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Eine bunte Wahl für die Landeshauptstadt

| 2. August 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 175, Fazitthema

Illustration: Adobe-Stock

Am 26. September finden in Graz Gemeinderatswahlen statt. Sechs Parteien vertreten aktuell die Bevölkerung der steirischen Landeshauptstadt. Fazit hat aus jeder Fraktion einen wahlkämpfenden Kandidaten herausgepickt, um über Graz zu sprechen. Die Stadt steht vor einer Weichenstellung. Und das nicht nur aufgrund der Diskussionen um eine Mini-Metro.

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Graz wächst und wächst. Knapp 300.000 Menschen haben aktuell in der steirischen Landeshauptstadt ihren Hauptwohnsitz angemeldet. Das sind knapp 70.000 mehr als noch vor zwanzig Jahren. Die Murmetropole hat sich zu einer hippen Stadt entwickelt, die manchmal erfolgreich Großstadt spielt und sich ebenso in der Rolle der provinziellen Kleinstadt wohlfühlt. Graz 2021 – das ist urbaner Raum am Scheideweg. Die Vielschichtig- und -seitigkeit der südländisch anmutenden Stadt bietet mit einer Tradition des Wechselwählens und regionalen politischen Phänomenen wie der starken KPÖ einen Nährboden für ungewöhnliche Konstellationen und macht Voraussagen ebenso schwierig wie Gemeinderatswahlen brisant und spannend. Viele Grazerinnen und Grazer sind überaus zufrieden mit dem Weg, den Siegfried Nagl 2003 eingeschlagen hat, und dass er im Juni seinen Vorgänger Alfred Stingl von der SPÖ als längst dienenden Bürgermeister der Grazer Geschichte ablösen hat lassen. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger echauffieren sich mittlerweile aber schon an jeder kleinsten Wortmeldung des ehemaligen Innenstadtkaufmanns, der im aktuellen Fazitgespräch ankündigte, sich zum letzten Mal der Wahl zu stellen. Graz ist eben ein besonders buntes Pflaster – was sich nicht zuletzt an der Parteienlandschaft zeigt.

Sechs Parteien sitzen im aktuellen Gemeinderat – neben den Noch-Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ ist die KPÖ im Proporzsystem mit zwei Stadträten vertreten, die Grünen haben eine Stadträtin, die SPÖ hat ihren beim letzten Wahltermin verloren und die Neos waren zuletzt mit einer einsamen Kämpferin im Rathaus vertreten. Fazit bat je eine Vertreterin oder einen Vertreter aller aktuellen Fraktionen zum Interview und besprach die Themen, die Graz bewegen. Ob öffentlicher Verkehr und Parkplatznot, Unternehmertum, soziale Probleme, Sicherheit, Aufwertung der Innenstadt, Bildung oder Migration und Integration.

