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»The Great Resignation«

| 3. August 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 185, Fazitthema

Foto: Saulo Mohana/Unsplash

In den USA kündigen Millionen Menschen ihre Jobs. Auch in Europa kämpft man mit den Folgen eines sich verändernden Arbeitsmarktes. Die Auswirkungen dieser Veränderung sieht man am Flughafenchaos und an Restaurants, die mangels Mitarbeiter an Sonntagen geschlossen bleiben. Und wie diese Entwicklung weitergeht, wenn das Land aufgrund der Energiekrise in eine Rezession stürzt, ist noch nicht absehbar. Text von Johannes Roth

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Was im Augenblick am Arbeitsmarkt vor sich geht, weiß niemand so genau. Was sich abzeichnet, ist ein Szenario, das man sich in einer Leistungsgesellschaft eigentlich nicht vorstellen konnte: Immer weniger Leute wollen, so scheint’s, arbeiten. Sie kündigen ihre Jobs und nehmen sich entweder viel Zeit, um eine sinnstiftende Beschäftigung zu suchen, oder sie legen sich in das, was man landläufig als soziale Hängematte versteht. Wobei Letzteres, das sei vorweg festgehalten, eher die Ausnahme ist. Das Phänomen jedenfalls hat bereits einen eigenen Namen: »The Great Resignation«, oder »The Big Quit«, je nachdem, welche Ausprägung man vordringlich beklagen möchte. Es beschreibt zunächst eine in dieser Form nie dagewesene Kündigungswelle in den USA, die ihren Ausgang in der ersten postpandemischen Phase des Jahres 2021 nahm: Im April vergangenen Jahres hatten offenbar 4 Millionen Menschen einfach ihren Job hingeschmissen – so viel wie in den 20 Jahren davor nicht. Es war nur der Beginn eines Trends, der in den USA bis heute anhält: Es dauerte keine drei Monate und die Zahl der Kündigungen überstieg abermals die 4-Millionen-Marke, einen Monat später, im August, hatten sich weitere 270.000 Menschen von ihren Arbeitgebern verabschiedet.

Große Unzufriedenheit
Bisher galt in historisch unsicheren Zeiten ja immer, dass man sich eher an seinen Job klammert als ihn zu riskieren. Dieser Mut der Arbeitnehmer mündete in einer ganzen Reihe von Problemen für die Arbeitgeber. Denn die Unternehmer standen plötzlich nicht mehr nur ohne Arbeitskräfte da. Das Grundprinzip des »Hire and fire« war urplötzlich in Frage gestellt – schlicht deshalb, weil die Arbeitskräfte wieder weg waren, bevor man als Arbeitgeber die Gelegenheit hatte, die Kündigung auszusprechen. Ausgehend von den USA sind Arbeitskräfte ein kostbares Gut geworden, zumal auch die im Job verbliebenen US-Amerikaner die Aufbruchsstimmung zum Anlass nahmen, ihre Arbeitsbedingungen massiv in Frage zu stellen: Eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Streiks legte ganze Branchen lahm und die Zeiten der »Working Poor« sind in den USA  – hoffentlich endgültig – vorbei, denn aus 9-Dollar-Jobs, die nicht zum Leben reichten wurden in kurzer Zeit 20-Dollar-Jobs.

»Diese Pandemie dauert schon so lange an, dass sie die Menschen geistig und körperlich beeinträchtigt«, sagte Danny Nelms, der Präsident der US-Beratungsfirma »Work Institute« in einer Reportage des Wall Street Journal. »Das und die neuen Belastungen bringen die Menschen dazu, über ihr Leben, ihre Karriere und ihre Jobs nachzudenken. Dazu kommen Millionen an freien Stellen. Wer also etwas anderes machen möchte, dem fällt das derzeit nicht besonders schwer.«

Der Begriff »The Great Resignation« geht auf einen amerikanischen Organisationspsychologen Anthony Klotz zurück. Klotz unterrichtet an der Mays Business School in Texas. Er hat hunderte Menschen, die ihren Job gekündigt hatten, zu ihren Motiven befragt. In einem Bloomberg-Interview im Mai 2021 kündigte Klotz als Erster »The Great Resignation« an. AMS-Chef Johannes Kopf kennt auch noch eine weitere Studie, die die weltweite Verbreitung des Begriffs befeuert hätte, nämlich den von Microsoft herausgegebenen »Work Trend Index«. Er wurde mit 30.000 Interviews in 31 Ländern durchgeführt, mit dem für jeden Arbeitgeber erschreckendem Ergebnis, dass 40 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen darüber nachdachten, noch 2021 ihren Job zu kündigen.

