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Politicks Dezember 2021

| 30. November 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 178, Politicks

Elke Kahr ist Grazer Bürgermeisterin
Was viele bis zuletzt für unmöglich hielten, ist tatsächlich eingetreten. Graz hat mit Elke Kahr tatsächlich eine orthodox-kommunistische Bürgermeisterin, die sich nicht nur zu Marx bekennt, sondern etwa auch im kommunistischen Diktator von Exjugoslawien, Josip Broz Tito, der Tausende Andersdenkende ermorden ließ, ein Vorbild sieht.

Gewählt wurde Kahr trotzdem. Und zwar von der neuen Grazer Rathauskoalition aus KPÖ, Grünen und der SPÖ. Die drei Parteien wollen Graz mit ihrem Programm »Gemeinsam für ein neues Graz« sozialer, klimafreundlicher und demokratischer machen. Angelobt wurde die neue Bürgermeisterin durch Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP). Er wünschte ihr eine gute Hand für Graz und stellte klar, dass die Wählerinnen und Wähler immer Recht hätten und dass Kahrs Erfolg das Ergebnis demokratischer Wahlen gewesen sei.

Kahr will profitgetriebene 
Bauprojekte stoppen
In ihrer Antrittsrede dankte Kahr nicht nur Ernest Kaltenegger, der die KPÖ in Graz groß gemacht hat, sondern auch ihren Vorgängern Siegfried Nagl (ÖVP) und Alfred Stingl (SPÖ). Sie bekannte sich erstmals auch zu Graz als Stadt der Wirtschaft und des Gewerbes und dazu, die ökonomischen Stärken gemeinsam mit Wissenschaft und Kultur auszubauen und zu schützen. Mit ihrer Absage an profitgetriebene Bauprojekte schlug sie aber auch einen mächtigen inhaltlichen Pflock ein. So wolle sie die Flächenwidmung überarbeiten.

Der neue ÖVP-Chef Kurt Hohensinner wünschte der neuen Bürgermeisterin alles Gute und kündigte gleichzeitig eine neue Rolle seiner Partei als Gegengewicht zur linken Koalition an. Hohensinner stellte klar, dass das, was Kahr im Stadtrat der letzten Jahre gezeigt habe, aus ÖVP-Sicht nicht für die Gesamtverantwortung reiche.

Warum unterstützt
 die SPÖ die Kommunisten?
Der Umstand, dass SPÖ-Klubobmann Michael Ehmann ohne politisches Gegengeschäft – etwa einem SPÖ-Sitz im Stadtrat – eine KPÖ-Bürgermeisterin ermöglicht hat, sorgt zumindest bei der Landes-SPÖ für Aufsehen. Das macht ihn nach Nagl und Mario Eustacchio (FPÖ) wahrscheinlich zum nächsten Ablösekandidaten an der Spitze einer Grazer Gemeinderatsfraktion. Wie die Grazer SPÖ – als ehemalige Bürgermeisterpartei – ausgerechnet unter einer kommunistischen Bürgermeisterin zur alten Stärke zurückfinden will, erschließt sich wohl nicht einmal Michael Ehmann selbst.  Zur allgemeinen Überraschung sagte Ehmann bei der konstituierenden Gemeinderatssitzung auch noch, die SPÖ unterstütze Kahr vor allem wegen ihrer Lösungskompetenz, aber auch wegen der Gemeinsamkeiten im Programm.

Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit.
 Gibt es das wirklich?
Der Equal Pay Day fiel in Österreich heuer auf den 25. Oktober. Dieser Tag ist ein tolles PR-Instrument, das 1966 von amerikanischen Frauen- und Bürgerrechtsorganisationen mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, auf die damals übliche ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen, insbesondere afroamerikanischer Frauen, hinzuweisen. Geschlechterdiskriminierung bei der Bezahlung wäre, wenn es sie denn tatsächlich gäbe, ein echter Skandal, der bei jedem österreichischen Unternehmen, das seine Mitarbeiterinnen schlechter bezahlt als seine Mitarbeiter, gnadenlos publik gemacht werden sollte.

Laut Eurostat beträgt die  Lohnungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen heuer unglaubliche 18,5 Prozent. Wie kann das sein? Welche Tellerwäscherin verdient um beinahe ein Fünftel weniger als ihr männlicher Kollege? Wie schaut das bei Friseurinnen und Friseuren, bei Installateurinnen und Installateuren oder bei Richterinnen und Richtern aus? Die publizierten 18,5 Prozent entsprechen 68 Tagen des heurigen Kalenderjahres, an denen die geschundenen Frauen arbeiten müssen, ohne von ihren Arbeitgebern bezahlt zu werden. Im Vorjahr wurden die Frauen sogar 71 Tage lang um ihren Verdienst gebracht. Und gemäß Eurostat zählt Österreich damit zu den EU-Ländern mit der größten Lohnungerechtigkeit zwischen Frauen und Männern. Denn im EU-Durchschnitt stehen den heimischen 18,5 Prozent geschlechtsbedingtem Lohn- und Gehaltsunterschied »nur«14,1 Prozent in der EU gegenüber.

