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Sind Sie ein Star, Herr Kommissar?

| 27. Mai 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 113, Fazitgespräch

Foto:  Jacqueline Godany

Schauspieler Gregor Seberg über Elektriker, die unbedeutende Schauspielkunst und Tierzucht.

Das Gespräch führten Adrian Engel und Peter K. Wagner.
Foto von Jacqueline Godany.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Gregor Seberg ist weltbekannt in Österreich. Als wir uns mit dem Schauspieler, Kabarettisten und Autor unterhalten, unterbricht eine Frau und bittet um ein Foto. Nervös klemmt sie sich in die Arme des Mannes, den sie als Oberstleutnant Helmuth Nowak aus dem Fernsehen kennt, und verabschiedet sich nach zwei flüchtigen Klicks mit einem beschämten »Danke«.

Seit neun Jahren ist Seberg als lässiger Verbrecherjäger in »Soko-Donau« Dauergast in den österreichischen Wohnzimmern. Doch auch aus Theater und Kino kennt man den 48-Jährigen. Über viele Jahre und unbedeutende Nebenrollen hat sich der gebürtige Grazer ein Leben im Rampenlicht erarbeitet. Für Seberg ein Privileg, aber kein Muss.

Herr Seberg, Sie kommen gerade von Dreharbeiten?
Ja, genau. Wir haben heute für Soko-Donau gedreht und ich bin überhaupt bis 3. Dezember nur mit Dreharbeiten beschäftigt. Bis dahin bin ich geistesgestört.

Es ist also sehr kräftezehrend?
Ja. Vor allem, seit die Drehzeiten gekürzt wurden. Wir drehen für Soko-Donau pro Folge siebeneinhalb Tage, tun aber so, als hätten wir wie früher mehr Zeit. Wir müssen schauen, dass wir in gut einer Woche unseren hohen Ansprüchen gerecht werden. An manchen Orten haben wir außerdem nur eine Drehgenehmigung für einen Tag, müssen also die Szenen dort unbedingt an diesem Tag fertig bekommen. Dreharbeiten sind ein Mörderstress.

Sie drehen seit 2006 für Soko-Donau. Wird das nicht irgendwann langweilig?
Langweilig wird es nicht, nein. Ich glaube, wir sind sogar zu untalentiert, um in Routine zu verfallen. Wir sind außerdem alle ehrgeizig und sagen: »Mist lassen wir nicht durchgehen.« Zumindest versuchen wir’s (lacht). Mir kommt es deshalb nicht so vor, als würde ich es schon seit knapp zehn Jahren machen. Ich bemerke das nur, wenn wir im Team alte Szenen sehen und jemand sagt: »Boah, warst du da jung.« Das Leben huscht an mir vorüber. Das ist ein bisschen ärgerlich.

Bringt der Schauspielerberuf dieses Zeitrasen mit sich?
Das ist schwierig zu sagen. Bei den Dreharbeiten zu Soko-Donau vergeht die Zeit jedenfalls besonders schnell. Immerhin habe ich ja den Vergleich zu anderen Projekten, weil ich auch Kabarett mache und im Theater spiele. Bei Soko-Donau passiert immer was. Es ist Sommer, die Tage werden heller und plötzlich ist es kalt, weil schon wieder Winter ist – das ist echt irre.

Würde die Zeit langsamer vergehen, wenn Sie Elektriker wären?
Das weiß ich nicht. Vielleicht liegt das auch an meiner Persönlichkeit. Wenn ich Tischler wäre, würde die Zeit allerdings auf jeden Fall langsamer vergehen. Das wäre ein super Beruf. Mein Lieblingsberuf wäre überhaupt Naturforscher. Schauspielerei bietet andererseits sehr viele Facetten: vom Kabarett über Lesungen bis hin zum Theater. Das verursacht Stress, macht aber auch wahnsinnig Spaß. Deshalb bin ich Gott, dem Herren im Himmel – den es übrigens nicht gibt –, dankbar dafür, dass ich das machen darf.

