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Meister der Logistik

| 3. August 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 185, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Gerald Hofer, Vorstandsvorsitzender der Knapp AG, über Krapfenfüller und Intralogistik, über künstliche Intelligenz und Robotik. Und er erklärt, warum überlappendes Wissen Sicherheit bedeutet.

Das Gespräch führten Volker Schögler und Johannes Tandl.
Fotos von Erwin Scheriau.

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Auf der kurzen Fahrt von Graz zur Knapp AG in Hart bei Graz memorieren wir noch einmal ein paar Eckdaten. 1,66 Milliarden Euro Umsatz entspricht einem Plus von 57 Prozent gegenüber dem letzten Geschäftsjahr, zusätzliche 1.000 Neueinstellungen in einem Jahr ergeben heute mehr als 6.000 Mitarbeiter.

Hat die Corona-Pandemie etwas damit zu tun? Auch das wollen wir einen der drei Vorstände fragen. Als uns Gerald Hofer darüber Auskunft gibt, wie fortgeschritten Automatisierung und Digitalisierung in der Welt der Intralogistik bereits sind, wird erkennbar, wie sehr dadurch jetzt schon die Arbeit der Zukunft geprägt ist.

***

Herr Hofer, Knapp war im Jahr 1952 ein klassisches Garagen-Start-up. War das damals eher ein Schlossereibetrieb oder schon ein Technologieunternehmen?
Die Skills unseres Gründers Günther Knapp lagen unter anderem im Maschinenbau. Er hat die Bedeutung der Automatisierung für die Wertschöpfung sehr früh erkannt. Legendär ist die mechanische Krapfenfüllmaschine, die am Anfang unserer Geschichte steht. Knapp wollte die Abläufe effizienter machen. Er hat erkannt, dass Maschinen die menschliche Arbeit erleichtern, indem sie Handarbeit übernehmen – also die Notwendigkeit zu automatisieren. Einer unserer ersten großen Kunden war Herba Chemosan in Wien. Knapp lieferte dem Pharmagroßhändler zuerst Fördertechnik und später Kommissionierautomaten. So kamen wir zur Intralogistik. Zwischendurch war das Unternehmen sogar an Knapp beteiligt. Und bis heute ist Herba ein wichtiger Partner für uns.

Der Krapfenfüller stand also am Anfang des Weges von Knapp hin zum Intralogistik-Konzern. Geht es Ihnen dabei um die Optimierung sämtlicher innerbetrieblicher Material- und Warenflüsse?
Richtig. Und Günther Knapp hat als erster erkannt, welche Potenziale Logistik und Technologie für die Lagerhaltung speziell im Pharmagroßhandel bieten. Der Pharmabereich war deshalb so bedeutsam, weil er in der Vergangenheit schon viel weiter entwickelt war, als es bis heute etwa der Onlinehandel ist. Die Apotheken mussten schließlich mehrmals täglich beliefert werden. In dieser Welt wurde unser Unternehmen groß. Dabei haben wir auch gelernt, dass man alles, was man automatisiert, auch steuern muss. Knapp erkannte also sehr früh die Notwendigkeit einer leistungsfähigen und umfassend vernetzten Prozesssoftware. Der Phamagroßhandel hat uns also gut gewappnet für all das, was in den letzten Jahrzehnten in vielen weiteren Branchen auf uns zukam.

Inzwischen ist Knapp auf allen Kontinenten tätig. Wie viel Pioniergeist von der Gründerzeit steckt heute noch im Konzern?
Wir sind nach wie vor absolut technologiegetrieben. Technologie ist unsere DNA. Wir schauen jedes Ding ganz genau an, um herauszufinden, wie wir es mit neuer Technologie anders und noch besser machen können. Wir tun das – ganz im Sinne von Günther Knapp – nicht mit Grundlagenforschung, sondern wir wollen jedem Kunden Innovation, also die richtige Technologie als optimale Lösung, bieten. Aktuell implementieren wir beispielsweise Artificial-Intelligence-getriebene Robotik in unsere Anlagen.