Tickt Österreich anders?
Bis zum heurigen Jänner hab es, so Kopf, in Österreich keine plötzliche Kündigungswelle gegeben. Es gab im Jahr 2020 aber eine extrem hohe Zahl einvernehmlicher Auflösungen, die seien auf die Lockdowns zurückzuführen. In den USA messen monatlich erstellte Quits-Rates den Anteil der Arbeitnehmer an der gesamten Workforce, die ihr Dienstverhältnis selbst auflösen, erklärt der AMS-Chef. Langjährig üblich seien 2,3 Prozent, im November 2021 waren es jedoch 3  Prozent gewesen. »Doch rechtfertigt ein solcher Anstieg, der sich noch dazu teilweise mit den aufgeschobenen Kündigungen im unsicheren Jahr 2020 erklären lässt, wirklich die Bezeichnung ›The Great Resignation?‹«, fragt sich Kopf – zumal der Ausdruck, wohl nicht unabsichtlich, an »The Great Depression« erinnere, jene jahrelange Wirtschaftskrise der 30er Jahre, die Arbeitslosenraten von mehr als 25 Prozent auslöste und die Durchschnittslöhne jener US-Bürger, die noch Arbeit hatten, um 60 Prozent fallen ließ. Aktuell würden sich die US-Zahlen jedenfalls wieder etwas in Richtung Normalität bewegen: Im Mai 2022 lag die Quits-Rates aber immer noch bei 2,8 Prozent und damit um ein Fünftel über dem langjährigen Durchschnitt. Über drei Prozent lagen sie übrigens zuletzt im Dezember 2021.

In Europa kam »The Great Resignation« zeitverzögert an, und auch nicht mit solcher Wucht. Zuletzt machten Italien und Spanien in dieser Hinsicht von sich reden.  Dort gibt es trotz hoher Arbeitslosigkeit einen ungewöhnlichen Anstieg der arbeitnehmerseitigen Kündigungen.

Als die ersten Wogen der corona-bedingten Arbeitsmarktunsicherheiten in Österreich geglättet waren, war aber auch hier eine nachhaltige Veränderung in der Erwartungshaltung an Arbeit und Lebensunterhalt feststellbar. Tausende Menschen kehrten nach der Kurzarbeit einfach nicht mehr in ihre alten Jobs zurück und waren zunächst auch für den Arbeitsmarkt nicht mehr verfügbar. Noch heute fehlen an allen Ecken und Enden sowohl Fachkräfte als auch einfache Arbeiter. Sie fehlen in der Industrie, in der IT, in der Gastronomie, am Bau etc.

Worauf es aus Arbeitgebersicht jetzt ankommt
Der Fachkräftemangel und die damit einhergehende höhere Kündigungsbereitschaft der Mitarbeiter lässt bei Arbeitgebern natürlich die Alarmglocken läuten. Und so haben mittlerweile landauf und landab die Unternehmensberater ein neues Geschäftsfeld entdeckt. Sie versuchen ihrem gut betuchten Klientel Antworten auf die Fragen zu vermitteln, wie man aktuell noch bei seinen Mitarbeitern punkten könne und wie man sich als Unternehmen im Wettstreit um die besten Fachkräfte aufstellen müsse.

Daniel Jelitzka, Geschäftsführer des Wiener Unternehmens »JP Immobilien«, das erst kürzlich zu einem der besten Arbeitgeber Österreichs gekürt wurde, hat diesbezüglich seine eigenen Antworten: »Essenziell für die Mitarbeiterzufriedenheit sind klare Zuständigkeiten: Jeder weiß bei uns, was er zu tun hat und jeder weiß, warum er hier ist. Außerdem legen wir Wert auf flache Strukturen und bringen jedem Einzelnen Wertschätzung und Empathie entgegen – man könnte sagen, wir sind eine kleine Community mit einem gemeinsamen Ziel. Und das schweißt zusammen.” Jelitzka, er beschäftigt 65 Mitarbeiter, sieht die zahlreichen Mitarbeiterbenefits, die er anbietet, übrigens nicht als Allheilmittel: »Ausschlaggebend sind Kriterien wie Vertrauen, ein ordentliches Arbeitsumfeld und Wertschätzung – das ist in einem kleinen und familiären Umfeld wie bei uns einfach.« Er bekomme trotz des ausgetrockneten Arbeitsmarktes auch jetzt noch laufend aktive Bewerbungen, so der Immobilienmakler.

