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Zur Lage (19)

| 25. Juni 2009 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 54, Zur Lage

Über Event-Kultur, über Szene-Lokale, ganz wenig über Bettelei und etwas mehr über die Zukunft der Politik.

Ich bin ja kein großer Freund der heute so beliebten Event-Kultur. Wenn ich es mir recht überlege. Allein das Wort »Event-Kultur«! Kommt es in meinen Ohren doch so ungeheuer widersprüchlich daher. »Event« und »Kultur«, gegensätzlicher geht es ja kaum. Und als ich dieser Abende am Nachhauseweg beim Szene-Lokal (auch so ein Wort) MM – ich befürchte, die Insider (ha!) sagen da so. Noch mehr befürchte ich, dass dieses MM für Maria Magdalena, eine biblische Figur, stehen soll. Kann mir das aber nicht wirklich vorstellen; da könnte man ja gleich ein Geschäft nach Pontius Pilatus benamsen! Aber das würde ja hoffentlich nicht einmal einem Modefuzzi einfallen … wo waren wir gerade?

Genau; am Nachhauseradlen beim MM vorbei. Und dort, ich lüge Sie jetzt nicht an, dort hat eine, das letzte Mal live in Lignano 1982 spielende Band, das Stück »Ti Amo« dargeboten. In einer Lautstärke die Siegfried Nagls Abwehrkampf gegen Lärm in der Landeshauptstadt Graz alle Ehre gemacht hat.

Ich war kurz geneigt zum Rathaus zu radeln, um dem Bürgermeister meine volle Unterstützung zu versichern, als ich vor der Stadtpfarrkirche eines Bettlers ansichtig wurde. Also nur sprichwörtlich; die  allgegenwärtige Belastung ist gegen 18 Uhr offenbar nicht mehr ganz so dramatisch. Jedenfalls hat mich das mein Ansinnen überdenken und mich unverrichteter Dinge nach Hause fahren lassen. Wissen Sie, das mit den Bettlern, dass ist sicher keine einfache Sache. Und der Bürgermeister kann natürlich auch nur versuchen, die richtigen Rezepte zu finden. Ich halte es da mit Joseph Roth: Almosen einem Fremden geben, ist die schimpflichste Art der Gastfreundschaft; aber immerhin noch Gastfreundschaft. Und ich möchte vor allem nicht in der Haut des Bürgermeisters stecken. Ich wüßte nicht, wie wir diesem Leid sinnvoll begegnen.

Zuhause habe ich das Interview mit Wolfgang Mantl gelesen (Editorial, Seite 6). Von der »Verzwergung Österreichs« spricht  Mantl da. Wovon er nicht gesprochen hat, ist die Tatsache, dass die Sonne über unserem Land offenbar sehr tief steht. Wie sonst könnten heimische Politakteure wie etwa ein Gerald Grosz – ein Schelm, der jetzt mit mir bei Zwergen gleich an diesen denkt – so lange Schatten werfen? Und – zurecht im Übrigen – über SP-Multi-Funktionäre schimpfen, während er selbst seine Tätigkeiten im Gemeinderat der Stadt Graz wie im Parlament in Wien offenbar zu 100 Prozent zu erfüllen glaubt. Und damit genau dem anheim fällt, was der »BZÖ-Ghostobmann« in seinen besten Jahren immer und immer wieder (und oft mehr als zu Recht) angeprangert hat. Hier hat sich also wenig verändert in unserer Republik.

Nehmen wir etwa den österreichischen Bundesrat her. Kennen Sie dieses Gremium? Egal, außer bei der Amtsenthebung des Bundespräsidenten und der Beglaubigung einer Kriegserklärung Österreichs (beides natürlich nur in seiner Funktion als Teil der Bundesversammlung, als »Anhängsel« des Nationalrates) wird diese zweite österreichische Kammer nie wirklich in Erscheinung treten. Wissen Sie, was sich JVP-Funktionäre in den Achtzigern, etwa beim Maibaumaufstellen der ÖVP-Geidorf in heftigen politischen Diskussionen (was waren wir damals jung und  motiviert, wir brauchten den Diskurs) gerne gegenseitig versichert haben? Abschaffen! Den Bundesrat; oder aufwerten. Beim letzten Maibaumaufstellen diesen April war ich wieder dabei. Und habe den heute jungen Menschen zugehört. Sie werden erraten, was da zentrales Thema war. Abschaffen! Den Bundesrat; oder aufwerten.

Ich befürchte, meine Kinder, was sag ich, meine Enkelkinder werden noch über die Aufwertungsmöglichkeiten des Bundesrates diskutieren. Verändern wird sich wenig. Vielleicht, vielleicht liegt im Internet, diesem noch immer nicht wirklich in Österreich angekommenen Medium, eine Chance. Eine kleine Chance dazu, dass die österreichischen Parteien ihre dahinsiechenden Strukuren verändern. Und ein frischer Wind frisches Personal in unsere Politik weht. Die Politikverdrossenheit brauchen wir nicht zu fürchten. Es sind – bei natürlich vorhandenen Ausnahmen – »die Politiker«, die Verdrossenheit hervorrufen. Das zeigt nicht zuletzt das wahrlich basisdemokratische Projekt der »Grünen Vorwahlen« – bei allen Schwierigkeiten, die mit so einem Prozess einhergehen. Solange diese nicht zur »Event-Kultur« werden. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass eine große Koalition dem Lande nicht nutzen kann.

Zur Lage, Fazit 54 (Juli 2009)

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