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Unterwerfung? What else.

| 19. Februar 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 110, Kunst und Kultur

Illustration: DuMont Verlag

Unterwerfung ist ein typischer Houellebecq-Roman. Aber jeder Houellebecq-Roman ist ein typischer Houellebecq-Roman. Von Michael Bärnthaler

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Der typische Houellebecq-Roman schildert den Weg eines so intelligenten wie depressiven männlichen Protagonisten auf der Suche nach Sinn und Glück im westlichen Liberalismus, über im Allgemeinen scheiternde Frauengeschichten hin zu einer Lösung in persönlichem Wahnsinn, Resignation oder religiöser bzw. wissenschaftlicher Utopie. François, der Literaturprofessor mittleren Alters, dessen Geschichte in Unterwerfung erzählt wird, findet eine Lösung in der Konversion zum Islam. Mit ihm konvertiert bzw. unterwirft sich die französische Gesellschaft und letztlich der gesamte Kontinent, Europa, dem Islam.

Der Roman erschien am 7. Jänner 2015, dem Tag des Terrorangriffs auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. Kann man von einem europäischen 9/11 sprechen? Der professionell und brutal ausgeführte Anschlag mit zwölf Todesopfern lenkt unsere Aufmerksamkeit jedenfalls wieder auf den Themenkomplex um Islam, Islamismus und Islamisierung. Der Terrorangriff zwingt zur Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Prozessen, die in Houellebecqs Roman in zugespitzter, satirischer Form und wie im Zeitraffer ablaufen … Wie K.I.Z in dem Lied »Straight outta Kärnten« rappen: »Was soll das hier ohne dich [d. i. Jörg Haider] werden, Eurabien?«

Eine alte These Houellebecqs und freilich nicht nur Houellebecqs ist es, dass Gesellschaften ohne Religion längerfristig nicht überlebensfähig sind. Und tatsächlich leben wir Europäer ja inmitten eines großen Experiments, in welchem diese These falsifiziert werden soll. Die Aufklärung, deren Produkte wir u. a. sind, ist die Wette darauf, dass es auch ohne Religion geht, ja sogar besser geht. In seinem sehr lesenswerten Buch »The Righteous Mind. Why Good People are Divided by Politics and Religion« schreibt Jonathan Haidt, ein amerikanischer Psychologe:

»Societies that forgo the exoskeleton of religion should reflect carefully on what will happen to them over several generations. We don’t really know, because the first atheistic societies have only emerged in Europe in the last few decades. They are the least efficient societies ever known at turning resources (of which they have a lot) into offspring (of which they have few).« Gesellschaften also, die auf das stabilisierende Außenskelett der Religion verzichten, sollten sorgfältig darüber nachdenken, was mit ihnen im Laufe von Generationen geschehen wird. Die atheistischen Gesellschaften Europas jedenfalls sind, was die Umwandlung von Ressourcen (von denen sie recht viel haben) in Nachwuchs (den sie kaum noch haben), die am wenigsten effizienten Gesellschaften, die wir kennen …

Und hier setzt natürlich auch der Islam an, indem er sich als demografisch überlegene Alternative zum dekadenten Westen präsentiert. Europa ist, im Roman wie in der Realität, erschöpft und überaltert; das Individuum ist im Liberalismus überfordert. François, der Huysmans-Spezialist an der Sorbonne, ist lebensmüde und bringt es nicht mal zu echter Dekadenz. Als die Sorbonne in eine islamische Universität, finanziell unterstützt von arabischen Scheichs, umgewandelt wird, arrangiert er sich mit der neuen Ordnung. Insbesondere die Neuordnung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern überzeugt ihn – Stichwort Unterwerfung; Polygamie für Alpha Males, zu denen er als Universitätsprofessor zählt … Sommes-nous Charlie? Ou sommes-nous François?

Es verblüfft die Erleichterung, mit der im deutschen Feuilleton festgestellt wurde, Houellebecqs neuer Roman sei nicht »islamophob« (ein Unwort). Denn das stimmt freilich einerseits: Der Islam wird neutral bis positiv dargestellt; Houellebecqs Erzfeind war ja immer ein gewisser verlogener 68er-Linksliberalismus, nicht Religion, die Bindung oder auch Unterwerfung bedeutet. Andererseits sind die geschilderten Entwicklungen doch so, dass man Angst haben oder sich berechtigte Sorgen machen kann – sofern man sich der liberalen Gesellschaft verbunden fühlt. Oder Jude ist. Oder Feministin. Oder … Nun, man mache sich selbst ein Bild und lese Unterwerfung.

Alles Kultur, Fazit 110 (März 2015)

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