Unsere Demokratie kann nicht nur das sein, was Linke für demokratisch halten
Christian Klepej | 20. August 2025 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 214, Fazit 215
In der Bundesrepublik gilt es aktuell drei neue Richter für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu bestellen. Dessen 16 Richter werden zur Hälfte vom Bundestag auf Vorschlag des zuständigen Parlamentsausschuss gewählt, die andere Hälfte vom Bundesrat.
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Die Union hatte den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, in Stellung gebracht, die SPD die beiden Juristinnen und Rechtsprofessorinnen Ann-Katrin Kaufhold (LMU München) sowie Frauke Brosius-Gersdorf (Uni Potsdam). Und vor allem um letztere Nominierung ist ein heftiger Streit entstanden, der vorerst damit endete, dass die eigentlich schon für letzte Woche geplante Wahl auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Nicht ganz drei Wochen gingen dieser Entscheidung voraus und vor allem ein Brosius-Zitat aus einer Festschrift wurde dabei immer intensiver diskutiert: »Die Annahme, dass die Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss.« Es geht also um das komplexe Thema Abtreibung. Brosius hat des öfteren vertreten, Abtreibungen (zumindest) bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats völlig freizustellen bzw. unter bestimmten (nicht näher definierten) Umständen auch bis zum Ende einer Schwangerschaft zu ermöglichen. Worauf der »biologistisch-naturalistische Fehlschluss« hinweist; sie selbst hat das mittlerweile relativiert und spricht nur mehr von den ersten drei Monaten. In den Tagen nach dieser Wahlverschiebung entstand nun vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien und bei linken Kommentatoren der »Narrativ« einer reaktionären und rechtsaffinen »Kampagne« gegen Brosius. Auf Wikipedia diskutiert und proklamiert man ganz selbstverständlich, dass da »die asozialen Medien, die AfD und katholische Fundamentalisten« dahinter stehen würden. Gleichzeitig hört man auch oft aus dem linken Lager, dass man »keinen Kulturkampf« führen wolle.
Ich sage Ihnen, wir sind mitten drin in diesem Kulturkampf. Und bin mir sicher – ich habe diese Bestellungssache von Anfang an mitverfolgt –, es gab keine »Kampagne« und schon gar keine von »rechten« (ist gleich »rechtsextremen«) Netzwerken. Was stattfand war beispielsweise eine Mailaktion des Vereins »1000plus«, einer christlich geprägten Schwangeren- und Familienberatung, an alle Unionsabgeordneten, die darauf abzielte, dass diese nicht für Brosius stimmen sollten. Eine an sich mehr als basisdemokratische, vollkommen selbstverständliche Sache, die unter umgekehrten Vorzeichen wahrscheinlich mit zahlreichen Preisen bundesdeutscher Demokratieförderungsinstitutionen ausgestattet worden wäre. Aber 1000plus ist halt keine Lobby für etwa sich als Katzen identifizierende Personen oder auch kein Verein, der sich der Enteignung aller Besitzhabenden verschrieben hat, nein, es ist ein Verein, der dafür eintritt, dass es möglichst wenig Abtreibungen* gibt. Und damit wird er etwa in diversen Nachrichtenformaten ständig durch die Attribuierung »rechtspopulistisch«, »AfD-nahe« (was er nicht ist) oder Ähnliches negativ punziert und fortfolgernd als nicht mit »unserer Demokratie« (wie sie sie meinen) vereinbar geoutet. Zudem wird ins Blaue hinein einfach postuliert, alle Kritiker der präsumtiven Höchstrichterin würden dieser ihre juristische Qualitfikation absprechen. Selbstverständlich meistens in Verbindung mit dem Hinweis auf einen patriarchalen Grundungeist, weil Brosius eine Frau ist und eine Frau in solch einem Amt in den Köpfen der alten verzopften Rechten ja nicht vorstellbar sei. Das ist natürlich veritabler Unsinn. Und Kulturkampf.
Aus guten Gründen werden die Verfassungsrichter vom Bundestag (für eine zwölfjährige Amtszeit) gewählt. Und aus guten Gründen sollten dabei alle Kandidaten jedenfalls den äußeren Anschein möglichst großer Unbefangenheit und parteipolitischer Neutralität an den Tag legen. Die juristische Befähigung, soweit ist der Konsens aller Demokraten, wird dabei lange vor dem Kandidatenstatus geklärt und steht demnach außer Streit. Aber wenn dann eben ein Kandidat »Flanken« aufmacht, also von ihm »politische Positionen« zu sehr und zu poiniert bekannt werden, dann kann er eben als umstritten gelten. Selbstverständlich haben dann demokratische Strömungen, die solche Positionen ablehnen, das Recht, sich an die gewählten Volksvertreter zu wenden und dagegen aufzutreten. Das ist nicht rechtspopulistisch, das ist nicht fundamentalistisch. Das ist gutes Recht jedes Einzelnen. In unserer Demokratie.
* Ich etwa bin von der tiefen Überzeugung geprägt, dass ein jedes empfangene Kind auch geboren werden sollte. Und jede Schwangere Beratung und Unterstützung erfahren sollte. Dazu habe ich im Dezember 2018 einen mir sehr wichtigen Text geschrieben. Hier zum Nachlesen: bit.ly/F149Ed
Editorial, Fazit 214/215 (August 2025)
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