In Österreich gibt es
 sogar zwei Equal-Pay-Days
Seltsamerweise gibt es in Österreich nicht nur einen, sondern sogar zwei Equal-Pay-Days. Der erste war heuer am 21. Februar. Jetzt mag man dahinter einen besonderen PR-Schachzug vermuten. Der erste Equal-Pay-Day ist demnach der 68. Tag seit Jahresbeginn, bis zu dem Frauen gratis arbeiten, um die 18,5 Prozent Gender-Pay-Gap darzustellen. Und beim zweiten Equal-Pay-Day am 25. Oktober rechnet man die 68 Tage von Silvester zurück und kommt so auf den Tag, ab dem Frauen unbezahlt arbeiten. Eigentlich genial!

Trotzdem scheint bei unseren beiden Equal-Pay-Days irgendetwas nicht zu stimmen. Der 21. Februar ist nämlich der 52. Tag des Jahres und nicht der 68. Beim ersten Equal-Pay-Day beträgt der Gender-Pay-Gap »nur«ungerechte 14,3 Prozent. Beim zweiten wären es demnach noch ungerechtere 18,5 Prozent. Wie ist das möglich? Werden bei der Feststellung des zweiten, ja sogar von Eurostat legitimierten Equal-Pay-Day nicht Richterinnen mit Richtern, Installateurinnen mit Installateuren und Friseurinnen mit Friseuren, sondern Äpfel mit Birnen verglichen? Schließlich liegen den meisten Löhnen und Gehältern  kollektivvertragliche Gehaltstabellen zugrunde. Die österreichischen Sozialpartner machen bei der Lohnhöhe doch keinen Unterschied nach dem Geschlecht. Und die Kollektivverträge decken laut WKO und laut ÖGB etwa 98 Prozent der österreichischen Arbeitsverhältnisse ab.

Bei der Ermittlung des Gender-Pay-Gaps werden keine vergleichbaren Jobs gegenübergestellt
In den Arbeitsverträgen von 98 Prozent der Werktätigen ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit fixiert. Bei den beiden offiziellen Equal-Pay-Days werden daher Äpfel mit Birnen statt Frauen- und Männerarbeit miteinander verglichen.
Einen tauglichen Versuch die geschlechterspezifische Lohungleichheit zu ermitteln, hat die Unternehmensberatung Mercer unternommen. Dort hat man sich die jeweiligen Löhne und Gehälter in 215 österreichischen Unternehmen angesehen. Dabei ist  Mercer auf eine bereinigte Gehaltslücke im geschlechterspezifischen Grundgehalt von durchschnittlich 6,6 Prozent gestoßen. Dieser Wert ist deutlich niedriger als das Eurostat-Ergebnis. Es offenbart dennoch einen Skandal. Vor allem weil er mit den Qualifikationsniveau steigt, anstatt zu sinken! Die Mercer-Studie weist damit keinen Gender-Pay-Gap nach, sondern die Existenz einer gläsernen Decke in der österreichischen Arbeitswelt. Denn sogar in überwiegend weiblich dominierten Branchen werden die Führungspositionen mehrheitlich von Männern besetzt. Zwischen Frauen und Männern in denselben Positionen konnten hingegen »kaum Gehaltsunterschiede«festgestellt werden. Darüber hinaus hat Mercer wie Eurostat auch die unbereinigten Gehälter für Frauen und Männer verglichen. Dafür wurden die absoluten Brutto stunden verdienste von Männern und Frauen ungeachtet von Branchen und Positionen ins Verhältnis gesetzt.

Im Gegensatz zum Gender Pay Gap 
ist der Gender-Pensions-Gap
 der echte Skandal
Das Ergebnis ist nicht weit von den Eurostat-Zahlen entfernt. Der Gehaltsunterschied von 17 Prozent zwischen weiblichen und männlichen Stundenlöhnen weist aber weniger auf Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung als auf eine für das Lebenseinkommen ungünstigere weibliche Berufswahl hin. Auch die extrem hohe Teilzeitquote unter Müttern wirkt nicht nur karrierehemmend, sondern auch gehaltsbremsend. Besonders negativ auf die weiblichen Gehälter wirkt sich übrigens der Umstand aus, dass nur wenige Frauen nach der Babypause in ein Vollarbeitszeitverhältnis zurückkehren, sondern bis zum Antritt des Ruhestands als Teilzeitbeschäftigte weiterarbeiten.

Gemeinsam mit dem immer noch nicht angeglichenen Pensionsantrittsalter zwischen Männern und Frauen führt das zu deutlich niedrigeren Frauenpensionen. Die liegen in Österreich bei gerade einmal 56 Prozent der Männerpensionen. Hinter dieser Zahl verbirgt sich im Gegensatz zu den am Equal-Pay-Day propagandistisch ausgeschlachteten vermeintlichen geschlechterspezifischen Lohnungerechtigkeiten ein echter Skandal.

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Politicks, Fazit 178 (Dezember 2021)

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