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Trachtenfieber

| 30. Juli 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 105, Fazitportrait

Foto von Marija Kanizaj

Das Steirische Heimatwerk feiert sein 80-jähriges Jubiläum in einer Phase des Trachtenbooms. Als Retter der Tradition angetreten, als Trachtenpolizei verschrieen, setzt es heute auf Förderung und Entwicklung der Volkskultur und ist damit am Puls der Zeit.

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Die Trachten sind wieder da, so viel ist sicher. In Wirklichkeit waren sie nie weg, zumindest nie ganz; sie waren hö chstens entweder noch nicht erfunden oder nicht (mehr) in Mode oder einseitig vereinnahmt und in der Folge verpönt. Heute sorgen zahlreiche Events wie Steirerball, Jägerball, Oktoberfest oder Bauernbundball für einen regelrechten Mode-Hype bei Dirndl und Lederhose, Konzerte von »Volks-Rock‘n‘Roller« Andreas Gabalier gleichen gigantischen Trachtenmodeschauen vorwiegend junger Menschen und zum »Aufsteirern« in Graz kommen über 100.000 Trachtenträger.
Was würde Viktor von Geramb dazu sagen? Der österreichische Pionier der wissenschaftlichen Volkskunde hat vor 100 Jahren das Grazer Volkskundemuseum und 20 Jahre später das Steirische Heimatwerk gegründet. Würden wir ohne diese Einrichtungen noch wissen, was Froschgoscherl und Kittlblech bedeuten? Vielleicht. Aber es würde in der Steiermark nicht 280 verschiedene Dirndl geben. Die – zum Teil – mit einer bestimmten Rüschenform (Froschgoscherl) und einer bestimmten Einfassung am Kittlsaum (Kittlblech) ausgestattet sind. »Zu den Aufgaben des Heimatwerks zählt vor allem auch die Trachtenberatung, die im kulturellen Auftrag des Landes Steiermark durchgeführt wird. Da kommen oft Leute, die für ihre Gemeinde oder Kleinregion gern ein eigenes Dirndl hätten. Wir versuchen dann regional zusammenzufassen, eventuell kleine Abänderungen wie eine Ziernaht zu machen und stellen schließlich von Seiten des Heimatwerks ein Zertifikat aus«, erläutern Monika Primas, Geschäftsführerin der Volkskultur Steiermark und Evelyn Kometter, Leiterin des Steirischen Heimatwerks. Aus dieser Tätigkeit entstanden die erwähnten 280 Dirndl, die in der »Sammlung der Arbeitsblätter der Frauentrachten im Steirischen Heimatwerk« festgehalten sind und in Buchform (Titel: »Froschgoscherl und Kittlblech«) publiziert werden.

Stirbt der »steirische Haussegen« aus?
»Urmutter« dieser Sammlung ist das zweibändige »Steirische Trachtenbuch«, als Aufzeichnungen vor Ort von Geramb zusammen mit Konrad Mauthner erstellt und zur Eröffnung des ersten Heimatwerks in Österreich als Teil des Steirischen Volkskundemuseums am 7. Juli 1934 erschienen. Bereits 1917 ließ Geramb im Volkskundemuseum am heutigen Universalmuseum Joanneum in Graz eine »Volkskundliche Verkaufsstelle« für »echte steirische Andenken« errichten, um das bäuerliche Haus- und Kleingewerbe zu fördern. Bis heute werden im Steirischen Heimatwerk Erzeugnisse steirischer Handwerkskunst, wie der aufwendig geschnitzte »steirische Haussegen« angeboten. Monika Primas: »Dafür gibt es leider nur mehr einen einzigen Hersteller.« – So viel zum Thema vergessene Traditionen. 1959, zum 100. Todesgedenkjahr von Erzherzog Johann, der sich bekanntlich um den Steirerrock besonders verdient gemacht hat, brachte das Steirische Volksbildungswerk auf Anregung des Geramb-Schülers und späteren Landeskulturreferenten und legendären Wetterfleck-Trägers Hanns Koren die Trachtenmappe »Steirische Trachten« heraus, was unter anderem Trachtennähkurse in allen Regionen der Steiermark zur Folge hatte und in der Einrichtung einer eigenen Trachtenschneiderei im Heimatwerk mündete. Das war der Weg zum Hauptprodukt des Heimatwerks, dem maßgeschneiderten Dirndl.