Es kommt für Sie also nicht in Frage, kürzer zu treten?
Das ist eine gefährliche Frage. Grundsätzlich bin ich total faul. Es ist nicht so, dass ich Arbeit brauche. Ich könnte den halben Tag lang diese Bretterwand hier gegenüber anschauen und mir überlegen, wie die Pflanzen darauf wachsen – oder überhaupt nichts überlegen. Manisch bin ich nicht.

Jedenfalls sind Sie strebsam genug, um nach einem langsamen Aufstieg über viele Jahre mittlerweile zu einem Star in Österreich gereift zu sein.
Ich glaube, man bleibt immer das, was man in seinen ersten Lebensjahren war. Ich war ein kleiner unbedeutender Krümel in der Grazer Triestersiedlung.

Aber Ihre Prominenz muss sich doch bemerkbar machen.
Doch, ja. Ich werde ständig zu Charityveranstaltungen eingeladen, trete gegen einen Fußball oder schneide irgendwelche Bänder durch. Und sonst: Ich glaube, das viele Schauspieler, die oft fotografiert werden, eitel werden. Eine Stufe schlimmer ist es noch, wenn man anfängt, das zu glauben, was über einen in der Zeitung steht. Beides ist bei mir aber nicht eingetreten. Fotografiert wird durch die Selfiekultur heutzutage jeder und gegen Zweiteres konnte ich mich bisher wehren.

Welche negativen Einflüsse auf die Persönlichkeit kann der Schauspielerberuf noch haben?
Ich glaube, bei manchen Kollegen eine schleichende Verdummung zu konstatieren, weil sie glauben, bedeutend zu sein, wenn sie fremdes Werk mit ihren eigenen Worten wiedergeben. Sie glauben, sie seien deshalb wertvoller als andere, dabei ist es einfach nur ihr Job. Wer es schafft, den Krebs zu bekämpfen oder Weltfrieden herzustellen, kann sich was einbilden. Aber doch kein Schauspieler. Hinzu kommt, dass manche Aufgaben als Schauspieler wirklich stumpf sein können. Ich habe einmal in einem amerikanischen Film spontan eine Mütze aus weiter Entfernung auf ein Klavier geworfen. Das hat dem Kameramann so sehr gefallen, dass er die Szene haben wollte und wir sie öfters gedreht haben. Da stehst du dann da und denkst dir: »Andere stehen gerade im Kreißsaal und ich verbringe meine Zeit damit, mit purer Ernsthaftigkeit einen Hut auf ein Klavier zu werfen.«

Jede Form von Allüren sind Ihrer Meinung nach also vollkommen unangebracht?
Naja. Ein gewisses Glamourgetue kann ja lustig sein. Und es schützt auch. Denn manche Leute sind wirklich unverschämt, wenn sie eine bekannte Persönlichkeit auf der Straße sehen. Es kommt vor, dass Menschen mich betatschen und sagen: »Hö, komm mal her zu uns!«

Wie wurden Sie eigentlich Schauspieler?
Ich habe vier Semester Theaterwissenschaft und Germanistik studiert. Theaterwissenschaft ist vielleicht das langweiligste Studium der Weltgeschichte, Germanistik fand ich interessant. Irgendwann war mir die Theorie aber zu wenig. Mit ein paar Freunden habe ich dann einen Theaterverein gegründet.

Könnten Sie es sich vorstellen, irgendwann den Schauspielerberuf aufzugeben, um eben zum Beispiel Naturforscher zu werden?
Ja, eigentlich schon. Es wäre wirklich sinnvoll, die Natur zu retten. Ich muss aber schon sagen, dass ich als Schauspieler auch etwas bewegen kann. Viele Menschen kennen mein Gesicht und so kann ich auf bestimmte Themen aufmerksam machen. Mein Herzensprojekt ist »Purple Sheep« – ein Verein zur Förderung und Einhaltung der Rechte von Asylwerbern.