Daniela Gmeinbauer (ÖVP):
 Mehr als Metro
Als Bürgermeister Siegfried Nagl im Februar die Pläne für eine Grazer U-Bahn, die mittlerweile öfter als Mini-Metro bezeichnet wird, präsentierte, war klar: Der Wahlkampf ist eröffnet – und wird sich vor allem um den öffentlichen Verkehr drehen. Es liegt auf der Hand, dass eine Stadt, die innerhalb von so wenigen Jahren so viele neue Menschen in ihrer Mitte begrüßen durfte, an ihre Verkehrsgrenzen stößt. Der Aufschrei der Opposition war ebenso groß wie die Resonanz in der Öffentlichkeit, als die eigens gegründete Holding-Tochter »MUM« (genauer: »Moderne Urbane Mobilität 2030+«) in einer Studie zum Schluss kam, eine unterirdische Mini-Metro mit zwei Linien und Kosten von etwa 3,3 Milliarden Euro werde Graz in ein neues Mobilitätszeitalter führen. Zumindest darüber, dass der öffentliche Verkehr in Zukunft auch eine Ebene tiefer stattfinden soll, besteht allerdings bereits nahezu Konsens in der Grazer Politik, einen reinen Öffi-Wahlkampf, den sieht man in der Grazer Volkspartei aber ohnehin nicht. Daniela Gmeinbauer sitzt seit Jänner 2013 für die ÖVP im Grazer Gemeinderat und ist seit 2014 Klubobfrau. Sie sagt: »Wir werden uns nicht auf das Thema Mini-Metro versteifen, der Bürgermeister hat alle Parteien eingeladen, Ideen für weitere Öffi-Angebote einzubringen. Hauptsache ist, es kommt bei diesem Thema etwas in die Gänge und es kommt zu einer echten Entlastung.« Gmeinbauer ist nicht zuletzt eine gute Ansprechpartnerin, wenn es um wirtschaftliche Themen geht. Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist auch Obfrau des Grazer Wirtschaftsbundes. »Wir wollen den Wirtschaftsstandort Graz weiterhin auf gute Beine stellen«, sagt sie. Und denkt dabei vor allem auch an den Flughafen Graz und die bevorstehende Einstellung der Verbindung mit dem Flughafen Wien, die laut Ministerin Leonore Gewessler spätestens mit der Inbetriebnahme des Semmering-Basistunnels Realität werden soll. »Das ist für unsere großen Unternehmen ein Einschnitt im Businessbereich. Damit werden  wir als Standort geschwächt.« Auch zwei andere Punkte liegen ihr am Herzen: »Wir wollen Unternehmertum weiterhin stützen, Bürokratie abbauen und die ›digitale Stadt‹ weiter ausbauen, die heute schon im privaten und unternehmerischen Bereich Vereinfachungen bedeutet.« Und dann spricht Gmeinbauer, die selbst in Straßgang zu Hause ist, die EPU an, die auch in Graz in den vergangenen Jahren immer mehr wurden. »Die Stadt Graz sollte im Bereich der Co-Working-Spaces auch im Dienstleistungsbereich Angebote ausbauen. Es gibt Branchen, die gut zusammenpassen – etwa Gesundheit, Sport und Wellness –, wo sich die Kundschaft gegenseitig befruchtet und ein gemeinsamer Welcome Desk mit gemeinsamem Back-Office-Personal zu Kostenreduktion führen würde.« Sie denke dabei an Masseure, Physiotherapeuten oder auch Bildungsanbieter, die so gemeinsam wachsen könnten.

Max Zirngast (KPÖ):
 Das soziale Graz
Die Kommunisten sind ein steirisches Phänomen mit besonderer Grazer Prägung. Nur in jenem Bundesland, in dem sich Ernest Kaltenegger mit schicksalsbezogener Sozialpolitik einen Namen machte, schafft es die KPÖ, eine ernstzunehmende politische Kraft darzustellen. In der aktuellsten Wahlumfrage – die allerdings bereits im Februar des Jahres von OGM durchgeführt wurde – kam die Partei rund um die Stadträte Elke Kahr und Robert Krotzer auf 24 Prozent und lag nur sechs Prozent hinter der ÖVP. Eine im Sog von Ibiza und Hofer-Kickl-Bundespartei-Streitigkeiten mutmaßlich einbrechende FPÖ könnte der linken der beiden Extremparteien einen ordentlichen Stimmenzuwachs bringen. Immerhin fischen die Links- und Rechtsaußen traditionell in ähnlichen Teichen und eine Partei, die einen großen Anteil ihrer Gehälter an Menschen in sozialen Notlagen spendet, ist in Krisenzeiten naturgemäß beliebt. Ins Rennen schicken die Kommunisten neben Justizwachebeamten oder einer Turnusärztin auf Listenplatz 12 auch Max Zirngast. Zirngast ist jener Aktivist, der 2018 in der Türkei inhaftiert war – wegen Verdacht auf Mitgliedschaft in der »Kommunistische Partei der Türkei/Funk«. Nach seiner Freilassung kehrte er wieder in seine Heimat Steiermark zurück und dockte bei der KPÖ Graz an, für die er seit dem zweiten Lockdown etwa ein Video-Podcastformat betreut. Schon 2019 unterstützte er die KPÖ bei der steirischen Landtagswahl als Teil eines Personenkomitees, nun kandidiert er selbst. »Ich bin kein Individuum, das sich in politischen Fragen vordrängt, entscheidend ist, dass das Kollektiv gute Arbeit macht«, sagt er. »Als ich gefragt worden bin, ob ich kandidieren will, habe ich mich gefreut. Es war wichtig, sich in den letzten Jahren kennenzulernen, in die Politik quereinsteigen ist manchmal problematisch.« Die Themen, die sich Zirngast im Falle eines Einzugs in den Gemeinderat – dafür müsste die KPÖ zulegen, aktuell hält man bei zehn Mandataren – auf die Agenda heften würde, liegen auf der Hand. »Ich bin schon lange politisch aktiv, das liegt in meinem Naturell, was mir wichtig ist, ist im Wesentlichen das Programm der KPÖ: ein Stadt- und Gesellschaftskonzept, das für alle da ist.« Vor allem soziale Themen und die ökologische Krise seien dem in der Südsteiermark aufgewachsenen 32-Jährigen wichtig, um eine lebenswerte Stadt zu haben – und er meint damit nicht zuletzt fehlende Grünflächen in einer stetig mehr versiegelten Stadt. »Es braucht ein breites Sport- und Kulturangebot für alle, Möglichkeiten, sich jenseits von Konsumzwängen aufzuhalten«, meint er weiter und verweist auf die Coronazeit. Ein Bereich, in dem er ohnehin schon aktiv ist, betrifft seinen einstigen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt Türkei: »Ich versuche mit Migrantinnen und Migranten mit Bezug zur Türkei Konzepte zu entwerfen, die ein gemeinsames demokratisches Leben in Österreich möglich machen und nicht spalten. Das ist auch das, was die KPÖ tut und will: Menschen konkret helfen. Sei es bei einer neuen Sitzbank oder bei Wohnungsnot.«

