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Auf Reformkurs

| 27. Mai 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 113, Fazitthema

Illustration: Peter Pichler

Die steirische Politik hat seit 2010 wirklich gearbeitet. Nach der Landtagswahl sollte die Reformpartnerschaft weitergehen. Denn nur so blickt das Grüne Herz Österreichs in eine rosige Zukunft. Von Johannes Tandl und Peter K. Wagner.

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Es ist fast ein bisschen befremdlich. Was sich SPÖ und ÖVP im Vorfeld der Landtagswahlen 2015 ausrichten und noch mehr das, was sie plakatieren, ist nicht Wahlkampf. Keine Angriffe des Zweiten auf den Ersten, kaum klare Statements, den Anspruch auf den Landeshauptmann zu stellen. Es ist das Wahlkuscheln zweier Parteien, die einfach weiter zusammenarbeiten möchten. Zwei Parteien, die nicht umsonst schon im Mai statt im Herbst wählen wollen, um den traditionell tatenlosen Sommer zur Regierungsbildung zu nutzen und der Opposition gleichzeitig auch weniger Zeit für Querschüsse zu geben. Denn sowohl die SPÖ als auch die ÖVP wollen in den nächsten fünf Jahren lediglich einen Weg fortsetzen, den sie am 19. Oktober 2010 präsentierten. Und der damals ähnlich befremdlich wirkte wie das Wahlkuscheln der vergangenen Wochen.

Denn da standen sie an diesem Oktober-Dienstag vor viereinhalb Jahren vor der versammelten Journaille. Links Hermann Schützenhöfer, rechts Franz Voves. »Lass’ ma die Vergangenheit sein«, sprach der Chef der steirischen Volkspartei. Und der designierte neue Landeshauptmann stimmte sofort zu: »Setzen wir einen dicken Schlussstrich hinter die letzten fünf Jahre«. Folglich war das geflügelte Wort des nächsten halben Jahrzehnts die Reformpartnerschaft. Die Steiermark erlebte in der Folge eine Regierung, die tatsächlich reagierte. Auf die wirtschaftliche Situation eines Bundeslandes nämlich. Bei 3,7 Milliarden lagen die Schulden der Steiermark im Jahr 2010. Sie waren in den Jahren davor innerhalb kürzester Zeit ins Unermessliche gestiegen und diese Entwicklung sollte aufgehalten werden.

Die Stunde der Revanche
In den 60 Jahren, in denen die Steirische ÖVP den Landeshauptmann stellte, waren die steirischen Landesfinanzen stets recht stabil gewesen. In den Hochzinsphasen vor dem Eurobeitritt waren hohe Kredite schlicht und einfach unfinanzierbar. Außerdem war eine Politik übermäßigen Schuldenmachens mit einem konservativen Politikverständnis unvereinbar. Dass eine große Koalition in Form der Reformpartnerschaft notwendig wurde, hat seine Ursachen im Jahr 2005. Damals konnte die SPÖ die ÖVP erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg bei Landtagswahlen besiegen. Franz Voves, der bis dahin nur Insidern bekannte Finanzchef der gewerkschaftsnahen Merkur-Versicherung, hatte zwei Jahre zuvor den Vorsitz der SPÖ übernommen, um die Partei zu erneuern. Der Politikneuling hatte jedoch große Startschwierigkeiten, sich in seiner neuen Aufgabe zu positionieren. Und so fand er sich im Jahr 2005 ziemlich überraschend als deutlicher Wahlsieger auf dem Landeshauptmannsessel wieder. Dank der absoluten Mehrheit in der Landesregierung sah die SPÖ die Stunde der Revanche an der ÖVP für die vergangenen sechs Jahrzehnte gekommen. Das Land wurde auf Biegen und Brechen umgefärbt. Zuvor eingeleitete Sparmaßnahmen der ÖVP wurden ausgehebelt und in Verwaltungsbehörden und Landesgesellschaften wurden hunderte SPÖ-Parteigänger eingestellt. Mit dem Erfolg, dass das Landesbudget völlig aus dem Ruder lief. Die im Vergleich zum Schilling niedrigen Eurozinsen und die hohen Wachstumsraten aufgrund der wirtschaftlichen Aufholphase nach dem EU-Beitritt sorgten aber dafür, dass die Landesschulden vorerst finanzierbar blieben. Der damalige Finanzlandesrat Christian Buchmann musste von der SPÖ dennoch mittels Regierungsbeschluss dazu gezwungen werden, dem Landtag die Defizitbudgets vorzulegen. Buchmann tat dies mit zahlreichen kritischen Anmerkungen, in denen er mehr als einmal den Budgetkollaps prognostizierte.

