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Fazitthema Neid

| 18. August 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 195, Fazitthema

Foto: Mikail McVerry/Unsplash

Populismus, der den politischen Diskurs bestimmt, bedient sich gerne einer besonderen Emotion des Menschen. Keine Frage: Wer Neid schürt, kann für sich persönlich viel erreichen. Meist auf Kosten anderer. Text von Johannes Roth

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»Invidia« ist unter den sieben Todsünden eine der zerstörerischsten. Zwar fallen auch Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei und Trägheit nicht umsonst unter die Ächtung christlich geprägter Moralvorstellungen – Neid hingegen (und das thematisch dazugehörige Gefühl der Eifersucht) kann auf ganz andere Qualitäten verweisen. Neid entfacht Revolutionen, Neid krönte und köpfte Könige. Wann immer man ihm im Laufe der Geschichte die Gelegenheit gab, seine zerstörerische Kraft politisch zu entfalten, veränderte sich ihr Lauf fundamental. Das von ihm verursachte persönliche und gesellschaftliche Leid rechtfertigt den Status als Todsünde.

Seinen schlechten Ruf hat der Neid allerdings nicht erst seit dem 6. Jahrhundert. Bereits in der Bibel wird er im Buch Genesis zum ersten Mal erwähnt und zwar in der Geschichte von Kain und Abel. Dass der eine den anderen erschlug, war der Schlusspunkt eines unglückseligen Vergleiches: Kain verglich die Liebe, die er von Gott erhalten hatte, mit der Liebe, die Gott seinem Bruder entgegenbrachte. Betrachtet man das Phänomen des Neides, ist der Originaltext in der Genesis es wert, dass man ihn sich in Erinnerung ruft: Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich. Der Herr sprach zu Kain: »Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn!« [Gen 4,4-4,7]

Konstruktiver und destruktiver Neid
Dieser Exegese mag am Beginn einer Geschichte über Neid stehen; die ökonomischen Prinzipien unserer Zeit stehen jedenfalls an ihrem Ende. Denn Neid ist nicht nur schlecht. Im Gegenteil: Er kann eine treibende Kraft für Innovation und Wirtschaftswachstum sein. Wenn A sich mit B vergleicht und feststellt, dass B schöner wohnt, ein besseres Auto fährt und mehr Freizeit hat, dann wird A vielleicht einen Anflug von Neid verspüren. Nun kommt es darauf an, welchen Weg A wählt, um mit dem Problem der Ungleichheit fertig zu werden: Spornt es ihn an, fleißiger zu sein und einen einträglicheren, aber weniger zeitraubenden Job zu suchen? Sich so lange zu bemühen, bis er in der Lage ist, sich neue Einrichtung, ein besseres Auto und einen längeren Urlaub zu leisten und so die Konjunktur zu beflügeln? Damit wäre der Neid, der aus dem Vergleich mit anderen entsteht, eine der Grundlagen einer Leistungsgesellschaft.

Oder A wählt den anderen Weg: Er brennt das Haus von B nieder, zerstört sein Auto und zeigt ihn beim Finanzamt wegen vermeintlicher Schwarzarbeit an. Vielleicht nutzt er auch die sozialen Medien, um seinem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen, dass er sich anstrengen müsste, um möglicherweise das zu erreichen, was Person B kraft seiner Talente, seines Fleißes oder eines Glücksfalles schon erreicht hat. Das wäre dann destruktiver Neid und damit eine der Grundlagen dessen, was wir sozial ganz allgemein unter dem Begriff Neidgesellschaft subsumieren. Tatsächlich ist Neid entwicklungsgeschichtlich ein wesentlicher und wichtiger Motivationsfaktor. Er wirkte sich positiv auf das Überleben aus – nicht nur auf das Überleben des Individuums, sondern auch der Spezies. Der Vergleich mit anderen ist ein Motivationsfaktor, um das eigene Sozialprestige zu heben. Das wiederum erleichtert die Partnerwahl: Mit höherem Sozialprestige ist man attraktiver für genetisch besser prädisponierte Partner. Das wiederum sicherte einst das eigene Überleben auch im Alter durch viele Nachkommen ebenso wie die genetische Weiterentwicklung der Spezies. Dem Neid zugrunde liegt also immer der Vergleich. Leon Festinger, ein Sozialwissenschaftler des vorigen Jahrhunderts, entwickelte 1954 die »Theorie des sozialen Vergleichs«. Sie besagt, dass der Prozess des Vergleichens mit anderen Menschen dazu dient, sich selbst in der Welt einzuordnen. Nach Festinger sei destruktiver Neid dadurch geprägt, dass man der überlegenen Person mit einer feindlichen Haltung begegnet und ihren Ruf bei anderen schmälern will – vor allem, wenn man die Überlegenheit der Person als unverdient erachtet. Durch die abwertende Gesinnung solle die Person an das eigene Niveau angeglichen werden, da man keine Chance sieht, sich selbst durch Leistung so weit zu verbessern.

