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Deutschland von Sinnen

| 26. März 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 101, Kunst und Kultur

dvs_manuscriptumAkif Pirinçcis neues Buch ist ein kraftvoller Aufschrei eines Mannes, der seine Heimat liebt. Ich lese ja nur Romane von toten Autoren. Und seitdem John Updike vor ein paar Jahren – leider – das Zeitliche gesegnet hat, halte ich diese Regel beinahe ein. So ist mir das Werk des 1959 geborenen Akif Pirinçci bis vor wenigen Monaten im Großen und Ganzen verborgen geblieben. 1989 hat dieser seinen ersten Bestseller, das Buch »Felidae« (es soll darin um Katzen und Detektive gehen) vorgelegt. Bemerkenswert erscheint mir auch sein Buch »Der Rumpf«, in dem – so beschreibt es uns Wikipedia – vor der Kulisse eines Behindertenheimes ein Mann, der ohne Arme und Beine geboren wurde, den perfekten Mord plant und ausführt. Dieser Plot sollte eigentlich schon reichen, diesen Autor zu schätzen.

Ende März ist nun sein erstes Sachbuch, wenn man das so bezeichnen kann, erschienen: »Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer«. Und dieses Buch darf man auf gar keinen Fall lesen! Zumindest nicht ohne gewarnt zu sein. Der türkischstämmige Autor, er kam 1969 mit seinen Eltern nach Ulmen in der Eifel, schrieb einige Zeit für das liberale Weblog »Die Achse des Guten« und betreibt mit großem Elan eine Facebookseite, auf der er seine in ausnehmend derber Sprache verfassten, satirischen Texte publiziert.

Diese derbe (das ganz derbe!) Sprache ist keinesfalls stubenrein und ich bin mir nicht sicher, ob ich einer Lesung seiner Texte gemeinsam mit meinen Eltern beiwohnen möchte. Trotzdem beeindrucken sie mich. Denn der vulgäre Gestus, mit dem er sich an seine Leser wendet, bleibt immer literarisch. Er versteht es für mich wie kaum ein anderer, es geradezu notwendig werden zu lassen, Dinge bei den Namen zu nennen, mit denen wir sie ansonsten nur in Ausnahmesituationen (Stress, Sex, was immer) bezeichnen.

Deutschland von Sinnen ist ein vielschichtiges Buch. Ich konnte darin einige wunderbare Gedanken an eine wohl noch wunderbarere Liebe miterinnern, ich musste eine Dystopie durchackern, wie es in Europa dann schlussendlich nie sein wird, und es beherbergt ein paar schräge Vorschläge, was man persönlich zum »Guten« beitragen könnte. Außerdem kommt die Popgruppe »Abba« vor; noch dazu garniert mit einem mir wohl nie mehr vergesslichen Bilde.

Was treibt diesen Akif Pirinçci? In allererster Linie wohl die einfache Sorge um »sein« Land. Deutschland, wohlgemerkt wie selbstverständlich. Man kann beruhigt davon ausgehen, dass dieses Buch für Aufsehen sorgen wird. Und man kann auch recht sicher sein, dass es als »Hetzschrift«, als »rechtsradikales Machwerk« eingeordnet werden wird. Pirinçci, um das nur ganz verkürzt anzureißen, sieht etwa die gesamte Migrationsthematik in unseren Landen als vollkommen überbewertet an. In keinem Nebensatz seines Buches lehnt er irgendjemanden ob seiner Herkunft (Heimat!), Religion, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung ab. Aber was etwa Migration betrifft, zeigt er sich davon überzeugt, dass jene, die in ein fremdes Land auswandern, sich dort anzupassen haben bzw. überhaupt nur dann kommen sollen, wenn sie in diesem fremden Land etwas »beitragen« (wollen). Und sein Hauptargument, Auswanderung fände immer nur dann (sinnvollerweise) statt, wenn das neue Land »besser« (mehr Chancen, mehr Reichtum, …) wäre als das alte, ist ein für mich durchaus stichhaltiges. (Nur würde eine solche Diskussion – und noch mehr die über Frauen oder Homosexuelle – den Rahmen dieser Buchbesprechung sprengen.)

Vor allem denke ich nämlich, dass vorliegendes Buch insbesondere eines ist: eine grelle, blut- wie kraftvolle Liebeserklärung an Pirinçcis – neue, zweite, wie auch immer; aber vor allem – Heimat. Und die ist es allemal wert, gelesen zu werden. Aufregen kann man sich dann noch immer in aller Ruhe.

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Deutschland von Sinnen
Von Akif Pirinçci

Verlag Lichtschlag in der Edition Sonderwege
Klappenbroschur, 276 Seiten, 17,80 Euro

manuscriptum.de

Weitere Rezensionen
::: Bettina Röhl (Wirtschaftswoche Online)
::: Marc Felix Serrao (Süddeutsche)

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