Michael Winter (FPÖ):
 Sicherheit an erster Stelle
Der aktuelle Grazer FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio war alles andere als erfreut über die kurzfristige Bekanntgabe des Wahltermins von Bürgermeister Nagl. Aufgrund eines Lecks innerhalb der Grazer Volkspartei erfuhr der aktuelle Koalitionspartner aus den Medien, dass Ende September der Urnengang ansteht. Mittlerweile ist die FPÖ aber bereits im Wahlkampfmodus formiert und hat sich in einer Pressekonferenz als einzige richtige Alternative positioniert. Klubchef Armin Sippel sprach von einer Fraktion von »Regenbogenforellen«, wo nur die »Forelle blau« gegen den Strom schwimme. Der Mini-Metro alles andere als abgeneigt, sind die Freiheitlichen gegen eine autofreie Stadt, gegen Umweltzonen und Citymaut und fürchten bei diesem Thema gerade »im Sinne des Autoclusters keine Arbeitsplatzvernichtung«.
Michael Winter ist studierter Rechtswirt und arbeitet seit bald vier Jahren als Polizist in Leibnitz. Winter kennt die steirischen Verkehrsthemen selbst als autofahrender Pendler, wohnt der freiheitliche Bezirksratsvorsteher-Stellvertreter von Straßgang doch in Graz. »Ich sehe die U-Bahn-Pläne sehr positiv – jede Maßnahme, die den Verkehr verflüssigt, ist zu begrüßen«, sagt er.

Bereits mit 17 Jahren wurde Winter politisch bei der FPÖ aktiv, nun hofft er, seine »Kraft im Gemeinderat einbringen zu dürfen«. Winter absolvierte einst sogar seine Gerichtspraxis, entschied sich aber für eine Laufbahn bei der Exekutive anstatt der Legislative. »Ich mag an meinem Beruf, dass ich positiven Einfluss auf Menschen in ihrem Alltag nehmen kann und in Krisensituationen vor Ort helfen kann«. Der Listenplatz fünf bedeutet für den 32-Jährigen einen nahezu fixen Platz im neuen Gemeinderat – und seine Agenda verwundert aufgrund seines Hintergrunds wenig: »Das Thema Sicherheit steht an erster Stelle. Wir sind noch immer ein sehr sicheres Land, aber die Sicherheit muss erhalten bleiben. Das Thema Kriminalität – ob Drogen oder Jugendkriminalität – sollte in Graz stärker betont werden.« Aber auch sozialen Problemen wolle sich der verheiratete Straßganger annehmen.

