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| 27. November 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 108, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Peter Pakesch über die Kulturstadt Graz, Lug und Trug der Kunst sowie die gefährdete Zukunft seines Universalmuseums.

Das Gespräch führten Christian Klepej und Peter Wagner.
Foto von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Kein Platz. Zu klein sei das Büro für all die Kataloge und Bücher, die sich regelmäßig ansammeln. Da helfen auch die zwei Schreibtische und der große Besprechungstisch nicht. Aber immerhin hat man hier die beste Aussicht von Graz. Der Arbeitsplatz von Peter Pakesch im Eisernen Haus ist eine lichtgeschwängerte Oase mitten in der Innenstadt.

Richtung Mur ausgerichtet, überblickt man durch den Raum mit den vielen Fenstern den Schloßberg, die Hauptbrücke und natürlich auch die auffällige Fassade des vor elf Jahren eröffneten Kunsthauses. Damals, anno 2003, übernahm Pakesch auch die Intendanz und künstlerische Leitung des Universalmuseum Joanneum, dem er bis heute gemeinsam mit Wolfgang Muchitsch als Geschäftsführer vorsteht.

1811 gegründet, ist es das älteste Museum Österreichs und bietet im Gegensatz zu Pakeschs Büro genügend Platz. Für traditionelle Sammlungen wie das Zeughaus oder Avantgarde im Kunsthaus. Doch Platz macht noch kein Budget. Im Zwiespalt zwischen weltweiter Reputation und regionaler Zufriedenheit balanciert sich Pakesch von Ausstellungsjahr zu Ausstellungsjahr. Und macht sich Sorgen um die Zukunft seiner Institution.

Herr Pakesch, wann haben Sie das letzte Mal einen Hollywoodfilm im Kino gesehen?
Der letzte ziemlich beeindruckende Film war ein russischer Film, der nach Hollywood aussah. Er heißt Leviathan und lief im Rahmen der Viennale. Er darf in Russland nicht gezeigt werden, ist aber kurioserweise von Russland für den Oscar nominiert.

Warum wir das fragen: Kino hat mit mehr zeitgenössischen Problemen wie der Konkurrenz aus dem Internet zu kämpfen als Kunst und Kultur – und hält sich doch gut. Ihre Szene scheint sich viel schwerer zu tun.
Ich denke nicht, dass sich die Kunstszene schwertut. Ich denke, dass sich heute mehr Menschen Kunst ansehen als je zuvor und dass Ausstellungen extrem gefragt sind. Wir erleben es selbst, dass wir viel höhere Besucherzahlen als vor zehn Jahren haben. Wir sehen in den elektronischen Entwicklungen zu einem guten Teil sehr spannende Hilfsmittel. Die Stärke des Museums ist aber das authentische Objekt, die direkte Erfahrung. Museen allgemein haben sich aber in den letzten 30 Jahren enorm verändert. Von einer Institution, die  als Synonym für Verstaubtheit galt, zu einem Ort, der an Bedeutung und Aktualität gewonnen hat, wie man auch am Beispiel von Graz erkennen kann: Als ich hierher ans Joanneum kam, hatte man Witze gemacht, ob ich jetzt die gleichnamige Fachhochschule leiten werde oder Joanneum Research. Das Museum war damals relativ wenig bekannt. Inzwischen haben wir eine andere Präsenz. Klar ist aber auch, dass wir in einer sich ständig verändernden Gesellschaft mithalten müssen.

Sie haben also auch keine Angst vor Projekten wie dem »Google Art Project«, wo Kunst im Internet gezeigt wird?
Nein. Ich kann alles im Internet sehen, aber der, der sich dafür interessiert, der will das Kunstwerk physisch sehen.

Welches Publikum will Ihre Kunstwerke sehen?
Es hängt davon ab, ob wir vom Universalmuseum Joanneum im Gesamten sprechen oder vom Kunsthaus im speziellen Fall. Beim Joanneum haben wir viele unterschiedliche Publikumsschichten. Sie müssen überhaupt sehen, es gibt nicht nur ein Publikum, es gibt verschiedene Gruppen von Publikum. Verschiedene Ausstellungen machen wir für ein Fachpublikum, bestimmte Ausstellungen durchaus für ein sehr breites Publikum. Das wird entsprechend abgestimmt. Im Kunsthaus, wo wir 60.000 Menschen abdecken, haben wir natürlich eine viel größere Breite als an anderen Orten. Auf die muss man Rücksicht nehmen, gleichzeitig muss man aber für das Kunstfeld interessant bleiben. Man kann nicht eine vielleicht populäre, aber völlig beliebige Ausstellung machen. Denn das Kunsthaus lebt davon, dass es als international bedeutender Ort gesehen wird – selbst wenn die Menschen nicht herfahren, aber zum Beispiel über das Internet sehr wohl erfahren, was wir tun. Dadurch bekommen wir ebenfalls Aufmerksamkeit. Wir wissen, wie viele Internetklicks wir aus der ganzen Welt haben. Auch das ist Präsenz.

