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Kraft des Zuhörens

| 12. Oktober 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 176, Serie »Erfolg braucht Führung«

Zuhören. Wahrnehmen. Verstehen. Unterstützen. Durch Aufmerksamkeit  zur Lebensfreude. Ein Gespräch von Carola Payer mit Bettina Payer-Brunner, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin sowie Unternehmerin.

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Seit 2018 begleitet Bettina Payer-Brunner Senioren und Seniorinnen und pflegende Angehörige, die das Ziel haben, trotz Hilfsbedarfs möglichst lange in den eigenen vier Wänden selbstbestimmt wohnen und leben zu können. Als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin hat sie davor neun Jahre sowohl im stationären als auch im mobilen Bereich mit älteren, chronisch kranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen gearbeitet. Mit diesem Erfahrungsschatz und dem in zahlreichen, fachlichen Ausbildungen erworbenen Wissen begleitet sie nun ältere Menschen kompetent und einfühlsam in speziellen Lebenslagen. Diese Lebensphase wurde für diese Zielgruppe 2020 noch spezieller durch die Corona-Pandemie.

Arbeiten mit einer Risikogruppen in der Coronakrise
Ältere Menschen gelten in der Corona-Pandemie als Risikogruppe, da sie besonders gefährdet sind, einen schweren Covid-19-Verlauf zu erleiden. Sie sollten daher, so war sich die Politik einig, soziale Kontakte weitgehend meiden. Bettina Payer-Brunner: »Diese plötzliche soziale Distanzierung war das größte Problem für meine Zielgruppe. Große Ängste sind entstanden. Schlimm war es vor allem für diejenigen, die keine Möglichkeit haben, sich im eigenen Haushalt mit irgendjemanden auszutauschen, weil sie alleine leben. Auswirkungen waren Schlafstörungen, sich massiv unter Druck fühlen, Nervosität, Dauerangst und teilweise ein Abdriften in demenzähnliche Zustände. Vor allem die bereits vorhandenen Erkrankungen haben sich verschlechtert. Einige haben kognitiv so richtig abgebaut. Einige wurden plötzlich bettlägerig aufgrund eines rapiden körperlichen Verfalls. Das ist echt traurig. Überwiegend sind die körperlichen Probleme durch Übergewicht entstanden. Essen war eine der Hauptbeschäftigungen im Lockdown. Nahrungsaufnahme wirkt beruhigend und wenn die Vorratskammer voll ist, gibt das Sicherheit. Viele, die den Krieg erlebt haben, decken sich daher noch intensiver mit Lebensmitteln ein. Ich befürchte, dass diese verordneten Isolierungen große Langzeitschäden angerichtet haben. Bei manchen Kunden habe ich ein starkes Nachlassen des eigenen Selbst- und Zeitmanagements wahrgenommen.«

Vertrauen durch Offenheit und Empathie
In den Medien wurde jeder Kontakt als potenzielle Gefahr für ein Ansteckungsrisiko gesehen. Wie gelingt es dann, Vertrauen bei den älteren Menschen zu erlangen? Bettina Payer-Brunner: »Auf der faktischen Ebene erfülle ich alle vorgegebenen Sicherheitskriterien: Ich halte die Hygienevorschriften ein und bin doppelt geimpft. Wichtiger sind aber die persönliche Haltung und das Verhalten. Ich agiere ehrlich, authentisch und offen. Ich schaue objektiv auf die Situation der Menschen, gebe ihnen Tipps als Außenstehende und bin ihnen einfach sehr nahe. Ich glaube, es ist meine Art, mein Auftritt. Die Menschen öffnen sich sehr bei mir. Sie schätzen die Zeit und das wirkliche Interesse, das ich ihnen gebe. Sie können reden und ich höre aufmerksam zu. Mein Erstgespräch dauert in der Regel drei Stunden. Da erfährt man schon einiges und ich spüre, dass das meine Kunden sehr, sehr gut tut. Es ist eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft und gemeinsamer Zeit da. Das Alleinsein erleben ältere Menschen als die größte Bedrohung. Sie sehnen sich am meisten nach Kontakt und Ansprache von Freunden oder Familie.«

