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Mürbteig im Kopf

| 10. Oktober 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 196, Serie »Erfolg braucht Führung«

Über die Kunst, nicht zu denken. Carola Payer denkt intensiv darüber nach, ab und zu einmal nicht nachdenken zu müssen.

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Ich habe ihn geliebt im heurigen Urlaub. Den Zustand, das Gefühl zu haben, nur mehr Mürbteig im Kopf zu verspüren. Nicht an gestern zu denken, nicht an morgen, nicht das nächste Buch zu schnappen, um den Geist weiterzuentwickeln. Auch keine strategischen Gedanken hegen, nix neu erfinden, nicht den Kalender bis Ende des Jahres geistig vor Augen durchscrollen. Einfach im Moment sein. Genießen, wahrnehmen, fühlen. Gefüttert habe ich diesen Zustand unter anderem mit köstlichem Südtiroler Apfelstrudel, der mit Mürbteig eingekleidet wird. Sehr inspiriert und erholt von dieser Verfassung, habe ich mich auf die Analyse gemacht, was dazu beigetragen hat, dass es so gut gelang, diesen »Mürbteig-Zustand« bei mir zu aktivieren.

Nichtstun positiv besetzen
Gerade die Vorkriegsgeneration, die Generation der Babyboomer und Generation-X haben noch viele Glaubenssätze vermittelt bekommen, das Nichtstun negativ besetzt. Rückmeldungen wie: »Warst schon wieder zu faul, das und das zu tun …« waren gewohnte Phrasen, Abweichungen zu kommunizieren. Wer brav im Hamsterrad rannte und wenig auf die eigenen Bedürfnisse achtete, bekam viele positive Rückmeldungen. Entspannte Situationen wurden oft mit: »Ah, hast nix zu tun? Was hängt ihr schon wieder so faul herum« kommentiert. Fleißige Schüler waren gute Schüler. Jeder von uns kennt wahrscheinlich viele faule Kollegen, die heute sehr erfolgreich, gesund und glücklich sind, oder war vielleicht einer von ihnen. Daher müssen wir oft erst Nichtstun positiv besetzen oder an unserem schlechten Gewissen arbeiten. Hirnforscher bestätigen: Nichtstun beflügelt die Gedanken, schafft Raum für Inspiration und ist sogar sehr produktiv. Der amerikanische Neurowissenschaftler Marcus Raichle hat herausgefunden, dass es im Gehirn ein sogenanntes »default mode network« gibt, ein Ruhezustandnetzwerk, das verschiedene Gehirnregionen einbindet. Es ist gerade dann hochaktiv, wenn wir herumhängen, dösen, die Gedanken schweifen lassen. Es erlaubt uns aus der Vogelperspektive auf uns selbst zu schauen, eingefahrene Gedankenmuster zu durchbrechen und erfinderisch zu sein. Also: Bitte mehr Wertschätzung und innerliche Versöhnung für die Pause, das Aussteigen aus dem Alltag, das »Nix-Tun«, das Faulsein.

Vitamin N nehmen
»Vitamin N« nehmen, im Sinne von: Nein, ich beantworte keine Emails im Urlaub. Nein, ich scrolle jetzt nicht die Dokumente kurz mal durch. Nein, ich hebe nicht das Handy ab. Nein, ich höre nicht die Mailbox ab. Nein, ich bin kurzfristig nicht ganz schnell mal verfügbar. Nein, ich lass mich nicht hetzen. Nein, ich gehe jetzt nicht auf meine mich stressenden Gedanken, Bedingungen, Ängste im Kopf ein, sondern lass sie vorüberziehen. Nein, Nein, Nein – nicht zu anderen, sondern zu den eigenen Impulsen, zu glauben, so wichtig und bedeutend zu sein, dass man ohne einem selbst nicht auskommt. Die Arbeitswelt wird sich auch ohne mich weiterdrehen. Die Kunden werden auch ohne mich, ihre Probleme lösen. NEIN – ich nehme mich jetzt nicht so wichtig. Das erleichtert, sich abzugrenzen. Der Helfer in uns darf auch mal rasten und Urlaub machen. »NEIN« ist eine bewusste Entscheidung für den freien Raum und den Ort, an dem man gerade ist.