Aber wäre es nicht wichtiger, dass Leute tatsächlich nach Graz ins Universalmuseum kommen?
Bei einem Ort wie Graz kann man das bis zu einem bestimmten Maß herstellen, aber nur im Gesamtmix. Wenn jemand als Tourist nach Graz kommt, dann kommt er, weil er die schöne Landschaft, die gute Essensqualität und den guten Wein genießen will. Kultur nimmt er mit. Ein Tourist, der nur Kultur möchte, hat in London oder selbst in Wien den billigeren Tarif. In Graz wird man reinen Kulturtourismus nie schaffen. Wien ist da am unteren, London am oberen Ende. Wir haben aber einen guten Mix aus Traditionellem und Zeitgenössischem und wissen, dass die Kultur ein wichtiger Aspekt für den Graz-Besuch ist. So wissen wir aufgrund der Statistiken, dass jeder Tourist zumindest eines unserer Häuser besucht. Der eine schaut sich beispielsweise lieber Schloss Eggenberg an, der andere geht ins Kunsthaus. Das ist eine Frage der persönlichen Interessen.

Zeitgenössische Kunst ist nicht für jedermann leicht zu konsumieren. Wenn die Documenta in Kassel 2012 einen leeren Raum zeigt, fühlt sich mancher Besucher einfach nur veräppelt.
Kunst hat genauso mit Lug und Trug zu tun, wie sie mit Wahrheitsbildung zu tun hat. Kunst kann, wie manche Bereiche der Philosophie auch, Wahrheit über Lug und Trug zeigen. Die größten Theaterstücke tun das auch – das ist ganz essenziell in unserer Kultur. Wenn das in der Wirtschaft passiert, siehe Hypo Alpe Adria, dann ist es natürlich schlimm. Wenn das in der Kunst passiert, kann es im besten Fall amüsant und erhellend sein. »Des Kaisers neue Kleider« ist eine wunderbare Erzählung, die mit Erkenntnissen verbunden ist. Manche Erkenntnis ist vordergründig, manche ist hintergründiger. Das ist eine legitime Funktion. Und es ist auch völlig legitim, dass Menschen mit bestimmten Aspekten davon nichts anfangen können. Weil durch das Reden darüber und die Auseinandersetzung ebenfalls etwas passiert. Bei der Documenta wird einfach auch experimentiert.

Foto: Marija Kanizaj

Braucht man einen neuen Impuls, dass die Kultur einfache Leute abholt?
Manche Leute werden stärker und schneller abgeholt, manche weniger. Momentan leben wir in einer Zeit, in der Massentauglichkeit viel stärker gefordert wird, als es früher der Fall war. Wir müssen uns dazu verhalten und damit umgehen. Wir müssen auch teilweise Einspruch erheben können, wenn es zu trivial werden würde. Wir müssen das Publikum natürlich ernst nehmen und respektieren – vor allem in einer Kultur, die stark über Steuermittel finanziert wird. Das ist auch für jemanden wie mich als Teil einer Kulturinstitution mit hoher Verantwortung verbunden. Es spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. So müssen wir auch längerfristig denken und Dinge tun, die in zehn Jahren noch Gültigkeit haben. Das sind oft nicht die, die einem am Einfachsten entgegenkommen. Wir müssen auch schauen, dass wir diese Projekte möglichst breit unter das Publikum streuen können. Zum einen kann man mit Werbung, Internet und Plakaten in der breiten Information etwas bewegen, was bei unseren schwindenden Finanzen aber immer schwieriger wird. Zum anderen kann man versuchen, dass der Besucher möglichst viele Informationen bekommt, sobald er im Haus ist. Heute ist es schwerer, ein Barockbild zu erklären als ein Stück Gegenwartskunst, aber auch das können und müssen wir machen. Allerdings würde ich mich verwehren, die Kunst oder die Ereignisse zu trivialisieren, schließlich sind wir auch eine Bildungsinstitution.

