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Wandern fürs Wachstum

| 3. Oktober 2014 | 2 Kommentare
Kategorie: Fazit 106, Fazitthema

Illustration: Peter Pichler

Österreich ist ein Zuwanderungsland. Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland könnte der Wirtschaftsstandort nicht mehr überleben. Doch auf dem Weg zur Integration gibt es noch viele Hürden.

Von Peter K. Wagner
Mitarbeit: Philipp Tripolt

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Der Mann war eine Sensation. Dabei stand er oft einfach da und bediente sonst die beiden opulenten Liftanlagen aus Messing und geschliffenem Glas. Aus der ganzen Steiermark kamen sie ins in den 1950ern nur wegen ihm zum Kaufhaus von Carl Kastner und Hermann Öhler in der Grazer Sackstraße. Er war anders, manche Kinder sollen sogar Angst vor ihm gehabt haben. Er war der schwarze Liftboy vom Innenstadtkaufhaus. Und damit ein Ereignis.

David Alaba ist auch ein Spektakel. Aber wir sind schon einige Schritte weiter – mit seiner Hautfarbe hat das nichts mehr zu tun. Der Sohn eines Nigerianers und einer Philippinin ist der Hoffnungsträger der österreichischen Fußballnation und der erklärte Liebling von Herr und Frau Österreicher. Als Österreichs Fußballteam im September beim Auftakt zur Europameisterschafts-Qualifikation im Wiener Ernst-Happel-Stadion auf Schweden traf, liefen in den letzten Minuten neben ihm zwei weitere dunkelhäutige Spieler übers Feld: Auf der linken Seite wirbelte Valentino Lazaro – Mutter aus Griechenland, Vater aus Angola –, und ganz vorne wollte Rubin Okotie Tore schießen – der Sohn eines Nigerianers und einer Österreicherin. Außerdem schwitzten unter anderen mit Zlatko Junuzović noch ein gebürtiger Serbe und mit Martin Harnik ein Hamburger für Rot-Weiß-Rot. Auf der Bank trugen mit György Garics ein gebürtiger Ungar sowie mit Ramazan Özcan ein Sohn türkischer Einwanderer den österreichischen Trainingsanzug. Das heimische Fußball-Nationalteam ist eigentlich auch Integration und Migration in Perfektion. Keiner denkt über ihre Herkunft nach. Alles Österreicher. Punkt.

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»Österreich ist ein Land mit viel Sicherheit und vielen Arbeitsplätzen. Ich bin fasziniert, wie die Leute hier arbeiten und wie schnell alles geht – besonders in der Bürokratie. Die Menschen in Kroatien müssen von den Österreichern lernen, denn die Arbeitsmoral hier ist beispielhaft.« Bekim Shatri, Bäcker und Konditor

»Ich bin seit ungefähr 28 Jahren in Österreich. Ich komme aus Sizilien und habe in Rom studiert, wo ich auf der Universität auch meine österreichische Frau kennengelernt habe. Wir waren immer bemüht, den Kontakt zu halten, bis ich dann schließlich nach Österreich gezogen bin. Die Sprache war sicher ein Problem, da ich mich zuerst nur auf Englisch verständigen konnte.« Giacinto Battaglia, Weinhändler

»Meine Muttersprache Serbo-Kroatisch hat mir bei der Arbeit viele Möglichkeiten eröffnet. Die Disposition im osteuropäischen Raum und der Aufbau unserer Tochterfirma in Laibach wurden dadurch deutlich vereinfacht. Andere Speditionen müssen extra Dolmetscher beschäftigen, um das Kommunikationsproblem zwischen Disponenten und Fahrern zu lösen.« Ivan Pliso, Disponent

»Durch den Zivildienst bin ich auf meine soziale Ader gestoßen und habe gleich danach mit der Ausbildung in der Pflege begonnen. Ich werde öfters von den Patienten und Bewohnern darauf angesprochen, woher ich komme. Es kommt aber eher selten vor, dass ich ein negatives Feedback erhalte. Meist wirken die Leute eher interessiert.« Manuel Can Leeb, Pflegehelfer

