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Wildners Bücher

| 30. März 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 131, Fazitportrait

Foto: Sabine Hoffmann

Das seit bald 80 Jahren bestehende Buch- und Kunstantiquariat Wildner in der Stempfergasse liegt in bester Grazer Innenstadtlage und läßt nicht nur die Herzen von Romantikern höher schlagen. In die Oase der Ruhe haben auch schon ein Thomas Gottschalk oder ein Henning Mankell hingefunden und ihre Schätze gehoben. Eine Geschichte von alter Bücherliebe in Zeiten des Internets.

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Wenn der, der schreibt, die Henne ist, und der, der liest das Ei, dann ist klar, wer zuerst war: die Henne. Ei – klar, bevor der eine etwas lesen kann, muss ein anderer etwas geschrieben haben. Wenn es aber umgekehrt ist, sind Sie die Henne, liebe Leserin, lieber Leser … und jetzt kommt es darauf an, wie es weiter geht. Im Buch, im Text, in diesem etwa. Und nicht gleich das Ende lesen.

Noch bevor sich die Eingangstür des Antiquariats hinter einem schließt, ist man Teil eines Paralleluniversums, in dem die Zeit langsamer zu vergehen scheint. Der kleine Schritt von der Grazer Stempfergasse in den Laden von Daniela Wildner ist ein großer auf dem Weg zur persönlichen Entschleunigung. Ein breites Mehrfachgewölbe mit Rundbogendurchgängen umschließt den Besucher wie eine schützende Höhle, deren Wände mit den schönsten und klügsten aller Dämmstoffe verkleidet sind – mit Büchern. Jenem Allheilmittel für Körper, Geist und Seele, das in einer Zeit der Digitalisierung immer mehr aus der Mode zu kommen scheint. Alte Bücher noch dazu! »Sobald ein Buch einmal benutzt wurde, ist es schon ein antiquarisches Buch«, sagt Daniela Wildner, die hier seit mehr als dreißig Jahren die Stellung hält. Der grundsätzliche Ersatz des haptischen Bucherlebnisses durch elektronische Lesegerätschaften ist ihr ebenso ein Gräuel wie vielen andern auch. Und diese Vielen müssen genügen. Punkt. Zumal die aktuellen Pläne US-amerikanischer und britischer Fluggesellschaften, Laptops oder Bookreader an Bord zu verbieten, ohnehin dem analogen Lager in die Hände spielen. Fürchtet Euch nicht, wie das Buch der Bücher sagt.

Bibliophilie versus Internet
Mit charmanter Gelassenheit spiegelt Wildner die weichen Strukturen eines sozialen Hortes der Bildung und des Geistes wider. Hier weht der Atem der Vergangenheit, der für wiederbringliche Abenteuer im Kopf sorgen kann, aber auch für gänzlich neue Erkenntnisse und Entdeckungen. Dass diese sich eher durch einen beherzten Griff in ein reales Bücherregal gewinnen lassen, als durch digitalen Zugriff auf das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher ZVAB im Internet, belegt ein bibliophiler Zwischenfall während des Interviews zu dieser Geschichte. Ein so wahlloser wie genialer Griff in das abertausende Bücher umfassende Wildnersche Angebot befördert ein Buch von Franz Werfel zutage, das durch seinerzeitige Neubindung zwei Werke umfasst, von denen eines erstens eine Erstausgabe ist; zweitens scheint auf einer der letzten Seiten ein handschriftliches Gedicht auf, unterzeichnet mit den Initialen »F. W.«. Das war zwar, wie einem dem Buch beigelegten maschingeschriebenen Zettel zu entnehmen ist, schon einmal entdeckt, dann aber wieder vergessen worden. Wo nun das bibliophile Abenteuer ist? Abgesehen von einem bislang vielleicht unveröffentlichten Gedicht Werfels? Das ist die Metamorphose eines Buches zu einem Autographen! Dieser ist nicht nur mehr wert als das Buch, sondern auch mehr als das Honorar für diesen Artikel. Gruß an Fazit-Herausgeber: Wir müssen reden.

Foto: Sabine Hoffmann

Dazu eines noch: Wer bei F. W. auf Franz Wohlfahrt tippt, liegt falsch oder hat Humor; wer hingegen partout nicht gefragt werden will, wer denn dieser F. W. sei, finde Trost und Rat oder zumindest Verständnis bei der fast literarischen Antwort eines Mannes in den besten Jahren (ORF-Thema »Sex im Alter«) auf die Frage, warum er ausdrücklich keine jüngere Freundin wolle: »Ich will nicht erklären müssen, wer Paul MacCartney ist.« Auch ein bei Daniela Wildner aufliegender und somit käuflicher Autograph von Peter Rosegger in Kurrentschrift kann als Lebenhilfe dienen. Auf die offenbar nicht enden wollenden Beteuerungen eines Freundes, wie leid es ihm tue, dass er auf Roseggers Geburtstag vergessen habe, antwortet dieser: »Du willst also nicht aufhören, mich zu beschämen. So nimm Dir doch ein Beispiel an mir, der sogar Deinen 50. übersehen hat; diesen [sic!] allerdings nicht mit Absicht, sondern aus Mangel an Gedächtnis.«