Massen-Neuorientierung
Viele Arbeitnehmer nutzten die Gelegenheit, sich beruflich umzuorientieren. Wer vor der Pandemie in der anstrengenden Gastronomie und dem herausfordernden Handel tätig gewesen war, dem fiel es nicht allzu schwer, sich einer Alternative zuzuwenden. Die Verdienstmöglichkeiten blieben auf niedrigem Niveau dieselben, die Arbeitsbedingungen aber ließen sich verbessern – indem man den Arbeitgeber oder gar die ganze Branche wechselte. An genügend freien Stellen fehlte es nicht; nach der Pandemie mussten viele Branchen und Unternehmen die freigestellten Positionen wieder besetzen. Wenn man eine Alternative hat, die gleiches Geld, aber neue Chancen auf Zufriedenheit im Job bringt – warum die nicht nutzen?

Was die Veränderungen für die Wirtschaft tatsächlich bedeuten, das lässt ein Blick auf ein aktuelles Beispiel erahnen: die Situation an den europäischen Flughäfen. Personalmangel bei den durch die Pandemie schwer gestressten Fluglinien, allen voran der Lufthansa, hat dazu geführt, dass allein vergangenen Monat 3.100 Flüge gestrichen werden mussten. Im verzweifelten Bemühen, durch Personalabbau nach der Pandemie wieder profitabel zu fliegen, hatte die Fluglinie offenbar ein ungutes Klima geschaffen. Eines nämlich, dass es auch den zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebes notwendigem Schlüsselpersonal leicht gemacht hatte, sich für eine Alternative am Arbeitsmarkt oder eine generelle Jobpause zu entscheiden. Reduzierte Löhne und zunehmend unattraktiver werdende Arbeitsbedingungen, so die Gewerkschaften, würden zudem etwaige Jobinteressenten abschrecken. Das Ergebnis: Die ohnehin prekäre Personalsituation wird nun durch eine Coronawelle derartig verschärft, dass in ganz Europa zur Hauptreisezeit chaotische Zustände herrschen und selbst Lufthansa-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley sich laut FAZ eingestehen musste, dass die aktuellen Probleme die schlimmsten seien, die er in seiner gesamten Karriere je gesehen habe.

Viele Erklärungsversuche
Woran die plötzliche neue Unzufriedenheit mit der Arbeit an sich liegt, weiß, wie gesagt, niemand so wirklich. Die Pandemie ist ein Erklärungsversuch – aber eben nur einer. Es heißt, dass viele Corona zum Anlass genommen hätten, um sich aus Niedriglohnsektor-Jobs zu verabschieden und sich entweder selbstständig zu machen oder sich einem neuen Arbeitgeber, wenn nicht gar einer neuen Branche zuzuwenden. Ein anderer Versuch, die allgemeine Unlust am Arbeiten zu erklären, bezieht sich auf die starren Strukturen der Unternehmen, die in Arbeitsbedingungen münden, die vielfach immer noch dieselben sind wie vor 100 und mehr Jahren: Wer als Unternehmer heute noch auf Präsenz der Arbeitnehmer in engen Großraumbüros besteht, wo die Arbeit auch entspannt im Home Office funktioniert, der hat grundsätzlich nicht verstanden, worauf es im postpandemischen Arbeitsmarkt ankommt. Einen weiteren beliebten Erklärungsansatz bietet die »Gen Z«, der man einen eher differenzierten Zugang zum Leistungsgedanken und dem eigenen Ego nachsagt. Auch oft gehört: Der Staat sei schuld. Entweder sind die Lohnnebenkosten zu hoch für anständige Löhne, oder, wenn man sich in der anderen Reichshälfte umhört, die Arbeitslosenleistungen sind zu hoch für anständige Motivation.
Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen: Die »jungen, hungrigen« Arbeitskräfte, die vom Ehrgeiz durchdrungen waren, weiterzukommen im Leben, es »zu etwas zu bringen«, die sind tatsächlich selten geworden. Das weiß jeder, der schon einmal versucht hat, etwa im Handel eine qualifizierte, motivierte und bezahlbare Fachkraft zu finden.

Auf der anderen Seite ist die Generation Praktikum noch lange nicht erwachsen geworden. In vielen Branchen – zum Beispiel der Kreativwirtschaft – gelten immer noch monate- und jahrelange schlecht bis gar nicht bezahlte »Praktika« als einzig möglicher Weg, sich jene Berufserfahrung anzueignen, die von den Arbeitgebern, die mehr oder weniger faire Gehälter bezahlen, verlangt wird. Das tut sich nur an, wer wirklich muss oder wirklich will – und das sind immer weniger Menschen.