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Die entscheidenden Zeilen für diese Feststellung wurden genau vor einem halben Jahrhundert aufgesetzt. 1964 unterzeichneten die Türkei und Österreich das zweite Anwerbeabkommen Österreichs. Es war nach dem erfolglosen Abkommen mit Spanien zwei Jahre zuvor das erste, das in der Praxis auch von Bedeutung war. Und für das noch mehr Notwendigkeit bestand. Da war zwar einerseits der wirtschaftliche Aufschwung der 1950er Jahre in Westeuropas, aber eben auch das höhere Lohnniveau im Ausland, das viele Österreicher abwandern ließ. Weil die ländliche Bevölkerung obendrein in den Industriezweigen immer wenig eingesetzt werden wollte, benötigte man von der Donau bis zum Inn immer mehr Arbeitskräfte. Schon 1961 war mit dem Raab-Olah-Abkommen von ÖGB und Wirtschaftskammer der Grundstein gelegt worden. Der Kompromiss zwischen der nach einer Liberalisierung strebenden Wirtschaft und der skeptischen Gewerkschaft, die um die Rolle der einheimischen Arbeiter fürchtete, orientierte sich am Schweizer Modell: Ausländer sollten nur vorübergehend zu bestimmten Sektoren des Arbeitsmarktes zugelassen werden und im Falle von schlechter Konjunktur wieder verabschiedet werden. Die ersten, hauptsächlich aus den wohlhabenderen Provinzen im Westen und Norden der Türkei stammenden eingewanderten Arbeiter wurden nicht aus einer Laune heraus als Gastarbeiter bezeichnet. Immerhin war die Idee, dass sich die Migranten nur vorübergehend in Österreich aufhalten sollen. Das galt auch für das Anwerbeabkommen mit Jugoslawien 1966, das noch größeren Anklang fand: Von den 265.000 Menschen, die bis zum vorübergehenden zahlenmäßigen Hochpunkt 1974 eingewandert waren, hatten 78,5 Prozent die jugoslawische Staatsbürgerschaft. Doch es blieben mehr als gedacht. Und so folgten ein Anwerbestopp und Abbau der Einwanderungsquote. Es dauerte bis Ende der 1980er, dass wieder durchschnittlich über 12.000 Menschen im Jahr den Weg nach Österreich fanden, ehe ab 1989 die Hochphase der Zuwanderung einsetzte. Über 67.000 Migranten wanderten ins Alpenland. Als Österreich 1995 der Europäischen Union beitrat und die Grenzen sich endgültig öffneten, war Österreich schon multikulturell. Und noch mehr: Österreich war ein Zuwanderungsland, dessen Wirtschaft ohne Zuwanderung nicht mehr überleben konnte. Als chronologisch jüngster Schritt wurde 2011 das Integrationsstaatsekretariat unter der Leitung von Sebastian Kurz ins Leben gerufen und die Rot-Weiß-Rot-Karte nach Vorbild der amerikanischen Green Card eingeführt. Auch wenn dieses auf zwölf Monate befristete Visum für Drittstaatenangehörige noch Einschränkungen unterliegt – es ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

»Qualifizierte Migration ist einfach notwendig«
Ali Rahimi muss man davon nichts erzählen. Der Integrationsbotschafter von Sebastian Kurz war erst wenige Monate alt, als sein Vater vor 50 Jahren zum Studieren nach Wien kam und dann ein Teppichgeschäft eröffnete. Er selbst wurde 1964 in Teheran geboren und nennt sich heute stolzer Österreicher. 1995 übernahm er zusammen mit seinem Bruder das Geschäft seines Vaters und ist heute in Wien ein gemachter Mann, kennt die Größen der heimischen Politik und Wirtschaft und begrüßt bei seinen vielen Festen Persönlichkeiten wie Bill Clinton. Rahimi ist aber nicht nur ein Paradebeispiel guter Integration und ein erfolgreicher Unternehmer, er will auch etwas bewirken. Zusammen mit Georg Kraft-Kinz, heute stellvertretender Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien und früher Rahimis Studienkollege an der Universität in Graz, gründete er den »Verein Wirtschaft für Integration«. Die Institution hat zwar Wiens Bürgermeister Michael Häupl als Schirmherren, ist aber überparteilich und wird ganz frei ohne Steuergeld nur von Raiffeisen finanziert. Neben dem Sponsor sind auch international agierende Unternehmen wie Porr, Novomatic, Rewe oder Uniqa involviert. Mit Projekten wie einem mehrsprachigen Redewettbewerb, einem Patenprogramm für junge Menschen mit Migrationshintergrund oder Diskussionsreihen wird Integration von Zuwanderern gefördert. »Wir wollten etwas tun, weil wir und nicht zuletzt die Wirtschaftstreibenden und Konzerne wissen: Für das Wirtschaftswachstum ist qualifizierte Migration einfach notwendig«, erklärt Rahimi. »Die Boston Consulting Group, eine der weltweit größten Unternehmensberatungen, hat Österreich erst vor Kurzem vor einem Fachkräftemangel gewarnt.« Und Rahimi wird noch deutlicher: »Migranten bringen uns eine Milliarde Überschuss im Gesundheitswesen, ein Drittel aller Neugründungen von Unternehmen in Wien haben migrantischen Hintergrund – wir brauchen Ausländer, um den Wirtschaftsfaktor Österreich zu sichern.«