Könnten Sie es sich den Umstieg wirklich vorstellen oder ist das eher nicht ganz ernst gemeint?
Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass mein Leben mit dem Tod vorbei sein wird. Ein Paradies oder Wiedergeburt gibt es nicht und deshalb muss man sein Leben nützen. Es gibt so viele andere tolle Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Ich könnte mir schon vorstellen, etwas ganz anderes zu machen. Dafür bräuchte es halt eine Portion Mut. Ich habe einmal jemanden kennengelernt, der jahrelang in der Werbewirtschaft gearbeitet hat, und heute ist er Alpakazüchter. Er sagt, dass er ein Trottel ist, weil er das nicht schon früher gemacht hat. Vielleicht mache ich das auch irgendwann. Oder kümmere mich um Seekühe. Tiere sind für mich ganz wichtig. Man würde mich nie dazu bringen, eine Uniform anzuziehen. Wenn aber jemand sagen würde, unsere Feinde quälen Tiere, wäre ich schneller, als man schauen könnte, in der Uniform.

Wenn Sie fernsehen, dann also Tierdokumentationen und nicht Soko-Donau?
Ich kenne sämtliche Gnus in Afrika mit dem Vornamen, ja. Und ich sehe mir diese »Ich weiß, dass es mir nachher schlecht geht«-Dokus an. Die erklären, wie Osama bin Laden wirklich getötet wurde oder wer hinter dem IS-Staat steckt. Ich bewundere meine Kollegen, die beinahe alle richtige Serienkenner sind. Kino ist für mich wie Kirche für Gläubige, aber Fernsehen fesselt mich nicht.

Ein Dame unterbricht das Interview höflich, weil sie gerne einen Selfie mit ihrem Idol haben möchte. Seberg willigt nach kurzem Zögern ein.

Weil es gerade so gut passt: Sind Sie gerne berühmt, Herr Seberg?
Manchmal ist es schon unangenehm. Wenn ich zum Beispiel Zigaretten kaufen gehe und zehnmal stehen bleiben muss. Aber die Leute sind wohlwollend. Parksheriffs werden auch erkannt und sie werden von allen Menschen gehasst. Ich bin ein Parksheriff der guten Sache.

Das klingt, als wäre der Ruhm bloß das kleinere Übel.
Nein, ein Übel ist es sicher nicht. Es ist ja eine Form der Wertschätzung. Und ich habe schon sehr viele Frauen umarmen dürfen, weil sie ein Foto mit mir haben wollten. Das hat man in keinem anderen Beruf.

In Ihren Kabarettprogrammen »Oh, du mein Österreich« oder »Hast Angst, Mayer?« rechnen Sie mit Österreich sowie der kleingeistigen Xenophobie in diesem Land ab. Warum?
Österreich ist zwar nicht groß, hat aber trotzdem ganz viele verschiedene Gesichter. Man freut sich nicht über diese Vielfalt, sondern sagt nur, dass man besser ist als der andere. Ich habe einmal mit einem Tiroler diskutiert, der meinte: »Wir müssen das ganze Geld in Wien abliefern.« Ich habe ihn gefragt: »Was wäre denn dein Verbesserungsvorschlag?« Daraufhin sagte er: »Naja, nicht bis nach Wien, nur in Salzburg.« Ich habe entgegnet: »In zehn Jahren sagst du dann, dass ihr das Geld nicht den Salzburgern geben dürft.« Dann meinte er: »Ja, sicher.« Und ich: »Also eigentlich willst du, dass das Geld bei dir bleibt.« Als er dann gemerkt hatte, was für einen Blödsinn er redet, sagte er: »Ja, du großkopferter Wiener.«

Wenn Sie als Jugendlicher in der Triestersiedlung geblieben wären, würden Sie dann auch so oder vielleicht in anderen Bereichen anders denken?
Eine gute Frage. (überlegt) Aber nein, ich kann es mir nicht vorstellen. Meine Schwester, die noch in Graz ist, ist vier Jahre älter und sie hat eine ähnliche politische Gesinnung wie ich. Wir hatten uns gegenseitig als Korrektiv. Aber es wird in der Welt, in der ich aufgewachsen bin, nicht übermäßig über die Welt da draußen reflektiert und das hatte schon ein wenig Einfluss auf mich, das stimmt. Es galt das Recht des Stärkeren. Durch meinen Umzug nach Wien habe ich dann die Literatur für mich entdeckt und dann hat sich sowieso sehr viel geändert.