Die Neidgesellschaft am Beispiel Marc Mateschitz
Das Marc-Mateschitz-Bashing, das in den vergangenen Wochen in den sozialen Medien stattfand, darf als Beweis für Festingers Theorie gesehen werden. Das Milliardenerbe des 31-Jährigen ist beste Angriffsfläche für alle, die von Vermögens- und Erbschaftssteuern träumen. Bemüht, endlich wieder inhaltliche Positionen zu finden, bedient sich die Sozialdemokratie der vermeintlichen Ungerechtigkeit, um auf ihr Anliegen hinzuweisen … nicht ohne den Neid der Besitzlosen in Kauf zu nehmen: Hier das (vermeintlich unversteuerte) Milliardenerbe, dort 20.000 Pflegekräfte, die man »alleine mit dem Steueraufkommen eines einzigen Erbfalles« zehn Jahre lang finanzieren könne. Das plakative Beispiel stammt vom Chefökonom der Arbeiterkammer, Markus Marterbauer, der auch gleich eine passende Bezeichnung für das Phänomen parat hatte: »Überreichtum durch Vererbung«. Als man ihm widersprach, legte Marterbauer nach: »100.000 Kinder erleiden massive materielle und soziale Einschränkungen, während einer Vermögen im Wert von 32,5 Milliarden erbt, ohne dafür Erbschaftssteuer zu leisten. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die diese Verletzung grundlegender Gerechtigkeitsprinzipien nicht akzeptiert.«

Dem linken Volkswirt geht es dabei natürlich weder um 100.000 Kinder, die »massive materielle und soziale Einschränkungen« erfahren, noch ist der Wert, auf den die Unternehmensanteile von Marc Mateschitz geschätzt wird, daran schuld. Von den 100.000 Kindern weiß die Statistik Austria übrigens nichts: Nur zwei Prozent der insgesamt 1,640.000 Null-bis-17-Jährigen hatten 2022 eine »erhebliche materielle und soziale Benachteiligung« – das sind 32.800 Kinder. Aber die Zahl 100.000 eignet sich eben besser, um das Neid schürende Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit zu befördern. Auch dass die Finanzierung der dringend benötigten Pflegekräfte nicht die Aufgabe eines Getränkekonzerns sein kann, der durch Besteuerung des »Überreichtums durch Vererben« zur Kasse gebeten werden soll, muss dem AK-Chef-ökonomen klar gewesen sein. Das und die Tatsache, dass zunächst vom neuen SPÖ-Vorsitzenden abwärts sämtliche Karl-Marx-Apologeten des sozialdemokratischen Gefühlsspektrums und dann plötzlich alle möglichen Proponenten der Neigungsgruppe Opferstatus dringend die Quasi-Verstaatlichung des Red-Bull-Erbes forderten, legt den Verdacht nahe, dass es hier um etwas anderes ging: Durch das planmäßige Schüren von Neidgefühlen (»… für unsere Leut’ …«, »… alle, die nicht mit dem goldenen Löffel auf die Welt gekommen sind …« etc.) soll populistisch Stimmung für die Partei gemacht werden.