Sie sind davon überzeugt, dass das Publikum breiter geworden ist. Eine Kritik am Kunsthaus ist aber, dass es kein Publikumsmagnet ist.
Unter den gegebenen Voraussetzungen hat das Kunsthaus im Benchmarking mit anderen vergleichbaren Ausstellungshäusern viele Besucher. Natürlich: Wenn ich eine ähnliche Institution in Wien mache, mit einem größeren Einzugsbereich und mit viel mehr Touristen, dann komme ich auf mehr Besucher. Ich habe eine – zugegeben etwas vereinfachte – Milchmädchen-Rechnung: Graz und Umgebung haben ungefähr 500.000 Menschen. Wir haben in den Grazer Standorten des Joanneums etwa 500.000 Besucher im Jahr. Wien und Umgebung hat fünf Millionen Menschen. Und die Bundesmuseen haben zusammen keine fünf Millionen Besucher – haben aber noch um vieles mehr Touristen. Das ist eine ganz triviale Rechnung, aber man muss versuchen, das in Relationen zu bringen. Wir haben das riesige Problem in Graz, dass wir ein sehr kleines Einzugsgebiet haben und dass Graz verkehrsmäßig und geopolitisch relativ abgeschieden ist. Unsere einzige Öffnung in Richtung Südosteuropa ist Zagreb. Grazer Institutionen halten sich sehr gut. Da muss man ein bisschen die Kirche im Dorf lassen.

Aber muss man nicht dennoch gerade die Kritik des Grazer Bürgermeisters sehr ernst nehmen?
Natürlich nimmt man Kritik ernst, setzt sich damit auseinander und wird auch viel richtigstellen können. Der Bürgermeister hat mir gegenüber eingestanden, dass er in einigen Dingen und Annahmen falsch gelegen ist und dass auch er inzwischen das Joanneum als komplexe Institution versteht. Es ist schön, sich gewisse Dinge wie ein größeres Publikum zu wünschen, aber wenn die Ressourcen nicht vorhanden sind, ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Bestimmte attraktivere Ausstellungen sind einfach teurer. Natürlich hatten wir bei unserem Warhol-Projekt 2009 um einiges mehr an Besuch, aber das hat uns auch ein Vielfaches an Budget gekostet. Womit wir bei einem anderen Thema sind: Die öffentlichen Ressourcen für das Joanneum schwinden so stark, dass wir nicht wissen, wie wir in den nächsten Jahren überhaupt Ausstellungen machen sollen.

Ist das Joanneum gefährdet?
Wir bekommen die Knappheit der Mittel immer stärker zu spüren. Neuerliche Reduktionen seitens des Landes zeigen in unseren langfristigen Planungen auf, dass da ein massives Delta ist. An verschiedenen Standorten können wir ab 2016 nicht mehr wirklich Programm machen. Das Kunsthaus ist da aufgrund der Konstellation mit der Stadt Graz ausgenommen.

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Das Universalmuseum im Jahr 2015
Im nächsten Jahr widmet sich das Universalmuseum Joanneum dem Themenschwerpunkt »Landschaft«. Auch, weil der Begriff sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt hat. Die Natur wird weniger romantisch und naturmystisch gesehen, stattdessen ist die Landschaft zur Ressource für menschliche Akitivitäten geworden. Dieser Veränderung widmen sich das Kunsthaus Graz, das Museum im Palais, das Naturkundemuseum sowie die Neue Galerie Graz und das Volkskundemuseum.

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Was geschieht dann mit den Standorten?
Das ist eine gute Frage. Da sind wir gefordert, uns profund mit der Weiterentwicklung des Museums auseinanderzusetzen und auch durchaus unangenehmen Fragen zu stellen. Wir haben ein beispielloses Erneuerungsprogramm gemacht. 2003 sind wir angetreten, das gesamte Joanneum grundlegend zu erneuern. Das ist geschehen. Das Kunsthaus war ein sehr guter Antriebsfaktor, weil dort haben wir Dinge wie Öffentlichkeitsarbeit oder Kunstvermittlung ausprobieren können, die sich auf das gesamte Joanneum anwenden ließen. Das wurde auch vom Land Steiermark sehr großzügig unterstützt und man hat alles auf das Jubiläumsjahr 2011 ausgerichtet. 2011 wurde dann klar, dass aufgrund der Ausgabensituation des Landes eine Sparpolitik begonnen wird. Jetzt haben wir eine Situation, die schon 2011 bedacht werden hätte müssen. Es tauchen Fragen auf, was die Konsequenzen der Sparpolitik sind, und wo man bereit ist, Konsequenzen zu tragen. Im Moment macht mir die Politik den Eindruck, dass im Joanneum weiterhin Schönwetter herrschen soll, auch wenn die Mittel dafür nicht mehr vorhanden sind.