Gründet das gewaltige Wachstum der Knapp AG vorrangig auf Ihrem Technologievorsprung?
Das ist natürlich ein ganz großer Teil unserer Marktposition. Mindestens so wichtig ist aber unser thematischer Zugang. Wir versuchen die Branchen unserer Kunden genau zu verstehen, um herauszufinden, welche Probleme wir auf dem Weg zur Optimierung lösen müssen. Wir analysieren also zuerst die logistischen Herausforderungen einer Branche und suchen danach nach an einer Lösung. Das kann ein reines Software-Prozessthema sein, das kann eine Wegeverfolgung mit Sensorik und Software sein, das kann aber auch eine große Komplettanlage sein. Um Herausforderungen meistern zu können, muss man wissen, worauf es ankommt. Dabei gehen wir nach einem eigenen Technologieansatz vor. Wir fragen uns zuerst, ob wir nicht vielleicht bereits eine Lösung für das gleiche Problem – allerdings in einer anderen Branche – gefunden haben und ob wir jene nicht auf andere Kunden ausrollen können. Und wenn es diese Lösung noch nicht gibt, suchen wir nach einem geeigneten individuellen Weg.

Und diese individuellen Lösungen werden standardisiert?
Daraus entstehen oft wiederum neue Branchenlösungen. Wir sind selbst in vielen Disziplinen sehr gut aufgestellt, scheuen aber auch Kooperationen nicht. So arbeiten wir etwa im Bereich der Artificial-Itelligence-Robotik mit einem Ableger der University of California in Berkley zusammen. Dabei haben wir jedoch das Basis-Knowhow immer auch selbst im Haus.

Foto: Marija Kanizaj

Sie implementieren also Ihr Knowhow aus der einen Branche in die andere. Und wenn das nicht geht, finden Sie eine individuelle Lösung. Klappt das immer?
Die Lebensmittelbranche ist ziemlich anders als die meisten. Bevor wir uns auf diesen Markt wagten, mussten wir diese Besonderheiten erst erlernen. Erst danach suchten wir Partner für erste Projekte. Bei Spar begannen wir etwa mit dem Leergutmanagement. Die Retouren werden dabei über Bilderkennung identifiziert, rückgebucht und sortiert. Inzwischen »können« wir auch Lebensmittel. Und so haben wir in Ebergassing eines der modernsten Auslieferungslager für Spar umgesetzt. Inzwischen arbeiten wir weltweit für führende Lebensmittelketten, unter anderem für Kroger in den USA und Migros in der Schweiz [Anmerkung: Daneben gibt es weitere internationale Ketten, die aus Geheimhaltungsgründen nicht genannt werden dürfen]. Um eine Branche richtig kennenzulernen, braucht man jene langfristigen Kundenbeziehungen, die im Mittelpunkt der Knapp-Strategie stehen.

Knapp hatte im Jahr 2015 einen Umsatz von 466 Millionen Euro, jetzt sind es knapp 1,7 Milliarden. Wie verkraftet das eine Unternehmensorganisation? Müssen Sie nicht Millionen für Change-Management-Berater ausgeben?
Wir haben ein sehr starkes Team im Haus, das Unternehmensentwicklung als Multiprojektmanagement betreibt. Knapp verfügt über eine ausgeprägte Managementstruktur in allen Funktionsbereichen und besteht mittlerweile aus 62 Gesellschaften. Jeder Funktionsbereich und jede Gesellschaft ist abgeleitet von der Gesamtstrategie für den Erfolg in der strategischen Weiterentwicklung wie auch im Tagesgeschäft verantwortlich. Bei Knapp wird die Bereitschaft zur Veränderung aktiv gelebt.

In vielen Fällen stellen Veränderungen große Unternehmen vor unlösbare Probleme. Auf Knapp trifft das nicht zu?
In der Geschäftsführung sind wir ein Fünfergremium [Anmerkung: die drei Vorstände und zwei Vizepräsidenten]. Damit sind wir gleich dynamisch wie ein Start-up. Auch unsere Eigentümerschaft lässt extrem kurze Entscheidungswege zu. Einmal im Monat wird außerdem mit den Eigentümerfamilien [Anmerkung: Knapp und Bartenstein] in kleiner Runde über die kurz- und langfristigen Herausforderungen diskutiert.

Sie arbeiten als CEO mit Franz Mathi (COO) und Christian Grabner (CFO) in einem Dreier-Vorstand zusammen. Wie streng sind eigentlich die Kompetenzen bei Knapp verteilt?
Wir alle betreuen neben unseren Schwerpunktbereichen auch Kunden. So bin auch ich in Entwicklungsmeetings anzutreffen und verantworte das Produktmanagement, während Franz Mathi als Technikvorstand zum Beispiel nach Südamerika enge, persönliche Kundenbeziehungen pflegt. Und auch Christian Grabner sitzt in Endverhandlungen und verhandelt Verträge mit Neukunden. Ähnliches gilt für die beiden Knapp-Vizepräsidenten Heimo Robosch, zuständig für Sales und Projektmanagement, und Bernhard Rottenbücher, unter anderem zuständig für die Knapp-Standorte Leoben und Dobl. Beide haben einen Technologie- und Projektbezug und direkten Kundenkontakt. Das heißt, wir haben Schwerpunkte, aber keine scharfe Trennung zwischen den Verantwortlichkeiten.