Arsim Gjergji (SPÖ):
 Als gutes Beispiel vorangehen
Die Grazer SPÖ rund um Michael Ehmann und Nachwuchshoffnung Anna Robosch hat mittlerweile schon traditionell um Aufmerksamkeit zu kämpfen in Graz. Auch in der vergangenen Periode war es den Sozialdemokraten kaum möglich, sich neben den starken Kommunisten und den für Studenten sowie urbane Bobos attraktiveren Grünen zu profilieren. Der Verlust des Stadtratspostens bei der letzten Wahl tat weh, auch im September deutet wenig darauf hin, dass zumindest die Rückkehr in die Proporzregierung sicher ist. Helfen wird den Grazer Sozialdemokraten bei ihrem Kampf um Stimmenzuwachs aber jedenfalls die Personalie Arsim Gjergji. Der Innenstadtgastronom, der das Eleven in der Kaiserfeldgasse führt, ist bereits seit 2008 für die Grazer SPÖ aktiv. Nun steht er erstmals auf einem vorderen Listenplatz bei einer Gemeinderatswahl. Der 37-Jährige hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Mit 15 Jahren flüchtete er mit seiner Familie nach dem Kosovokrieg nach Graz, lernte Deutsch, machte die Matura, studierte Jus, arbeitete als Versicherungsberater, baute eine kleine Reinigungsfirma auf und wurde schließlich 2016 Gastronom. Wenige Menschen können wohl Integration, sozialen Aufstieg und harte Arbeit besser nachvollziehen als Gjergij, der im Rahmen seiner ersten Deutschkurse in Graz die damalige SPÖ-Gemeinderätin Nuray Richter-Kanik kennenlernte und so zur Partei fand.

»Ich habe viel miterlebt, was sich in Graz tut und bewegt«, sagt er. »Es war immer mein Wunsch, einen persönlichen Beitrag zu leisten.« Ideen hat er genug. »Mir ist das Thema Verkehr zum Beispiel sehr wichtig. Ich lebe und arbeite selbst in der Innenstadt, wir brauchen mehr Begegnungszonen, mehr Möglichkeiten für Menschen«. Die Kaiserfeldgasse, jene Straße, in der er sein Lokal betreibt, sei bestes Beispiel für urbanen Raum, der autofrei werden sollte. »Die Gasse ist viel zu schön, um als Parkplatz für ein paar Autos zu dienen. Diese Ideen begrüßen sowohl der Großteil der lokalen Unternehmer als auch viele Bewohner.« Auch für den öffentlichen Verkehr habe seine Partei ein sehr gutes Konzept vorgelegt, das vor allem eine massive zusätzliche Straßenbahnoffensive vorsieht. »Wir müssen die Stadtgrenzen und Randgemeinden miteinbeziehen, weil Graz massiv gewachsen ist. Für eine U-Bahn ist Graz zu klein, davon halte ich auch persönlich nichts – vor allem, wenn man die Investitionskosten mit unserem Konzept vergleicht.«

Als Unternehmer sei ihm wichtig, dass die Stadt Graz im Rahmen ihrer Kompetenzen die Klein- und Mittelbetriebe unterstützt. »Die kleinen individuellen Betriebe machen Graz aus«, sagt er. Naturgemäß ist ihm auch die Gastronomie ein Anliegen. »Man muss rechtzeitig alles tun, damit ganz viele Gastrobetriebe die Coronakrise überleben«. Und auch auf das Thema Integration will Gjergji nicht vergessen. »Es leben sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Stadt. Mein Ziel ist es, genau hinzuschauen, wo die Menschen es geschafft haben, und zu fördern, dass wir möglichst viele Menschen dort abholen, wo sie sind, und sie dort hinbringen, wo es für die Gesellschaft gut passt. Meine Familie und ich möchten als gutes Beispiel vorangehen.«

David Ram (Grüne):
 Green Revolution?
Bei den letzten beiden Nationalratswahlen konnten es die Grünen in Graz mit der ÖVP mehr als nur aufnehmen. 2017 waren die Grünen in Graz vor der Volkspartei, 2019 nur knapp hinter Türkis auf Platz zwei. Die aktuellen Juniorkoalitionspartner auf Bundesebene wollen nun auch endlich auf Kommunalebene ihr Potenzial in der steirischen Landeshauptstadt nutzen. Dafür wurde mit Milo Tesselaar der Kampagnenleiter von Irmgard Griss‘ (fast) erfolgreichem Präsidentschaftswahlkampf verpflichtet und die aktuelle Stadträtin Judith Schwentner selbstbewusst als Bürgermeister-Kandidatin positioniert. Die Grünen sind – nicht zuletzt dank eines früh präsentierten S-Bahn-Ring-Konzepts zur Entlastung des Verkehrs – im Stadtbild und auf Social Media präsent und haben gefühlt schon wahlgekämpft, als noch lange kein Termin für den Urnengang feststand.

