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Zur Lage (56)

| 27. März 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 91, Zur Lage

Eigentlich nichts Wesentliches über Unisextoiletten, viel über einen Shitstorm und leider nichts über Claudia Roth.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Jetzt hab ich mich – erstmals – fast über den Harald Martenstein ärgern müssen. Also nicht wegen mir, es ging mir um Sie, werte Leserin! Ich wollte Ihnen nämlich von der Entscheidung eines Berliner Bezirksparlaments erzählen, dass in Hinkunft dort neben Toiletten für Damen und solchen für Herren noch eine dritte Art (zumindest vorerst einmal bloß in öffentlichen Gebäuden) Einzug halten soll: eine für sexuell Unentschlossene. Das heißt natürlich nicht »sexuell Unentschlossene« sondern »Transgender Personen«, aber ich wollte gleich mit der Tür ins Haus fallen und die kurze Zeit noch nutzen, die man auf diesem Kontinent so flapsig die Menschenrechte mit Füßen treten darf. (Die Linken haben das nämlich noch auf keiner EMKRXY-Agenda und deshalb noch nicht per Urteil verboten. Sind gerade zu beschäftigt mit dem Abschaffen des Wortes »Fußgängerzone« – »Fußgänger« nämlich männlich, »Zone« kriegerisch – und dem Ersatz desselben durch den flauschigen Terminus »Flaniermeile«; »die» Meile macht ja nichts.)

Jetzt hab ich die Fäden verloren und fang noch einmal an. Fast also geärgert über den Harald Martenstein. Weil der mir eben das Thema weggeschnappt hat und in aller Regel gilt: Worüber Harald Martenstein geschrieben hat, ist alles gesagt. Aber dann!

Aber dann lese ich doch heute beim Jan Fleischhauer (ja, ich gebs zu, auch ein Mann, auch ein Weißer und – es steht zu befürchten – nicht ganz am linken Spektrumsrand verortet), dass über Martenstein ein »Shitstorm« sich zusammengebraut hat. Wenn Sie jetzt nicht wissen, was ein »Shitstorm« ist, gratuliere ich Ihnen einmal zur Ihrer Fertigkeit, Ihr Gehirn nicht mit unnötigem Wissen vollzupfropfen und erkläre Ihnen dennoch kurz und bündig, dass es sich dabei um eine plötzlich ansteigende Flut an Kommentaren, Blogeinträgen, Tweets und sonstigen Kommentierungen handelt, die an eine Person (und deren offenbar in Vergessenheit geratenes Recht auf freie Meinungsäußerung) gerichtet und meist in gehässiger Art und Weise verfasst sind.

Diesmal war es der bundesdeutsche »Edelblogger« Stefan Niggemeier, dessen Alarmsysteme politischer Korrektheit angeschlagen haben und der sich lang und breit mit Martensteins Text über Gendertoiletten auseinandergesetzt hat. Das Geschwurbsel können Sie im Internet nachlesen; vor dem Genuss der zahlreichen Postings der Leserschaft Niggemeiers dazu rate ich eher ab, das könnte zu leichten Anfällen von Migräne führen. Was Niggemeier vor allem ins Treffen führt, ist die Tatsache, dass er Martenstein jede Emphase für (unser aller) Mitmenschen abspricht. (Ein starkes Stück eigentlich; aber im Namen des Guten natürlich ausschreibbar.) Martenstein würde beweisen, »wie wenig ihn die Nöte und Befindlichkeiten anderer Menschen tatsächlich interessieren«. Das alles führte jedenfalls dazu, dass Niggemeier mit Martenstein »Mitleid« hat. Immerhin. Und jetzt bin ich dem Harald Martenstein nicht mehr böse, sondern, ganz im Gegentum, ausnehmend dankbar, dass er uns beiden das Toilettenthema hat abgestochen.

Ja stellen wir uns bitte vor, ich hätte uns das erzählt! Ich hätte von der Einführung einer dritten Art von Aborten hier berichten müssen! Das will sich das letzte Klubmitglied der Kärntner Freiheitlichen nicht vorstellen, wie ich da – in meiner unendlichen Borniertheit – über diese sich mir leider viel zu wenig erschließende Thematik wohlwahrscheinlich »gehetzt« hätte!

Danke Harald Martenstein, Sie haben mich – wenn nicht heute, dann spätestens in vier, fünf Jahren – vor dem Strafrichter gerettet. Denn es ist durchaus davon auszugehen, dass sich das segensreiche Wirken menschenrechtlicher Gerichtsbarkeit auf diesem Kontinent weiterentwickeln wird, und es dann solche Äußerungen einfach nicht mehr geben wird dürfen.

Noch dazu, wo ja auch Niggemeier schon am Anfang seines Elaborats klarstellte: »Er [Martenstein] schreibt stellvertretend für die sich für schweigend haltende Mehrheit weißer, heterosexueller, alter Männer, die die Welt nicht mehr verstehen.«

Na bitte! Was denn noch? Weiß bin ich, heterosexuell auch noch, alt werde ich gerade und die Welt habe ich sowieso noch nie verstanden. Nur, und das ist wirklich bitter, eines bin ich zudem auch noch: katholisch! Das ist der Martenstein in letzter Konsequenz zwar irgendwie auch, aber geschrieben hat er es wenigstens nicht. Ich schon. Mit mir würde Stefan Niggemeier wohl nicht einmal mehr Mitleid haben. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass eine große Koalition dem Lande nicht nutzen kann.

Zur Lage #56, Fazit 91 (April 2013)

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