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Fast perfekter Stadtstaat

| 28. September 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 116, Fazitreise

Foto: Darren Soh

Die kleine Insel in Südostasien ist ein Erfolgsmodell, hat aber auch seinen Preis. Eine Reisereportage von Denise Hruby.

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Raketen schießen in die Höhe und lassen die Wolkenkratzer Singapurs in glitzerndem Blau, Grün, Rot und Gold erstrahlen. Die Metropole feiert ihre Unabhängigkeit, ganz standesgemäß, mit perfekt inszeniertem Pomp und Fanfaren. Fünfzig Jahre ist es her, dass nicht nur die größte, sondern auch die überraschendste Erfolgsgeschichte Südostasiens ihren Lauf nahm. Heute vereint der winzige Inselstaat die Faszination des Kontinents wie kaum ein anderes Land. International und Lokal, Alt und Neu treffen hier aufeinander.

Bereits am Tag nach der extravaganten Unabhängigkeitsfeier ist am Hafen um den Singapur-Fluss wieder Ruhe eingekehrt – oder zumindest Normalzustand. Vorbei an pastellfarbenen Reihenhäusern, die sich perfekt an Wolkenkratzer schmiegen, tummeln sich Touristen und Singapurer, die leicht an ihren Aktenkoffern, dem schnellen, gezielten Schritt und gestriegeltem Auftreten erkennbar sind.
Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt liegen dicht beieinander – extravagante Einkaufmeilen, Kolonialbauten, Museen und exotische Gärten. Allesamt werden sie überragt von Marina Bay Sands, Singapurs modernem, inoffiziellen Wahrzeichnen. Die drei Türme, deren Dächer direkt miteinander verbunden sind, definieren die Skyline der Metropole.

Der höchste Pool der Welt
Vom Dach aus ergießt sich ein 150 Meter langes Schwimmbecken über die Skyline der Stadt. Die strahlend weißen Poolliegen sind ständig besetzt, am beliebtesten sind die weich gepolsterten, die direkt ins Wasser ragen, überschattet von exotischen Palmen im 57. Stock. Damit ist der Pool der am höchsten gelegene der Welt. Planschen dürfen aber ausschließlich Hotelgäste – für 300 Euro pro Nacht im Standardzimmer. Wer sich richtigen Luxus gönnen will, bucht die »Chairman Suite«: vier Schlafzimmer, eigenes Fitnessstudio, Sauna und Dampfbad, Massagezimmer, ein Flügel, vier Jacuzzi – gesamt über 629 Quadratmetern.

Beeindruckender als der Luxus ist nur die Baugeschichte. Vor ein paar Jahrzehnten war das Land, auf dem dar gigantische Komplex heute steht, noch Meer. Noch unter britischer Herrschaft wurde der gerade einmal 35-jährige Lee Kuan Yew Ende der Neunzehnfünfziger Premierminister der Insel. Seine Vision: Der perfekte Staat, ein Erfolgsmodell, an dem sich der Rest der Welt orientieren sollte. Wirtschaftlicher Fortschritt und Sicherheit wurden zum höchsten Ziel. Den von Moskitos geplagten Sumpf transformierte Lee zu einem der größten Finanzzentren der Welt, mit dem weltweit neunthöchsten Pro-Kopf-Einkommen.

Zu Beginn war das Potenzial aber beschränkt: Allein geografisch konnte der Inselstaat kaum wachsen. Damit gab sich der Perfektionist Lee nicht zufrieden. Er schüttete Sand auf und vergrößerte die Insel um 22 Prozent der ursprünglichen Landmasse. Protestierende Umweltschützer wurden verklagt.

Nur wenige Gehminuten weiter befindet sich »Clarke Quay«, ein nach dem zweiten Gouverneur Singapurs benannter Kai und eines der Juwelen entlang des Singapur-Flusses. Gegen Sonnenuntergang tummelt es sich auf der Vergnügungsmeile. Ein Mischmasch aus asiatischen Nudelgerichten, spanischen Tapas, britischem Bier und amerikanischen Burgern wird hier serviert. Ein Gericht findet man auf fast jeder Speisekarte, von bescheidenen Imbissständen direkt an der Straße zu Haubenlokalen: Haianesischer Reis mit Huhn. Das Nationalgericht beschreibt sich so wenig aufregend, wie der Name vermuten lässt: klein geschnittenes Hühnerfilet mit Reis und Soße. Nur wäre man nicht in Singapur, wenn es die perfektionistischen Insulaner dabei belassen hätten. Dem ursprünglich aus China stammenden Gericht verpassten sie das lokale I-Tüpfelchen. Statt das Huhn einfach zu kochen, wird es blanchiert, dann kalt abgeschreckt. So bleibt das Fleisch besonders zart. Auch der Reis wird nicht nach herkömmlicher Art gekocht, sondern im Hühnersud. Gemischt mit leicht nussig schmeckenden Pandanusblättern wird er so zum perfekten Ausgleich zur würzigen Chili-Ingwersoße.