Für Populisten ist Neid ein hervorragendes Mittel zum Zweck
In die gleiche Kerbe schlug auch der Grüne Parteivorsitzende. Zeitnah zum Wahlgewinn der Kommunisten in Salzburg monierte er das vermeintlich steuerfreie Erben von »fetten Villen« und »astronomischen Aktienpaketen« oder »sonstigen riesigen Barvermögen« und forderte umgehend eine »Millionärssteuer« für »Millionenerben«. Es sei doch eine »himmelschreiende Ungerechtigkeit«, meinte der populistische Vizekanzler, dass »die anderen nichts kriegen«. Kogler wusste genau, dass eine solche Steuer in der derzeitigen Regierung keine Chance hatte – der Koalitionspartner hatte das dezidiert ausgeschlossen. Es ging vielmehr darum, ein linkes Kernwählerklientel unter dezenter Zuhilfenahme von Neidinstinkten daran zu erinnern, dass die Grünen trotz Koalition mit der ÖVP darum bemüht sind, »fair und gerecht« zu sein. Fakten stören einen Populisten, die die Macht des Neides erkannt haben, bekanntlich nur. Denn ohne Neid bliebe die Forderung taktisch gesehen wirkungslos. »Cum finis est licitus, etiam media sunt licita«, der Zweck heiligt die Mittel, wie schon die alten Jesuiten wussten. Der Neid sei also gerechtfertigt und zwar selbst dann, wenn schon die ihn erzeugende Grundprämisse erkennbar falsch ist.

Vermögenssteuern gibt’s längst
So ist es zum Beispiel unrichtig, dass Vermögen in Österreich nicht besteuert wird: Mit der Kapitalertragsteuer werden Erträge aus »astronomischen Aktienpaketen« sehr wohl besteuert. »Der Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 Prozent unterliegen Kapitalerträge aus Geldeinlagen (z.B. für Zinsen aus Sparbüchern und Girokonten) und nicht verbrieften sonstigen Forderungen bei Kreditinstituten. Für alle anderen Einkünfte aus Kapitalvermögen beträgt der Steuersatz 27,5 Prozent«, stellt das offizielle Portal österreich.gv.at klar. Realisierte Aktiengewinne müssen demnach ebenso versteuert werden wie Verkäufe von Unternehmensanteilen; Dividenden werden ohnehin besteuert. Seit 2012 sind realisierte Wertsteigerungen unabhängig von Behaltedauer und Beteiligungsausmaß steuerpflichtig und unterliegen, wie auch die laufenden Einkünfte aus Kapitalvermögen, der »Vermögenszuwachsbesteuerung«. Sofern ein inländisches Kreditinstitut involviert ist, erfolgt die Besteuerung im Wege der von der Bank einzubehaltenden Kapitalertragsteuer (»KESt-Abzug«). Mit der Steuerreform 2015/2016 wurde der KESt-Satz von 25 auf 27,5 Prozent erhöht. Kapitalerträge, die über ein ausländisches Bankdepot bezogen werden, sind hingegen in die Steuererklärung aufzunehmen und unterliegen ebenfalls dem Steuersatz von 27,5 Prozent. Das Gleiche gilt für Erträge aus Wertpapieren im Betriebsvermögen. Das klingt nun gar nicht so, als müsse man für Aktienpakete, seien sie nun »astronomisch« oder nicht, seien sie nun ererbt oder erarbeitet, »niente, nada, nix« dem Staat zur Umverteilung abgeben.