Das Dirndl als »Erfindung« der Sommerfrischler
Erst die Vielfalt der Stoffe lässt erkennen, dass etwa das wohl bekannteste aller Dirndl, das Ausseer, zwar immer einen rosa Kittl, einen grünen Leib und eine violette Schürze hat, aber wegen der unterschiedlichsten Rosa-, Grün- und Violetttöne – von zurückhaltend blass bis schreiend grell – in überraschend vielen Varianten möglich ist und daher den Vorwurf der Uniformiertheit so charmant wie selbstbewusst weglächelt. Wie streng das ist? Monika Primas: »Es gibt einen Kanon für Leib, Kittl und Schürze des Dirndls. Das sind Richtlinien, aber keine Gesetze, das wird heute nicht mehr militant gesehen. Wir sind nicht die Trachtenpolizei!« Trotzdem muss man – als Laie überrascht – zur Kenntnis nehmen: Egal ob Alltags- (»vorwiegend Baumwolle«), Sonntags- (»Seide und Wollbrokat«) oder Festtagsdirndl (»Seide, keine Bluse, aber lange Ärmel«) – »es gibt nie eine grüne Schürze.« Das wissen sicher die elf Schneiderinnen im Heimatwerk, die pro Jahr etwa 450 Dirndln zu Preisen zwischen 550 und 1.700 Euro herstellen. 15 Stunden wird an einer Alltagstracht genäht, länger dauert es bei den Sonntags- und Festtagstrachten, abhängig auch von Froschgoscherln, Kittlblechen und Wolfszähnen.
Ob das mit dem Grün auch Trachten-Diskonter wie C&A oder Hofer wissen? Angesichts der bunten Vielfalt und Muster bis zu Totenkopf-Motiven eine obsolete Frage. Wenngleich niedrige Preise natürlich auch eine Demokratisierung des Zugangs zu Tracht bedeuten und sich niemand deswegen im Grab umdrehen muss. Interessanter ist vielmehr die Frage nach dem Warum des Trachten-Hypes. Dafür lohnt ein Blick in die Geschichte der Tracht. Dass das Dirndl mit der ländlichen Tracht der Bauern gleichgesetzt wird, ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Ein Dirndl war und ist ein junges Mädchen, das Arbeitsgewand der Magd wurde erst später so bezeichnet. Als vor 200 Jahren, im Jahr 1810, das erste Oktoberfest gefeiert wurde, gab es das Dirndl in seiner heutigen Form noch gar nicht. Erst später, als die ersten wohlhabenden Städter ihre Sommerfrische auf dem Land verbrachten, ließen sich die Damen Kleider im Dirndl-Schnitt schneidern. So entstand das Dirndl als »ländliches« Kleid einer Bürgerschicht. Begrenzt auf Zentraleuropa war es anfangs nur ein lokales Modephänomen, mit einer ersten Blütezeit im und nach dem Ersten Weltkrieg. Ab den 1930er Jahren wurde es mit der Operette »Im Weißen Rössl« und der Familie Trapp (»Sound Of Music«) auch international bekannt. Selbst in den USA erfreute sich die Tracht großer Beliebtheit. Mit der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten haftete der Tracht dann das Odium des Ewiggestrigen an. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es mit dem Dirndl-Hype vorbei. In den 1960er und 1970er Jahren verkleideten sich nur mehr Touristen mit der Tracht. Erst in den 1990er Jahren kam man langsam wieder auf den Dirndl-Geschmack und erst im 21. Jahrhundert wird das Dirndl zum Massenphänomen.

Globalisierung führte zu Identitätssuche
Kulturwissenschaftlich betrachtet lässt sich ein direkter Einfluss der Finanzkrise ab 2007/08 erkennen: Globalisierung und wirtschaftliche Unsicherheit scheinen zu einer verstärkten Identitätssuche zu führen und begünstigen eine Rückbesinnung auf Bewährtes und die romantische Verklärung traditioneller Werte. Oder, wie es die FAZ formuliert: »So wie die Jeans, ebenfalls ursprünglich ein ländliches Kleidungsstück, als urbanes Gegenmittel zur Tradition eingesetzt wurde, so zeigen Dirndl und Lederhose eine Generation später, dass man in seiner metaphysischen Obdachlosigkeit die ländlich-sittlichen Werte auf vertrackte Weise doch vermisst.« Das ist die andere Seite: Wer sich in den 1970ern und 80ern oder gar bis heute ganz auf die neutralisierende Wirkung der Jeans verlassen hat, musste unter Umständen feststellen, dass er vor lauter Neutralität nicht (mehr) in der Lage war, etwa auf internationalen Treffen im Ausland, im Gegensatz zu seinen Gastgebern und den meisten Teilnehmern aus anderen Ländern, authentische Lieder oder einen landestypischen Tanz zum Besten zu geben. Auch Monika Primas hat derartige (Selbst-)Vorwürfe nicht erst einmal gehört. So gesehen waren auch die seinerzeitigen Aufzeichnungen alten Liedguts durch Viktor von Geramb und Viktor Zack ein progressiver Akt, der es dem Steirischen Volksliedwerk heute ermöglicht, Projekte wie »Mit allen Sinnen« (eigene Traditionen und fremde Kulturen) oder »Einfach lebendig« (Lieder und Tanz für Volksschulen und Kindergärten) anzubieten. Wolfszähne heißen übrigens die schößchenartigen Übergänge von Leib auf Kittl beim Anna-Plochl-Dirndl. Für weitere Fragen steht Ihr Heimatwerk zur Verfügung.

Steirisches Heimatwerk
8010 Graz, Sporgasse 23
Telefon +43 (0) 316 827106
heimatwerk.steiermark.at

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Fazitportrait, Fazit 105, (August 2014) – Foto: Marija Kanizaj

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