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Lauter partizipative Eindrücke

| 5. Juli 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 194, Kunst und Kultur

Foto: Clelia Cadamuro

Der österreichische Beitrag der heurigen Architekturbiennale zu Venedig darf getrost als bester seit langem bezeichnet werden. Wieso das so ist, liegt an der praxisnahen Umschiffung verkopfter Modeströmungen und an der beherzten Herangehensweise des Kollektivs.

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Laboratory of the Future« betitelt Biennale-Direktorin Lesley Lokko (Gründerin des African Futures Institute) ihre Hauptausstellung. »Eine Architekturausstellung ist sowohl ein Moment als auch ein Prozess«, sagt die ghanaisch-schottische Architektin. Und weiter: »Es ist unmöglich, eine bessere Welt aufzubauen, wenn man sie sich nicht vorher vorstellen kann.«

Ein Erlebnis
Und die Liste der Teilnehmenden ist lang: Allein 55 beteiligte Positionen umfasst die von ihr besorgte Hauptausstellung. Angeblich sind Blicke in die Zukunft oft mit Kaffeesudlesen verbunden, die Palette jener Projekte, die sich allzu theoretisch mit dem, was kommen mag, auseinandersetzen, ohne praktische Bewältigungsstrategien der Gegenwartsprobleme anzubieten, ist lang. Die technische Aufbereitung der Ideen machen dank der immensen Möglichkeit via Sound und Visuals Staunen und den Besuch solcher Megaevents zum Erlebnis. Die inhaltliche Aussage bleibt allerdings oft allzu verborgen.
Eine löbliche Ausnahme ist das Projekt »Neighbours« im Schweizer Pavillon. Die Macher fokussieren auf die unmittelbare Nachbarschaft innerhalb der Giardini und machen den Schweizer und den venezolanischen Pavillon zu einem Ensemble von architektonischer und skulpturaler Qualität. Die Venezolaner hatten nichts dagegen, dass aus der trennenden Grundstücksmauer ein Stück herausgenommen wurde, um die engen Bezüge der benachbarten Architekturen zu betonen, aber auch als prinzipielle ethische Geste.

Das Österreichische …
Noch einen Schritt weiter geht der österreichische Beitrag. Wie alle lang- und noch längerlebigen Metabegriffe im Kulturbereich hat auch der Begriff der »Partizipation« sein Ablaufdatum. Momentan jedoch steht er hoch im Kurs. »Partizipative Projekte« – die es, Hand aufs Herz, auch früher gegeben hat nur anders geheißen haben – sind mit überladendenden Konzepten überall und allgegenwärtig. Gerade die Architekturbiennale ist prädestiniert, sich nicht nur spekulativ, sondern auch praktisch mit dem Themenbereich auseinanderzusetzen.

… das gut tun kann
Wohltuend ist daher, dass sich der Österreichbeitrag vom hochtrabenden Metagesäusel abhebt und gleich einer Grätzel-
initiative ins Eingemachte, nämlich in die direkte Nachbarschaft des Pavillons vordringt. Der so praktizierte Begriff erfordert Arbeit mit Menschen und kein Sinnieren im stillen Kämmerchen der Theorien-Thinktanks. Das ist zeitaufwändig und arbeitsintensiv. Die Mannschaft setzte sich nämlich über Monate mit der Umgebung des Pavillons, jenseits des Zaunes auseinander.

Für »Partecipazione/Beteiligung« wird der symmetrische Pavillon geteilt. Die westliche Hälfte bleibt von der Biennale aus begehbar. Die östliche Hälfte des Gebäudes sollte samt Hof über einen neu hergestellten Zugang von der Stadt aus frei zugänglich sein. So zumindest der Plan, der naturgemäß politisch-bürokratisch vereitelt wurde. Übergeblieben ist die Dokumentation des Prozesses und die hat es in sich.

Internationale Exklave
Das Architekturkollektiv AKT und der Wiener Architekt Hermann Czech haben einen gesellschaftlich wirksamen, temporären Umbau des österreichischen Pavillons konzipiert. Der Pavillon liegt an der nordöstlichen Grenzmauer des Biennale-Areals zur Stadt. Diese Nachbarschaft steht sinnbildlich für die sozialräumliche Entwicklung Venedigs im Laufe der vergangenen Jahrzehnte: die Biennale als Exklave des internationalen Kunsttourismus, der umliegende Stadtteil Castello als ein noch überwiegend von lokaler Bevölkerung bewohnter Bezirk Venedigs und gleichzeitig umstrittenes Entwicklungsgebiet. Per Eigendefinition steht im Zentrum des architektonischen Eingriffs von AKT & Hermann Czech die Frage nach der Verfügungsmacht über Raum in einer Stadt mit begrenztem Boden und mit ihr die Frage nach der sozialen Nachhaltigkeit der wichtigsten Architekturausstellung der Welt im Kontext der Altstadt. Ein Grund von vielen, der wieder grauslich überfüllten Lagunenstadt einen Kurzbesuch abzustatten.

Alles Kultur, Fazit 194 (Juli 2023), Foto: Clelia Cadamuro

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