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Außenansicht (46)

| 10. Oktober 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 196

Biedermänner ohne Brandstiftung. Über den ehemaligen Kanzler Sebastian Kurz sind derzeit gleich zwei Filme im Kino zu sehen. Vereinfacht erklärt gegenüber potenziellen Besucherinnen und Besuchern, soll der eine eine Verteidigung und Rechtfertigung sein, der andere eine kritische Zusammenfassung der kurzen Karriere des ehemaligen Stars der heimatlichen Politszene. Ich werde mir weder den einen noch den anderen ansehen. Sie interessieren mich beide nicht. Ich könnte es nicht einmal – logisch und überzeugend – erklären, warum mich beide Filme nicht interessieren. Das wäre bereits eine unnötige, intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema. Dieser weiche ich aus, aus einem einfachen Grund: Kurz interessiert mich nicht mehr.

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Wie viele Konservative war auch ich von ihm beeindruckt, doch innerhalb weniger Wochen zerfiel alles wie ein Kartenhaus, und wenn ich eines gelernt habe als »alter weißer Mann«: Es gibt den Moment, in dem alles vorbei ist und es nur mehr um die Zukunft geht. Was mich eher beschäftigt als die Gedankenspielerei über ein Kurz-Comeback mit oder ohne eigener Liste, ist die systematische Selbstzerstörung eines für die Demokratie wichtigen konservativen Segments. Inhaltslos, gegen Rechts und Links verzweifelt strampelnd, versucht die derzeitige Führung, eine solide Position in der Mitte und rechts der Mitte zu finden. Doch sie tut sich schwer.

Die Sozialdemokraten unter ihrem neuen Parteichef, dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, reduzieren das Wahlvolk zu einer verarmten Minderheit, die sie zu retten vorgeben. Und rechts der Konservativen verankern die Freiheitlichen ihre Partei mit praktisch einem einzigen Thema – der Flüchtlingspolitik –, als würden sie geistige Fußfesseln tragen.

Vereinfacht könnte man die politische Lage so beschreiben: Die SPÖ rückt nach links, die FPÖ nach rechts. Bleibt da nicht genügend Platz zwischen den beiden? Sollte nicht das Zur-Seite-Rücken der beiden Konkurrenten den Konservativen die Chance geben, sich dazwischen zu platzieren?

Während der »Sommer-Gespräche« im ORF war die Wirtschaftspolitik kaum ein Thema, weder in der Fragestellung noch in der Selbstdarstellung der Parteichefs. Ebenso wenig wurden neue Ideen zu Bildung, Forschung oder Kultur präsentiert. Im Grunde genommen scheint es derzeit nur vier Themen zu geben, die die Parteien inhaltlich voneinander trennen: der Krieg in der Ukraine, die Flüchtlingspolitik, das Klima und die Verarmung.

Es gab auch einmal Zeiten mit linken wie konservativen Intellektuellen, aber die scheinen lange zurückzuliegen. Jetzt sind die Unterschiede der politischen Gruppierungen – aufs Wesentliche reduziert – ungeheuer leicht zu verstehen: Linke glauben an die Veränderung des Klimas, Rechte eher nicht. Linke wollen eine Politik der offenen Grenzen, Rechte nicht. Linke wollen höhere Steuern gegen die Verarmung, Rechte lehnen das ab. Linke nennen den Krieg in Ukraine einen Überfall durch Russland, Rechte relativieren das. Das wars dann schon. Politische Vielfalt kann auf ein paar symbolhafte Sätze reduziert werden.

Und jetzt komme ich wieder zu den beiden Filmen über Sebastian Kurz. Ich weiß jetzt auch, warum ich sie nicht sehen möchte. Ich bin mir sicher, sie sind beide unendlich langweilig, »predictable«, wie die Engländer es nennen, alles, was man vorher vermutet hatte, wird auch geschehen, ohne Überraschungen.

Ähnlich die Innenpolitik. Wie uniformiert treten Politiker auf und wir erkennen an ihren Mützen und an ihren goldenen Streifen an der Montur ihre Meinungen zu jedem Thema, ihre Interpretationen des politischen Alltags und könnten ihnen die Wortmeldungen wie ein Souffleur im Theater vorsagen, versteckt unterm Podium, falls sie das sich Wiederholende vergessen haben sollten.

Sie sind so verdammt brav und anständig, wie Firmlinge, die zum ersten Mal Anzug und Krawatte tragen dürfen. Selbst wenn sie versuchen zu provozieren, wenn sie Unruhe erzeugen wollen, auf sich aufmerksam machen wollen, klingt es in aller Regel ausnehmend hilflos und meistens noch dazu verkrampft. Begabte, intelligente junge Männer und Frauen scheuen immer mehr die Politik. Sie suchen Erfolg in der Privatwirtschaft, an Universitäten, in der Forschung. Übrig bleiben verbeamtete Funktionäre, ein Leben lang versorgt, von der Position als Schülervertreter bis zum Pensionistenverband, durchgefüttert mit Steuergeldern, risikolos und abgesichert, einfach fad eben.

Außenansicht #46, Fazit 196 (Oktober 2023)

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