Schulbuchaktion als Bücherentwertung
Die Bücher, die man hier bekommt, sind nicht nur wegen ihres Inhalts wertvoll. Auflage und Seltenheit, Aufmachung und Ausführung, objektive Kriterien wie Alter und Zustand, subjektive wie individuelle Bekannt- und Beliebtheit spielen eine besondere Rolle. Die Rolle, genauer die Bedeutung des Antiquariats an sich hat sich ziemlich gewandelt. Einen wesentlichen Einschnitt bildet die sogenannte »Schulbuchaktion« aus den 1970-er Jahren: Seither bekommen die Schüler in Österreich ihre Bücher praktisch gratis und vor allem – neu. Schlagartig verlieren damals die Antiquariate ein wichtiges Geschäftsfeld. Der Handel mit gebrauchten Schulbüchern entfällt ersatzlos. »Außerdem«, konstatiert Daniela Wildner, »geht die Beziehung zu den Büchern verloren.« Denn ab sofort werden die gebrauchten Schulbücher »wertlos« und zumeist weggeworfen. Einen weiteren Einschnitt erkennt Wildner in den Neunzehnneunzigerjahren: »Das Interesse an Büchern begann merklich zu sinken.« Die wahrscheinliche Ursache: Der Computer hielt Einzug in die Haushalte. Schwierige Zeiten also für gebrauchte Bücher.

Geschäft versus Studium
Gegründet wird das Geschäft 1940 von Olga Starz, Wildners Großtante. Die Familie wohnt in der Herrengasse 3, im berühmten »bemalten Haus«, wo sich – damals – auch die berühmte Buchhandlung Pechel befindet; eine Nachbarschaft mit Folgen: So entstand schon bei Danielas Mutter Lilyana die Liebe zu den Büchern. Nach der Handelsakademie lernt Lilyana Wildner ein Jahr in der »Südmark-Buchhandlung« (spätere Alpenlandbuchhandlung) und studiert acht Semester Germanistik, bis sie schließlich in der Buchhandlung ihrer Tante einspringen muss. Dann passiert Folgendes: Ein Student will ein in Leder gebundenes Exemplar von Friedrich Nietzsches »Also sprach Zarathustra« erwerben, wird aber von der Großtante abgewiesen, da das Buch ihrer Nichte Lilyana gehört. Darauf meint der Student, dann müsse er eben die Nichte heiraten, um an das Buch zu kommen. Der Student heißt Edmund Wildner und sechs Jahre später, 1952, läuten die Hochzeitsglocken. 1967 übernimmt das Ehepaar das Antiquariat in der Stempfergasse. Das winzige Geschäft wird um zwei unmittelbar angrenzende Läden, eine Fleischerei und eine Lottokollektur, erweitert. In den 1970-ern hat der mittlerweilige Top-Antiquar Edmund Wildner sogar eine Filiale in Salzburg. Die erstgeborene Tochter Andrea Maria Wildner ist heute eine bekannte Schauspielerin in München, die zweitgeborene Daniela, die das Geschäft übernehmen wird, studiert zunächst Kunstgeschichte, muss aber wie ihre Mutter kurz vor dem Abschluss im Geschäft einspringen, als der Vater 1985 erkrankt und bald darauf stirbt.

Besondere Geschenke
Literatur und Fachbücher aus allen Wissenschaftsgebieten, Drucke und Grafiken vom 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts  sowie Autographen füllen die Bücherregale des Antiquariats. Was der Kunde von heute sucht? Daniela Wildner: »Gefragt sind Reiseberichte, aber auch naturwissenschaftliche Werke. Oft wird etwas als besonderes Geschenk gesucht.« Alchemistische Bücher, Kinderbücher, Austriaca – jeder Sammler ist spezialisiert und sei es auf bestimmte Zeiten oder Geschichten. Das heißt für den Antiquar: Lagerhaltung, sortieren, nachschlagen und vormerken. »Ein breit gefächertes Antiquariat wie hier ist eigentlich purer Luxus. Ich verkaufe von einem Fachgebiet pro Jahr vielleicht ein Exemplar.« Wie um das Gegenteil zu beweisen, erscheint Kundschaft: Die erste sucht »ein Buch mit Zwergen«. Wildners Tipp: »Die Steinzwerge und ihre schwarze Stadt« mit den Illustrationen von Ernst Kutzer. Hat sie schon. Aber es wird sich etwas Passendes finden, das nächste Mal. Der zweite Kunde sucht Literatur über das osmanische Reich und den Orient, stöbert eine gute Stunde und wird mit fünf Büchern fündig. Der dritte sucht historische Romane aus der Monarchie und findet unter anderem »Die Throne stürzen« von Bruno Brehm. Daniela Wildner kann also festhalten: »Es ist nie langweilig, der Beruf ist äußerst vielseitig und man lernt viel von den Kunden.«

Des Rätsels Lösung
»War die Henne zuerst? Oder war das Ei vor der Henne? Wer dies Rätsel erlöst, schlichtet den Streit um den Gott.« Meint Goethe. In der Religion war es das Huhn. Plutarch läßt in seinen »Tischgesprächen« beide Möglichkeiten zu. Einer antiquarische Ausgabe des »Spiegel« aus dem Jahr 2006 zufolge wäre das Problen gelöst: Am Anfang war das Ei. Gelegt von einem Nichthuhn. Aus heutiger wissenschaftlicher Perspektive ziemlich eindeutig. Und präzisiert vom Philosophen Hans-Joachim Petsche: Es war ein Hahnenei.

Buch- und Kunstantiquariat Wildner
8010 Graz, Stempfergasse 8
Telefon +43 316 824216

Fazitportrait, Fazit 131 (April 2017) – Fotos: Sabine Hoffmann

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