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Der letzte Wirt

| 29. Oktober 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 107, Fazitgespräch

Foto: Arlene Joobes

Landhauskeller-Chef Günther Huber über das Kraftfeld Landhaus, die Schnäppchenjagd der Konsumenten und das Gasthaussterben.

Das Gespräch führten Peter Wagner und Johannes Tandl.
Foto von Arlene Joobes.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Es begann im Jahr 1596. Damals befand sich hier in der Schmiedgasse, ganz so, wie es der Name schon vermuten lässt, eine Schenke für Schmiedegesellen. Weit mehr als vier Jahrhunderte wird im »Landhauskeller« also Gastronomie betrieben. Die vergangenen 25 Jahre von Günther und Doris Huber. Über 100.000 Gäste bewirteten die beiden zusammen mit ihren etwa 30 Mitarbeitern pro Jahr – mit hochwertiger, traditioneller heimischer Kost. Damit ist nun bald Schluss.

Günther Huber, der »Gastrosoph« unter den Grazer Gastronomen, und seine Frau stehen vor der Pensionierung. Grund genug, den wahrscheinlich letzten Wirt der alten Schule in der gesamten steirischen Landeshauptstadt zum Fazitgespräch zu bitten.

Herr Huber, ein altes Sprichwort sagt: »Wer nix wird, wird Wirt.« Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie dennoch wieder in diesen Beruf finden wollen?
Eindeutig, ja. Und nicht nur, weil mir nichts anderes einfällt.

Dabei war Ihr Traumberuf doch eigentlich U-Boot-Kapitän.
Ja, das stimmt. Wo haben Sie denn diese Information her? In meiner Jugendzeit gab es diese Serie über einen U-Boot-Kapitän. Das war so ein Schundheft – und in dieses Schundheft habe ich mich verliebt und noch mehr in seinen Protagonisten. Ich habe mir gedacht: »So kannst du die ganze Welt sehen und bist immer auf Abenteuern.« Wobei ich dazu sagen muss, dass das keine Kriegssituation war. Dieser Kapitän ist aus dem Ersten Weltkrieg mit seinem U-Boot übriggeblieben und mit seiner Mannschaft friedlich durch die Welt gezogen.

Sie waren dann aber immerhin oberirdisch viel unterwegs.
Ich habe für »Oberoi« gearbeitet. Das ist eine große indische Hotelkompanie. Ich habe in Mumbai meine Ausbildung gemacht und war dann als F&B-Assistant sowie später als F&B-Manager* im ägyptischen Assuan.

Warum sind Sie nach Österreich zurückgekehrt?
Ich habe meine liebe Frau kennengelernt. Da war ich schon im Hilton in Wien und hatte eigentlich noch einen anderen Karriereplan. Aber sie war dann eben der Grund, in Österreich zu bleiben. Und dann kam 1981 ein wunderschönes Angebot, die »Alte Post« in Schladming zu übernehmen.

Nach einer Zwischenstation im »Grand Hotel Wiesler« haben Sie gemeinsam mit Ihrer Frau Doris vor genau 25 Jahren den »Landhauskeller« übernommen. Sie haben unter anderem die Spielkarten aus dem Lokal verbannt. Was war der »Landhauskeller« damals für eine Gaststätte?
Es war ein Lokal wie viele andere, aber auch damals schon eine einzigartige Lokalität. Man darf nicht vergessen, dass das ein Ort ist, der über so viele Jahrhunderte hinweg auch eine Form Kraftfeld ist. Wenn man sich das Zeughaus und das Landhaus ansieht, dazu die Lage im Zentrum der Stadt – der »Landhauskeller« wurde immer der Zeit gemäß geführt. Vorher war es eben eine Weinschänke, die etwas mehr auf Unterhaltung gesetzt hat. Es ist viel Musik gemacht worden. Wo hat man denn heute ein Lokal in Graz, wo regelmäßig lebende Musik gespielt wird? Es hat alles seine Zeit. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Betriebe wie diese bleiben in ihrer sogenannten Hardware immer bestehen. Ich glaube nicht, dass einer hergeht und das Haus niederreißen wird. Aber in der Software, da sind wir in der Veränderung. Und die ist noch immer der Mensch.