Wie groß ist Ihr Verständnis für die Einsparungsmaßnahmen?
Es ist nicht so, dass ich sage, dass es das nicht geben dürfte. Wir sind das – unter der Voraussetzung, dass es uns nicht nochmal trifft – auch sehr sportlich angegangen, aber inzwischen hat es uns zwei Mal getroffen. Es geht um die Perspektiven, die entstehen. Bereits in den späten 80ern und frühen 90ern wurden die ersten Perspektiven für das Joanneum entwickelt. Da gab es einen Masterplan, den Wolfgang Muchitsch und ich zwischen 2003 und 2011 umgesetzt haben, und zwar im Gefühl großer finanzieller Ressourcen. Ich glaube, dass man heute auch klar und vernünftig schauen muss, wie man etwas zurückbaut, wenn man etwas zurückbauen möchte. Das sehe ich im Kulturbereich nicht gegeben. Man will mehr und mehr eine breit wachsende Kulturszene. Dafür muss man sehr bewusst Schwerpunkte setzen, Entscheidungen treffen und diese entsprechend durchziehen. Die Kulturpolitik kann auch entscheiden, dass man kein Museum mehr haben will und nur noch Oper spielen soll. Gerade mit der Abwicklung einer großen Institution kann man viel sparen, aber man muss auch sehen, was man beim Sparen an Ressourcen vergeudet. In das Joanneum ist extrem viel Geld hineingeflossen und wir glauben, dass wir einen extrem hohen Output haben. Wenn das ausgereizt ist und sich nicht mehr weiterentwickelt, dann ist sehr viel vergeudet.

Man könnte also auch sagen: Man läuft Gefahr, den »Return of Investment« nicht zu bekommen?
Das könnte man wirtschaftlich so sehen. Kulturell betrachtet wäre es schlicht eine Katastrophe. Man muss eine klare Vorstellung haben: Was ist in einer größeren Breite, was in einer größeren Nachhaltigkeit da? Wir haben in den letzten zehn Jahren etwa auch beispiellose Verbindungen zu Schulen aufgebaut. Wir haben eine Infrastruktur, um mit Schulklassen zu kooperieren. Das haben kaum andere Institutionen in der Form.

Bedauern Sie eigentlich, dass es die Regionale nicht mehr gibt?
Ich saß im Regionale-Beirat und insofern muss ich es bedauern, dass es sie nicht mehr gibt. Das war eine klare kulturpolitische Entscheidung. Zum einen wollte man den Steirischen Herbst stärken und zum anderen die Regionale auflassen und das Geld für andere Dinge verwenden. Ich glaube, dass man da noch einmal präziser sein könnte. Man müsste überlegen, was dem Land nach außen hin und was dem Land innerhalb seiner Struktur viel bringt. Wir sind gehalten, mit immer weniger Mitteln möglichst den vollen Betrieb aufrechtzuerhalten. Das geht sich irgendwann nicht mehr aus. Entweder man sagt, das Joanneum bekommt mehr Mittel oder man muss sich etwa überlegen, ob es wirklich notwendig ist, Orte wie z. B. Eggenberg, das Joanneumsviertel, das Landeszeughaus oder das Kunsthaus weiter offen zu halten. Wenn wir einen dieser Orte zusperren, würde der Empörungsschrei riesig sein. Wir wollen das natürlich auch nicht. Aber wir sind gefordert, in manchen Konstellationen zu sagen: Das ist ein Schwerpunkt, der ist uns wichtig. Und wenn man der Meinung ist, dass noch mehr gespart werden soll, muss man ernsthaft über solche Dinge diskutieren. Ich glaube, dass das Museum für Gebietskörperschaften die günstigste Basis ist, Kultur auf einem hohen und innovativen Niveau sehr breit zu verankern. Wobei wir als Museum das Problem haben, dass wir einen sehr hohen Personalanteil und Infrastrukturanteil mit Immobilien haben. Das ist aber nicht etwas, das man durch kurzfristige Sparmaßnahmen lösen kann. Das Haus ist eine sehr komplexe Konstellation, die man gründlich analysieren muss. Es muss auch genau betrachtet werden, was eine Institution wie ein Museum in Wirklichkeit leisten kann. Und ich glaube, da stehen wir sehr gut da, und es wird sehr viel falsch eingeschätzt.

