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Strukturen schaffen!

| 19. Februar 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 110, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Schauspieler und Kabarettist Roland Düringer ist ausgestiegen, um ein neues, gutes Leben zu beginnen. Fazit sprach mit »dem Einsteiger«.

Das Gespräch führten Maximilian H. Tonsern und Peter K. Wagner.
Foto von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Unscheinbar stapft ein kleiner Mann durch den Schnee. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, weite Hosen tragend, den Rucksack geschultert, ein freundliches, aber bedachtes Hallo. In der Vorhalle des Grazer Orpheums streift der kleine Mann die Kapuze ab: Roland Düringer ist da.

Der Kabarettist und Schauspieler, ehemals sehr berühmt, hat sich verändert. So stark, dass selbst Herr und Frau Österreicher den Benzinbruder und unglücklichen Häuslbauer gar nicht mehr verstehen können. In zwei Stunden wird er im Grazer Orpheum mit dem letzten Teil seiner Vortragstrilogie auftreten. »Ich – allein?« lautet der Titel.

Im Backstagebereich nehmen wir Platz, Düringer zupft an seinem Bart, die Kügelchen darin klackern leise. Ein Schauspieler mit einer neuen, dauerhaft öffentlichen Rolle, so scheint es. Oder doch mehr?

Herr Düringer, Sie führen seit längerer Zeit ein »reduziertes« Leben. Viele Menschen und Medien empfinden das als etwas Besonderes. Eigentlich ist es das aber nicht, weil es sehr viele Aussteiger gibt.
Es ist kein »reduziertes« Leben. Ich bin nirgendwo ausgestiegen. Ich bin eher eingestiegen. Und ich habe Werkzeuge durch andere ersetzt: Der öffentliche Verkehr ersetzt das Auto, das Festnetztelefon ersetzt das Mobiltelefon, der Brief ersetzt das E-Mail. Aber dass ich jetzt sage, ich scheiß’ auf alles, lebe drei Monate in einer Höhle und schau’ einmal, wie das so ist – das ist es gar nicht. Ich mache alles ganz normal wie vorher. Nur mit ausgetauschten Werkzeugen.

Warum ist das dann für manche Menschen etwas Besonderes?
Vielleicht deswegen, weil sie nicht die Möglichkeit dazu haben. Wenn jeder die Möglichkeit hätte, diese Sachen auszuprobieren, ist es nichts Besonderes mehr. Besonders wird etwas immer dann, wenn es meine Möglichkeiten und meine Vorstellungskraft übersteigt. In meinen Erfahrungen ist es aber nicht so dramatisch wie für jemanden, der das von außen beobachtet, darüber schreibt und es darstellt.

Das ganze mediale Echo um Sie beruht also auf Neid, weil niemand sein Leben so verändern kann wie ein Herr Düringer?
Nein, nicht Neid. Die haben teilweise einfach nur großes Unverständnis dafür. Ich glaube aber schon, dass man verstanden hat, dass ich kein einziges Mal gesagt habe, dass ich meine Sachen richtig mache und alle anderen ihre falsch. Ich habe nur darüber gesprochen, was ich mache, ohne es zu beurteilen. Ohne zu wissen, was passieren wird. Es hätte ja auch gut sein können, dass ich nach drei Monaten feststellen kann, dass das alles ein vollkommener Blödsinn ist. Weil ein Auto eigentlich doch super ist. Das hätte auch passieren können – ist es aber nicht. Heute weiß ich aber, dass ich zum Beispiel ein Auto brauche, weil der Bahnhof von dort, wo ich lebe, zwölf Kilometer entfernt ist.

Das ganze ist also ein Experiment, oder eher ein Prozess?
Beides. Ich bin selbst ein Prozess. Jeder Mensch ist ein Prozess. Da ist immer alles in Bewegung, da gibt es nichts Statisches. Wir sind nichts anderes als ein dynamisches Gefüge von Beziehungen. In uns stecken lauter Lebewesen, wir sind Körperzellen. Alles in stetiger Veränderung. Das ist für mich eigentlich auch das Leben. Wenn ich die Möglichkeit habe, Veränderungen auszulösen, tue ich das auch – achte aber darauf, wie die Umwelt und mein System darauf reagieren.

