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Der Korrespondent

| 27. Dezember 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 189, Fazitbegegnung

Foto: Andreas Pankarter

Er ist der zurzeit wohl gefragteste ORF-Korrespondent – Christian Wehrschütz hie, Christian Wehrschütz da: im Fernsehen auf verschiedenen Sendern als Ost- und Südosteuropa-Experte, genauer für den Balkan und die Ukraine, in Zeitungen als Berichterstatter über den Ukrainekrieg, auf Werbeplakaten, Inseraten und Lesungen als Autor seines neuesten Buches »Mein Journalistenleben zwischen Darth Vader und Jungfrau Maria«.

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Ständig scheint er auf Achse zu sein – wie er denn zur Ruhe komme? »Ich bin nie unruhig«, meint der eher gemütlich wirkende Kriegsberichterstatter, »ich treffe oft meine Familie, spiele gern mit der Enkelin, und meine Frau begleitet mich auf sämtlichen Lesereisen, die eine meiner beiden Töchter organisiert. Es ist nicht wie 2014, als ich nur 20 Tage zu Hause war.« Damals begann der Ukrainekonflikt und auch Veranstaltungen zu »100 Jahre Erster Weltkrieg« ließen den Milizoffizier im Rang eines Majors des höheren fachlichen Dienstes als gefragten Gesprächspartner von Podium zu Podium eilen. Im Laufe von drei Jahrzehnten entwickelte er sich vom nicht unumstrittenen »Rechtsaußen«, der als Jus-Student für das national-freiheitliche Monatsmagazin »Die Aula« schrieb und in der Folge 1987 bis 1991 für die »Neue Freie Zeitung«, das Parteiorgan der FPÖ, zu einem geradezu kultigen, von allen Seiten respektierten Journalisten des öffentlich rechtlichen Rundfunks, mit Auftritten bei »Willkommen Österreich« von Stermann und Grissemann inklusive. »Wir haben die NFZ stark verändert, nicht unbedingt zur Freude des damaligen Parteivorsitzenden Jörg Haider. Etwa mit einer Doppelseite über Friedensreich Hundertwasser, den ich von einer Baumpflanzaktion vor dem »Steirerhof« in Graz kannte oder einer vierseitigen Beilage zu »100 Jahre Sozialdemokratie«. Wir waren breiter aufgestellt, als es die Arbeiterzeitung je war,« meint er und es bleibt unklar, ob mit oder ohne Koketterie.

Und wie denn heute sein Wertbild sei? Wehrschütz: »Ich bin gesellschaftspolitisch wertkonservativ, staatspolitsch extrem liberal.« Das heißt? »Die Familie ist die Keimzelle des Staates, wobei Familie für mich nicht auf Mann und Frau beschränkt ist, ich habe einen weiteren Familienbegriff. Wichtig ist das Kindeswohl, egal ob mit oder ohne Trauschein.« Inklusive Ehe für alle? »Nichts gegen die Ehe für alle, aber für alle Formen müssen die gleichen Pflichten und Rechte bestehen, es kann also nicht so sein, dass man in gleichgeschlechtlichen Partnerschaftsformen besser gestellt ist, als in Ehen, die seit 40 Jahren Bestand haben. Und staatspolitisch bin ich ein Anhänger von Friedrich von Hayek.«

Aufgewachsen ist Christian Ferdinand Wehrschütz am Grazer Hauptplatz, im Hinterhaus jener Passage direkt hinter der Weikhard-Uhr, die einst zu einem Reiseverkehrsbüro führte. Bis heute wohnt hier seine 93jährige Mutter Erika, mit Blick auf den vormaligen Gambrinuskeller und das »Ferdinandeum«, seine ehemalige Volksschule: »Mein kürzester Weg, den ich jemals zu einer Ausbildungsstätte hatte.« Viel Zeit verbrachte der junge Christian Wehrschütz auch am Franziskanerplatz 13, im Adeg-Feinkostladen »Kostka« seiner Mutter: »Dort habe ich Kopfrechnen gelernt. Die Mutter hat damals mehr Trockenfrüchte verkauft als Adeg-Austria insgesamt.« Das ursprüngliche Kolonialwarengeschäft wurde 1886 von seinem Urgroßvater gegründet und ist nach wie vor in Familienbesitz. Heute befindet sich darin »Werner‘s Elektroladen«, dem übrigens vor fünf Jahren ein ausführliches Fazit-Portrait gewidmet war. Sein Jusstudium absolvierte er im Schnelltempo von drei Jahren, das Slawistikstudium schloss er zwar nicht ab, aber es machte ihm acht Sprachen zugänglich, für Ukrainisch und Russisch ist er auch Militärdolmetscher.

1991 kam er zum ORF, zunächst zu Teletext, dann für sieben Jahre zum Radio. Ab 1992 begannen seine Reisen in die Ukraine. 1999 wurde er in das ORF-Fernsehen versetzt und er war für einige Monate dritter Korrespondent in Brüssel. Seit 2000 schließlich ist er ORF-Korrespondent in Belgrad und seit 2014 zusätzlich erster Korrespondent des ORF für die Ukraine mit Sitz im Kiew. Seitdem berichtet er über beide Regionen. Sein Schlüsselerlebnis die Ukraine betreffend, hatte »Perry-Rhodan«-Fan Wehrschütz 1998, als er mit dem Franziskanerpater Uli Zankanella vor einer aufgelassenen Kirche in der Westukraine stand: »Als mir klar wurde, dass nicht Stalin diese Kirche aufgelöst hatte, sondern Joseph II., also der lange Arm Wiens vor 200 Jahren bis hierher gereicht hat, war mir plötzlich bewusst, dass die Ukraine Teil Europas ist.«

Christian Ferdinand Wehrschütz wurde am 9. Oktober 1961 in Graz als einziges Kind der Feinkosthändlerin Erika und des TU-Professors Ferdinand Wehrschütz geboren. Er maturierte 1980 am Gymnasium Kirchengasse und studierte Jus (Mag.iur.) und Slawistik. Seit mehr als 30 Jahren ist er beim ORF, spricht bis zu acht Sprachen und berichtet aus dem Balkan und der Ukraine. Der Autor von vier Büchern ist verheiratet, hat zwei Töchter und ein Enkelkind.

Fazitbegegnung, Fazit 189 (Jänner 2023) – Foto: Andreas Pankarter

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