Erhalt und Erweiterung von Fertigkeiten trotz enger Rahmenbedingungen
Bettina Payer-Brunner bietet auch ein spezielles Trainingsprogramm fürs Alter zur Stärkung der körperlichen Fitness, zum Gedächtnistraining und mit psychosozialen Komponenten an. Das sogenannte »Lima-Training« (Lebensqualität im Alter) musste vorerst auch abgesagt werden, da, wenn nicht im Einzeltraining gebucht, Gruppentrainings vorgesehen wurden. Bettina Payer-Brunner: »Als gar nichts mehr ging, habe ich Lima-Online als Zoom-Meeting ausgeschrieben. Wir haben die Teilnehmer in EDV- und Handy-Kompetenzen gestärkt. Kinder, Enkel, Bekannte wurden dafür involviert. Wir haben vor den Meetings technische Einschulungen gemacht und es hat besser funktioniert, als wir dachten. Alle waren mit Begeisterung dabei. Wir lassen die virtuelle Achse, dort wo es stimmig ist, weiter laufen. Bestimmte Gruppen fordern aktiv schon einmal pro Woche Online-Meetings ein.« Enge Rahmenbedingungen können manchmal dazu beitragen, dass Kompetenzen und Verhaltensänderungen, die man sich vorher nicht vorstellen konnte, sehr schnell möglich sind. Das heißt, die Digitalisierungsbeschleunigung hat auch in dieser Zielgruppe »zugeschlagen« und das nicht zu ihrem Nachteil. Beziehungspflege digital ist für manche dadurch mehr zum Alltag geworden und erhöht somit die Lebensqualität.«

Umgang mit Umständen
Das Aufsetzen und Tragen von Masken, wenn Hören, Sprechen, Atmen, Greifen schon schwerer geht, ist ebenfalls eine Herausforderung für diese Zielgruppe. Bettina Payer-Brunner: »Wir haben zum Beispiel eingeführt, dass die Träger von Hörgeräten andere Masken haben, damit sie die Hörgeräte nicht verlieren konnten. Diese haben wir mit den älteren Menschen gebastelt. Das hat gut funktioniert und war gleichzeitig wieder ein Training der manuellen Kompetenzen. Sorgen und Ängste habe ich versucht, durch Information und Aufklärung zu bearbeiten. Wichtig war hier, nichts zu bewerten und zu beurteilen. Eine sachliche neutrale Haltung erzeugt auch den besten Effekt. Werden Ängste zu groß, wird er Hausarzt oder weitere Professionisten eingeschaltet. Die großen Sorgen und Ängste der Anfangsphase werden mittlerweile abgelöst von Gedanken wie: Es wird schon Sinn haben und gut ausgehen. Teilweise ist hier sogar eine größere Zuversicht bei den älteren Menschen wahrnehmbar als bei jungen Menschen, die gesellschaftlich durch Ausbildung, Beruf, Kinder mehr vernetzt sind.«

Zukunftsbedarf Gesundheitsförderung für ältere Menschen
Bettina Payer-Brunner: »Es gibt hier Initiativen wie zum Beispiel »Community Nurse«, ein EU-gefördertes Projekt für Gemeinden. Dieses hat zum Ziel, mit Prävention bei Menschen über 75 rechtzeitig aktiv Einfluss zu nehmen, damit sie so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben können. Die komplette Vernetzung aller Einrichtungen ist hier das Ziel, um stationäre Aufenthalte zu vermeiden oder zu reduzieren. Die Motivation für die Gründung meines Unternehmens war das Herzensanliegen, aktiv zur Gesundheitsförderung im Alter beizutragen. Aktiv und gestalterisch noch im Leben zu sein, stimmt positiv. Der Wert von Seniorentreffen und -reisen, die wegen Corona nicht stattgefunden haben, wird auch noch sehr unterschätzt. Pflege- und Hilfsbedürftige haben derzeit eher das Gefühl, dass sie in der Gesellschaft übersehen werden. Wir müssen Wege finden, dieser Zielgruppe besser zuzuhören, sie wahr zu nehmen, sie zu verstehen und individuell zu unterstützen. Das Strahlen in den Augen meiner Kunden und Kundinnen ist ein unglaublicher Lohn für den Einsatz von Aufmerksamkeit.«

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Bettina Payer-Brunner ist freiberufliche DGKP (diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin). Sie ist spezialisiert auf Pflege- und Gesundheitsberatung, mobile Pflege, Gesundheitsförderung und Vermittlung von Personenbetreuung mit besonderem Schwerpunkt auf auf Senioren und pflegende Angehörige.   begleitetimalter.at

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Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 176 (Oktober 2021), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 43)

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