Voves als Getriebener des eigenen Erfolgs
Die SPÖ öffnete trotz dieser Kritik für ihre traditionelle Klientel die Füllhörner des Landes. Als oberster Kostentreiber profilierte sich Voves-Stellvertreter Kurt Flecker. Das Landesbudget explodierte vor allem bei den Sozialkosten. Und Voves fand sich in einer Art Doppelmühle wieder. Auf der einen Seite bedrängte ihn die eigene Partei, all das Unrecht, das ihr in den letzten 60 Jahren durch die ÖVP vermeintlich widerfahren sei, in nur einer Periode mit viel Geld wettzumachen. Auf der anderen Seite entwickelte sich die ÖVP angesichts des Ausmaßes der SPÖ-Verschwendungspolitik zur Totalopposition. Voves war zum dünnhäutigen Getriebenen seines eigenen Erfolgs geworden, der sich vom eigenen Anhang einer Schuldenpolitik verpflichtet sah, die seinen wichtigsten Grundsätzen als Finanzexperte widersprach. Als im Jahr 2009 die US-Finanzkrise auf Europa überschwappte, war auch den meisten in der SPÖ klar, dass die Politik der Steuergeschenke ein rasches Ende finden musste. Das weitere Explodieren des Defizits aufgrund der gesunkenen Ertragsanteile an den Bundessteuereinnahmen war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Bei der Landtagswahl 2010 büßte die SPÖ ihre Mehrheit in der Landesregierung ein. Und irgendwie muss die Niederlage erleichternd für Franz Voves gewesen sein, denn umgeben von einem neuen Team – ohne Kurt Flecker – einigte er sich in nur wenigen Tagen mit Hermann Schützenhöfer darauf, gemeinsam die Sanierung des Landes in Angriff zu nehmen, um die Folgen der von seiner SPÖ initiierten Verschwendungspolitik abzumildern. Die steirische Reformpartnerschaft war entstanden und mit ihr ein völlig neues Verständnis von großkoalitionärer Zusammenarbeit.