Smartphonenutzung extrem einschränken
Die moderne Technologie hat unser Leben zweifellos erleichtert, insbesondere im Urlaub. Die nächsten Lokale ausloten, Touren zum Wandern, Radfahren, Gehen abrufen. Sich eine Meditation reinziehen, Netflix schauen … aber sie kann auch eine ständige Ablenkung sein. Im Urlaub entschied ich mich heuer bewusst dafür, mein Smartphone so wenig wie möglich zu nutzen und mich nicht nur vom »schnellen Durchscrollen« durch soziale Medien fernzuhalten. Sich wieder beim Biken an der Karte orientieren oder einfach intuitiv losfahren, wenn es nicht weitergeht, einen anderen Weg ausprobieren, erinnerte mich daran, wie wir früher auch immer und überall ans Ziel kamen. Das führte zum Entdecken wunderbare Plätze, die wir mit digitalem Plan nie passiert hätten. Wenn dann die Sonne schon zum Untergehen war und wir immer noch irgendwo »ohne Plan« in der Wildnis waren, Ein- und Ausatmen, bewusst überlegen und entscheiden und sich auf den Weg machen. Das glückliche Gefühl am Ende des Tages wurde sofort potenziert.

Meditative Haltung und Achtsamkeit
Jeden Tag verbrachte ich einige Zeit damit, einfach nur allein da zu sitzen und meinen Atem zu beobachten, die Sinne nach innen zu richten, meine Gefühle wahr zu nehmen, aber ohne Absicht eine wirkliche Mediation »zu machen«. Das einfache pure Sein üben. Während des Tages praktizierte ich Achtsamkeit, indem ich meine Sinne noch bewusster einsetzte, um die Schönheit der Natur wahrzunehmen – das Rauschen der Bäche, das Zwitschern der Vögel, die Farbe und den Duft der Blumen, die Wolken am Himmel. Das lenkt die Aufmerksamkeit voll in den Moment und beruhigt den Geist. Aber auch langsam essen, jeden Bissen genießen, jeden Schluck Wein im Mund oder das Gegenüber voll erfassen … den eigenen Blick liebevoll auf die Welt lenken. Und alles ganz langsam tun … weg vom schnell, schnell, schnell. Es half auch gut, statt 10 Büchern und unzähligen ungelesenen Zeitschriften, 1 Buch mitzunehmen. Müßiggang hatte Vorrang vor dem Vorsatz die Zeit so gut wie möglich für allmögliches, während des Jahres Versäumtes, zu nutzen.

Mürbteig im beruflichen Alltag
In unserer Leistungsgesellschaft müssen wir erst wieder viel mehr zulassen, dass Entwicklung nicht nur mit Anstrengung und »Müssen-Müssen«, sondern mit dem Eintauchen in die Energie des von uns als »faul« bewerteten Zustandes erreicht wird. Das heißt, keine Angst vorm faulen Zustand, er wird sowieso die produktive Leistung wieder anfeuern! Wer sich heute erfolgreich in der neuen Arbeitswelt bewegen will, muss wegkommen davon, immer härter, mehr und schneller zu arbeiten. Den Alltag so zu gestalten, dass qualitative Anspannung und Entspannung sich die Hand geben, führt zu weniger Erschöpfung am Ende des Tages und den Erhalt der Freude an der Arbeit. Immer wenn Situationen auftauchen, wo man negativen Stress verspürt, kann eine kurze »Mürbteig-Einheit« mit einfachem bewusstem Ein- und Ausatmen und alle Sinne in den Moment lenken hilfreich sein, sich gleich wieder zu sortieren.

Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 196 (Oktober 2023), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 63)

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