Sie haben sich damals für das Konzept entscheiden, regionale und saisonale Produkte auf die Karte zu bringen. Das ist heute modern, vor einem Vierteljahrhundert war es neu. Warum kamen Sie zu dieser Überzeugung?
Weil wir die Produkte, die wir hier haben, mehr wertschätzen müssen. Wenn man sich die Italiener, die Franzosen, die Spanier anschaut – sie allen haben diese Probleme nie gehabt. Sie haben immer ihre Produkte verwendet. Das mussten wir in Österreich erst wieder mühsam lernen. Heute sind wir wieder so weit. Es wäre natürlich unverfroren, zu sagen, das wäre alles meine Erfindung. Ich habe mir viel angesehen, bin damals unter anderem auch in Wien gewesen. Ewald Plachutta ist ein guter Freund von mir. Er setzte wie heute noch immer auf gekochtes Rindfleisch. Das war etwas, das mir gefallen hat, weil man damit Österreich zeigen kann. Das gibt es in dieser Form weltweit kein zweites Mal.

Ein weiterer Grundsatz von Ihnen war es immer, qualitativ und nicht innovativ zu kochen – ohne Hauben. Warum?
Ich glaube, die Auszeichnungen wie Hauben oder Kochlöffel ergeben einen Sinn, weil sie eine gewisse Form der Anerkennung und Wertschätzung sind – auch für die Mitarbeiter. Sie haben aber auch den Nachteil, dass manche Gäste damit Erwartungshaltungen verknüpfen, die so nicht erfüllt werden können.

Sterben wegen dieser Erwartungshaltung auch so viele Lokale?
Ja. Aber da kommt noch etwas hinzu. Wir leben heute in einer Zeit, in der es in unserem Beruf auf zwei Dinge ankommt: Das eine ist die Freizeitgesellschaft. Viele junge Mitarbeiter streben den Beruf einfach nicht mehr an, weil unsere Zeiten andere sind und man arbeitet, während die anderen schon zu Hause sind oder Wochenende haben. Daher haben viele Betriebe – auch familiengeführte – keine Nachfolger mehr. Das zweite ist, dass wir in einer Zeit leben, in der »Geiz geil« ist. Es bilden sich viele Menschen ein, dass sie die beste Qualität zum kleinsten Preis bekommen müssen. Früher haben wir uns bei Marketingideen überlegt, was wir an Mehrwert produzieren können. Heute wird sehr oft überlegt, wie man billiger sein kann. Und irgendwann ist die Schraube im Boden. Und was ist passiert? Die Lohn- und Lohnnebenkosten explodieren. Und warum wir in der Gastronomie und im Tourismus die höchste Rate an Konkursen haben, ist leicht erklärt: Weil die Klein- und Mittelbetriebe sofort über die Klinge hüpfen, da gibt es keine großen Nachsichten. Anders als bei Betrieben, in denen 200 bis 300 Leute sind – da haben wir alle möglichen Hebel, die dann in Bewegung gesetzt werden. Wobei ich auch sagen muss, dass wir immer noch einen sehr großen Anteil an Gastronomie- und Tourismusbetrieben in der Steiermark haben. Es sind fast 8.000.

Welche Betriebe haben denn noch eine Zukunft?
Wir werden uns in Zukunft nur über Spezialisierung weiterentwickeln können. Betriebe, die sich klar spezialisieren und straff organisiert sind – und zwar auch betriebswirtschaftlich. Das ist ja auch immer der Vorteil dieses Hauses gewesen, dass wir beide aus der Großhotellerie kommen, meine Frau und ich sind insofern ein »Dreamteam«: Sie ist der perfekte Back-Office-Typ und ich bin der Front-Typ. Einen Betrieb mit 30 Mitarbeitern kannst du familiär führen, du hast die Fäden in der Hand, aber du brauchst trotzdem Managementstrukturen. Mein Steuerberater muss mir nicht nach einem Jahr erzählen, dass ich ein schlechtes Jahr hatte. Das weiß ich auf Knopfdruck jeden Tag.