Im Mitbewerb gibt es eine ganze Reihe von Logistikunternehmen, die in Wahrheit alle eine gemeinsame Mutter haben, nämlich die Knapp AG. Ist das ein Branchenproblem, das man nicht abstellen kann? Warum gibt es so wenige Möglichkeiten, geistiges Eigentum zu schützen?
Tatsächlich wird es immer schwieriger, Knowhow zu schützen. Das gilt vor allem im internationalen Bereich. Den größten Schutz bietet unser überlappendes Wissen. Nur weil jemand ein Shuttle fahren lassen kann, weiß er noch lange nicht, wie man ein Projekt um hunderte Millionen umsetzt. Unsere Erfahrung gibt den Ausschlag, wenn es etwa darum geht, eine Prozesssoftware mit mechatronischen Lösungen zusammenzubringen.
Mittlerweile betreiben fast alle, die in unserer Branche tätig sind, einen Standort in Graz. Für Graz selbst ist es gut, weil damit ein Logistikcluster entstehen konnte. Das ist auch für uns kein Nachteil. Dadurch ist das Interesse an unserer Branche so hoch, dass die Ausbildungsstätten darauf reagieren. Es ist auf der einen Seite eine Bürde. Viele, die in Graz nur ein Büro betreiben, bilden nicht aus und versuchen daher unsere Mitarbeiter abzuwerben. Wir bilden nicht nur 150 Lehrlinge, sondern alle unsere Mitarbeiter selbst aus. Wenn uns jemand verlässt, geschieht das meistens im Guten. Aber natürlich müssen rechtliche Dinge wie etwa Konkurrenzklauseln eingehalten werden und wenn tatsächlich Daten transferiert werden, gehen wir dagegen natürlich vor. Die einzige große Abspaltung war übrigens deutlich vor meiner Zeit. Das war vor vielen Jahren die Gründung von Peem, heute SSI.

Die Knapp AG hat insgesamt 6.200 Mitarbeiter, letztes Jahr haben Sie 1.000 Mitarbeiter eingestellt. Mussten Sie das Anforderungsniveau absenken, um genug Mitarbeiter zu finden?
Eigentlich gar nicht, aber von den 1.000 haben wir nur 350 bis 400 für Österreich aufgenommen, den Rest an ausländischen Standorten. In der Steiermark beschäftigen wir etwa 3.600 Menschen – neben dem Headquarter in Hart auch in Leoben, Dobl und Raaba.

Wie gehen Sie mit den gegenwärtigen Krisen – Corona, Euroabwertung und Russlandsanktionen – um? Angesichts Ihres letzten erfolgreichen Geschäftsjahres müssten Sie von Corona sogar profitiert haben, oder?
Corona war nicht der ausschlaggebende Faktor für unseren Erfolg. Wir haben dadurch im Filialgeschäft auch Aufträge verloren, weil Investitionen nicht stattfinden konnten. Wir waren drei Monaten lang praktisch lahmgelegt. Es gab durch Corona natürlich einen Boom bei den B2C-Online-Anbietern. Dafür hat sich jedoch im B2B-Bereich etwas weniger getan.

Foto: Marija Kanizaj

Wie geht es Ihnen mit den Russlandsanktionen?
Die Russlandsanktionen treffen uns indirekt. Wenn die Menschen wegen gestiegener Energiepreise weniger kaufen können, drosselt das den Konsum. Und damit sinken im nächsten Schritt die Investitionen unserer Kunden. Der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel beschleunigt hingegen die Automatisierung und die Digitalisierung.

Zum Beispiel?
Bei Pankl-Racing werden für KTM Hochleistungsgetriebe hergestellt. Fachkräfte sind kaum verfügbar. Daher haben wir aus einem hochqualifizierten Job Arbeitsplätze für jedermann gemacht.

Durch Automatisierung?
Jeder Arbeitsschritt wird über unsere Bilderkennung vorabgebildet. Dadurch kann jemand, der vorher vielleicht an der Supermarktkassa gesessen ist, auf einmal ohne langwierige Umschulung ein Motorradgetriebe zusammenbauen. Auch der Einsatz von AI-Robotik [Artificial Intelligence also künstliche Intelligenz] senkt das Qualifikationsniveau.

