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Fazitthema Nachhaltigkeit

| 12. Mai 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 192, Fazitthema

Foto: Photovoltaik Austria

Während Subversive weiterhin unter dem Deckmantel des Notrechtes an neuralgischen Verkehrspunkten klebend lamentieren, die Regierungen täten nichts gegen den Klimawandel, ist das genaue Gegenteil der Fall: Geradezu verzweifelt bemüht man sich auf allen Ebenen, den richtigen Umgang mit den Energieressourcen zu finden. Text von Johannes Roth

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Hinter der spätbarocken Fassade des Hauses Stempfergasse Nummer 7, das einst dem altehrwürdigen Leykam-Verlag als Unternehmenssitz diente, wird derzeit Großes geleistet. Dort ist seit den 1990ern eine Dependence der Steiermärkischen Landesregierung untergebracht. Die Beamten, sonst eher mit trockenen Verfahren beschäftigt, haben es zurzeit mit einer Materie zu tun, die im Kern nichts mehr und nichts weniger bezweckt, als den steirischen Beitrag zur Rettung der Welt zu leisten. In der Abteilung 13 »Umwelt und Raumordnung« befasst man sich gerade mit der Sichtung der Stellungnahmen zu einer Verordnung des Landeshauptmannes, die einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung der Klimaziele 2030 leistet: Sie regelt, wo genau in der Steiermark Photovoltaikanlagen angelegt werden sollen, die eine Grundfläche von mehr als 10 Hektar in Anspruch nehmen dürfen. Alles, was darunter liegt, also Anlagen bis zu zwei Hektar und Anlagen in einer Größenordnung von zwei bis zehn Hektar, dürfen die Gemeinden selbst genehmigen.

Goldgräberstimmung bei Photovoltaikunternehmen
Seit Bekanntwerden der Verordnung und damit der Gemeinden, in denen eine solche Anlage theoretisch möglich wäre, sind die Karten der Energieerzeugung erneuerbarer Energien neu gemischt. In 39 steirischen Gemeinden sieht die Verordnung Vorrangzonen vor, in denen Photovoltaik-Kleinkraftwerke gebaut werden können. Das sind 39 Gemeinden, in denen sich nicht nur das Landschaftsbild teilweise massiv ändern würde, sondern neben den ästhetischen auch jede Menge anderer Interessen zu berücksichtigen sind. Vertieft man sich in die hunderten Seiten der rund 170 einzelnen Stellungnahmen, erhält man einen präzisen Einblick in die Nöte dessen, der gefordert ist, einen politischen Interessenausgleich – in diesem Fall zwischen Umwelt, Institutionen, Unternehmen und Bevölkerung – zu schaffen. Allen recht getan, sagt man, sei eine Kunst, die niemand kann.

Um nur einige der Befindlichkeiten, mit denen sich die Politik auseinandersetzen muss, zu nennen: Das Bundesheer macht etwa deutlich, dass ein Teil der geplanten Vorrangzonen in die Sicherheitszonen des Militärflugplatzes Zeltweg und der Tiefflugstrecke Graz fallen würde, und hält vorsorglich fest, dass der Garnisonsübungsplatz in Straß weiterhin »uneingeschränkt« nutzbar sein müsse. Oder: Die Schotter- und Betonwerke Karl Schwarzl mussten feststellen, dass eine der Vorrangzonen auf Grundstücken liegt, an denen sie mineralische Rohstoffe abbauen oder planen, dies zu tun. Der Gemeindebund wiederum ortet eine unzumutbare bürokratische Belastung dadurch, dass die überregionale Festlegung der Vorrangzonen nur 40 Prozent des Bedarfes deckt und 60 Prozent von den Gemeinden gewidmet werden müssten. Und dann gibt es auch noch die privaten Interessen. Die der oststeirischen Grundstückseigentümer Rosemarie und Josef Weiß zum Beispiel: Sie sind zwar »grundsätzlich Befürworter von Photovoltaik zur Stromerzeugung«, wollen aber nicht recht einsehen, warum nur »landwirtschaftliche Vorzugsflächen mit hochwertigen Böden, ohne Hangneigung, welche bestens für die Produktion von Lebensmittel geeignet sind, als Vorzugsflächen für Photovoltaik definiert wurden und steilhängige Flächen nicht.« Solche nämlich würden sie anbieten können, sieben Hektar bestes oststeirisches Hügelland, die zwar möglicherweise landschaftlich schön, im Bodenwertkataster aber nur als »geringwertiges Grünland« eingestuft und dementsprechend schwer zu bewirtschaften sind.
 