Der klassische Wirt, wie Sie ihn verkörpern, stirbt ebenfalls aus. Was zeichnet Menschen wie Sie aus?
Der Wirt ist meiner Meinung nach ein Verbinder. Er sollte das Schweigegelübde eines Pfarrers haben, von Natur aus freundlich und stressresistent sein. Er sollte bereit sein, permanent und konsequent zu leisten. Und er muss eine riesige Freude für den Beruf in sich haben. Ich glaube, das gilt für jede Arbeit. Wirt sein ist außerdem auch eine wunderbare Geschichte, weil du in den meisten Fällen in den glücklichen Momenten des Lebens mit anderen Menschen zusammen bist.

Welche Leute haben heute noch diese Leidenschaft für die Gastronomie?
Wir haben über 100 junge Leute ausgebildet in diesem Haus in den letzten 25 Jahren. Wir haben heute aber eine völlig andere Situation als noch vor zwanzig Jahren. Hatte ich früher Hauptschul- und Polytechnikum-Abgänger, haben wir heute mit unserem Betrieb Leute, die entweder abgebrochene Studien haben, Maturanten sind oder in der 5. oder 6. Klasse Gymnasium das Handtuch geschmissen haben. Viele junge Menschen wissen mit 15 einfach noch nicht, wohin die Reise geht. Daher ist diese Drop-out-Rate am Anfang höher. Wir haben nach wie vor nicht wirklich Mangel. Wir nicht. Allgemein gibt es ihn aber schon.

Wie kann man dem entgegen steuern?
Wir müssen in unserer Gesellschaft verdeutlichen, dass eine Lehre mindestens so viel wert ist wie ein Studium. Wir müssen klar und deutlich sagen, dass Lehre keine Notlösung ist.

Wir reden viel von der Zukunft der Gastronomie, die Sie nur mehr aus der Distanz erleben werden. Sie und Ihre Frau haben gerade die 25 Jahre im »Landhauskeller« voll gemacht und gehen nun mit Jahreswechsel in Pension. Warum?
Die 25 Jahre waren ein Grund, aber auch wirtschaftliche Überlegungen. Der Betrieb ist momentan bestens in Schuss. Aber ich gehe durch das Haus und sehe die nächsten 400.000 Euro Investition kommen. Bei aller Freundschaft denke ich hier wieder als Wirtschaftler: Einen »Return of Invest« habe ich dann nicht mehr. Also gehe ich jetzt. Ich habe hier immerhin jedes Jahr mindestens eine Million Schilling investiert, seit ich das Haus habe.

Sie übergeben an Judith und Gerald Schwarz vom »Aiola«. Sind das die richtigen Nachfolger?
Auf jeden Fall. In den beiden finden sich meine Frau und ich sogar seitenverkehrt wieder. 25 Jahre jünger. Er, der Betriebswirt, was bei mir meine Frau ist, und sie, die Frontfrau, die Wirtin, was ich hier bin. Auch das Konzept ist richtig. Nicht überkandidelt, wie einst im »Aiola City«, wo sie es mit einem Haubenkoch probiert haben. Dieser Ehrgeiz ist ja da in den Menschen: Ich möchte einmal etwas zeigen. Ich möchte nicht sagen, dass es nicht aufgegangen ist, aber es ist sicher nicht so aufgegangen, wie sie es sich vorgestellt haben.

Mittlerweile führen die beiden das »Aiola Upstairs«, das »St. Veiter Schlössl« sowie das »Café Promenade«. Halsen sich Ihre Nachfolger mit einem vierten Lokal nicht zu viel auf?
Es wurde von den beiden klar und deutlich ausgesprochen, dass ihr Mittelpunkt hier im »Landhauskeller« sein wird. Wichtig ist, und das habe ich ihnen auch gesagt, dass dieser Betrieb hier eine persönliche Aufmerksamkeit braucht, die über die normalen Maße hinausgeht.

Man geht ja nicht zum Landhauskeller, man geht zum Huber.
Ich bin überzeugt davon, dass beide mit einer Grundfreude, aber mit einem gewissen Respekt an die Arbeit herangehen. Das merke ich immer wieder. Wir müssen uns hier auch darüber im Klaren sein, dass in Zukunft jene Betriebe überleben werden, die in gewisser Form Ressourcenbündelung betreiben. Ihr Mitarbeiterpool umfasst dann an die 100 Leute: Man hat andere Karrieremöglichkeiten für die eigenen Mitarbeiter, ohne dass man sie verliert. Ich sehe gerade darin eine Riesenchance.

