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Unsere mangelnde Fähigkeit zur Diskussion verspottet das Wesen der Demokratie

| 22. Februar 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 130

Innenminister Wolfgang Sobotka hat Anfang Februar mit Reformvorschlägen zum Demonstrationsrecht für heftige Reaktionen gesorgt. Lässt man den etwas unglücklichen Zeitpunkt seines Vorstoßes außer Acht – nur wenige Tage nachdem Bundeskanzler Christian Kern und sein Vize Reinhold Mitterlehner einen weiteren Neustart der Bundesregierung über die Bühne gebracht hatten –, erscheint dieser durchaus durchdenkenswert. Immer wieder ist es in den letzten Jahren bei Demonstrationen (Akademikerball!) zu Gewaltdelikten gekommen und es ist nach meinem Dafürhalten jedenfalls Aufgabe der Regierung, hier darüber nachzudenken, wie man diesen – zumindest für weite Teile der Bevölkerung – nicht gerade wünschenswerten Exzessen sinnvoll begegnet. Und durch verantwortungsvolles Handeln vielleicht sogar unterbindet.

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Natürlich ist das Demonstrationsrecht ein hohes Gut. Und wenn ich auch selten an Versammlungen teilnehme, wäre eine wirkliche Beschneidung dieser wichtigen Form der politischen Teilhabe jedenfalls Grund für mich, auf die Straße zu gehen. Mit seinem – im Wortlaut gar nie vorgelegten – Novellierungsentwurf des Versammlungsgesetzes wollte Sobotka »nach mehreren negativen Erfahrungen mehr Rechtssicherheit und eine klarere Regelung« erreichen, die das Recht auf Meinungs- wie Versammlungsfreiheit garantiere. In der zweiten Februarwoche hat dann der Bundeskanzler Sobotkas Pläne »kategorisch abgelehnt« und Kanzleramtsminister Thomas Drozda in einem Interview nachgelegt: »Das ist eindeutig verfassungswidrig.« Der Innenminister möchte nun auf Expertenebene die Diskussion fortsetzen.

Für mich ein gutes Beispiel, wie schlecht es um die Diskussionsfähigkeit in der Politik aber auch gesamtgesellschaftlich bestellt ist. Da macht ein Minister das, wofür er bestellt ist, nämlich sich Gedanken um die Optimierung unseres Zusammenlebens und sein Vorschlag wird sofort zerissen.

In der konkreten Sache war es neben vielen gewohnt hysterienahen Reaktionen natürlich ein Grüner, deren Verfassungssprecher Albert Steinhauser, dessen Kritik an Sobotkas Vorschlag besonders demokratiefern ausfiel: »Innenminister Sobotka hat keinen Respekt vor der Verfassung und ihren Grundrechten. Derartige Vorstöße erinnern an die politische Vorgangsweise des türkischen Staatspräsidenten Erdogan.« (Dazu fällt mir wenig ein, so dermaßen ungeheuerlich ist Herrn Steinhausers Vergleich des Innenministers mit einem gerade tausende Menschen willkürlich wegsperrenden Quasidespoten.)

Und ich hyperpointiere dieses grüne Parlamentariergenie nicht nur deswegen, weil mir die Grünen als eine in weiten Bereichen undemokratische Truppe erscheinen, sondern weil ich sie zudem für einen wesentlichen Beschleuniger dieser mangelnden Diskussionsfähigkeit bei uns halte. Deren gehäuft auftretende reflexartige Ablehnung von Vorschlägen politischer Mitbewerber in teuflischer Verbindung mit einer immer öfter postulierten Alternativlosigkeit ihrer eigenen Positionen schadet diesem Land, schadet diesem Kontinent und schadet der ganzen Welt.

Wir müssen wieder lernen, miteinander zu diskutieren. Nicht nur die Wohlfühlthemen oder Themen zweitrangiger Bedeutung (– wo im Übrigen Konservative den Grünen viel zu viel einfach so überlassen. Das wird uns auch noch einmal auf den Kopf fallen). Und wir sollten diese Diskussionen ohne Hintergedanken führen und die im Parlament vertretenen politischen Parteien ihren jeweiligen Kontrahenten einen »politischen Vertrauensvorschuss« zugestehen. Wenn ein ÖVP-Innenminister das Versammlungsrecht reformieren will, dann darf man eben nicht grundsätzlich notwendige Kritik mit dem Schreckgespenst von Verhaftungen und politischer Willkür aufladen!

Selbst sehe ich übrigens wenig Möglichkeiten in der Umgestaltung des Demonstrationsrechtes, ich kann mir auch – um ein anderes Thema nur anzureissen – wenig vorstellen, dass mir ein Gesetz verbieten darf, ein Kopftuch zu tragen oder – noch ein anderes Thema – auf einer Strasse um einen Euro zu betteln. Wichtiger aber ist mir, dass wir diese Themen diskutieren, politisch darüber debattieren und nicht gleich in der ersten Replik zu einem atomaren Wortschlag ausholen. Und damit das Wesen der Demokratie verspotten.

Editorial, Fazit 130 (März 2017)

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