Geht dieser Prozess nicht immer weiter?
Bei einem Prozess gibt es kein Ziel. Ich habe nicht das Ziel, dass ich sage, ich erziehe mich immer mehr um, bis ich es ohne allem schaffe. »Ich ernähre mich nur mehr von kosmischer Energie und brauche nur mehr ein Glas Wasser am Tag« – das wäre vollkommener Schwachsinn. Worum es mir geht: Ich habe innerhalb einer so relativ kurzen Zeit in einer unglaublichen Geschwindigkeit so massive Veränderungen beobachtet, wie es noch nie zuvor eine Generation auf diesem Planeten erleben musste. Sicher, wenn ich an meine Eltern und Großeltern denke, da ist auch viel passiert. Da fanden auch Veränderungen statt. Das Telefon, der Fernseher. Nur hat das Zeit gebraucht. Diese raschen Veränderungen, wie wir sie jetzt erleben, mit denen die Jugend heutzutage aber normal aufwächst, ist für mich nicht Normalität. Computer, Handy, Digitalkamera – das sind für mich Wunder. Ich verstehe diese Dinge nicht.

Sie klingen jetzt, als würden Sie Sehnsucht nach »der guten alten Zeit« verspüren.
Nein. Bei mir geht es wirklich darum, zu verstehen, was da passiert. Was das aus uns macht. Es gibt zwar viele Hypothesen und es werden Bücher über die digitale Demenz geschrieben. Was es wirklich in uns bewirkt, wissen wir aber erst in Zukunft. Ich weiß nur, was es in mir bewirkte: Werkzeuge, die eigentlich nützlich sein sollten, riefen bei mir eine Überforderung hervor.

Wirklich »Überforderung« oder fehlt Ihnen einfach der Wille dazu, Geräte verstehen zu wollen?
Nein, ich bin ein absoluter Technikfreak. Mich faszinieren auch Computer. Aber wenn es zu viel wird, kommt es zur Überforderung. Was macht man also in einer digitalen Welt, um das wieder auf ein gesundes Maß zu bringen? Es passiert oft, dass mir jemand eine E-Mail schickt und nach einer halben Stunde am Handy anruft und fragt, ob ich die E-Mail gelesen habe. Wenn ich jetzt antworte, dass das zwar lieb ist, ich aber nur alle drei Tage meine E-Mails ansehe, werden Leute böse. Weil sie das persönlich nehmen, wenn sich jemand ausklinkt und nicht mehr erreichbar ist. Wenn ich aber sage, dass ich eine schwere Krankheit habe und deswegen nur alle drei Tage meine E-Mails abrufen darf, wird es akzeptiert. Insofern ist die Veröffentlichung meiner Geschichte so etwas wie eine Krankheit.

Sind Sie jetzt also ein bewusster Modernisierungsverlierer?
Jetzt muss ich über das Wort nachdenken. Ein bewusster Modernisierungsverlierer. Was ist ein Modernisierungsverlierer?

Jemand, in dessen Firma eine neue Maschine kommt, und er deswegen seinen Arbeitsplatz verliert?
Auch. Ältere Menschen werden aber ebenso als Modernisierungsverlierer bezeichnet, weil sie nicht mit Touchscreen-Handys umgehen können. So weit wie diese alten Menschen bin ich noch nicht. Nur weil ich diese Dinge nicht verstehe, heißt das nicht, dass ich sie nicht benützen kann. In meiner technischen Welt habe ich vollkommenes Unverständnis für Menschen, die mit einem Auto fahren und nicht verstehen, wie es funktioniert. In diesem Moment begebe ich mich nämlich in eine Abhängigkeit.

Gab es bei Ihrem Selbstversuch einen Knackpunkt, einen Auslöser?
Ich habe immer einen Zwei-Jahres-Rhythmus – so lange spiele ich ein Programm. Danach finde ich gut Zeit und probiere vieles aus. Ist ja nicht wirklich spektakulär. Was eher spektakulär ist, sind die Reaktionen des Umfeldes. So auch bei der Wutbürgerrede bei »Dorfers Donnerstalk«. Das war nichts! Einfach eine ganz normale, planmäßige Sendung. Dann wird der Clip am im Internet weitergesendet, die Zeit im Bild wollte mich in das Studio einladen, Ö1 wollte ein Interview. Ähnlich ist es jetzt bei diesem Selbstversuch: Es ist wohl doch ein Thema. Der Druck, den technische Geräte auf uns haben, wir spüren den Verlust der Kontrolle über unser Leben. Wir kennen alle die Verzweiflung, wenn wir außer Haus sind und unser Handy zu Hause vergessen haben.

