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Politicks August 2022

| 3. August 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 185, Politicks

Wifo-Chef Felbermayr beherrscht die Tagespolitik
Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr hat hinlänglich bewiesen, dass er zu den renommiertesten Ökonomen im deutschen Sprachraum zählt. Seine eindrucksvolle Karriere hat den Oberösterreicher unter anderem an die Uni Tübingen geführt, an der er sich habilitierte. Von 2010 bis 2019 leitete er das renommierte Ifo – das Zentrum für internationale Wirtschaft in München. Zuletzt war er Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Und seit Oktober ist der 46-Jährige nun Chef des österreichischen Wifo – eigentlich ein Abstieg, den er im Ö3-Sonntagsinterview mit Claudia Stöckl mit familiären Interessen begründete.

Nur wenige wissen, dass das bis zum Ukrainekrieg europaweit verfolgte Konzept eines einheitlichen und sektorübergreifenden CO2-Preises – der dann über ein Anreizsystem zur Gänze an die Bevölkerung zurückgegeben wird – von Felbermayr stammt. Während die Energiekosten aus Sicht aller anderen europäischen Regierungen auch ohne neue Steuer eine abschreckende Höhe erreicht haben, sieht man das in Österreich immer noch anders. Um die Grünen bei der Stange zu halten, wird dieses CO2-Preiskonzept in Verbindung mit dem Klimabonus von der Regierung trotzdem ab Oktober eingeführt. Ökologisch wäre es zwar nicht mehr notwendig, denn inzwischen sorgen die enorm gestiegenen Energiepreise auch so dafür, dass etwa wesentlich mehr Pendler in den Öffis sitzen als vor der Krise. Aber zum Wesen von Regierungen gehört es nun einmal, den Leuten auf der einen Seite das Geld aus der Tasche zu ziehen, um es auf der anderen Seite wieder zurückzugeben.

Felbermayr-Energiekostenidee vor Umsetzung
Nun steht ein anderer Felbermayr-Vorschlag vor der Umsetzung. Der Wifo-Chef hat in der ZIB2 ein Wohlfahrtskonzept des indischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Amartya Sen für die aktuelle Energieversorgungslage adaptiert. Gabriel Felbermayr fordert einen Energiekostenausgleich bei gleichzeitiger Schaffung von Energiesparanreizen. Dabei geht es darum, den Haushalten eine preisreduzierte Freimenge an Energie zur Verfügung zu stellen, damit ihnen genügend Geld für den Konsum bleibt. Jeder Verbrauch, der über diese Freimenge hinausgeht, soll aber weiterhin den Marktpreis oder sogar noch mehr kosten und so zusätzliche Energiesparanreize schaffen. Der Wifo-Chef erachtet diesen Vorschlag als wesentlich sinnvoller als die von der Opposition geforderte Deckelung der Energiepreise. Ein Strompreisdeckel, wie ihn etwa die SPÖ, aber inzwischen auch die wahlkämpfende niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner will, würde nämlich zu Fehlverteilungen führen, die womöglich sogar in einem Blackout enden könnten. Außerdem würde ein Strompreisdeckel sämtliche Energiespar-Appelle konterkarieren, weil dadurch die Stromnachfrage steigt, statt zu sinken. Außerdem können weder der Staat noch irgendwelche Energieversorger den zugekauften Strom auf Dauer billiger hergeben, als sie dafür an der Strombörse bezahlen müssen.

ÖVP und SPÖ nehmen den Ball auf
Inzwischen spricht sich auch der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler für den Felbermayr-Vorschlag aus und nimmt als Erster den Ball auf, den Gabriel Felbermayer der Politik zugespielt hat. Drexler sieht darin einen adaptierten Strompreisdeckel und appelliert an alle Beteiligten, nicht auf ihren Dogmen zu beharren. Damit baut er der Bundes-ÖVP sowie seiner niederösterreichischen Kollegin, aber auch den Grünen eine goldene Brücke. Schließlich führt das Wifo-Konzept im Gegensatz zum SPÖ-Strompreisdeckel nicht zu einem Mehrverbrauch und erhöht damit auch nicht die Blackoutgefahr. Stattdessen belohnt es all jene, die in Zukunft weniger Energie verbrauchen als bisher. Aber auch die SPÖ arbeitet bereits an der Deutungshoheit. Ihr Klubobmann Jörg Leichtfried will nämlich bereits die gesamte Bundesregierung auf die SPÖ-Idee des Strompreisdeckels einlenken sehen. Dass die jetzt vor der Umsetzung stehenden Maßnahmen überhaupt nichts mit dem SPÖ-Vorschlag zu tun haben, verschweigt er jedoch. Trotzdem wird es sehr schwierig, die Idee des Wifo-Chefs umzusetzen. Denn es ist damit zu rechnen, dass sich viele Bedenkenträger querlegen werden. Die Bedachtnahme auf Datenschutz und viele andere Bedachtnahmen verhindern nämlich immer öfter politische Umsetzungen. Schließlich ist die Regierung auch mit ihrem Energiekostenbonus an den zahlreichen Einwänden gescheitert, indem sie eine nicht umsetzbare Konstruktion für die Auszahlung schaffen musste. Bundeskanzler Karl Nehammer hat inzwischen jedenfalls nicht nur seine Teilnahme an den Bregenzer und Salzburger Festspielen gecancelled, sondern auch seinen Familienurlaub in Griechenland abgesagt. Er will sich voll auf die Bekämpfung der Teuerung konzentrieren.

