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Resilient über den Wolken

| 15. Juli 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 184, Serie »Erfolg braucht Führung«

Ein Gespräch von Carola Payer über den Umgang mit Herausforderungen im Pilotenleben mit dem Frachtflieger Christopher Krainz.

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Die letzten zwei Jahre haben uns intensiv aus unseren Gewohnheiten herausgerissen. Man hat ein wenig das Gefühl, nicht zu wissen welche Krise sich noch »anschleicht«. Wir brauchen daher mehr als je zuvor jene psychische (Widerstands-)Kraft, die mit Resilienz bezeichnet wird. Diese befähigt uns, mit plötzlichen und einschneidenden Veränderungen umzugehen und uns an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Wie bleiben wir cool und handlungsfähig, in unruhigen Situationen, die unsere Routinen und Gewohnheiten beeinflussen? Eine gute persönliche Resilienz ist die Kombination aus dem Nutzen von positivem Stress, um in kritischen Situationen schnell und fokussiert handeln zu können, und die Kunst, negativen Stress zu vermeiden. Christopher Krainz ist Pilot und auch damit konfrontiert, bei plötzlichen Abweichungen von Routinen fokussiert und ruhig arbeiten zu müssen, und beschreibt das folgendermaßen: »Tendenziell ist der Berufsalltag eines Linienpiloten sehr stark durch vorgegebene Abläufe, Standards und Checklisten bestimmt. Diese leiten einen wie ein roter Faden durch den Flug. Wenn nun besonders in einer eintönigen Flugphase wie dem Reiseflug etwas Unvorhergesehenes passiert  und man blitzschnell von der Ruhe in einhunderprozentige Konzentration und Leistung umschalten muss, ist dies wohl eine der größten Herausforderungen. In der Expressfrachtfliegerei, in der ich zurzeit arbeite, ist Pünktlichkeit einer der wichtigsten Faktoren, um die Anschlussverbindungen für die Fracht zu gewährleisten. Um während der kurzen Stehzeiten der Flugzeuge an den jeweiligen Flughäfen alles für den Flug vorzubereiten, arbeiten viele Teams in verschiedensten Bereichen um das Flugzeug. Kurz vor dem geplanten Abflug laufen dann alle entscheidenden Informationen im Cockpit beim Kapitän und seiner Crew zusammen. Hier gilt es dann, keine Information zu verpassen, alles richtig in die Bordcomputer einzugeben, die korrekten Abflugberechnungen zu machen usw. Hier kann der kleinste Fehler oder Zahlendreher fatale Konsequenzen haben.«

Bewusstes Atmen und gestaltende Aufmerksamkeitim Hier und Jetzt
Resilient herausfordernde Situationen zu durchschreiten heißt, in der Gestalter- statt in der Opferrolle zu sein. Negatives Bewerten der Situation, Jammern, Angst, Ärger lösen negative Emotionen aus und stecken andere an. Besser ist es, tief durchzuatmen und die gleiche Energie in aktive positive Handlungen zu investieren. So erlebt man, dass man trotz der Umstände selbstwirksam sein und Einfluss nehmen kann. Statt zu hinterfragen oder Schuldige und vergangenheitsbezogene Gründe für die Situation zu finden, setzt man auf Lösungen und Experimente. Was funktioniert, wird weiter gemacht, was nicht funktioniert, schnell wieder fallen gelassen. Man ist bereit, neu nachzudenken und neu zu handeln. Christopher Krainz: »Desto plötzlicher oder überraschender die Veränderung eingetreten ist, desto mehr versuche ich, bevor ich eine Aktion einleite, mich erst mal zurückzulehnen und einen tiefen Atemzug zu nehmen. Der Überblick ist entscheidend, um sich bei einem komplexen Problem nicht in einem nebensächlichen Detail festzufahren. Da ich viele Jahre meiner Jugend im Leistungssport verbracht habe, durfte ich früh lernen, dass Atmung der Schlüssel zu Ruhe, Konzentration und Energie sein kann. Deshalb ist meine Devise immer: Erstmal tief durchatmen, das Problem erkennen und dann mithilfe einer Checkliste oder einer anderen Methode, welche die Luftfahrtindustrie im Lauf der Jahre entwickelt hat, den roten Faden wieder finden und die Mission – sichere Flugdurchführung – ans Ziel bringen.«