Also ist die Gefahr groß, dass man irgendwann nur mehr ein System erhält.
Richtig, dass man das System auf niedrigem Niveau erhält und dass wir wieder dort sind, wo wir vor zwanzig Jahren waren. Man darf nicht übersehen: Vor zwanzig Jahren hat das Joanneum in Relation und inflationsbereinigt ziemlich gleich viel Geld gekostet wie vor 2011. Es war aber öffentlich nahezu nicht präsent. Wir haben gezeigt, dass man mit bestimmten finanziellen Ressourcen eine hohe öffentliche Präsenz erreichen kann.

Hat Graz zu viel Kunst und Kultur?
Ich bin der Meinung, es kann nie zu viel Kunst und Kultur geben, aber es könnte mehr koordiniert stattfinden. Und es müsste ein klares Bewusstsein dafür geben, ob man in einem bestimmten Segment der zeitgenössischen Kunst, wo Graz sehr weit vorne ist, verstärkt tätig sein will, oder ob man ein sehr breites Feld bedienen will, das dann unterschiedliche Qualitäten hervorbringt und viel aufwendiger ist. Eine Spezialisierung ist aber eben nicht immer das Populärste.

Das würden Sie aber gerne machen.
Das habe nicht ich, sondern die Kulturpolitik zu entscheiden. Wir sind angehalten, im Kunsthaus ein aktuelles Programm der internationalen Kunst zu machen und in anderen Bereichen des Joanneums das zu bieten, was als Maßgabe der Möglichkeiten für die jeweiligen Gebiete richtig ist. Das und die Institution möglichst optimal weiterzuentwickeln ist das, was wir tun können.

Was ist Ihre persönliche Tendenz?
Meine persönliche Tendenz ist, eine starke Institution entsprechend stark zu halten und von der Stärke auch zu profitieren. Eine Stärke, die international bewundert und respektiert wird. Dass es da genügend zu holen gibt, beweisen wir mit 500.000 Besuchern im Jahr. Das ist eine Breite mit Niveau, die es anderswo nicht gibt.

Wenn wir den Kinovergleich vom Anfang des Gesprächs bemühen: Die einzige logische Entwicklung, die ein Standort wie Graz nehmen kann, ist also nicht auf die Blockbuster Gauguin und Schiele zu fokussieren wie vor mehr als 15 Jahren, sondern ein charmantes, viel beachtetes Programmkino zu bieten?
Ich glaube schon, dass sich die Stadt solche Ausstellungen hin und wieder leisten kann. Aber sicher ist das für mich nicht Priorität. Ich glaube, dass wir unserem Publikum mehr dienen, wenn wir eine bestimmte Qualität auf einem bestimmten Niveau kontinuierlich zeigen. Um in die Liga der großen Ausstellungen vorzustoßen, bräuchte es eine viel längerfristige Planung mit enorm viel Geld. Das ist dann etwa damit verbunden, dass man Sammlungen aufbaut. Die Wiener Institutionen tun sich zum Beispiel über den Leihverkehr leichter. Wir könnten natürlich unser einziges Schiele-Bild laufend ausborgen, dann hätten wir vielleicht Pluspunkte, wenn wir woanders etwas borgen wollten, aber dann hat es das hiesige Publikum nicht. Oder wenn ich Basel als Beispiel nehme, wo ich lange aktiv war: Dort tut man sich auch viel leichter. Man besitzt zum Beispiel eine Picasso-Sammlung, die zu den besten der Welt gehört. Aber dieser Status ist mit 400 Jahre Kulturpolitik und einem großen finanziellen Engagement verbunden. Wir haben in Graz seit den 1960er-Jahren eine teilweise sehr glückliche Kulturpolitik, die sehr viel im Aufbau entwickelt hat. Und jetzt geht es darum, sie in schmäleren Zeiten weiterzuentwickeln, damit man in zwanzig oder dreißig Jahren noch immer mit derselben Substanz zu tun hat. Das ist eine sehr komplexe Frage, aber nicht das Wunschkonzert eines Peter Pakesch.

Herr Pakesch, vielen Dank für das Gespräch!

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Peter Pakesch wurde 1955 in Graz geboren. Mit 21 Jahren machte er seine ersten Schritte in der Kunstszene als Ausstellungskurator im Forum Stadtpark. 1981 eröffnete er eine eigene Galerie in Wien, ehe er als freier Kurator für die National- galerie in Prag arbeitete. Nachdem er 1996 die Leitung der Kunsthalle in Basel übernahm, zog es ihn im Kulturhauptstadtjahr 2003 wieder nach Graz, wo er seitdem als künstlerischer Leiter und Intendant des Universalmuseum Joanneum aktiv ist. Pakesch ist verheiratet und hat eine Tochter.

Fazitgespräch, Fazit 108 (Dezember 2014), Fotos: Marija Kanizaj

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