Wertsteigerung durch Energienutzung
Dass Herr und Frau Weiß großes Interesse an der Einstufung ihrer Hanggrundstücke als Vorrangzone haben, ist nachvollziehbar. Kraftwerksbetreiber sind derzeit in ganz Österreich auf der Suche nach geeigneten Grundstücken, auf denen sich eine Photovoltaikanlage errichten lässt. Ab einer Mindestgröße von einem Hektar bei bereits gewidmeten Flächen und einer Mindestgröße von zwei Hektar bei Flächen, die umgewidmet werden müssen, ist man in der Regel interessiert. Wenn dann auch noch kein Schatten durch Berge, Wälder oder Hügel auf das Grundstück fällt und sich die Module nach Süden ausrichten lassen (was steile Nordhänge ausschließt), ist man dabei. Vollends ideal ist, wenn es sich um eine größere Fläche handelt, die in unmittelbarer Umgebung zu einem Umspannwerk liegt. Gepachtet wird auf mehrere Jahrzehnte, 25 bis 30 Jahre, wertgesichert natürlich und zu besten Konditionen.

So werden mitunter auch Grundstücksflächen, die von Landwirten nicht mehr sinnvoll bewirtschaftet werden können und für die nur ein geringes Entgelt etwa über EU-Förderungen lukriert werden kann, zur Goldgrube. Eine Fläche brach liegen zu lassen, bringt nur einen Bruchteil dessen, was an jährlicher Pacht für einen von einer PV-Anlage nutzbaren Hektar angeboten wird. In ganz Österreich schießt der Preis für die Pacht von landwirtschaftlichen Flächen in die Höhe. Über 60 Prozent sind die Preise von 2010 bis 2020 gestiegen, durchschnittlich wohlgemerkt, denn die Pachtpreise variieren zwischen wenigen hundert (EU-Förderung) und mehreren tausend Euro (Energieunternehmen) für einen Hektar. Am einträglichsten sind jene Flächen, auf denen sich eine PV-Anlage errichten lässt – ein Spitzengeschäft für Landwirte (oder deren Erben) mit großem, aber schwer zu monetarisierendem Grundbesitz. Kein Wunder: Wenn man bis 2030 österreichweit 11 TWh aus Photovoltaik gewinnen will, geht das nur mit der Verbauung von Freiflächen. Das Potenzial ist hier am größten: 5,7 TWh können mit Freiflächen generiert werden, wie eine PV- Flächenpotenzial-Studie des PV-Spezialisten Hubert Fechter aus 2020 zeigt. Der Rest entfällt auf Deponien, den Verkehrsbereich, Industriegebäude, Ein- und Zweifamilienhäuser, Fassaden und Mehrgeschoßwohnbauten.

Zu zögerliche Verordnung
Der Markt definiert sich hier sehr deutlich aus Angebot und Nachfrage. Kurz gesagt: Es fehlen allein in der Steiermark hunderte Hektar, die als Vorrangzone verordnet sind. Die 824 ha, die (bis jetzt) verordnet wurden, würden den Bedarf nicht ansatzweise decken, moniert zum Beispiel Herbert Paierl, Vorstandsvorsitzender von Photovoltaik Austria sinngemäß. Paierl: »Die im Entwurf vorgelegten Vorrangzonen fallen im Ausmaß von 824 ha viel zu gering aus. Die ausgewiesenen Flächen befinden sich in 34 Gemeinden – regional nicht nachvollziehbar sehr ungleich verteilt – und betragen als Einzelfläche ausschließlich in Tallagen auf Ackerflächen zwischen 10 und 45 ha. Hauptkritikpunkte des PV Austria sind einerseits, dass die ausgewiesenen Flächen erfahrungsgemäß nicht alle tatsächlich nutzbar sind und daher viel zu wenig Ausbauvolumen bringen, andererseits, dass der verbleibende Flächenanteil, der über Gemeinden zu widmen wäre, mit 1.600 ha weit überschätzt, weil schlicht nicht handhabbar ist.« Darüber hinaus würden in bestimmten Regionen und in Hanglagen mit wenig Landwirtschaftseignung und großen Solarpotenzialen keine PV-Vorrangzonen im Sachprogramm aufscheinen. »Unter diesen Gesichtspunkten fehlen im vorliegenden Entwurf des Entwicklungsprogramms 1.500 ha an PV-Freiflächen – die vom Land Steiermark zusätzlich zu verordnen wären«, so die Stellungnahme der Photovoltaik Austria.
Wobei natürlich Sonnenenergie nur ein Teil der Gleichung sein kann, wenn Österreich, wie geplant, bis 2030 seine Energie ausschließlich aus erneuerbaren Quellen decken können will. Jetzt schon werden je nach Quelle zwischen 75 und 81 Prozent aus erneuerbarer Energie erzeugt – ein europäischer Spitzenwert. Man kann also davon ausgehen, dass die Möglichkeiten zur Erzeugung erneuerbarer Energien nahezu ausgeschöpft sind und die Suche nach grünen Energiequellen für die verbleibenden 25 bis 19 Prozent – derzeit werden sie großteils von Erdgas eingenommen – enorm schwierig ist. Von Sonnenenergie abgesehen, bleiben nur mehr die Windkraft und – in Österreich wesentlich – die Wasserkraft.