Der Wohlfühl-Faktor
Die AVL ist da keine Ausnahme. Das in Graz ansässige Unternehmen ist auf die Entwicklung von Antriebssystem spezialisiert und setzte im Jahr 2013 einen Betrag von 1,05 Milliarden Euro um. Dafür sorgen 6.650 Angestellte weltweit. Allein in Graz arbeiten 2.950. Und viele davon kommen aus dem Ausland. De facto setzt sich der Mitarbeiterstab zu 85 Prozent aus Österreichern zusammen. Bewerber kommen allerdings mehr aus dem Ausland, wie Sigrid Gruber-Koller, Head of Recruitment & Selection in der HR-Abteilung des Konzerns, erklärt: »Nur 45 Prozent der Bewerbungen kommen aus Österreich, vor allem aus dem indischen Raum wollen vermehrt Menschen bei uns arbeiten.« Vertreten sind aber Menschen unterschiedlichster Herkunft. AVL wendet sich schon in seinen Ausschreibungen immer und ausnahmslos an alle Nationen. »Es würde ohne Anwerben im Ausland gar nicht mehr gehen, da wir sonst auf unserem Sektor nicht genügend Fachkräfte bekommen«, gibt Gruber-Koller zu bedenken. Das ist auch keine neue Entwicklung. Seit 17 Jahren sei sie bei AVL beschäftigt, schon immer sei stark auf ausländische Fachkräfte gesetzt worden. Was noch weitere Vorteile mit sich bringt: »Interkulturalität birgt großes Potenzial, weil wir dadurch interkulturelles Wissen im Haus haben, das uns hilft, um mit ausländischen Partnern besser zusammenzuarbeiten.« Aber natürlich ist es mit der bloßen Einstellung eines Migranten noch nicht getan. Wenn man sich bei AVL tatsächlich in einem Bewerbungsprozess für einen Ausländer entscheidet, muss der den verpflichtenden Deutschkurs besuchen, um möglichst rasch die Sprachkompetenz zu erlangen. Dort wird aber mehr vermittelt: Es werden österreichische Kultur und Mentalität vorgestellt sowie eine Einführung in den Alltag gegeben. Vom Einkaufen über Amtswege bis zum Kaufen der Straßenbahnkarte. Und da wurde über die Integration der Familie noch gar nicht gesprochen. »Es gehört natürlich auch zur Aufgabe für uns als Arbeitgeber, dass wir unseren Arbeitnehmern bei der Wohnungssuche ebenso helfen wie beim Finden eines Schulplatzes für die Kinder. Wenn sich die Familie wohlfühlt, wird sich auch unser Mitarbeiter wohlfühlen.«

Eine Hürde namens Diskriminierung
Wohlfühlen sollten sich idealerweise alle Migranten in Österreich. Knapp 1,63 Millionen waren es im Jahr 2013. Von ihnen wanderten 151.300 erst im selben Jahr ein. 16.100 davon waren zurückkehrende Österreicher. Die meisten Zuzüge, nämlich 17.700, gab es aus Deutschland. Aus der Türkei wanderten beispielsweise 4.500 Menschen ein. Bei Einrichtungen wie Zebra sind Deutsche und zurückkehrende Österreicher in der Minderheit. Denn nicht alle Einwanderer in Österreich werden von großen Unternehmen wie AVL angeworben. Die Grazer NGO ist für jene Menschen da, die mit weniger Privilegien und vor allem ohne fixe Arbeitsstelle nach Österreich gekommen sind. Um das Büro der Grazer NGO zu erreichen, geht man vorbei am multikulturellsten Ort, den die steirische Landeshauptstadt zu bieten hat. Vom asiatischen Supermarkt über die kroatische Bäckerei bis hin zum türkischen Lebensmittelladen und dem afrikanischen Imbiss findet sich in der Nähe des Griesplatzes allerlei gelebte Integration in Form von Unternehmertum.