Weniger Leistungsanreize
Was auch problematisch ist: Der Leistungsgedanke der Boomer-Generation führt sich gerade insofern ad absurdum, als es für Millennials praktisch unmöglich wird, sich aus eigener Kraft aus unselbstständiger Arbeit Vermögen aufzubauen. Denn einerseits fehlt’s an der Kraft – niedrige Löhne, hohe Besteuerung von hohen Einkommen –, andererseits an Anreizen zum Vermögensaufbau. Staatlich geförderter billiger Wohnraum ist dort vorhanden, wo das Hotel Mama unattraktiv geworden ist; ein eigenes Auto ist in weiten Teilen der urbanen jugendlichen Bevölkerung unmoralisch geworden. Die Teilhabe am kulturellen Angebot der Gesellschaft kann billig durch die sozialen Medien, Netflix und Co kompensiert werden, Urlaubsreisen auf niedrigem Niveau sind auch mit einem Teilzeitgehalt durchaus finanzierbar. Die einkommensabhängigen Transferzahlungen belohnen die, die sich mit wenig Anstrengung und entsprechend wenig Einkommen zufriedengeben, während die Leistungswilligen selbst für ihr Leben aufkommen müssen: Sich anstrengen zu müssen, um sich die Grundbedürfnisse einer kultivierten menschlichen Existenz erfüllen zu können, wird außerdem in dem Moment zur Zumutung, in dem man selbst den Begriff der »kultivierten Existenz« mit Begeisterung nach unten nivelliert. Tatsächlich sind die politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen davon, was »kultiviert« ist und was nicht, höchst unterschiedlich.

Sorgen, dass ihr das Geld ausgehen könnte oder dass es irgendwann an Besitz und Eigentum mangeln würde, muss sich ein großer Teil der kommenden Generation trotzdem nicht übermäßig machen, den Baby-Boomern sei Dank. Eine wachsende Anzahl an Erblassern von morgen ist im Begriff, Häuser, Sparbücher und Wertpapiere einer zunehmend kleiner werdenden Zahl an Erben weiterzugeben. Es ist ein Billionenvermögen, das sich darauf vorbereitet, in den kommenden Jahren weitergegeben zu werden. Sich durch mehr oder weniger harte Arbeit ein mehr oder weniger auskömmliches Vermögen zu schaffen, wird also auch aus diesem Aspekt zunehmend reizlos – wozu sich anstrengen, um aus eigener Kraft etwas zu schaffen, wenn man das Leben auch mit wenig Gehalt oder hohen Transferzahlungen genießen kann?

Vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt
In Summe sind dies alles jedoch Spekulationen und eine Vielzahl von Gründen. Unleugbar ist allerdings, dass wir den Beginn des Wandels vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt erleben. Heißt: Um die wachsende Nachfrage nach qualifiziertem Personal bei sinkendem Angebot erfüllen zu können, müssen sich Arbeitgeber in Zukunft immer mehr anstrengen. Das bedeutet auch, dass man arbeitgeberseitig den Jobsuchenden und Arbeitswilligen noch genauer zuhören müssen wird. Sie werden jedenfalls anspruchsvoller, was ihr Arbeitsumfeld angeht – das betrifft die unmittelbare Arbeitsumgebung und -ausstattung genauso wie flexible Arbeitszeiten und natürlich auch die Entlohnung. Wobei die eher nicht die erste Geige im Konzert der Arbeitsplatz-Attraktivierungsmaßnahmen spielt. Die Erfüllung des Gehaltswunsches spielt zwar nach wie vor eine große Rolle; wichtig ist aber auch der Sinngedanke und die Erfüllung, die man in seinem Job findet.

Das beweisen eine Vielzahl von Untersuchungen; die aktuellste und relevanteste zum Thema »The Big Quit« ist die von PWC durchgeführte Studie »Global Workforce Hopes and Fears«. Sie ist sogar noch umfangreicher angelegt als jene oben erwähnte Microsoft-Trend-Studie, die von 40 % Kündigungen im Jahr 2021 ausgegangen war und damit das Schlagwort von »The Great Resignation« in die Welt getragen hatte. PWC befragte 52.000 Arbeitnehmer in 42 Ländern der Welt und erhielt so ein differenziertes Bild des globalen Arbeitsmarktes. Zunächst: Nur mehr jeder fünfte Arbeitnehmer plant einen baldigen Jobwechsel. Entscheidend dabei ist die Qualifikation, an ihr trennt sich die Spreu vom Weizen. Personen mit gefragten Qualifikationen sind auch eher mit ihrem Job zufrieden als jene mit weniger gefragten Fähigkeiten. Was die Studie auch zeigt: Die Gen Z ist weniger zufrieden mit ihrem Job als die Boomer, macht sich aber auch weniger Sorgen, durch Technologie ersetzt zu werden.