Harte erste Wochen für den neuen Landeshauptmann
Von Sommerpause kann für den neuen steirischen Landeshauptmann keine Rede sein. Es ist ihm aber rasch gelungen, die überregionalen Medien von seinem rhetorischen Können und seiner Klugheit zu überzeugen. Und innerhalb der Steirischen ÖVP zeigen sich inzwischen selbst jene von ihm begeistert, die bis vor kurzem gerne jemand anderen an der Spitze des Landes gesehen hätten und ihn als Landeshauptmanns für ungeeignet hielten. Punkten konnte Drexler nicht nur mit einem ZIB2-Interview, bei dem er den Österreichern unter anderem den weißgrünen steirischen Farbcode erklärte, sondern auch bei zahlreichen weiteren Auftritten, bei dem er sich als Menschenfreund positionieren konnte, der weiß, worauf es angesichts der allgegenwärtigen Krisen ankommt. Hermann Schützenhöfer hat seinem Nachfolger mangelnde Beliebtheit attestiert, die es abzuarbeiten gelte. Diese Äußerung war unnötig, erweist sich im Nachhinein jedoch als Vorteil für den Neuen. Schließlich dämpfte sie die Erwartungen der Bevölkerung. Die meisten Steirerinnen und Steirer erleben Christopher Drexler nämlich erst jetzt bewusst, seit er Landeshauptmann ist. Dass er der Spiritus Rector mehrerer Regierungskoalitionen war, weiß nur die kleine landespolitisch interessierte Minderheit. Das gilt auch für seine Tätigkeit als treibende Kraft hinter der steirischen Gesundheits- und Spitalsreform. Und so hat der neue Landeshauptmann nicht nur mit seiner geistigen Wachheit, sondern auch mit seiner Empathie für die Anliegen der krisengebeutelten Bevölkerung die Erwartungen deutlich übertroffen. Drexlers bundesweiter Bekanntheitsgrad hat sich in den wenigen Wochen seit seinem Amtsantritt vervielfacht. Als erstem ÖVP-Politiker seit Sebastian Kurz gelang es ihm, auch bei bundesweiten Radio- und TV-Interviews zu überzeugen.

Obwohl ihn die Opposition im Steirischen Landtag schon einen Tag nach Amtsantritt mit einer dringlichen Anfrage konfrontierte und gar nicht daran denkt, ihm eine Einarbeitungszeit zu lassen, ist der Start geglückt. Das war auch notwendig und wohl gut geplant. Schließlich bleiben Drexler nur zweieinhalb Jahre, um gegen den Bundestrend bei der Landtagswahl auch die Mehrheit der Bevölkerung von der ÖVP zu überzeugen.

Präsidentschaftswahl: Muss Van der Bellen in eine Stichwahl?
Am 9. Oktober ist Bundespräsidentenwahl. Und dass Alexander Van der Bellen das Rennen machen wird, steht eigentlich außer Zweifel. Schließlich verzichten sowohl die ÖVP als auch die SPÖ diesmal auf die blutige Nase, die sie sich vor sechs Jahren mit Andreas Khol und Rudolf Hundstorfer holten.

Mit Volksanwalt Walter Rosenkranz schickt die FPÖ auch diesmal einen Kandidaten ins Rennen, dem es wie schon zuletzt Norbert Hofer gelingen könnte, bürgerliche Wähler, die sonst nicht viel mit der FPÖ anfangen können, von sich zu überzeugen. Daher wird es auch diesmal kein einsames Rennen für Alexander Van der Bellen werden. Dass der Amtsinhaber bereits verlautbaren ließ, dass er sämtlichen TV-Konfrontationen aus dem Weg gehen werde, ist außerdem alles andere als ein Zeichen demokratischer Reife. Damit wird Van der Bellen nicht nur die Proteststimmung unter den FPÖ-Anhängern befeuern. Seine Ignoranz kann auch die Wahlbeteiligung bei ÖVP- und SPÖ-Anhängern drücken.

Daher könnte Alexander Van der Bellen als erster amtierender Bundespräsident der Zweiten Republik in eine Stichwahl müssen. Die Hoffnung der Grünen, dass sich die drei rechts verorteten Kandidaten Walter Rosenkranz, Gerald Grosz und MFG-Obmann Michael Brunner gegenseitig Stimmen wegnehmen, mag zwar begründet sein. Vor einer Stichwahl würde das den Amtsinhaber aber natürlich trotzdem nicht bewahren. Schließlich benötigt er die absolute Stimmenmehrheit – also 50 Prozent und eine Stimme.

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Politicks, Fazit 185 (August 2022)

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