Im Empfangsraum von Zebra hängen fünf große Uhren, die die Uhrzeit von Damaskus, Abuja, Kabul, Graz und Grosny kennen. Am Türschild zum Besprechungsraum steht in sechs verschiedenen Sprachen »Bitte nicht stören!«. 34 Mitarbeiter kümmern sich hier um Migranten. An die 3.000 Menschen wenden sich jährlich an die Einrichtung. Mehr als die Hälfte der Klienten sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Und die meisten kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien, Afghanistan, Nigeria, Rumänien und Tschetschenien. Aber auch Letten, Chinesen, Brasilianer oder Inder suchen Hilfe. Beim Überspringen von Hürden. »Wer nach Österreich einwandert, hat verschiedenen Probleme. Die größte Hürde ist trotz unserer Migrationsgesellschaft noch immer die Diskriminierung am Arbeitsmarkt«, erklärt Zebra-Geschäftsführerin Alexandra Köck. Eine aktuelle Studie der Universität Linz im Auftrag des Sozialministeriums beweist das: Bewerber mit ausländisch klingendem Namen werden bei identer Schulausbildung und Qualifikation seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als Österreicher. Auch der »Migration Pay Gap« sei ein Problem – wie Frauen verdienen auch Einwanderer weniger. Ganz zu schweigen von den sozialen Netzwerken, die Migranten fehlen, um adäquate Anstellungsverhältnisse zu finden. Wobei gerade adäquat ein weiteres Stichwort ist. Eine eigene Abteilung bei Zebra kümmert sich lediglich um die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen. »Das ist besonders wichtig«, wie Köck zu bedenken gibt, »wer einmal als Putzfrau vorübergehend anfängt, kommt von selbst nur mehr schwer in den eigentlich erlernten Beruf zurück.« Da werden dann etwa Diplome übersetzt, die dann vom nationalen Informationszentrum für akademische Anerkennung mit dem Namen Enic Naric Austria bewertet werden. Was folgt, sind Aufschulungen oder Beratung, was damit in Österreich möglich ist. So wie bei Frau P., die in Kuba ein Diplomstudium der Physik abgeschlossen hatte. In Österreich begann sie, im Gastgewerbe zu arbeiten. Es ist der Moment, in dem es bergab gehen kann. Einmal Kellnerin, immer Kellnerin – egal, was man zu Hause war. Nach einem Besuch bei Zebra und erfolgreicher Beratung schöpfte sie neue Hoffnung – immerhin hatte sie nun ein vom Wissenschaftsministerium ausgestelltes Dokument vorzuweisen. Das half. Sie arbeitet heute als Physikerin.

Auch Ali Rahimi ist es besonders wichtig, dass in Österreich die Potenziale der vielen Einwanderer genutzt werden. »Ein Akademiker darf bei uns nicht zum Taxifahrer werden«, sagt der Unternehmer. Dem aber auch noch etwas anderes am Herzen liegt: »Wir müssen uns gegenseitig respektieren. Wer nach Österreich kommt, muss die Sitten dieses Landes verstehen. Und wer die Staatsbürgerschaft will, sollte nicht nur die Sprache lernen, sondern auch Geschichtskenntnisse haben.« Rahimi zieht den Vergleich mit sich selbst und seiner Herkunft: »Man muss sich nicht assimilieren, aber mein Wahrzeichen ist auch der Stephansdom – so stolz ich auf meine persischen Wurzeln bin.« Wahrscheinlich wäre das dann auch wieder Integration und Migration in Perfektion – wie beim österreichischen Fußball-Nationalteam. Wobei Rahimi auch zu diesen beiden Begriffen eine Meinung hat. »Ich mag die Worte Integration und Migration nicht«, sagt er. Und ergänzt bestimmt warum: »Eigentlich geht es doch nur darum, dass wir alle gut miteinander leben.«

Titelgeschichte Fazit 106 (Oktober 2014)

Kommentare

2 Antworten zu “Wandern fürs Wachstum”

  1. Christa Klepej
    4. Oktober 2014 @ 17:46

    »Eigentlich geht es doch nur darum, dass wir alle gut miteinander leben.«

    So ist es!

  2. Christa Klepej
    4. Oktober 2014 @ 18:22

    Gefällt mir auch sehr gut!

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