Wasserkraftausbau schwierig
Die gute Nachricht: Wir haben weiterhin mehr als genug Wasser. Die schlechte: Es lässt sich kaum mehr zur Energiegewinnung nutzen. Der Spielraum für die Errichtung neuer Wasserkraft-Anlagen ist sehr begrenzt. In Leoben und Gratkorn investieren Energie Steiermark und Verbund gerade Millionen, um neue Kraftwerke zu errichten. In Gössendorf und Kalsdorf sind sie schon realisiert, dort stehen Kraftwerke, die mit ihren bis zu 170 GWh an die 45.000 Haushalte versorgen können. In Graz befindet sich das Murkraftwerk, das gegen lokale Widerstände errichtet wurde und nun bis zu 20.000 Haushalte und Elektrofahrzeuge mit sauberer Energie versorgen kann. All das sind wichtige, aber keine wirklich ausschlaggebenden Beiträge zur Erreichung des großen Zieles »100 % erneuerbarer Strom bis 2030«. Das Heben des Potenzials erweist sich als enorm schwierig, nicht zuletzt wegen der anhaltenden Proteste grüner Organisationen immer dann, wenn Wasserkraftwerke auf- oder ausgebaut werden sollen. Das Protestieren gegen Wasserkraft hat hierzulande übrigens eine lange Tradition, spätestens seit den 1970er Jahren (Stichwort Donaustaustufen) gehören sie zum guten Ton. Man erinnere sich an Hainburg, den Urknall der grünen Protestbewegung: Dort sollten 1983 mehrere Kilometer der Donau-Aulandschaft mit Wasser geflutet werden, die Proteste hatten Erfolg, die Auen wurden schlussendlich zum Nationalpark erklärt; mehr noch: aus den Protestierenden gingen die Grünen hervor, die sich heute zu jener Partei entwickelt haben, der es mit der Errichtung von Solar- oder Windkraftwerken gar nicht schnell genug gehen kann – wenn es sein muss, natürlich auch auf Kosten landschaftlicher Unberührtheit. Nur bei Wasserkraft erhebt man nach wie vor die Stimme, wie zum Beispiel der WWF im Tiroler Kaunertal, wo zwei Milliarden Euro investiert werden sollen, um das bestehende Kraftwerk der Tiwag zu erweitern. 0,8 TWh soll das bringen, ein enormer Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele, aber eben behindert durch langwierige UVP-Prüfungen und ständige Beeinspruchungen.

Dabei gilt der Ausbau von Wasserkraft als unbedingt notwendig für die Energiewende. Denn nicht immer scheint die Sonne und auch die Winde wehen nicht immer genau dann, wenn es gilt, Stromspitzen abzudecken. Die Lösung ist Wasserkraft, genauer gesagt Pumpspeicher – von denen es aber zu wenige gibt. Aber selbst wenn es genug Kapazitäten gäbe, bleibt die Frage unbeantwortet, wie der enorme Anteil an Wasserkraft kompensiert werden kann, wenn durch einen etwaigen Klimawandel die Flüsse austrocknen und/oder sich durch Wasserknappheit, Dürre, Schneemangel etc. die Fließgeschwindigkeit der Gewässer so sehr verringert, dass Kraftwerke nicht mehr effizient betrieben werden können. Schon jetzt machen sich Trockenperioden unangenehm bemerkbar. Es gilt also, durch Ausbau, verbesserte Technik und neue Materialien das Potenzial zur Effizienzsteigerung zu heben. Das Wasserkraftpotenzial in Österreich, das für die Natur verträglich ist und außerhalb von Schutzzonen liegt, beträgt nach einem Bericht der Wiener Zeitung geschätzt weitere elf bis 13 TWh.