Verbesserungspotenzial für Unternehmen
Die PWC-Studie fördert darüber hinaus erhebliches Verbesserungspotenzial arbeitgeberseitig zutage. So ist der Fachkräftemangel kein Problem, das nur Österreich trifft. Weltweit investieren Unternehmen in die aktuelle Belegschaft, indem sie in Fortbildung und höhere Löhne investieren, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Im Gegensatz dazu scheint der Einsatz von Technologie, wie Automatisierung, aber auch Outsourcing und die Rekrutierung neuer Fachkräfte eine geringere Priorität zu haben. Nur 40 % der ArbeitnehmerInnen gaben an, dass ihr Unternehmen Schritte zur Weiterbildung setzt, und noch weniger (26 %) sagten, dass ihre Arbeit durch neue Technologien verbessert wird, so PWC. »In einem hart umkämpften Arbeitsmarkt ist es umso wichtiger, dass Unternehmen einen menschengeführten, technologiegetriebenen Ansatz wählen. Das bedeutet, sowohl in digitale Transformation als auch in Fertigkeiten der MitarbeiterInnen zu investieren. Der Fokus sollte dabei auf die Stärkung der Fähigkeiten von qualifizierten ArbeitnehmerInnen, dem Bereitstellen von Zugangsmöglichkeiten für jene, denen es an Qualifikationen mangelt, und der Automatisierung, die Menschen entlastet, liegen. Es geht sowohl um die Ausbildung von Lehrlingen als auch die Einstellung von UniversitätsabsolventInnen, wobei eine Verpflichtung zu kontinuierlicher Weiterbildung benötigt wird«, kommentiert Nicole Prieller, New World New Skills Leader bei PWC Österreich, die Studienergebnisse.

Demografie als Grundlage des Problems
Dass der derzeitige Arbeitskräftemangel dringenden Handlungsbedarf aufzeigt, ist evident. Ende Juni gab es österreichweit mehr als 140.000 offene Stellen, deutlich mehr als der langjährige Durchschnitt. »Jedes dritte Dienstleistungsunternehmen und jeder fünfte Industriebetrieb in Österreich finden derzeit nicht genügend Personal«, stellt die Agenda Austria fest. Dahinter verberge sich aber nicht nur Arbeitsunlust. Der Mangel offenbare ein viel tieferliegendes Problem: den demografischen Wandel. Die Überalterung der Gesellschaft schreitet munter voran. »Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren wird bis 2050 um etwas mehr als vier Prozent zurückgehen. Das wird aber den Arbeitskräftemangel verschärfen. Zudem gibt es starke regionale Unterschiede. Nur in den Großstädten und im Wiener Umland wird die Erwerbsbevölkerung wachsen. Praktisch überall sonst wird sie schrumpfen; in der Steiermark, in Kärnten und im Burgenland sogar um über zehn Prozent«, lautet die düstere Bestandsaufnahme der Agenda Austria. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die aktuellen globalen wie regionalen Entwicklungen kaum mehr Spielraum für Unternehmen zulassen. Politisch und ökonomisch liegt das Schicksal der Bevölkerung sprichwörtlich in den Händen der nachfolgenden Generationen. Schon um die Pensionen finanzieren zu können, ganz zu schweigen von der enormen Staatsverschuldung, werden zwingend neue Produktivitäts-Modelle geschaffen werden müssen. Das bedingt neben der Bereitschaft zum technologischen, digitalen Wandel einen grundlegenden Wandel in der Ausbildungskultur. Schließlich werden immer weniger Menschen immer mehr Pensionäre finanzieren müssen. Als Gesellschaft ist man gut beraten, die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die das auch wollen. Denn wenn sie das nicht tun, wird unsere gesamte Gesellschaft ähnlich gut funktionieren, wie das derzeitige Passagierhandling bei der Lufthansa.

Fazitthema Fazit 185 (August 2022), Foto: Saulo Mohana/Unsplash

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