Haben Sie bei dieser Übernahme Angst, dass etwas von Ihrem Lebenswerk zerstört wird?
Nein. Natürlich gehe ich mit Wehmut – keine Frage. Ein Gutteil meines Lebens war die Gastronomie. Ein Viertel Jahrhundert – das war über die Hälfte meines Berufslebens – hab ich in diesem Betrieb verbracht. Aber ich gehe mit einer gewissen Grundfreude. Weil ich sage, ich habe auch hier etwas geschafft, was vielleicht nicht so selbstverständlich ist. Sollte es sein, ist es aber nicht. Betriebe werden heute in der Gastronomie zum Schluss sehr oft wirtschaftlich an die Wand gefahren oder die Betreiber sind so krank, dass sie nicht mehr weitermachen können. Im schlimmsten Fall beides. Bei mir stimmt Gott sei Dank weder das eine noch das andere. Es war immer wichtig, dass ich kein bröckelndes Denkmal übergebe.

Werden Ihnen die Gäste abgehen?
Sicher. Aber auch hier kommt etwas hinzu: Viele meiner Gäste sind Freunde geworden.

Wie gut ist das Verhältnis zu Ihrem berühmtesten Stammgast Arnold Schwarzenegger eigentlich?
Er kennt mich. Ich bin weder mit ihm in die Schule gegangen wie die meisten Grazer, noch war ich mit ihm beim Bundesheer – wie die anderen Grazer. Aber er ist von Beginn an da gewesen. Er ist ein guter Bekannter geworden und ich nehme an, wenn ich über die Straße gehe und »Grüß Gott, Arnold!« sage, kennt er mich. Doch mehr auch nicht. Ich fahre weder zu ihm auf Urlaub noch sonst was. Aber er ist ein sehr angenehmer und netter Mensch. Allgemein sind alle Promis, die ich kennengelernt habe, von ihrer Art her sehr angenehm gewesen. Nur ihre Entourage war oft einmal schwierig. Die müssen eben ihren Job machen und sich beweisen.

Nicht weltweit, aber doch lokal berühmt ist die steirische Landespolitik, die Sie jahrelang bewirtet haben. Ist die Alkoholikerrate unter Landespolitikern eigentlich gestiegen oder gesunken in den vergangen Jahren?
Es wird wesentlich weniger Alkohol getrunken als früher. Aber das ist ein allgemein gesellschaftliches Phänomen. Das bezieht sich nicht nur auf Politiker. Und Politiker haben nie in diesem Ausmaß »gesoffen«.

Sie haben aber sicher mehr als die Trinkgewohnheiten der Landespolitik mitbekommen in Ihrer Zeit.
Man ist sehr oft in einer Situation, in der man gewisse Dinge begleiten darf. Die Professionalität muss man dann auch haben, die Privatsphäre jedes Menschen zu schützen. Besonders von Menschen, die hier sind, um etwas zu besprechen. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Wo trifft man Günther Huber in einem Jahr?
Der Lebensmittelpunkt bleibt Graz, aber die Reisen werden nicht zu kurz kommen. Man darf aber auch nicht außer Acht lassen, dass wir einen Sohn haben, der ein sehr großes Seniorenheim betreibt und ein wenig Hilfe braucht. Und vor allem eine Einrichtung betreibt, wo ich die Möglichkeit habe, mich jetzt schon langsam an das nächste Stadium zu gewöhnen.

Herr Huber, vielen Dank für das Gespräch.

*

Günther Huber wurde 1952 im steirischen Leoben geboren und ging mit 18 Jahren in die Schweiz. Dort besuchte er eine Hotelfachschule in Lausanne und arbeitete als Pizzakoch. Nach Stationen im »Weißen Rössl« am Wolfgangsee, Ägypten und Indien landete er über das Wiener Hilton und die »Alte Post« in Schladming im »Grand Hotel Wiesler«. 1989 übernahm er den Grazer »Landhauskeller« zusammen mit seiner Frau Doris, den die beiden per 1. Jänner 2015 an Judith und Gerald Schwarz vom »Aiola« übergeben. Günter Huber hat einen Sohn und zwei Enkel.

Fazitgespräch, Fazit 107 (November 2014), Foto: Arlene Joobes

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