche Ensemble und die geografische Beschaffenheit in und um die Paulustorgasse herum erweckten in Kindheitstagen beim Interviewer noch Furcht und »Räuber-Hotzenplotz-Fantasien«. Handelt es sich hierbei doch aufgrund seiner Nachbarschaft zu Anstalten mit teilweise äußerst bedrückender Vergangenheit und Gegenwart, um keinen ausgewiesenen Ort der Glückseligkeit.

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Aber wo Gefahr ist, wächst bekanntlich das Rettende auch, und durch die Steilvorlage der Steiermark Schau im Volkskundemuseum wurde eine neue Ära eingeläutet. Das Museum beherbergt seit wenigen Wochen nicht nur einen spannenden Teilaspekt zum Themenkomplex »Steirische Landesausstellung neu« mit dem Titel »Wie es ist. Welten Wandel Perspektiven«. Es hat sich selbst einer äußeren und inneren Revitalisierung unterzogen. Wir sprechen mit der Leiterin Claudia Unger über den Relaunch und über das Kommende.

Wie stehst du zum Themenkomplex »Volkskunde«, was ist dein persönlicher Bezug, was soll aus »der Volkskunde« werden?
Das Volkskundemuseum ist nicht nur mein Arbeitsbereich, sondern mittlerweile wirklich ein Herzensprojekt. Ich spreche nicht nur vom Museum, das ursprünglich ein Kloster, später ein Spital und seit mehr als hundert Jahren die volkskundliche Sammlung und verschiedene Ausstellungen beherbergt. Ich meine den gesamten Standort, der natürlich historisch, aber auch von der Stadtentwicklung her sehr interessant ist. Wir befinden uns in einem Viertel, das gleichzeitig zentral und dennoch ein wenig ab vom Schuss liegt, und haben uns zum Ziel gesetzt, mit dem Museum als Zentrum in diesem wunderschönen Ensemble einen belebten und gesellschaftsrelevanten Ort zu schaffen.

Die Themenbereiche des Volkskundemuseums haben sich verändert, wir sind nun inhaltlich deutlich in die Gegenwart gerückt. Diese Chance hat sich durch die Steiermark Schau ergeben, an der wir mit dem Beitrag »wie es ist« beteiligt sind. Natürlich kann man die Gegenwart nur mit Bezügen zur Vergangenheit umfassend betrachten, die bisherigen Themen und Schwerpunkte in unserer wertvollen Sammlung bleiben deshalb unser wichtiger Schatz, der auch weiterhin präsentiert werden soll. Außerdem bildet das Volkskundemuseum gemeinsam mit dem Österreichischen Freilichtmuseum Stübing eine Abteilung, wodurch wir an zwei Standorten eine große Bandbreite abdecken. Beiden Häusern ist derselbe Auftrag wichtig, nämlich das Leben der Menschen zu dokumentieren, die schönen und die herausfordernden Facetten der jeweiligen Lebenswelten zu zeigen und auf die Fragen der Zeit zu reagieren.

Öffnung, was bedeutet das nun konkret?
Die Öffnung des Volkskundemuseums beschäftigt uns in mehrfacher Hinsicht. Der wichtigste Aspekt ist, das Museum als Ort für Wissensvermittlung und Diskurs noch mehr aufzumachen. Einerseits meine ich damit neue Zielgruppen, wir wollen beispielsweise junge Menschen verstärkt einladen und ihnen passende Angebote machen. Zugleich war mir aber ebenso wichtig, jene Menschen abzuholen und mitzunehmen, die dem Haus seit langem verbunden sind. Wir befinden uns damit in einem Prozess, der am Anfang steht und mit Bedacht weitergeführt wird. Öffnung heißt auch, das Gesamtareal aufzumachen. So wurde der Heimatsaal revitalisiert und steht nun PartnerInnen für Kulturveranstaltungen zur Verfügung. Die Antoniuskirche ist nunmehr ins Museum integriert und damit besser erfahrbar.

Eine oft gehörte Bitte und Forderung der Bevölkerung ist jene der Öffnung der Gärten im Bereich des Museums …
Der Garten rund um das Museum ist tatsächlich ein einzigartiger Grünraum mitten in der Stadt, der ebenfalls eine lange Geschichte hat – zunächst als Klostergarten, dann als Erholungsraum für die PatientInnen und in den letzten Jahrzehnten als Areal, in dem GartennutzerInnen Obst und Gemüse anbauen – ein Modus, der aus der Nachkriegszeit stammt, als der Anbau zur Selbstversorgung nötig war.
Wir wollen den Garten, der als öffentlicher Park ausgewiesen ist, nun sanft öffnen und beispielsweise im Rahmen von Führungen den Weg zum Schloßberg zugänglich machen, damit alle Interessierten dieses schöne Refugium erleben können.