Sie erleichtern den Unternehmen dadurch die Mitarbeitersuche?
Ja, indem wir die Tätigkeit so gestalten, dass sie von jedem – noch dazu fehlerfrei – ausgeführt werden kann.

Trifft Sie die Energiekrise?
Ja, aber auch nur indirekt. Die Investitionsentscheidungen von unseren Kunden hängen vom Konsumverhalten der Menschen ab, das durch die hohen Energiepreise nicht gestärkt wird. Im Moment hoffen wir noch, dass wir uns auf dem jetzigen Rekordniveau konsolidieren können, weil wir widerstandsfähiger sind als die meisten zyklischen Industrien.

Sie haben bei der Bilanzpressekonferenz Ihr Retrofitprogramm hervorgehoben. Worum geht es dabei und stimmt es, dass das jener Bereich mit der höchsten Umsatzrentabilität ist?
Ja, das stimmt, allerdings muss man dafür auch unglaublich viel Knowhow einsetzen. Die bereits erwähnte DNA von Knapp ist unsere Entwicklungs- und Problemlösungskompetenz. Bei Retrofit geht es nicht nur um die Reparatur alter Anlagen, sondern um ein Upgrade auf den neuesten technologischen Stand. Und das bei laufendem Betrieb. Das ist extrem aufwendig. Wir müssen ganz genau wissen, wie der Kunde arbeitet und was man wann und wie abschalten kann. Für die Kunden bedeutet die umfassende technologische Anlagenerneuerung bei laufendem Betrieb natürlich eine enorme Ersparnis im Vergleich zu einer Neuanlage.

Damit sorgt Retrofit zusätzlich für lange Geschäftsbeziehungen und für Stammkunden …
So ist es. Wir sehen uns als »Value-Chain-Tech-Supplier«. Das heißt, wir schauen uns die Lieferkette eines Kunden an und stellen uns die Frage, was wir dazu beitragen können, damit er noch erfolgreicher wird.

Knapp wächst mit seinen Kunden mit?
Mit vielen unseren Kunden im Healthcare-Bereich arbeiten wir, wie bereits erwähnt, seit Jahrzehnten zusammen. Auch die meisten anderen Kunden sind mehr als zehn Jahre mit uns liiert. Die Roll-out-Programme für Kunden wie Adidas und Würth sind nicht nur Projekte, sondern begründen echte Partnerschaften. Damit sind wir auch für deren Expansion technologisch und darüber hinaus mitverantwortlich. Das macht Knapp aus. Wir machen nicht einfach nur bei Ausschreibungen mit oder entwickeln eine Technologie und suchen dann Kunden, für die unsere Entwicklungen passen könnten. Es ist umgekehrt. Wir kommen so nicht nur zu großem Branchen-Knowhow, sondern vor allem zu großem Kunden-Knowhow. Dadurch wird auch die Unterstützung der Kunden von unserer Seite immer besser. Wir sind daher schon lange nicht mehr bloßer Lieferant, sondern echter Partner. Daher haben wir weltweit auch über 70 Prozent Stammkunden.

Herr Hofer, danke für das Gespräch.

*

Gerald Hofer, CEO der Knapp AG, hat das Masterstudium für »Generic Management« an der Montanuniversität Leoben und einen Exportlehrgang an der Karl-Franzens-Universität Graz absolviert. Bereits seit 1994 bei der Knapp AG, leitete er zunächst den Verkauf für Italien und übernahm zwei Jahre später die Leitung des Bereichs Marketing & Vertrieb. 2001 wechselte der Exportexperte als Geschäftsführer zur Unternehmenstochter Knapp Systemintegration GmbH in Leoben. 2007 kehrte er in die Geschäftsleitung am Standort Hart bei Graz zurück und wurde 2010 in den Vorstand der Knapp AG berufen, dessen Vorsitzender er seit 2012 ist. Hofer lebt in einer Partnerschaft und hat vier Kinder.

70 Jahre nach der Gründung ist die Knapp AG heute ein weltweit agierender Generalanbieter auf dem Gebiet der Lagerlogistik und Lagerautomation. Als Intralogistik-Spezialist steuert Knapp mit seiner Technologie die logistischen Material- und Warenflüsse, die sich innerhalb eines Betriebsgeländes abspielen und mittelbar auch darüber hinaus. Seit 2012 verfügt Knapp über ein Team von drei Vorständen (CEO Gerald Hofer, COO Franz Mathi und CFO Christian Grabner) und zwei Vizepräsidenten (Heimo Robosch und Bernhard Rottenbücher).   knapp.com

Fazitgespräch, Fazit 185 (August 2022), Fotos: Marija Kanizaj

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