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Mit der Natur im Einklang

| 28. Februar 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 190, Serie »Erfolg braucht Führung«

Foto: Marija Kanizaj, Archiv

Alltagsphilosophie aus dem Gemüsegarten. Ein Gespräch von Carola Payer mit den beiden Gemüsebauern Martin und Christine Reitzer aus Lassnitzhöhe.

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Was macht ein gutes Leben aus? Eine Kernfrage der Philosophie, die in einer zunehmend als stressig und erschöpfend empfundenen Welt wieder an Bedeutung gewinnt. Der griechische Philosoph Aristoteles definierte dies so: »Das gute Leben ist das letzte Ziel menschlicher Handlungen. Das gute Leben ist das, was nicht als Mittel zu etwas anderem, sondern als Zweck an sich selbst angestrebt wird. Deshalb ist das gute Leben das einzige, worüber hinaus nichts anderes mehr gewünscht werden kann.« Gutes Leben wird in der Philosophie auch mit Glück beziehungsweise Glückseligkeit (Eudaimonia) verbunden. Glück ist hier ein Dauerzustand für ein stimmiges Leben und nicht wie in der Zieltheorie ein Zustand nach Erreichen eines Zieles, in der Hedonismustheorie ein Zustand von aufeinanderfolgenden Genussmomenten ohne Schmerz oder in der Gütertheorie das Haben von möglichst vielen Gütern. Beim guten Leben spielt das Thema Arbeiten, das Arbeitsumfeld, eine große Rolle. Immerhin verbringen wir die überwiegende Lebenszeit in und mit der Arbeit. Nachdem gerade die jüngeren Generationen Arbeit heute auch skeptischer betrachten, wird die Frage »Wann wird Arbeit, auch ‚harte‘ Arbeit, als glücklich machend empfunden?« immer wichtiger.

Die Arbeit lieben und eine Mission haben
Christine Reitzer empfiehlt hier der Jugend: »Einen Job haben und das machen, was euch taugt.« Klingt einfach, oder? Aber was »taugt«?! Auf der Homepage von Reitzer’s Gemüsehofs findet man das Motto: »Wir lieben, was wir tun, ernten, was wir lieben!« Christine und Martin Reitzer erklären mit Glitzern in den Augen ihre Mission: »Unser übergeordnetes Ziel ist es, eine Verbindung zwischen den Produkten und den Kunden aufzubauen. Das soll wieder zu mehr Wertschätzung für das Gemüse und der landwirtschaftlichen Arbeit führen. Es geht sehr viel über Bewusstseinsbildung und das bedeutet viel aktive, persönliche Kommunikation, die über die Direktvermarktung möglich ist. Saisonal und nachhaltig aus der Region und tagesfrische Ernte ist uns wichtig. Daher ist das Reden mit dem Kunden und das Erklären, dass es nicht jedes Gemüse jederzeit gibt, sehr wesentlich. So kommen die Kunden zu einem guten Verständnis, wie wir arbeiten und was wir dann auch ernten.« Der Respekt vor der Natur, die Liebe zur Natur, die Liebe zur Ruhe, die Freude am Wachsen des Gemüses und das Miteinanderarbeiten, verbindet das Ehepaar. »Reitzer’s Gemüsehof ist Heimat, bietet die Möglichkeit zur persönlichen Freiheit und ist keine Arbeit«, sinniert Christine Reitzer. Martin Reitzer: »Wir erkennen, dass der Kunde uns versteht daran, dass die gesamte saisonale Produktpalette immer stark gekauft wird.«

Mit den Kräften haushalten
In vielen Branchen führen Gründe, wie Erschöpfungssyndrome, Burnout, Demotivation und das Gefühl, persönlich keinen Einfluss mehr auf eine Verbesserung der Arbeitssituation nehmen zu können, zum Ausstieg von Arbeitnehmern. Für nichts mehr genügend Zeit zu haben, weder für aufmerksame Bearbeitung von Arbeitsthemen, für Beziehungen und Ausgleich, führt bei vielen Menschen zu einer permanenten Unzufriedenheit anstatt eines Glückgefühls. Das philosophisch definierte »gute Leben« scheint nicht gegeben und vor allem die Umstände in der Arbeit werden dafür zur Verantwortung gezogen.

