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Vertane Chance

| 26. November 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 88, Kunst und Kultur

Es hätte ein guter Film sein können. Es hätte ein gutes Buch sein können. 1963 hat Marlen Haushofer »Die Wand« veröffentlicht, jetzt kam die Romanverfilmung in die Kinos, leider als große Enttäuschung.

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Das Motiv des Buches ist wundervoll: Eine Frau wird durch eine unsichtbare Wand gezwungen, einsam und allein auf einer Jagdhütte mitten im Wald zu leben. Eine Frau, zurückgeworfen auf sich selbst, allein mit sich, der Natur und ein paar domestizierten Tieren. Und diese Frau beginnt darüber einen Bericht zu schreiben.

Doch darin besteht schon das größte Problem des Buches. Marlen Haushofer hat für diese Tagebuch-ähnliche Form eine so plumpe Sprache gefunden, dass diese auf die Dauer des Buches sehr ermüdend ist. Stellen Sie sich einfach vor, dass die meisten Sätze nur aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestehen. Hauptsatz, Hauptsatz. Jeder Satz hat den gleichen Rhythmus. Alles klingt gleich. Zu dieser stilistischen Mühsal kommt aber auch eine inhaltliche Einfalt, die nur von wenigen Momenten ironischer Selbstreflexion durchbrochen wird, die ahnen lassen, wie viel Potenzial diese Geschichte eigentlich hat. Bemerkenswert, dass an genau diesen Stellen auch der sprachliche Stumpfsinn aufhört. Die meiste Zeit aber jammert die Protagonistin – im Film dargestellt von Martina Gedeck – über den Stress und die Mühen und die Regeln, die sie sich selbst macht. Sie spricht permanent von der Katastrophe und der Last ihres Schicksals und sie kann und will das Paradies, in dem sie lebt, nicht für einen Moment begreifen. Sie fühlt sich beengt von der Wand, statt sie als Befreiung von den Widrigkeiten der Welt, die hinter der Wand liegt, zu verstehen. Ihre Lust an der Verzweiflung ist permanent nervig, ihr Eifer, ihre Hektik und ihre Engstirnigkeit stehen im völligen Widerspruch zur unendlich gedehnten Zeit hinter der Wand. Sie beschäftigt sich, stresst sich, um sich beflissen von sich selbst abzulenken. Weil sie mit sich allein überfordert ist, klammert sie sich verbissen an ihre menschlich-gesellschaftlichen Begriffe, Werte und Dimensionen, die längst ihre Bedeutung verloren haben.

Das mag »plausibel« sein, aber nur weil etwas authentisch ist, ist es noch nicht gut. Auch wenn in den 60er-Jahren, in denen das Buch entstand, vor allem die oberflächlich lebensbejahende Position der Frau im Vordergrund stand. Aber sie befreit sich nicht, sondern klammert sich naiv an das Gewesene. Die einzig abstrakten und würdevollen Überlegungen bestehen in der gelegentlichen Einsicht, dass im Grunde alle Gedanken ohne Bedeutung sind. Danach sehnt man sich als Leser und hofft, dass eben diese Gedanken vertieft und fortgesetzt werden. Dass sich mehr erfahren lässt, als man sich als Leser selbst denkt. Der Film steht der häufigen Langweile, die das Buch mit sich bringt, leider in nichts nach. Schlimmer noch, wer das Buch gelesen hat, darf nicht viel erwarten, denn der Film orientiert sich sowohl sprachlich als auch in der Wahl seiner Bilder so eng am Buch, dass jeder Leser die nächste Szene vorhersagen kann. Auch mit schönen Aufnahmen wird angesichts der traumhaften Kulisse mehr gegeizt, als nötig wäre. Denn so tiefgründig die Geschichte sein könnte, so bildgewaltig könnte die Verfilmung von Julian Pölsler sein. Könnte. Könnte. Könnte.

Es bleibt der Konjunktiv des enttäuschten Lesers und Zuschauers, der diese Geschichte und diesen Film so gern empfehlen würde und das Gegenteil tun muss. Wie paradiesisch, wie befreiend muss eine Welt hinter der Wand sein, in der man von solchen Sorgen verschont ist.

Die Wand. Roman von Marlen Haushofer. Erschienen 1963 im Mohn Verlag. Diverse Ausgaben, etwa List-Taschenbuchverlag 2010, 276 Seiten, 9,20 Euro. [amazon]

Die Wand. Film von Julian Pölsler. Österreich/Deutschland 2012. Aktuell im Grazer Rechbauer- und im Schubertkino. diewand-derfilm.at

Kultur undsoweiter, Fazit 88 (Dezember 2012) – Foto © diewand-derfilm.at

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