Der Steuerbelastungs-Trick
Schlaue Demagogen werden nun einwenden, dass die Kapitalertragssteuer ja »nur« 27,5 Prozent beträgt, Arbeit aber mit »bis zu 50 Prozent« besteuert werde. Das ist prinzipiell richtig und dann doch wieder nicht. Denn die Abgaben auf Arbeit setzen sich aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen zusammen. Wenn man zum Beispiel in einer Milchmädchenrechnung einen Lohn von 4.000 Euro brutto pro Monat zugrunde legt, dann ergibt sich folgendes Bild: Der Arbeiter bezahlt dafür 654,88 Euro Lohnsteuer, aber 724,80 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen. Sein Chef bezahlt 841,20 Euro an SV-Beiträgen für den Arbeiter, dazu kommen 148 Euro »Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds« und 61,20 Euro für die Betriebliche Vorsorge. An Steuern hingegen bezahlt der Chef »nur« die Kommunalsteuer in Höhe von 120 Euro. Macht also bei Gesamtkosten von 5.170 Euro »nur« 774,88 Euro an Gesamtsteuerleistung. Das ist viel, aber weit weniger als die 27,5 Prozent, die auf Erträge aus realisierten »astronomischen Aktienpaketen« anfallen. 2023 werden die Steuereinnahmen der Republik aus dem Titel Kapitalertragsteuer übrigens über fünf Milliarden Euro betragen, von denen man eine Milliarde »woame Mittagessen« um je 5 Euro finanzieren könnte.

Doch nicht nur bei der vermeintlichen Steuerfreiheit der »astronomischen Aktienpakete« irrt der grüne Vizekanzler. Auch was das Erben von »fetten Villen« betrifft, hat er Erklärungsbedarf, denn jeder Grunderwerb wird in Österreich besteuert, egal ob durch Kauf, Schenkung oder Erben: 3,5 Prozent des Einheitswertes werden fällig, dazu kommt die Eintragungsgebühr ins Grundbuch von 1,1 Prozent. 2022 flossen knapp drei Milliarden Euro wegen Grundstückstransaktionen unterschiedlicher Natur an den Bund. Womit eine weitere populistische Unwahrheit entlarvt ist: Es stimmt einfach nicht, dass »die nderen« nichts kriegen.

Fragwürdige Ausgabenpolitik
Apropos »die anderen«, die uns direkt zurück zum Phänomen »Neid« führen. Die »Neidgesellschaft« ist ein geflügeltes Wort geworden, wenn es darum geht, jenen entgegenzutreten, die eine von der Allgemeinheit finanzierte »soziale Gerechtigkeit« einmahnen. In Österreich wird es zunehmend schwerer, diese Finanzierung zu rechtfertigen. Die Steuereinnahmen des Bundes, die 2013 noch bei rund 76 Milliarden Euro lagen, sind mittlerweile auf 109 Milliarden Euro gestiegen. Dennoch kommt der Staat mit dem Geld nicht aus: Der Investitionsrückstau im Gesundheits- und Bildungssystem ist längst in der breiten Bevölkerung angekommen. Die Versäumnisse bei Digitalisierung und Klimawandel, der Fachkräftemangel, die Energiepreise, eine weit über den anderen Ländern der EU liegende Inflationsrate etc. stehen einem aus dem Ruder laufenden Sozialstaat gegenüber. Die Sozialausgaben sind 2022 abermals gestiegen: Die Ausgaben für Sozialleistungen im Pensionsalter (Alterspensionen, Ruhegenussleistungen, Betriebspensionen, Betreuungs- und Pflegeleistungen) stiegen laut Statistik Austria auf 58,9 Mrd. Euro (+4,9 Prozent), jene für die Kranken- und Gesundheitsversorgung auf 37,8 Mrd. Euro (+6,1 Prozent). Die stärksten Zuwächse gab es bei den Familienleistungen – 12,1 Mrd. Euro (+9,4 Prozent) –, sowie bei Wohn- und Mietbeihilfen und zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung (vor allem Mindestsicherung/Sozialhilfe und Flüchtlingshilfe), auf die 2022 insgesamt 2,8 Mrd. Euro (+9,1 Prozent) entfielen.