Reformen für das Nulldefizit
Die Zusammenarbeit führte zu beachtlichen Ergebnissen. Besonders erwähnenswert sind die Eindämmung der Kostenexplosion im Sozialbereich, die Strukturreform bei den Spitälern, die Fusion der vormals 539 auf nun 287 Gemeinden und der 17 auf 13 politische Bezirke, die Reduzierung der 48 Abteilungen des Amtes der Landesregierung auf 25 und die Abschaffung des Proporzsystems bei gleichzeitiger Verkleinerung von Landtag und Landesregierung. Die Steiermark schlug einen Weg ein, um sich langsam wieder gesundzusparen. Die vielfältigen Reformen führten dazu, dass die drohende Neuverschuldung von 7 Milliarden Euro auf knapp 1,4 Milliarden reduziert werden konnte. Außerdem wurde im Herbst 2014 verlautbart, dass 2015 das erste Nulldefizit in der Steiermark seit 40 Jahren erreicht werden soll. Dass dieses im Jahr 2002 in der Ära Klasnic mit Finanzlandesrat Herbert Paierl auch schon Realität war, wurde vielleicht auch deshalb außen vorgelassen, weil dereinst der Verkauf von Wohnbaudarlehen dafür notwendig war. Auch das 2015er-Budget soll nur durch einmalige Maßnahmen wie die Auflösung von Finanzierungsreserven möglich werden. Dass außerdem die Opposition von nicht nachvollziehbaren Zahlen spricht und tatsächlich ein Einblick in den Finanzhaushalt eines Landes nicht zuletzt auch in der Steiermark schwierig ist, steht außer Frage. Außer Frage steht auch, dass es viel Kritik gab. Die Einsparungen im Sozial- und Behindertenbereich etwa brachten im März 2011 an die 10.000 Menschen auf die Straße. Der kritische Rechnungshofbericht über eine Ski-WM 2013 in Schladming, die 151 Millionen Euro – und damit drei Mal so viel wie ursprünglich veranschlagt – kostete, wurde erst kurz vor der Wahl zum Thema der Opposition. Doch auch diese Beispiele ändern nichts an der Tatsache, dass der Kurs der steirischen Reformpartnerschaft der einzig richtige ist. Die Steiermark hat sich auch seit 2010 weiter verschuldet und hat heute trotz drastischer Sparmaßnahmen 5,2 Milliarden Euro Schulden – also ziemlich genau in jener Höhe, in der sich auch das Jahresbudget 2015 bewegt. Schon die steirischen Gemeinderatswahlen im März haben gezeigt, dass der Denkzettel für die Reformpartnerschaft, der im Vorfeld in Umfragen prognostiziert wurde, ausblieb. Das notwendige Gegensteuern wird hinterfragt, aber auch honoriert. Bis nach Wien – wo die Bundesparteien in der steirischen Politik einen Mahner für die eigene Reformverweigerung erkennen und nach außen hin dennoch als Vorbild hervorheben müssen.

Heillose Überforderung
Selbst den Bürgern sind die finanziellen Probleme des Landes bewusst. Das weiß auch der Politologe Peter Filzmaier: »Die Steirer akzeptieren, dass gespart werden muss«, sagte er kürzlich im Kurier. Gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass die Bewohner der Grünen Mark die Vorteile des Sparkurses noch nicht erkennen könnten: »Wenn nur die drohende Pleite das Sparmotiv ist, dann ist das ziemlich frustrierend«. Weitaus frustrierender wäre aber, was der Steiermark bei einer Fortführung der Finanzpolitik der Ära Voves I gedroht hätte. »Die Pleite eines Bundeslandes aus eigener Kraft abwenden zu können, würde ich nicht als frustrierendes Motiv werten«, sagt auch Franz Schellhorn vom parteienunabhängigen Thinktank Agenda Austria. Und verweist auf Kärnten, wo gerade gezeigt werde, was finanzpolitisch wirklich frustrierend für ein Bundesland sei (siehe auch Interview auf der nächsten Seite). Ab 2016 müssen die Länder aufgrund des Stabilitätspakts ohne Neuverschuldung budgetieren, mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 4.225 Euro liegt die Steiermark laut Statistik Austria derzeit hinter Kärnten (5.684 Euro) und Niederösterreich (5.035 Euro) an dritter Stelle.
Die Steiermark muss sich eben konsolidieren, will sie nicht auf eine düstere Zukunft zusteuern. »Man kann diese historisch einzigartige Anstrengung nicht genügend würdigen. Die Politik ist aber in solchen Fällen gewissermaßen auch heillos überfordert«, sagt der frühere steirische Spitzenpolitiker Gerhard Hirschmann. Und meint damit die Vermittlung von notwendigen Reformen. »Man kann in der Politpraxis nicht so lange kommunizieren, bis der letzte Bürger verstanden hat, dass die Zusammenlegung von Poppendorf und Gnas Sinn ergibt. Und das meine ich gar nicht überheblich.« Der eingeschlagene Kurs müsse auf jeden Fall weiter verfolgt werden. »Wir Gartenzwerge in diesem kleinen wohligen Komfortbereich der Welt, der sich Europa nennt, müssen uns insgesamt neu aufstellen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Reformpartnerschaft prolongiert wird.« Die Konsolidierung der europäischen Volkswirtschaften und Staatshaushalte werde noch gut zehn Jahre benötigen, ist Hirschmann überzeugt. Da klingen weitere fünf Jahre Reformpartnerschaft an der Spitze der steirischen Landesregierung nur vernünftig. Und erklären sogar einen fast befremdlichen Kuschelkurs zwischen einst traditionell stark verfeindeten Parteien.