Ein Mann, den Schwentner in ihrem Team haben wollte, ist David Ram. Der Jungunternehmer gründete Tyromotion, das sich in Eigendefinition als »führender Hersteller von technologiegestützten Therapiegeräten für die oberen und unteren Extremitäten aus Österreich« bezeichnet. 2020 hat sich Ram, der auch das TU Racing Team ins Leben rief, aus dem operativen Geschäft im Unternehmen zurückgezogen und ist nur mehr als Beirat aktiv. Seine Zukunft sieht er in der Politik. Auf Listenplatz vier ist ihm der Einzug in den Gemeinderat sicher. Dass er sich als Unternehmer bei den Grünen zu Hause fühlt, ist für ihn kein Widerspruch. »Wir müssen eine Wende hin zu einem nachhaltigen Leben und Arbeiten schaffen, die auch den Lebensraum schützt. Wie wir Wirtschaft in der Zukunft denken, ist hier von entscheidender Bedeutung«, sagt er. »Die Grünen sind die Einzigen, die in dieser Frage eine vernünftige, gestalterische Rolle einnehmen.« Graz sieht der erfolgreiche Unternehmer als »Universitätsstandort mit einigen High-Tech-Inkubatoren und vielen forschungsstarken Unternehmen bereits sehr gut aufgestellt, was das Thema Innovation betrifft.« Dennoch fehle es oft noch an der nötigen Umsetzungsstärke, damit aus den guten Ideen von Gründern mit höherer Wahrscheinlichkeit hoch erfolgreiche Unternehmen werden können. »Dafür müssen wir Graz noch stärker als Start-up-Hub positionieren. Wieso gehen die Gründer von N26 nach Berlin und nicht nach Graz?«

Ganz allgemein wünscht er sich, dass die steirische Landeshauptstadt zu einer noch lebenswerteren Stadt werde und weiter in die Zukunft denke als bisher. »Es wird mehr Grün, mehr echten Lebensraum für die Menschen brauchen, die Fortbewegung in und um die Stadt wird sich ändern und wir stehen vor Umbrüchen in den Arbeitswelten und in der Versorgung mit Produkten und Dienstleistungen«, sagt er. »Als ehemaliger Unternehmer werde ich mich stark um das Thema Standortentwicklung kümmern, um Graz fit für eine ›Green Revolution‹ zu machen, um mehr gut bezahlte, zukunftssichere Jobs nach Graz zu holen.«

Anton Tropper (Neos): 
Viele Ideen, kleiner Hebel
Es war ein Erfolg, als Niko Swatek bei der letzten Gemeinderatswahl 2017 für die Neos ein Mandat ergatterte. 2019 wechselte Swatek in den Landtag, zuletzt vertrat Sabine Reininghaus die pinke Fraktion im Rathaus. Ob sie auch im Herbst ins Rennen geschickt wird, steht zu Redaktionsschluss noch nicht fest. Die Neos legen ihren Spitzenkandidaten erst am 7. August im Rahmen einer Mitgliedversammlung fest. Von sich reden machte die Partei unlängst vor allem mit einer Allee durch Graz, aber eigentlich steckt in der aktuell kleinsten Grazer Gemeinderat eine Fülle an Ideen und Visionen. Ob sie den Einzug schaffen, steht allerdings in den Sternen, mit großem Zuwachs ist – vorausgesetzt, es kann kein richtig großer Name auf Listenplatz 1 präsentiert werden – allerdings nicht zu rechnen. Es könnte auch – so wie beim letzten Mal für die Piraten, denen nur eine Periode im Rathaus vergönnt war – sehr knapp werden mit einem Mandat.