Vorher hat Sie Literatur gar nicht interessiert?
Doch schon. Ich fand die Zeilen von Kiss »I was made for lovin’ you« sehr poetisch. Da konnte ich noch nicht einmal Englisch und habe schon mitgesungen. Und ich habe griechische und deutsche Götter- und Heldensagen gelesen. Ich habe mir dort meine Idole rausgesucht. Jedenfalls glaube ich nicht, dass es genetisch bedingt ist, dass man auf der richtigen Seite ist.
Wie ging es Ihnen damals, als Sie von Graz nach Wien gezogen sind?
Ich war ein U-Boot. Ich war im Widerstand zu allem. Mit 16 Jahren bin ich von zu Hause wieder ausgezogen. Ich bin dann immer hin- und hergezogen. Oft war ich in einem Lokal, in das Prostituierte gingen, die erfolglos blieben. Sie haben dort gesoffen und ich war quasi ihr Adoptivsohn. Dann bin ich von der Schule geflogen, weil ich eine Beziehung mit einer 17 Jahre älteren Lehrerin hatte.

Haben Sie jetzt noch einen Bezug zur Steiermark?
Absolut. Ich wurde kürzlich mit dem Josef-Krainer-Preis ausgezeichnet. Vor Kurzem haben wir in Graz für Soko-Donau gedreht. Das war das letzte Mal, dass ich dort war. Ich lege auch immer mehr diesen natürlichen Widerstand gegen meine Herkunft ab. Eine Zeit lang hatte ich sogar eine Wohnung in Berlin und habe nur Hochdeutsch geredet, aber langsam fühl ich mich wieder als Steirer.

Als gebürtiger Steirer und politisierter Mensch: Was halten Sie von der Reformpartnerschaft?
Als ich den Josef-Krainer-Preis überreicht bekam, musste ich eine Rede halten. Billy Wilder hat gesagt: »Das Wichtigste für einen guten Film ist ein Drehbuch, ein Drehbuch, ein Drehbuch.« Und ich habe in Anlehnung an das Zitat gesagt, dass das Wichtigste für eine Bevölkerung Bildung, Bildung, Bildung ist. In der Steiermark passt die Farbenlehre nicht. Immer, wenn die Steirer »Rot-Schwarz« hören, denken sie Blau. Die Zusammenlegung von Hartberg und Fürstenfeld sollte alles einfacher und billiger machen. Bis jetzt ist es teurer und komplizierter. Aber grundsätzlich finde ich die Reformpartnerschaft eine super Idee. Es ist ja vollkommen irrsinnig, aus Prinzip gegen das zu sein, was der politische Konkurrent macht. Mir geht auch das negative Gerede gegen die Großparteien ein bisschen auf die Nerven. Und die anderen Parteien machen auch einiges falsch. Die Grünen beschäftigen sich damit, was man als Nächstes verbieten kann, die FPÖ verstehe ich von hinten bis vorne nicht und die NEOS sind aus meiner Sicht bedeutungslos. Man kann ja nicht sagen, dass SPÖ und ÖVP das Land vorsätzlich ruinieren. Wir haben Straßen, Spitäler oder Schulen. Das bedeutet nicht, dass alles in Ordnung ist, aber grundsätzlich geht es uns gut.

Herr Seeberg, vielen Dank für das Gespräch!

Gregor Seberg wurde am 24. Juli 1967 in Graz geboren. Seine Schauspielkarriere begann nach ein paar Semestern Germanistik und Theaterwissenschaften am Konservatorium der Stadt Wien. Als Mitbegründer der Theatergruppe »Ateatta« stand Seberg regelmäßig auf der Bühne. Seit 2006 ist er als Oberstleutnant Helmuth Nowak fixer Bestandteil der Krimiserie Soko-Donau. Neben zahlreichen Rollen in Kinofilmen spielt Seberg auch Solokabarett. Aktuell ist er mit seinem Stück »Hast Angst, Mayer?« zu sehen.

Fazitgespräch, Fazit 113 (Juni 2015), Foto: Jacqueline Godany

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