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Interview mit Franz Schellhorn
»Wer Probleme nur moderiert, wird noch stärker abgestraft.«
Franz Schellhorn ist Direktor des parteienunabhängigen Thinktanks Agenda Austria. Und begrüßt den Weg der Steiermark. Ein Gespräch über Reformstau und Sparfrust.

Ohne Reformpartnerschaft wäre der Schuldenstand der Steiermark heute wesentlich höher. Wie beurteilen Sie die politische Arbeit der SPÖ-ÖVP-Koalition in den vergangenen fünf Jahren?
Wir von der Agenda Austria würden uns hüten, die Arbeit von politischen Parteien zu beurteilen. Auffallend aber ist, dass die Reformen in der Steiermark definitiv in die richtige Richtung gehen. Daran wird auch das Ergebnis bei den Wahlen nichts ändern. Wichtig aber wäre es, noch einen Schritt weiterzugehen: Die Gemeinden in Österreich brauchen mehr Steuerautonomie. Dann können die Bürger selbst entscheiden, ob sie für kleine Gemeindestrukturen höhere Steuern zahlen oder sich nicht doch lieber mit der Nachbargemeinde zusammenschließen wollen.

Ist die Steiermark ein Vorbild für andere Länder oder gar die Bundespolitik?
In der Politik wird die Steiermark neuerdings gerne als warnendes Beispiel angeführt. Ganz nach dem Motto: »Wer reformiert, wird von den Wählern abgestraft!« Das mag sein. Österreich kann sich aber den Luxus nicht mehr leisten, sich am Wohl von Landesregierungen zu orientieren. Der Reformstau ist unübersehbar, je länger die Realität ignoriert wird, desto schmerzhafter wird die Korrektur. Zudem wage ich die These, dass jene noch stärker abgestraft werden, die sich damit begnügen, die Probleme in diesem Land zu moderieren und die Realität schönzureden.

Waren die Gemeinderatswahlen in der Steiermark im März 2015 ein Beweis dafür, dass die Reformpartnerschaft von den Menschen angenommen wurde?
Das wäre vermutlich zu viel gesagt, auch wenn der große Umsturz ausgeblieben ist. Entscheidend ist, dass den Menschen klar wird, dass der Wohlstand nicht auf den Regierungsbänken entsteht. Sondern von uns Bürgern erarbeitet werden muss. Die Gehälter der Verwaltung bezahlt nämlich nicht das Land oder die Gemeinde. Sondern wir Bürger, mit den von uns erwirtschafteten Arbeitseinkommen. Der Staat selbst hat nämlich kein Geld – abgesehen von unserem.

Peter Filzmaier sagte unlängst im Kurier: »Die Steirer akzeptieren, dass gespart werden muss, aber sie können noch keinen Vorteil daraus erkennen. Wenn nur die drohende Pleite das Sparmotiv ist, dann ist das ziemlich frustrierend.« Was sagen Sie dazu?
Die Pleite eines Bundeslandes aus eigener Kraft abwenden zu können, würde ich nicht als frustrierendes Motiv werten. Sondern als durchaus erfreuliches. Wir sehen ja gerade in Kärnten, wie es ist, wenn das nicht aus eigener Kraft zu stemmen ist. Das ist wirklich frustrierend.

Titelgeschichte Fazit 113 (Juni 2015) – Illustration: Peter Pichler

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