Anton Tropper ist Landesgeschäftsführer der Neos-Steiermark und Kampagnenleiter des Grazer Wahlkamps. Anfang des Jahres versuchte die Partei mit »Graz geht besser!« aus der Bevölkerung zu filtern, was sich die Menschen wünschen. Es entstand eine Karte mit über 200 Ideen, wo auch neue Fußwege oder Zebrastreifenwünsche mit dabei waren. »Im Mittelpunkt steht bei uns, dass Graz eine Politik der neuen Generation braucht«, sagt Tropper. »Es braucht nach so vielen Jahren Siegfried Nagl frischen Wind. Solange am Schalthebel zu sitzen, ist nicht förderlich. Wobei wir auch klar sagen, dass nicht alles schlecht war, was in den letzten knapp zwei Jahrzehnten in Graz passiert ist.« Im Kern geht es den NEOS um drei Punkte: Bildung, Wirtschaft sowie Kontrolle und Transparenz. Beim Thema Bildung stehen vor allem Elementarpädagogik und Brennpunktschulen im Mittelpunkt. »Wir brauchen mehr Wertschätzung für das Bildungspersonal und kleinere Gruppen in Kindergärten. Wir müssen Kindergärten als Bildungsstätte sehen, aber auch darüber nachdenken, ob Gebühren gerechtfertigt sind.« Bei den Brennpunktschulen sei Graz im oberen Feld Österreichs. »Da braucht es Unterstützungspersonal, Lehrer müssen entlastet werden, und die Schulen brauchen mehr Autonomie. Jedes Kind soll dieselben Chancen haben – die Wohngegend darf nicht darüber entscheiden, wie gut die Bildung ist.«

Im Wirtschaftsbereich berufen sich die Neos auf eine aktuelle Statistik. »Im aktuellen Businessreport der Weltbank erhielt Graz das zweitschlechteste Ranking – es dauert im Durchschnitt 24,5 Tage, in Graz ein Unternehmen zu eröffnen und damit acht Tage länger als etwa in Salzburg«, erklärt Tropper, der auch sagt: »In Estland dauert es 18 Minuten.« Auch seien die NEOS Gegner der Tourismusabgabe, bis sich der wirtschaftliche Aufschwung wieder verfestige, und man solle darüber nachdenken, dass – angesichts der Coronasituation – die Kommunalsteuer für Lehrlinge erlassen wird. Es waren die Neos, die das Fairnessabkommen für den Wahlkampf 2021 anstießen – und bis auf die ÖVP erklärten sich alle Parteien bereit, ein Wahlkostenlimit von 400.000 Euro einzuhalten. »Ich finde es schade, dass die ÖVP als einzige Partei nicht mitmachen wollte«, sagt Tropper. Auch Postenschacherei wolle man in Graz bekämpfen. Und wie war das nun mit der Stadtallee? »Die Forderung hat schon mehrere Jahre am Buckel und ist technisch wirklich möglich, auch wenn uns klar ist, dass es etwa in der Annenstraße eine Herausforderung ist. Aber man könnte auch dort, wo es geht, Bäume pflanzen und sonst Fassaden begrünen – das Uniqa-Gebäude in der Annenstraße ist ein wundervolles Beispiel dafür.«

Linke hoffen auf Koalition ohne Nagl,
 brauchen dazu aber plus 10 Prozent
Im 19. Jahr steht Siegfried Nagl der Grazer Stadtregierung vor. Er war bereits mit vier Parteien in Koalitionen oder Arbeitsübereinkommen (SPÖ, Grüne, KPÖ, FPÖ). Gemunkelt wird, dass eine Regierung mit den Grünen bereits ausgemachte Sache sei, andererseits hoffen die Parteien links der Mitte darauf, eine linke Koalition eingehen zu können. Realistisch ist das nicht, denn dafür müsste sich einiges verschieben – zehn Prozent fehlten dazu bei der letzten Wahl 2017. Auch eine neuerliche Zusammenarbeit der ÖVP und FPÖ ist nicht vom Tisch. Wer die Forderungen, Ideen und Visionen der in Fazit zu Wort kommenden Fraktionsmitglieder liest, erkennt schnell, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Grazerinnen und Grazer wissen, wo die Herausforderungen der Stadt zu finden sind und trotz der Buntheit viele Gemeinsamkeiten zu finden sind. Das farbenfrohe Graz wächst nicht nur stetig, sondern verändert sich auch rasant. Es liegt am Sonntag, dem 26. September, an der Bevölkerung, zu entscheiden, in welche Richtung und mit welchem Tempo sich die Murmetropole in die Zukunft aufmacht. Nur eines ist sicher: Graz wird politisch wie gesellschaftlich weiterhin manchmal erfolgreich Großstadt spielen und sich trotzdem ebenso weiterhin in der Rolle der provinziellen Kleinstadt wohlfühlen.

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Fazitthema Fazit 175 (August 2021), Illustration: Adobe-Stock

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