Woher der Wind weht
Apropos Potenzial: In Bezug auf Windkraftpotenzial wird die Steiermark nur vom Burgenland geschlagen. Ein Windpark nach dem anderen wird angelegt, der nächste, der in Betrieb genommen wird, ist der auf der Stanglalm – im Juli soll er offiziell in Vollbetrieb gehen. Der erste Windpark in der Steiermark wurde 2014 in Betrieb genommen, im Bezirk Deutschlandsberg auf der Freiländeralm; an ihnen lässt sich recht plakativ sehen, welches Potenzial in der technologischen Weiterentwicklung des Green Sector steckt. Die ersten Windkraftanlagen auf der Freiländeralm hatten eine Leistung von je zwei MW, die drei Windräder erzeugen rund 13 GWh Strom (3.500 Haushalte). Sie wurden nur vier Jahre später um ein viertes Windrad ergänzt – das allein 8 GWh (2.000 Haushalte) erzeugt. Ende 2022 waren in der Steiermark 114 Windkraftwerke in Betrieb, österreichweit waren es 1.374 Windkraftanlagen. Noch nicht genug, will man die Ziele 2030 verwirklichen. Nach jetzigem Stand der Technik müssten sich nur in der Steiermark dann mindestens 250 Windräder drehen – was sich nicht mehr ausgehen kann. Denn die Steiermark hinkt auch in punkto Windkraft der gesamtösterreichischen Energiezielerreichung gewaltig hinterher – 10 TWh sollen bis 2030 österreichweit mit Windkraft erzeugt werden, der steirische Beitrag dazu ist noch vergleichsweise bescheiden – aber um ein Vielfaches höher als in Salzburg, Tirol und Vorarlberg, wo man sich hartnäckig weigert, Windkraftanlagen zu errichten.

Ewige Treibstoffdiskussionen
Wenig hilfreich bei der Erreichung der Klimaziele ist die derzeitige Diskussion »E-Fuels vs. E-Autos«. Bundeskanzler Karl Nehammer hatte sie durch sein Bekenntnis zu Österreich als Automobil-Industriestandort befeuert, die Klärung der Frage »Technologieoffenheit bei PKW ja oder nein« wird mit Vehemenz in sozialen wie klassischen Medien diskutiert. Alles reduziert sich auf die Frage, ob man der Industrie vorschreiben solle, welche Antriebsart ab 2035 zugelassen sein soll. Kurz: Autos mit Verbrennermotoren verbieten, selbst wenn sie dank E-Fuels kein CO2 ausstoßen, oder es der Wissenschaft und dem Markt überlassen, mit welchen Mitteln man Mobilität und gleichzeitige CO2-Neutralität sicherstellt? Beide Seiten haben gute Argumente, die Kritiker Nehammers übersehen jedoch Wesentliches: Sein Vorschlag läuft nicht auf die Frage »Verbrenner oder E-Auto« hinaus, sondern lässt beide Optionen unter der Bedingung offen, dass die Klimaziele erreicht werden können. Schlüsselfaktor ist die technologische Weiterentwicklung: In Graz ist daher in Zusammenarbeit mit der AVL List eine 1-MW-Demoanlage geplant, die in Summe ungefähr 500.000 Liter Dieseläquivalent pro Jahr produzieren kann. Aufgrund des hocheffizienten Prozesses und weiterer Optimierungen wird dafür um 20 bis 30 Prozent weniger erneuerbarer Energieinput benötigt. Die AVL arbeitet bereits seit fünf Jahren an einem Verfahren zu einer wesentlich besseren Erzeugung von Wasserstoff – der neben CO2 ein wesentlicher Bestandteil von E-Fuels ist. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass ohne deutliches Investment in Innovation und Technologie eine Energiewende kaum schaffbar sein wird. Und so sehr die Steiermark aus verschiedenen Gründen auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben mag, so unverzichtbar ist der steirische Beitrag zur Forschung und Entwicklung in diesem Sektor. 300 Unternehmen und Forschungseinrichtungen, 20 globale Technologieführer, 2.300 Forscherinnen und Forscher sowie 600 bereits geschaffene Green-Tech-Lösungen sind nur die Bilanz des sogenannten »Green Tech Valleys«. Was mit dem Steirer Viktor Kaplan begann, der durch die Erfindung der gleichnamigen Turbine  die Nutzung von Wasserkraft revolutionierte, mündet heute in einer ökologischen und ökonomischen Erfolgsgeschichte: Fünf Milliarden Euro Umsatz werden mit Green Technology aus dem Süden bereits gemacht, 1.000 »Arbeitsplätze mit Sinn« für rund 25.000 Umwelttechnikbeschäftige geschaffen. Der Standortvorteil, den die Steiermark durch diese intensive Beschäftigung mit erneuerbarer Energie hat, macht das Land zu einem wesentlichen Player in einer Branche, die sich nicht nur gerade fundamental wandelt. Österreichweit werden im weiten Feld »Energieversorgung« 45 Milliarden Euro umsetzt, fast 30.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen dafür, dass die 2.700 Unternehmen der Energieversorgungsbranche auch unter den veränderten Bedingungen eine Zukunft haben.

Fazitthema Fazit 192 (Mai 2023), Foto: Photovoltaik Austria

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