Früher haben Sie im Kabarett unterhalten. Wollen Sie den Menschen jetzt mehr mitgeben?
Nein. Ich mache auf der Bühne alles so wie früher. Ich habe nur andere Themen. Dennoch lachen die Besucher. Sie haben aber gleichzeitig etwas zum Nachdenken. Das hatten sie aber bei mir immer! Ich habe nie nur witzige Sachen gemacht, das waren immer todernste Geschichten. »Hinterholz 8« ist eine Tragödie, »Benzinbrüder« ist nicht lustig. Komisch wird es erst dadurch, wie ich es mache.

Das ist doch auch der Sinn von Kabarett: Tragische Botschaften lustig unter das Volk zu bringen.
Das kann eine der Möglichkeiten sein. Dass man Kritik übt und die über das Lachen transportiert. Wenn ich in meinen Vorträgen etwas umstelle und nur mehr Lebensweisheiten von mir gebe, kommt niemand mehr. Natürlich habe ich viele Menschen verloren. Ich könnte nicht mehr in Wien plakatieren, dass ich in der Stadthalle spiele.

Haben Sie sich selbst also auch auf der Bühne entschleunigt?
Ja. Das hat aber auch damit zu tun, dass man irgendwann mit der Energie haushalten muss. Ich habe früher sechs Mal in der Woche gespielt. Das ginge jetzt nicht mehr.

Sie waren früher dafür prominenter als jetzt.
Das ist eine schöne Erfahrung. Es gibt jetzt eine Generation an jungen Menschen, die kennen mich nicht. Weil meine Präsenz vorbei ist. Früher hat mich jeder auf der Straße erkannt. Dafür warten heute junge Menschen nach der Vorstellung auf mich und wollen über das, was ich gesagt habe, mit mir reden. Das ist eigentlich noch besser als eine gefüllte Stadthalle.

Wollten Sie vielleicht auch von dieser großen Berühmtheit weg?
Nicht von der Berühmtheit. Oder vielleicht doch. Was ist Berühmtheit schon? Aber wenn man so in der Öffentlichkeit steht wie ich, erzeugt das Druck. Nicht bei dem, was ich tue, denn der sicherste Platz auf der Welt für mich ist die Bühne. Aber früher ging mir das, was neben dieser Tätigkeit passiert – Interview hier, Filmpremiere dort –, furchtbar auf den Arsch. Das brauche ich nicht mehr. Ich will heute Schweine streicheln, den Garten umgraben, am Abend ins Theater gehen und zwei Stunden lang Show machen. Dafür musste ich mir aber eine Strategie überlegen. Das einzige, was mir einfiel, war, mein Publikum zu zerstören. Zu beschließen, das nächste Programm wird so, dass alle unglaublich böse werden. Das ist aber nicht schnell gegangen. Es hat viele Programme gebraucht, aber jetzt kommen nur mehr die, die es wirklich interessiert.

Sie interessieren sich sehr für das System und sprechen immer wieder von der Systemabschaffung.
Nein. Nicht Abschaffung, das würde bedeuten, dass es jemand von außen abschafft. Das wird nicht passieren. Ich behaupte aber, dass wir in unseren früh industrialisierten Ländern in einer Illusion leben, die gut funktioniert. Dennoch muss uns klar sein, dass es praktisch über Nacht vorbei sein kann mit dieser Stabilität, die das System uns vorgaukelt. Nur etwas, das nicht stabil ist, ist beständig. Wasser wird nicht zusammenbrechen – Beton irgendwann einmal schon. Ich glaube, dass alle Systeme, egal ob vom Menschen erschaffen oder natürlich, in sich einen Zyklus haben und irgendwann zu Ende gehen. Das sage nicht nur ich, das sagen auch viele Ökonomen. Wir merken, dass das schön langsam ins Rollen kommt: Am Franken wird gedreht, die EZB druckt plötzlich Geld – und glaubt, damit etwas verändern zu können –, in Deutschland sind Menschen auf der Straße und demonstrieren gegen eine nicht existierende Islamisierung des Abendlandes. Was ich mir jetzt wünschen würde, ist, dass Menschen sich nicht davor fürchten, vor diesem Ende, sondern jetzt schon anfangen, Strukturen zu errichten. Strukturen, die abfedern. Um so weniger man aber an Daseinsermächtigung besitzt, umso schwieriger wird es. Gerne bringe ich hier immer mein Beispiel mit Wien in den 1930er Jahren: Das war der letzte große Finanzcrash, den wir in unserem Land erlebt haben. Das passierte über Nacht. Das Geld war weg. Aber die Stadt Wien, schon damals mit zwei Millionen Einwohnern, hat Strukturen gehabt, die sie am Leben erhielten. Es gab Lebensmittelgeschäfte, Lagerhallen mit Lebensmitteln, Bauern in der Umgebung. Sicher gab es die, die dann sofort das Gewehr vom Kamin nahmen und die Uniform auspackten. Das wird dieses Mal aber nicht der Fall sein – weil unter den Menschen mehr Orientierungslosigkeit herrscht. Jeder weiß, was es bedeutet, wenn ein Geldsystem zusammenbricht, aber niemand kann dir beantworten, was mit den Menschen dann passiert.