Viel Fleiß und Schweiß
Auch in der landwirtschaftlichen Arbeit steckt viel Fleiß und Schweiß. Arbeitszeiten, die von frühmorgens bis spätabends gehen, sind keine Seltenheit. Produzieren, Vermarkten, Managen müssen kombiniert werden. Wie holen sich die Reitzers Kraft? Martin Reitzer: »Ich mache Kraftsport im Studio und zu Hause. Mit Pumpen bekomme ich meinen Kopf frei.« Christine Reitzer: »Ich gehe lieber laufen und mich entspannt Ausdauersport. Aber wir arbeiten auch gerne einfach allein am Acker und die Natur holt uns beide immer wieder runter. Allein am Acker sein, ist eine extreme Psychohygiene. Wir klinken uns auch aus, wenn es zu viel wird. Die topografische Lage unseres Hofes bietet uns viel Ruhe. Wir haben auch bewusst keinen typischen 24-Stunden-ab-Hof-Verkauf, so wie viele diese Boxen zurzeit betreiben. Der Kunde kann uns kontaktieren, dann können wir ihm mitteilen, was es frisch gibt, und dann kann er die Ware bei uns abholen. Wir bestimmen aber trotzdem unser Tempo beim Arbeiten.«

Was der Gemüsegarten für ein gutes Leben lehrt
Der Gemüsegarten lehrt, natürliche Mechanismen zu akzeptieren. Martin und Christine Reitzer: »Er bringt uns Hochs und Tiefs, da wir mit der Natur produzieren. Er repräsentiert uns täglich die Vielfältigkeit der Natur und dass es nur geht, wenn wir mit der Natur mitgehen. Es erfordert zu akzeptieren, wo menschliches Handeln endlich ist und Demut und Akzeptanz erforderlich ist. Zum Beispiel bei Hagel: Die aktuelle Ernte ist kaputt, der Rest wächst sich teilweise wieder aus. Trotzdem steht dann die Natur wieder auf. Der Kunde versteht, dass dann, wenn wir nicht die Mengen liefern können oder etwas mal nicht so schön aussieht. Man muss auch hier wieder kommunizieren und mitteilen, was die natürlichen Ursachen dafür sind. Zur Schädlingsbekämpfung setzen wir Nützlinge ein. Unser Gewächshaus ist seit 25 Jahren frei von Pflanzenmitteln. Im Freiland haben wir viele Blühstreifen gegen Schädlinge. Da wir das schon jahrelang praktizieren, haben wir eine gute Nützlings-Popularität aufgebaut. Insektenschutznetze helfen natürlich auch. Wir tragen auch mit Stolz die Auszeichnung der Gartenschutzbetriebe: »Mich schützen Nützlinge.«

Experimente mit neuen Gemüsesorten
Die Glashäuser am Gemüsehof werden nicht mehr geheizt. Das spart Energie und schont die Umwelt. Christine Reitzer: »Da haben wir viel Know-how, welches Gemüse im Winter trotz Frost wächst, zu ernten ist und vor allem gut schmeckt. Die Asia-Salate sind im Winter ein Hit. Die halten einiges an Frost aus und stehen immer wieder auf. Wir haben den gewohnten und oft auch viel einfacheren Weg verlassen und stellen uns der Herausforderung, mit neuen Anbauversuchen von Gemüse zu experimentieren. Speziell Gartenbesitzer haben durch den eigenen Bezug ein großes Bewusstsein und Wertschätzung für unsere Produkte und die Arbeit, die wir aufwenden.«

Und was empfiehlt Christine Reitzer, wenn das Leben kein gutes Leben ist: »Weiter Neues ausprobieren und was verändern!« Sie hat diese Veränderung auch gewagt. Ursprünglich in der Pflege tätig, ist sie als Spätberufene vor sechs Jahren zur Landwirtin auf dem seit 1948 bestehendem Familienbetrieb geworden und liebt seitdem jeden Tag, was sie tut.

Reitzer’s Gemüsehof, Christine & Martin Reitzer
8075 Laßnitzhöhe, Wöbling 33
Telefon +43 664 5723569
reitzers-gemuesehof.at

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Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 190 (März 2023), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 57)

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