Dem Volkskundebegriff haftet – ob unberechtigterweise, ob aus Denkfaulheit, ob aus Tradition – noch immer ein wenig der Mief der Verstaubtheit an …
… dabei ist die Beschäftigung mit der Lebenswelt der Menschen, mit dem Verhältnis Mensch-Kultur ein stets aktuelles Thema. Gerade die gegenwartsbezogene Arbeit des Volkskundemuseums sehe ich als Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, die nicht verstaubt ist, sondern im Gegenteil sehr viele Bezüge zum jeweils eigenen Leben zulässt und sehr interessant ist. Natürlich verlangt die Arbeit im Museum einen kritischen und sich stets hinterfragenden Blick. Ich halte grundsätzlich nichts von einer tendenziösen Darstellung und fühle mich persönlich stets einer umfassenden Betrachtung verpflichtet. Wir beschäftigen uns kritisch mit der Geschichte des Hauses und seiner Umgebung und zeigen auch Aspekte dieses Diskurses in der Ausstellung. 2022 erfährt auch der Trachtensaal eine Neubearbeitung, wodurch die große Sammlung, die vom Gründer des Museums, Viktor Geramb, initiiert und seither laufend ergänzt wurde, umfassender präsentiert werden kann. Wir führen auch die Diskussion, ob Begriffe wie »Volkskundemuseum« und »Heimatsaal« umbenannt werden sollten. Ich halte es für wichtig, mit welchen Inhalten ein Begriff gefüllt wird, das Volkskundemuseum Wien hat dies meiner Meinung nach gut gelöst, das scheint mir ein gangbarer Weg zu sein.

Wirst du mögliche Kooperationspartner im Heimatsaal ausschließen?
Der Heimatsaal soll ein »offenes Kulturhaus« sein, erfreulicherweise stößt dieses Angebot bei der freien Szene bereits auf großes Interesse. Für das Volkskundemuseum wünsche ich mir viele Möglichkeiten zu kooperieren und damit Themen, die wir in unseren Ausstellungen präsentieren, auch in einer weiter gefassten Form anbieten zu können. Neben unseren Eigenveranstaltungen ermöglicht das zusätzlich Diskurs und Diskussion. Organisatorisch sind wir im Universalmuseum den Regeln des Veranstaltungsmanagements verpflichtet. Die entsprechende Stelle arbeitet eng mit uns zusammen, schließlich muss ein Veranstaltungssaal auch professionell und wirtschaftlich geführt werden.

Foto: Alina Rettenwander

Was wird die Zukunft weisen? Visionen, Utopien?
Die momentane Ausstellung im Rahmen der Steiermark Schau ist semipermanent konzipiert, die einzelnen Module werden sich nach und nach entwickeln bzw. verändern. Wir planen Sonderausstellungen und kleine Kooperationen, jeweils begleitet von einem entsprechenden Veranstaltungsprogramm. Momentan starten wir mit den Formaten »Blickwinkel« und »Hofgespräch«, in denen wir Persönlichkeiten mit Bezug zu Ausstellungsthemen zu Wort kommen lassen. Ich freue mich, dass wir dafür auch unseren schönen Innenhof nützen können.

Zudem setzen wir auf eine Gastronomie vor Ort. Aktuell ist dies das Pop-up-Café in unserer Ausstellung, das Café Grün, zu dem auch ein wunderbarer Gastgarten gehört. Bis zum Jahresende entsteht ein fixes Lokal, das unseren Standort langfristig bereichern wird.

Sowohl unsere Museumsangebote als auch alle Aktivitäten rundherum haben auch das Ziel, dass das Volkskundemuseum im Stadtteil eine neue, dynamische Rolle spielen soll. Mit unseren Nachbarn in der unmittelbaren Umgebung möchten wir gern in Austausch treten und gemeinsame Pläne für die Gegend um die Paulustorgasse entwickeln, schließlich ist diese zwischen Forum Stadtpark, Karmeliterplatz und Schauspielhaus ein sehr spannendes Gebiet. Wir haben also viele Pläne und sind mit viel Freude und Engagement bei der Arbeit!

Volkskundemuseum Graz
8010 Graz, Paulustorgasse 11-13a
museum-joanneum.at/volkskunde

Alles Kultur, Fazit 173 (Juni 2021), Fotos: Alina Rettenwander (2), J.J. Kucek

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