Wenn man Griechenland betrachtet, kann man sehr wohl sagen, was mit Menschen dort passiert.
Aber ich glaube, dass die Griechen weniger weit sind als wir. Dass die Griechen noch Strukturen besitzen, mit denen sie sich selber versorgen können. Dass die Menschen dort noch mehr sozialen Zusammenhang haben. Je weiter du in den Süden kommst, umso mehr ist das so. Weil man eigentlich weniger hat. Weniger Möglichkeiten als wir zum Beispiel.

Und dadurch haben wir etwas verlernt sozusagen?
Ja, dadurch haben wir gewisse Fähigkeiten verlernt, weil sie nicht mehr notwendig sind. Wenn Lebensmittel bedeutet, dass ich dafür mit der Bankomatkarte zum Billa gehe, brauche ich mir keine Gedanken mehr zu machen, woher die Lebensmittel kommen. Aber was passiert, wenn aus irgendeinem Grund die Türen nicht mehr aufgehen?

Ein Szenario, auf das Sie mit Ihrem oft zitierten »Plan B« vorbereitet sind.
Was heißt vorbereitet? Gott sei Dank lebe ich in einer Region, wo es noch Strukturen gibt. Mit vielen Landwirten, mit einem Boden, mit noch vorhandenem Wissen. Ich könnte keine Schweine besitzen, wenn nicht ein Freund von mir, ein Bauer, mir erklärt hätte, wie das geht mit dem Schlachten. Früher hatte jeder Bauer ein Schwein. Fütterte es mit Küchenabfällen und Gemüse. Das hat nichts gekostet und brachte ihn über den Winter.

Sie machen das alles aber schon mit dem Sinn und Zweck, es den Menschen weiterzugeben. Ist das Ihre neue Rolle in dieser Gesellschaft?
Das ist sowieso mein Platz in der Gesellschaft. Ich weiß nicht, warum ich das kann, aber ich kann das. Für mich war klar, dass ich ein Sprecher werden muss. Nur muss mir klar sein, dass das von einem Tag auf den anderen vorbei sein kann, dass Menschen keine 25 Euro mehr in die Hand nehmen, um den Herrn Düringer dafür zu bezahlen, dass er ihnen die Welt erklärt. Wenn das passiert, möchte ich trotzdem ein gutes Leben haben.

Das heißt, es wäre schön, wenn mehr Menschen so leben würden wie Sie?
Das wird niemand können. Ist mir eigentlich auch vollkommen egal. Es soll jeder leben, wie er will, solange er mir nicht schadet.

Ist das jetzt nicht schon zu egoistisch? Wenn Sie so überzeugt davon sind, dass das ein gutes Leben ist – sollte man dann nicht versuchen, den Menschen zu sagen: »Macht es auch so?«
Ergibt das einen Sinn, jemanden, der in einer anderen Welt aufgewachsen ist und der andere Werte vermittelt bekommen hat als ich, zu sagen, wie die Welt funktioniert? Das will ich vermeiden. Das ist nämlich schon so oft in die Hose gegangen. Dass ein paar Menschen gute Ideen gehabt haben, die vielleicht wirklich gut waren, und dann aber geglaubt haben, alle anderen müssen diese Ideen fressen, weil es die einzig richtigen sind. Das ist schlecht. Das Einfachste ist es, etwas zu tun, andere daran teilhaben zu lassen und sie ihre Schlüsse ziehen zu lassen. Wir sehen ja, was passiert, wenn man anderen Menschen sagen will, wie die Welt funktioniert: Menschen demonstrieren auf der Straße gegen eine Islamisierung. Vollkommen weg von der Realität. Es gibt ein paar Wahnsinnige, aber die hat es schon immer gegeben. Das hat nichts mit einer Religion zu tun. Aber jetzt denen zu sagen, die sind blöd, weil sie demonstrieren, ist eigentlich auch nicht richtig. Sobald ich andere verurteile, weil sie etwas anders machen als ich, bin ich ein Arschloch.

