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Außenansicht (47)

| 10. November 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 197

Sprachlos vor Schrecken. Ich spielte die letzten Jahre in Wien in zwei Tennisklubs. Einer in Kagran, auf den ehemaligen ÖBB-Plätzen, dort trifft sich jeden Freitag und Sonntag eine Gruppe von Frauen und Männern, die aus den verschiedensten Ländern kommen, und vereinbarten, nur Englisch unter einander zu sprechen. Es war sozusagen der »Klub der Ausländer«. Der andere in Hütteldorf, wo sich kein Ausländer und keine Ausländerin hin verirrt, und der Wiener Dialekt noch in Reinkultur zu hören ist.

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Ich spielte die letzten Jahre in Wien in zwei Tennisklubs. Einer in Kagran, auf den ehemaligen ÖBB-Plätzen, dort trifft sich jeden Freitag und Sonntag eine Gruppe von Frauen und Männern, die aus den verschiedensten Ländern kommen, und vereinbarten, nur Englisch unter einander zu sprechen. Es war sozusagen der »Klub der Ausländer«. Der andere in Hütteldorf, wo sich kein Ausländer und keine Ausländerin hin verirrt, und der Wiener Dialekt noch in Reinkultur zu hören ist.

Über WhatsApp bin ich mit den anderen Spielern und Spielerinnen der beiden Gruppen verbunden. Nach dem grausamen Verbrechen in Israel schrieb ich spontan ein paar Zeilen auf Whats-App an die Mitspieler und Spielerinnen über meine Erschütterung über die Ereignisse. Von der internationale Gruppe antwortete sofort ein Spieler aus Polen, dass es ihm leid tue, man jedoch auch »die Besatzung« berücksichtigen müsse. Ich löschte meine Mitgliedschaft in dieser Gruppe und erklärte dem verantwortlichen Leiter, dass ich nicht mehr in Kagran spielen würde. In Hütteldorf, wo die berüchtigten »alten weissen Männer« spielen, laut »kritischer« Presse wahrscheinlich alle potentielle FPÖ Wähler, fragten mich die Spieler, ob ich Familie in Israel hätte, wie es ihnen gehen würde, und dass sie die ganze Situation als furchtbar erleben würden.

Wie meine Mitgliedschaft in Kagran löschte ich jeden Kontakt auf den Sozialen Medien, der seine hoch interessanten Argumentationen und Interpretationen mit den Worten »schrecklich, aber …« begann, um mir dann die Mitschuld der Israelis, die Mitverantwortlichkeit von Netanyahu oder die Leidensgeschichte der Palästinenser zu erklären. Ich verweigerte jede Diskussion, lehnte jedes Argument ab, beobachtete bei mir eine Empfindlichkeit, über die ich mich selbst erschreckte. Es war etwas geschehen, das ich noch nie erlebt hatte, abgesehen von Todesfällen in der eigenen Familie. Die Grausamkeiten, beschrieben und durch Videos dokumentiert, setzten jedes Vorstellungsvermögen außer Kraft. Mich interessierten keine Diskussion, mich interessierten keine Meinungen, mich interessierte nicht einmal das Mitleid.

Als dann noch in den Tagen nach dem Anschlag Palästinenser mit Unterstützung linker Gruppen in den Straßen demonstrierten, die Morde feierten mit rassistischem Gebrülle, beschäftigte mich zum ersten Mal seit meiner Rückkehr aus dem Ausland der Gedanke, ob es richtig war, nach Wien zurück zu kommen. In Chicago, wo ich mehr als zehn Jahre lebte, und eine erschreckende Kriminalität das Leben auch nicht einfacher macht, war es dennoch eine andere Form der Bedrohung. Es fehlte der historische Kontext, der mich hier beschäftigt.

Vor ein paar Tagen traf ich einen Vertreter der bucharischen Juden in Wien, die größte Gruppe der Jüdischen Gemeinde mit etwa 5000 Mitgliedern. Wir sprachen nicht viel über Israel, was sollten wir einander schon sagen. Ich fragte ihn, wie die Juden seiner Gruppe hier in Wien damit umgehen würden. Jeder habe Angst, sagte er, und sie würden die Mesuse, die normalerweise außen am Türrahmen befestigt werde, nach innen versetzen. Die Mesuse ist ein kleiner Behälter mit einem Segensspruch, den jüdische Familien eigentlich außen an der Tür befestigen und kurz berühren, bevor sie eine Wohnung betreten. Sie wollten nicht, dass man erkennen könnte, dass hier Juden wohnen, sagte mein Freund.

Diese Kleinigkeit, dieses unwichtige Detail, ob nun die Mesuse innen oder außen hängt, zeigt die Tragödie dieser Entwicklung. Die Regierung und der Bürgermeister von Wien versprachen uns Sicherheit und ordneten weitere polizeiliche Massnahmen an, mehr Schutz vor Synagogen, jüdischen Schulen und jüdischen Geschäften. Sie zwängen uns in eine Sicherheitszone, die wir als Zwangsjacke erleben – scharf bewacht mit kontrolliertem Zugang.

Ich kann darauf verzichten. Ich geh nicht in eine Synagoge, die umringt von schwer bewaffneten Polizisten einen engen Gang frei lassen, durch den ich unter etlichen Kontrollen das Gotteshaus betreten darf. Ich will in die Synagoge gehen, wie die Christen in die Kirche und die Moslems in die Moschee. Sicherheit bedeutet, dass jüdische Kinder zur Schule gehen wie alle anderen Kinder. Sicherheit bedeutet ein angstfreies Leben, das scheint für lange Zeit unmöglich zu sein.

Außenansicht #47, Fazit 197 (November 2023)

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