Gezielte und regelmäßige Selbstfürsorge
Resilienz kann schon als Potenzial in die Wiege gelegt werden. Manche Menschen sind scheinbar unverwundbarer oder »widerstandsfähiger«. Man spricht hier von Löwenzahnkindern, die besonders anpassungs- und widerstandsfähig sind, und dem Gegenteil, den Orchideenkindern, die sehr empfindlich und pflegeintensiv sind. Man kann aber persönlich sehr viel zum Stärken der eigenen Resilienz beitragen. Je mehr Stress und Unsicherheit im Außen, desto mehr muss man auf sich selbst achten und einen positiven Egoismus entwickeln. Für den einen kann es der Morgen- oder Mitternachtslauf sein, für den anderen ein wenig lesen, im Garten graben, ein nettes Gespräch oder eine viertel Stunde bewusst und intensiv ein- und ausatmen, mit den Kindern lachen oder in Gemeinschaft beten. Diese »stille Stunde« sollte im Terminkalender immer schon mitgedacht werden. Christopher Krainz beschreibt seine Resilienzstrategien folgendermaßen: »Für mich ist Sport eines der effektivsten Ventile, um Stress und psychische Belastung zu verarbeiten. In den vergangenen zwei Jahren der endlosen Quarantäne wurden Hotelzimmerworkouts und Yoga zu bewährten Gehilfen. Mindestens genauso wichtig ist für mich gesunder Schlaf. Da ich einen knapp dreijährigen Sohn habe und die Nächte zu Hause nicht immer ruhig sind, nutze ich diese Gelegenheit im Hotel besonders, um meine Batterien wieder aufzuladen. »Eine gesunde Seele wohnt in einem gesunden Körper« war ein Zitat, welches mir meine Mutter oft gepredigt hat. Die richtige Balance aus körperlicher und geistiger Betätigung fördert Entwicklung durch positiven Stress und lässt dich bei angepasster und ausreichender Erholung stets besser werden. Als junger Familienvater versuche ich die Zeit zu Hause, so gut ich nur kann mit meinem Sohn und meiner Frau zu verbringen. Das ausgelassene Spielen im Garten ist ein toller Ausgleich zum fokussierten Arbeiten im Cockpit. Und wenn es die Zeit erlaubt, gibt es für mich nichts Schöneres, als eine Stunde mit Crossfit völlig abzuschalten.«

Soziale Netzwerke pflegen und Teamwork
Resilienzstudien zeigen, dass gute soziale Netzwerke in Familie, privatem Umfeld und der Firma enorm zur individuellen Stabilität beitragen. Eingebunden und in Beziehung zu sein, nimmt Ängste und stärkt das Selbstbewusstsein. Gemeinsames Beleuchten von Herausforderungen im Team lässt einen schöpfen aus einem Pool an Sichtweisen, Ideen, Erfahrungen und trägt so zu einer Vielfalt an Lösungsstrategien bei. Daher ist es auch wichtig, Konflikte im privaten und beruflichen Umfeld aktiv zu bearbeiten und nicht zu verdrängen, damit man in kritischen Zeiten auf eine stabile Basis zurückgreifen kann. Christopher Krainz: »Am Weg ins Hotel lässt man oft nochmal Details des Fluges gemeinsam mit der Crew Revue passieren, um sich Feedback zu geben und zu besprechen, was man eventuell besser machen hätte können. Wenn wir unterwegs sind, trägt ein gemeinsames Abendessen mit den Kollegen auch dazu bei, die soziale Komponente und das Teamempfinden zu stärken. Das ist eine Basis für gute Teamwork in der Ausnahmesituation.«

Selbstbewusstsein
In herausfordernden Situationen ist es wichtig, sich auf seine Stärken zu besinnen. Immer wenn es eng wird, neigen wir dazu, dass auch alte Versagensängste auftauchen. Manchmal kennen wir unsere Schwächen besser und beschäftigen uns mehr mit ihnen als mit unseren Potenzialen. Daher ist Selbstbewusstsein eine wesentliche Voraussetzung für Resilienz. Was kann ich gut, was liegt mir nicht so gut, was sehe ich als meine Berufung? Christopher Krainz hat seine Berufung gefunden: »Mich motiviert jeden Tag die Möglichkeit, in einem technisch faszinierenden und komplexen Umfeld zu arbeiten, mit einem Team, das internationaler nicht sein könnte. Täglich vor neuen Herausforderungen zu stehen und im selben Moment dafür entlohnt zu werden, die Welt zu erkunden. Kurz gesagt, für mich bedeutet es, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte.«

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Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 184 (Juli 2022), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 51)

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