Haben Sie bei sich selbst diesbezüglich auch etwas verändert?
Das erste, was ich bei mir veränderte, war eigentlich die Erkenntnis, dass ich denke. Und dass das, was ich denke, nur das Denken ist. Aber nicht ich bin. Vorverurteilungen passieren pausenlos, aber da sage ich mir: »Halt, das denke ich jetzt. Das sind meine Gedanken.« Die kann ich bewerten, kann sie ernst nehmen, aber ich kann mir auch denken, dass ich das nur gedacht habe. Das hilft mir weiter. Wenn du erkennst, dass du denkst, dann hast du auch die Möglichkeit, dass du anders denkst.

Warum geht Roland Düringer nicht in die Politik?
Ich denke natürlich über Politik nach. Aber nicht darüber, dass ich in die Politik gehe – weil ich das nicht kann. Warum soll ich so etwas machen, was ich nicht kann?

Sie sind aber gut im Reden, zum Beispiel.
Ja, aber in unserem politischen System ist »gut Reden« gar nichts. Da geht es um Kompromisse, um Eigeninteressen der Parteien, um Ideologien, die dahinter stehen. Was soll ich denn dort? Ich mache lieber eine Sendung auf Puls4. Die wird »Gültige Stimme« heißen. Dabei lade ich Menschen ein, bei denen ich das Gefühl habe, dass das Leute sind, die das Maul aufmachen, wenn es notwendig ist. Ich glaube nämlich, dass viele Menschen jetzt das Gefühl der Ohnmacht spüren. Dass die denken, gegen politische Systeme und Konzerne kann ich eh nichts unternehmen. Dort sehen sie, dass sie sehr wohl etwas unternehmen können.

Sie selbst wählen nur auf regionaler Ebene in Ihrer Heimatgemeinde, weil dort eine Bürgerinitiative zur Wahl steht.
Die stellen sogar den Bürgermeister, weil sie gute Arbeit leisten. Ich glaube überhaupt, dass gute Politik nur von unten passieren kann. Eine kleine Gruppe muss Entscheidungen treffen, die Vertreter dieser Gruppe treffen sich mit der nächst größeren Gruppe, die beratschlagen sich wieder und so geht es immer weiter nach oben.

Klingt anarchistisch.
Nein, klingt nach Demokratie. Die Irokesen haben so ein System gehabt, das hat viele hundert Jahre so funktioniert. Ein nordamerikanisches Indianervolk von dreieinhalb Millionen, mit vielen Clans, schaffte es, ohne große Kriege auszukommen. Weil sie miteinander geredet haben. Aber nicht von oben herab. Dafür braucht man aber Zeit und Geduld. Wir haben viele massive Baustellen – wenn wir nun das Parlament in der heutigen Form und unsere Parteien abschaffen, ist das nur ein Teil. Wenn man aber nur einen Teil verändert, löst das komplettes Chaos aus. Es müsste sich eigentlich der Ursprung ändern – unser Denken. Wenn wir das schaffen würden, irgendwann einmal, dann … Aber wer weiß schon, ob das jemals passiert.

Herr Düringer, vielen Dank für das Gespräch.

Roland Düringer wurde 1963 in Wien geboren und absolvierte die HTL für Maschinenbau. Nach ersten Gehversuchen in der Kabarettgruppe »Schlabarett« gelang ihm mit »Hinterholz 8« gleich bei seinem ersten Soloprogramm der Durchbruch. Als das Kabarett über die Leiden eines Häuslbauers auch noch mit ihm in der Hauptrolle zum Kinohit wurde, war Düringer endgültig Österreichs begehrtester Unterhalter. Im Jänner 2013 beschloss er, in einem Experiment sein Leben auf minimale Bedürfnisse zu reduzieren. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. gueltigestimme.at

Fazitgespräch, Fazit 110 (März 2015), Foto: Marija Kanizaj

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