Soziale Gerechtigkeit – Wo beginnt der Neid?
Klar ist, dass Neid und Neidgesellschaften nur dort entstehen können, wo es individuelle und soziale Unterschiede gibt. Lässt man die »natürlichen Unterschiede« (z.B. intellektuelle Begabungen oder physische Fähigkeiten), wie sie schon Jean-Jacques Rousseau beschrieben hat, beiseite, dann sind es vor allem Besitz und Eigentum, die Neid erzeugen können. Und zwar weil sie die Unterschiede zwischen den Menschen am deutlichsten sichtbar machen, wie die Autoren Scheve, Stodulka und Schmidt von der Freien Universität Berlin in einer Betrachtung »Guter Neid, schlechter Neid?« überzeugend darlegen. Sieht man den sozialen Vergleich als Kern des destruktiven Neides, dann wäre es nur logisch, würde man in der Debatte um soziale Gerechtigkeit besonderes Augenmerk auf Parameter legen, die seriös vergleichbar sind. Ein Negativbeispiel dafür sind die Tweets des derzeitigen SPÖ-Bundesparteivorsitzenden. Sie sind sachlich unrichtig und zielen nicht auf Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich ab, sondern befördern bewusst den sozialen Neid: »1 Prozent der Bevölkerung besitzt fast die Hälfte des Vermögens und 350.000 Kinder sind von Armut bedroht. 30 Prozent können sich ihren Urlaub nicht leisten – gleichzeitig wissen wir, dass die gestiegenen Konzerngewinne für 50 Prozent der Inflation verantwortlich sind.« Ebenso wesentlich ist in diesem Kontext die Unterscheidung zwischen Neid und Gerechtigkeit. Denn die Legitimität einer sozialpolitischen Forderung lässt sich mit dem Argument »Neid« allzu leicht widerlegen oder mit dem Argument »Es ist ungerecht« untermauern. Während Neid eine meist als negativ empfundene Emotion ist, ist Gerechtigkeit ein positives moralisches Prinzip. Das eine basiert auf einem persönlichen Vergleich, das andere auf der politisch-ethischen Vorstellung der Égalité. Aus der leitet sich eine libertäre Form der sozialen Gerechtigkeit ab, auf die schon Aristoteles Bezug genommen hat: »Wir sind keine Bittsteller, es steht uns zu.«Laut Scheve, Stodulka und Schmidt kommt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Neid u.a. dem Gefühl zu, das begehrte Gut oder Privileg selbst verdient zu haben.
»Gerechtigkeit von unten«, die von sozialen Bewegungen gefordert werden muss (im Gegensatz zur gönnerhaften »Gerechtigkeit von oben«) sieht der Marxist Ernst Bloch als einzigen Weg zum sozialen Ausgleich. Kein Wunder, dass Vermögende, Konzerne, Unternehmer etc. als alte marxistische und sozialistische Feindbilder wieder salonfähig werden.

Neid in den Sozialen Medien
Dass bei Neiddebatten den Sozialen Medien eine besondere Rolle in der politischen Willensbildung zukommt, liegt auf der Hand. Denn die bieten jede Menge Informationen für Vergleiche jeder Art an – wobei die Qualität der Informationen kaum mehr einzuordnen ist. Soziale Medien eignen sich hervorragend, um politische Willensbildung via negativer Emotionen zu fördern. Andererseits sind soziale Medien auch gut geeignet, um konstruktiven Neid durch Vergleiche mit Role Models zu fördern. Die positive und negative Wirkung der sozialen Medien in Bezug auf Vergleiche mit anderen wird – ebenso wie Auswirkungen anderer Massenmedien – kontrovers diskutiert. Während die einen etwa Beispiele wie die »#Fitspiration« anführen, die via Instagram Millionen zu einer gesünderen Lebensweise inspiriert, sehen andere keinerlei positiven Effekte des Vergleichens der User mit den Influencern. Auch breit angelegte Studien kommen zu diesem Ergebnis: Wer beliebige andere alleine aufgrund deren Likes und Follower zum Maßstab des eigenen Glücks macht, erreicht oft das Gegenteil – er schmälert bestenfalls das eigene Glück und verstärkt im schlimmsten Fall eine latente Depression bis ins Unerträgliche. Populisten, die Neiddebatten fördern und als Gerechtigkeitsdebatten framen, wären also gut beraten, ihre Strategie im Sinne des Gemeinwohls zu überdenken.

Fazitthema Fazit 195 (August 2023), Foto: Mikail McVerry/Unsplash

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