10 Euro für ein Glas Bier
Während sich die Gerichte am Clarke Quay preislich je nach Lokal stark unterscheiden, bleibt eins immer teuer: Alkohol. Ein Glas Bier kostet rund zehn Euro. Zwischen 10:30 und 19 Uhr darf seit diesem Jahr überhaupt kein Alkohol auf öffentlichen Plätzen konsumiert werden. Die Regierung will damit den Ausschweifungen betrunkener Jugendlicher vorbeugen. Wer sich dem neuen Gesetz widersetzt, dem droht mit einer Strafe von bis zu 700 Euro und Wiederholungstätern bis zu drei Monate Gefängnis. Vizepremier Teo Chee Hean zitierte dazu eine Studie, die die Regierung eigens anfertigen ließ. Demnach seinen 80 Prozent der Bevölkerung für das Alkoholverbot – zu unordentlich und gefährlich sei es auf den Straßen geworden.

Dabei zählt das Land zu einem der ordentlichsten der Welt. Sogar Kaugummis haben die Wut der Behörden auf sich gezogen. In den 90ern verklebten ausgespuckte Kaugummis die Türen der Untergrundbahn. Seither ist der Import streng verboten. Wer also eine Packung Wrigley’s im Flugzeug schmuggelt, kann mit bis zu 5.000 Euro Strafe rechnen. Alternativ: ein Jahr im Gefängnis. Die harschen Gesetze sind ein Relikt Lees, der die Insel mit eiserner Hand regierte und selbst unliebsame Kritiker und Journalisten lieber einsperrte, statt ihnen Meinungsfreiheit zu gewähren.

Nummer eins im Pisatest
Schon wenn man an öffentlichen Schulen vorbeispaziert, wird klar, dass Ordnung Priorität hat. In Reih und Glied machen Schüler in penibel gepflegten Schulhöfen morgendliche Sportübungen. Dabei tragen sie einheitliche Uniformen und rezitieren Gedichte. Das mag nach Einheitszwang, nach diktatorischem, langweiligen Auswendiglernen klingen, nach dem Feindbild jeder Montessori- und Waldorfschule. Aber auch Singapurs Schulen gehören zu den besten der Welt. Beim in Österreich gefürchteten Pisatest schneiden Singapurs Schüler als die besten der Welt ab. Die Moderne und der Wohlstand Singapurs haben dabei auch seinen Preis. Sogar Billigabsteigen kosten um die 100 Euro pro Nacht. Die günstigsten sind in »Little India« zu finden. Hier, nicht weit von pompösen Flaniermeilen, lässt sich dann auch das etwas rohere Singapur erleben. Indische Gastarbeiter sind hier zu Hause.

Von den Straßen duftet es nach scharfen, indischen Currys, dazu wird Naan Brot serviert, das die Schärfe vom Mund aufsaugt und das Essen auch für sensible Europäer genießbar macht. Den Mix der verschiedenen Kulturen hat Singapur gemeistert. Fremdenfeindlichkeit? Unbekannt. Die Insel war ohnehin nie von einer eigenen ethnischen Gruppe bevölkert, sondern wurde seit jeher von ethnischen Chinesen und Malaysiern geteilt. Inder, Filipinos, Indonesier und Briten zogen später zu. »Rassismus gibt es hier eigentlich nicht«, erzählt Jamal Kazura. Seine Parfümerie entlang der »Arab Street« ist kaum zu ignorieren. Lange bevor man die rustikale Geschäftsfassade sieht, riecht man bereits seine Kreationen. Patschuli aus Indonesien, Geranium aus China, Bergamot und Lavendel aus Frankreich werden hier in filigrane Fläschchen gefüllt. »Das Geschäft hat schon meinem Urgroßvater gehört. Er war ursprünglich aus Indien, hat aber in ganz Asien mit Ölen gehandelt«, so Jamal, der jüngste der Familie. Er öffnet ein Fläschchen mit Sandelholz, das duftet, als wäre es frisch gehobelt. »In Singapur hat mein Urgroßvater eine neue Heimat gefunden, und 1933 gründete mein Großvater dieses Geschäft.« In ganz Asien ist Jamal Kazura für Qualität und natürliche Öle bekannt. Reich und Schön kauft bei Jamal ein und lässt sich vom Meisterparfumeur eigene Kreationen mischen – stundenlang wird abgemischt und feingestimmt. »Bis es perfekt ist.« Eben ganz Singapur.

Weitere Informationen
über Singapur bieten die Webseiten yoursingapore.com (auf englisch) sowie asien.net/singapur (auf deutsch).

Fazitreise, Fazit 116 (Oktober 2015); Foto: Darren Soh

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